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Die Terra Bar setzt als erste Bar Deutschlands ausschließlich auf Bottled Cocktails

Das Terra in München ist die erste Bottled Cocktail Bar in Deutschland. Funktioniert das?

Ein deutsches White Lyan, nur g‘miatlich? Die Terra Bar in München geht in diese Richtung, an Münchens neuer Bar-Adresse serviert Markus Novak ausschließlich Bottled Cocktails. Dass das einige brennende Fragen der Branche beantwortet, liegt nahe. Doch wie steht es um das Bar-Erlebnis? Wir haben es ausgecheckt.

Es ist noch früh am Freitagabend und die Aufbruchstimmung in der Isarvorstadt ist an allen Ecken und Enden zu spüren. Eignet sich die neue Terra Bar als Location für Firmen? Das wird gerade ausgecheckt, während nebenan schon der DJ den Sound für die nächtliche Geburtstagsparty abklärt. Dazwischen erklären die beiden Jungväter Ludwig Diet und Christian Eder mit ihren Kindern am Arm, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Zu Deutschlands erster Bar mit Bottled Cocktails.

Schon vor dem Lockdown widmeten sich die beiden langjährigen Freunde dem Aufbau einer Flaschen-Edition für die Minibars der exklusiven Hotellerie. Es war ein langer Weg, bis die Standard-Drinks in kleiner Auflage die Erwartungen erfüllten. Der Weg übers Rezeptieren (Eders Part) und Kalkulieren (Lützgendorfs Domäne) führt bis in einen Reinraum, um die Einkäufer in Übersee mit Geschmack, aber auch Lebensmittel-Sicherheit bei Old Fashioned und Co. zu überzeugen. Als Volksausgabe neben Cocktale wurde aber auch die Marke Boco kreiert – die 0,5 Liter-Flasche um rund 30 Euro. Für sie ist das Terra nun der Flagship-Store, könnte man sagen. Und damit die Vorgeschichte der unkonventionellen Trinkstätte abhaken.

Die Bar, die niemals „shaked“

Hinter dem Terra steht aber auch die Geschichte von drei Jungs, die sich seit dem Gymnasium kennen. Auftritt Markus Novak, Barchef und Dritter im Bunde der Baarerstraße. Zuletzt im Transit im angesagten Münchener Werksviertel aktiv, erfüllte der Schulfreund die Idee mit Leben. Denn natürlich wird nicht nur Eis in Glas gehoben und aus einer Flasche eingeschenkt. „Im Grunde ist der Bottled Cocktail nicht viel anders, als wenn du dich von einem klassischen Rezept zu einer neuen Variante entlangtastest“, macht er seinen entspannten Blickwinkel klar. Die konkrete Anwendung erstaunt dann in der Tat. Denn die Dreiteilung der Karte hat nicht von ungefähr die neuen Basis-Cocktails von Boco als Mittelteil. Aus ihr lassen sich Longdrinks ziehen, Shot-Drinks einschenken, aber auch die sechs „Signatures“ als Veredelungen ordern. 26 Drinks sind da schnell für die am eleganten Klemmbrett gereichte Cocktailkarte.

So gesehen, geht man im Souterrain des „H’Otello B’01“ (früher mal „Hotel Advokat“) einen anderen Weg, wie ihn einst Ryan Chetiyawardana mit seinem (mittlerweile geschlossenen, Anm. d. Red.) Londoner White Lyan beschritt – in punkto Cocktails aus Flaschen immer noch die weltweite Benchmark. Das beginnt beim Unterschied, dass man in München durchaus auch länger vor Ort bleiben darf. Viel Grün und gemütliche Sitzbänke laden dazu ein. In Hoxton herrschte anno 2014 hingegen permanenter Druck in Richtung Take-away. Das signalisierte bei aller Progressivität der vor-gebatchten Cocktails von Mr. Lyan der Charme des neon-eisig leuchtenden Kühlschranks mit angeschlossener Drink-Ausgabe.

Terra Bar München

Terra Bar

Baaderstraße 1
80469 München

Kalkulatorische Vorzüge weitergeben

Das Prinzip der Nachhaltigkeit, das Chetiyawardana mit dem Verzicht auf verderbliche Zutaten im Drink lebte, beschränkt sich in München auf die maximale Verwertbarkeit erprobter und in Flaschen vorhanden Rezepturen. Doch für die aufwendigsten Drinks greift Barchef Novak auf Zutaten vom nahen Viktualienmarkt, keine klassische Gastro-C&C-Adresse, zurück. Der Lavendelsirup etwa wäre für eine klassische Bar zu teuer, die biodynamische Manufakturware überzeugte allerdings so sehr im „Blue Boy“ (13,50 Euro), dass sie nunmehr gesetzt ist. Damit erhält der „bottled“ Whiskey Sour das Aroma, die blaue Färbung liefert Spirulina-Alge und Guaven-Ananas-Espuma setzt den Kontrapunkt. Oder, in der Sprache der Baaderstraße 1: „Er sorgt für das Cappuccino-Gefühl“.

Ebenfalls mit der farblichen Erwartung spielt Novaks „Terragroni“, der Holzkohle-schwarz ins Glas kommt und mit Mezcal geflämmt wird. In diesem Fall dreht man den Spieß sogar um: Der auf einem Bett aus Erde angerichtete Drink wird nämlich auch so in die Flasche gefüllt. „Einmal im Monat wollen wir auch unsere Signature Cocktails ‘bottlen’“, so der Terra-Bar-Mixologe.

