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Wie die Teuerung von Getreide auch die Spirituosenbranche trifft

Teurer Rohstoff: Wie die Getreidekrise auch die Spirituosenbranche trifft

Eine Krise ist nicht genug: Nach Covid treffen jetzt die wirtschaftlichen Verwerfungen infolge des Ukraine-Krieges sowohl Verbraucher:innen als auch Unternehmen. Insbesondere die Brennerei-Branche könnte zu den leidtragenden gehören. Denn sie ist nicht nur energieintensiv, sondern hängt in hohem Maße von einem Rohstoff ab, dessen Preis explodiert ist – Getreide.

Man muss so ehrlich sein: Oft vergisst man eben doch, dass eine Spirituose auf etwas basiert, das aus der Erde wächst. Bei Obstbränden oder Agavendestillaten vergisst man es vielleicht weniger, aber gerade bei den Standards der Bar – bei Vodka, Gin, Whiskey oder Rum – ist es eigentlich zu abstrakt. Man mag von Mash Bills reden oder darüber, wie stark ein Malz getorft wurde. Die Flasche mit ihrem fertigen Produkt ist trotzdem zu weit weg vom Ursprung. Dass aller Schnaps in allerletzter Instanz auf Pflanzen beruht, meist auf Getreidekörnern (oder Melasse), hat man so nicht im Kopf. Auch weil wir meist kaum noch wissen, wie diese Getreide eigentlich aussehen oder schmecken.

Getreide steckt nicht nur im Brot

Zumindest in Sachen Preis könnten demnächst viele Menschen schmerzhaft daran erinnert werden, dass nicht nur ihr Brot oder ihre Pizza, sondern auch ihr Lieblingsbier oder liebster Whiskey aus Getreide hergestellt wird. Die Preise für praktisch alle Getreide gehen derzeit – wie so viele andere Dinge auch – durch die Decke. Das liegt vor allem daran, dass durch den russischen Krieg in der Ukraine beide Länder nur noch sehr wenig Getreide exportieren. Sowohl die Ukraine als auch Russland (und auch das ebenfalls isolierte Belarus) zählen zu den Kornkammern der Welt, sei es bei Roggen, Weizen oder Gerste.

Für die EU und speziell Deutschland ist das zunächst unbedrohlich, denn die osteuropäischen Getreide-Exporte gehen vor allem in andere Regionen, z. B. nach Nordafrika. Deutschland ist in Sachen Getreide, je nach befragter Stelle, entweder Selbstversorger oder gar Überversorger, die hiesigen Erzeugnisse sind also ebenfalls teilweise für den Export. Und dort liegt das Problem, das mittelfristig auch zu einem hiesigen werden wird: Durch die ausbleibenden Lieferungen aus Russland und der Ukraine entstehen empfindliche Lücken auf den internationalen Märkten. Denn plötzlich gibt es weniger Ware von weniger Lieferländern bei gleichbleibendem Bedarf. Auf einmal also interessieren sich auch Käufer für deutsches Getreide, die vorher russisches oder ukrainisches gekauft haben.

Befeuert wird diese Entwicklung außerdem durch zwei weitere Faktoren: Zuletzt wurden z.B. bei Weizen global verringerte Erntevolumen erzielt. Und die durch die Ukrainekrise hervorgerufenen Energie-Engpässe haben innerhalb kürzester Zeit dazu geführt, dass die energieintensive Produktion von Stickstoffdünger stark heruntergefahren wurde – mit womöglich erheblichen Auswirkungen auf die nächsten Ernten, so der Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft e. V. gegenüber Mixology.

Grafik, wie sich der Preis einer Tonne Getreide innerhalb eines Jahres verdoppelt hat
Durch den Krieg in der Ukraine fehlen enorme Getreidemengen auf dem Weltmarkt. Der Preis für Weizen und andere Rohstoffe ist seitdem in die Höhe geschossen.

Verknappung = Verteuerung

Diese Verknappung wiederum sorgt auf freien Märkten immer und ausnahmslos für Preissteigerungen. Wie beim Gas, so auch beim Getreide. Wenn also das Getreide in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nie knapp werden wird, so wird es dennoch auch hier deutlich teurer, weil deutsche Abnehmer natürlich nun mit den außereuropäischen Käufern und dem Weltmarktpreis mithalten müssen. Und das wiederum bedeutet nicht nur, dass die Bäcker-Verbände bereits Mitte März bekannt gegeben haben, demnächst Preiskorrekturen vornehmen zu müssen, um überhaupt kostendeckend weiterarbeiten zu können. Es betrifft auch den Schnaps.

Tatsächlich sind die Zahlen alarmierend. So lag der Preis für eine Tonne Weizen auf dem Weltmarkt Anfang April 2021 bei rund 240 US-Dollar. Ein Jahr später, am 4. April 2022, belief sich der Preis auf 405 Dollar. Eine Steigerung um über 65%; Anfang März, also zu Beginn des Krieges, war der Preis kurzzeitig sogar auf über 450 Dollar geschnellt. Für Unternehmen, die ihre Produkte im Wesentlichen aus einem einzigen Rohstoff fertigen – also etwa Bäckereien, Destillerien oder Brauereien –, bedeuten derartige Zuwachsraten eine ernsthafte Bedrohung. Denn schließlich kann niemand von ihnen eine solche Preissteigerung auch nur ansatzweise an die Endkundschaft weitergeben. Zwar verfügen die meisten Unternehmen über Verträge, in denen der Lieferpreis über längere Zeiträume festgeschrieben ist. Doch irgendwann kommt jede Rohstoffpreissteigerung beim Brenner an. Die Rechnung ist also einfach: Wenn der Basisrohstoff so viel teurer wird, müssen andere Kosten gesenkt werden oder aber die Marge leidet.

Die Verdopplung der Preise

Von genau solch drastischen Anstiegen berichtet auch Steffen Lohr, Chefbrenner bei den handwerklich fertigenden Spreewood Distillers im brandenburgischen Schlepzig. Lohr bezieht seinen Roggen von der lokalen Agrargenossenschaft, die aber ihre Preise schon analog zum Weltmarktgeschehen angepasst hat: „Stand heute zahlen wir im Vergleich zum Vorjahr praktisch das Doppelte: April 2021 waren es € 220, jetzt liegen wir bei € 420 für eine Tonne Roggen aus Dürrenhofe.“

Gerade kleinere und noch nicht übermäßig alte Spirituosenunternehmen könnten durch die aktuellen Vorgänge in Bedrängnis geraten, insbesondere jene, die ungereifte Spirituosen wie Vodka oder Gin herstellen, denn sie verfügen über eine deutlich kürzere Zeitspanne, die zwischen Rohstoffanlieferung und fertigem Produkt vergeht. Whiskeyhersteller können sich wenigstens auf ihren Fassbestand als Sicherheit verlassen, der noch nicht von den aktuellen Preiserhöhungen betroffen ist. Und größere Brennereien aus Konzernhand dürften über beides verfügen – finanzielle Polster und Rücklagen in den Warehouses.

Doch auch die Großen wird es treffen, wie Dr. Bernhard Strotmann konstatiert. Strotmann ist Geschäftsführer der Euro-Alkohol GmbH aus Lüdinghausen, einer der größten europäischen Hersteller von Ethanol für den Lebensmittelsektor und somit auch Zulieferer für viele Spirituosenhersteller. Neben der ungefähren Verdopplung der Getreidepreise merkt er zudem an: „Dramatisch gestaltet sich aktuell die Situation auf den Energiemärkten. Es ist aber noch zu früh, eine klare Aussage zu treffen, da im Moment niemand einschätzen kann, wie sich die preisliche Situation vor dem Hintergrund der aktuellen Boykottdiskussion entwickeln wird. Wenn sich die politische Situation kurzfristig nicht entspannen sollte, was leider zu befürchten ist, muss von drastischen Preiserhöhungen für Ethanol ausgegangen werden.“

Auch die Brauer kämpfen mit den Teuerungen

Vergleichbare Aussagen kamen Ende April aus den Reihen des ebenfalls stark vom Getreidepreis abhängigen Braugewerbes: Holger Eichele, Geschäftsführer beim Deutschen Brauer-Bund, machte in Statements gegenüber der Presse auf die immensen Preiserhöhungen aufmerksam und appellierte an den Handel, die zu erwartenden Erhöhungen der Bierpreise mitzutragen.