Sozialer Schliff statt Bar-Referenzen

Sieht man Markus Novak länger zu, wird ein Pluspunkt des Konzepts klar: Der Barchef kümmert sich um sämtliche Veredelungen, die restlichen Drinks werden von der sympathischen, dreiköpfigen Mannschaft mit wenigen Handgriffen „gebaut“. In der vorliegenden Konzeption braucht es keine Bartender:innen, „die mitunter von oben herab ihre Kreationen erklären“. Dafür aber seien Mitarbeiter unabdingbar, „die Bock auf Gäste haben“, streicht Novak die soziale Komponente im Terra heraus. Entspannt und ohne Druck erklärt das Serviceteam die Drinks, Stress kommt angesichts der bereits fertigen Getränke bzw. ihrer schnellen Vollendung nie auf. Dafür wird viel gelacht beim Bestellen, aber auch beim Servieren. Kein schlechtes Zeichen in kalten Zeiten!

Dass man mit schlanker Kalkulation und wenig Personalaufwand auch einen Nerv in der aktuellen Situation der Gastronomie getroffen hat, ist den drei Betreibern klar. Und dennoch: „Bei uns gibt es kein Shaken und kein Rühren, die Zeit geben wir lieber dem Drink“, klingt für gestandene Bartender wohl wie eine Kampfansage. Es ist Markus Novaks präzise Art, die Arbeitsweise am Terrakotta-verfliesten Tresen (daher der Bar-Name) zu erklären.

Cocktail-Trinken für Neueinsteiger

Wer ohne den Klang von klackernden Eiswürfeln die letzte Stunde der Barromantik schlagen hört, wird auch Novaks Zugang nicht verstehen. Denn er behandelt die Boco-Varianten am Rückbuffet nicht anders als Pre-Mixes – mit denen sich viele Kolleg:innen auf den Abend vorbereiten. Auch diese Flaschen lassen sich z. B. mit Infusionen schnell zu einer „Spicy Margarita“ (12,50 Euro) verwandeln, die diesen Namen auch wirklich verdient. Der einseitige Glas-Rim mildert den geilen Chili-Biss dann ein wenig – wenn man das will. Ebenfalls in die Kategorie „spielerisch trinken“ fällt der „Vegan Boston Sour“ (12,50 Euro), der mit seiner Schaumhaube zu einem der meistbestellten Drinks der jungen Bar zählt.

Tatsächlich ist das Gäste-Feedback der ersten Wochen ganz im Sinne der Flaschengeister Eder und Lützgendorf: „Rechtfertigen mussten wir uns noch nie, dass es etwas nicht gibt.“ Die einsamen Bestellungen von zwei Gin & Tonic fallen Markus Novak noch ein, dafür wurde der „Manhattan Coke“ – „wir dachten, den müssen wir haben“ – schnell wieder von der Karte genommen. Der Whiskey Highball interessierte niemanden angesichts von Optionen wie dem „Basil Cucumber Fizz“ (11,50 Euro) oder dem „Hey Mario“, einem bottled Negroni, aufgegossen mit Rosmarin-Tonic. Auch bei den Fillern greift man mit Lantenhammers Softdrink-Marke „M.A.T.“ bewusst zu einer bayrischen, aber nicht überall gelisteten, Range.

„Maßgeschneidert“ aus der Flasche

Ähnlich wie die Drinks sind auch die Räumlichkeiten noch ein „work in progress“ – erst im Mai wird das Hotel über der Bar mit einem Rebranding eröffnet. Dann wird auch das momentan etwas unglückliche Entrée Geschichte sein. Davor wird auch das Terra noch zur Baustelle. Offene Fensterfronten erweitern dann die Bar um einen Außenbereich plus einen separaten Eingang. Ebenfalls bereits fix in Planung ist das Barfood, das aus herzhaft belegten mexikanischen Maisteig-Happen („sopes“) bestehen wird. Einen weiteren Vorteil mit den standardisierten Rezepturen aus der Flasche schildert dann Christian Eder, der auch deren Produktion leitet, die in der Maxvorstadt erfolgt: „Die Bottled Cocktails sollen immer den Geschmack möglichst vieler Kunden treffen – in der Bar können wir das aber für jeden Gast verfeinern.“

Diese Arbeitsweise erlaubt nach einem schnellen Verkosten eines Daiquiri oder Gin Basil-Smash dann auch schnell die Adaptierung. Selbst eine der nervigsten Bitten bei voller Schicht nimmt Markus Novak gelassen mit seiner Flaschenbatterie: „Klar kann ich dem Gast auch nur ‘einen kleinen Negroni machen’.“ Mit wenigen Weinen und der Schorle „Winzz“ erweitert sich das Angebot der Terra Bar in punkto leichter Optionen. Schließlich hat man als eigenständige Bar im Hotel auch bereits um 14 Uhr geöffnet. Dem Day Drinking mit der Verjus-Schorle alias „Salut Spritzer“ (5,50 Euro) steht also nichts im Wege.
Womit sich angesichts der nicht zuletzt manifesten kalkulatorischen Vorteile eine Frage aufdrängt: Erhascht man in der Baaderstraße einen Blick auf die generelle Barzukunft? Und: Ist es eine Vision oder ein Schreckbild? Zumindest ist das Konzept, mit dem sich der Gast ohne Berührungsängste auf Neues einlassen kann, auf der Höhe der Zeit.

Und es macht vor allem viel Spaß – denn der Geschmack passt.

Credits

Foto: Terra Bar

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