Und als wären die beiden finanziellen Faktoren Rohstoff und Energie als unmittelbare Kriegsfolgen nicht genug, kommen weitere Verknappungen (und damit verbundene Kostenerhöhungen) aus der Pandemie hinzu. Denn nahezu alles, was es braucht, um eine Spirituose verkaufsfertig zu machen, hat sich durch Produktionsausfälle oder unterbrochene globale Lieferketten dramatisch verteuert: Glas, Papier, Korken oder Leichtmetall für Drehverschlüsse. Gerade hier sind kleinere Produzenten heftiger betroffen, denn sie kaufen derartige Güter in vergleichsweise geringeren Mengen und damit zu ohnehin höheren Preisen ein. Spreewood-Geschäftsführer Bastian Heuser jedenfalls gibt an, dass man noch dieses Jahr eine Preiserhöhung angehen wolle, um all diesen Kostensteigerungen entgegen- treten zu können. Da wirkt es geradezu fair, wenn er sagt: „Eigentlich müssten wir den Preis pro Flasche um € 5 erhöhen.“

Teurer Rohstoff: Bio als Vorteil?

Ein wenig zuversichtlicher kann indessen Rüdiger Sasse mit der münsterländischen Feinbrennerei Sasse in die nähere Zukunft schauen. Das hat aber auch einen klaren Grund: „Als wir 2006 den Betrieb hochgefahren haben, habe ich mich dafür entschieden, dass wir ausschließlich Bio-Getreide verarbeiten. Die Preise für Bio-Getreide sind generell weniger volatil. Und jetzt sind sie zwar gestiegen, aber nicht so erheblich wie bei konventionell erzeugtem Rohstoff“, erklärt er.

Das erlaubt ihm, derzeit noch relativ gelassen auf die Erhöhung des Preises zu reagieren, „zumal wir mit den Landwirten, die unseren Bio-Roggen erzeugen, bereits die Konditionen für die Ernte im nächsten Jahr vereinbart haben“. Wenn Sasse mittelfristig die Preise seiner Korn-Spezialitäten erhöhen sollte, dann wohl eher aufgrund der anderen gestiegenen Kostenpunkte, die auch Heuser und Strotmann nennen. „Derzeit wollen wir es aber vermeiden, Preise zu erhöhen. Meine Befürchtung ist, dass man durch derartige Schritte eher in die aktuelle allgemeine ›Kriegsangst‹ mit einstimmt und so eher zur weiteren Verunsicherung der Menschen beiträgt“, schließt Sasse.

Doch auch wenn der Optimismus von Rüdiger Sasse guttut: Wenn praktisch alles teurer wird, was zur Erzeugung eines Produktes notwendig ist, wird eher in naher als in ferner Zukunft auch das entsprechende Produkt teurer werden müssen. Dies betrifft am Ende natürlich wieder die Gastronomie, die zur Aufrechterhaltung ihrer ohnehin schmalen Kalkulation zu Preisanpassungen gezwungen sein dürfte. Gemeinsam mit der allgemeinen Inflation und steigenden Personalkosten könnten also die Preisanstiege von Energie und Getreide dafür sorgen, dass der 15-Euro-Cocktail in hervorragenden Bars schneller vom 20-Euro-Cocktail abgelöst wird, als man vielleicht vor zwei oder drei Jahren angenommen hätte.

Traurig ist nur, dass davon nichts in der Bar hängenbleibt. Und ebenso traurig, dass es wohl eine so handfeste Krise braucht, um die Menschen verstehen zu lassen, dass auch ihr liebster Drink aus der Erde wächst. Und diese Erde macht mit ihren Rohstoffen nicht immer, was man sich von ihr wünscht.

Dieser Text erschien ursprünglich in der Printausgabe 3-2022 der MIXOLOGY – Magazin für Barkultur. Information zur aktuellen Ausgabe finden Sie hier, Information zu einem Abonnement hier sowie Anmeldung zum Newsletter (wöchentliche und monatliche Option) hier.

Credits

Foto: Editienne

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