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SEIN NAME IST NOBODY: THE DRINK WITHOUT A NAME

Der in den 1990er-Jahren ersonnene Cocktail verbindet das “Wässerchen” mit Cointreau und Chartreuse. Und fordert eine sehr genaue Dosierung ein. Vodka in Cocktails spaltet die Gemüter. Paul Harrington´s The Drink Without A Name kann sie wieder vereinen.

Vodka! Spätestens, wenn der Gast erklärt, dass er gerne “etwas Fruchtiges mit Vodka” haben möchte, ist klar, dass man die frisch abgefüllten Kardamom-Bitters und die als Bibel verkleidete Cocktail-Karte wieder wegpacken kann. Vodka hat den Sprung auf den Zug der Cocktail-Renaissance vergeigt wie keine andere Spirituose und fristet nun ein sehr bescheidenes Dasein in den großen Bars.

Diesen Umstand haben die Marketingabteilungen der Vodka-Hersteller selbst verschuldet: Während praktisch alle anderen Spirituosen gemerkt haben, dass der Trend in Richtung Authentizität, Craft und vor allem Geschmack geht und ihre Werbebotschaften dementsprechend angepasst haben, hat sich der Vodka der Prostitution an schmierige Wichtigtuer verschrieben, die teure, aber stillose Anzüge tragen und gerne die Tresenkraft belehren, welches denn “der absolut beste, also smootheste” Vodka sei. Es verwundert also nicht, dass Vodka-Cocktails kaum mehr im Gespräch sind. Außer natürlich dem Moscow Mule, der eigentlich mit jeder anderen Spirituose mehr Spaß macht.

Drama der Geschmackslosigkeit

Trotzdem geht es heute um ein Mischgetränk, das hauptsächlich aus Vodka besteht und eine vollwertige Daseinsberechtigung hat im Himmel der großen, aromatisch fein abgestimmten Cocktails wie dem Old Fashioned. Tatsächlich ist der Vergleich mit dem Old Fashioned sehr interessant: Bekanntlich funktioniert dieser so, dass ein guter Schluck Spirituose durch die Beigabe von kleinen Spritzern und Tropfen akzentuiert und so im besten Lichte präsentiert wird. Unser Getränk heute hingegen funktioniert so, dass eine kleine Menge eines hocharomatischen Kräuterlikörs mit ordentlich Vodka gestreckt, aber nicht verwässert wird, und sich so einer aromatischen Entschlüsselung zugänglich macht. Das Herzstück des Cocktails ist also der Likör, nicht der Vodka: Ein Reverse Old Fashioned, wenn man so will.

Da der Vodka dabei als mixologisches Null-Element funktioniert und geschmacklich wenig beitragen soll, sind die Vodkas neuerer Generation, die nicht auf Charakter, sondern auf 18-fache Destillation und Filtrierung setzen, hier durchaus erwünscht. So hat der Filtrationswahn der letzten Jahre doch auch etwas Gutes.

Not Your Average Vodka Cocktail

Es dürfte den Bartender von heute also freuen, dass es letztendlich um einen Chartreuse-Cocktail geht. Das scheint in Anbetracht der Mengenverhältnisse von 12 Teilen Vodka auf 2 Teilen Cointreau und 1 Teil Chartreuse zunächst zynisch, doch in der Tat, Chartreuse steht hier geschmacklich im Vordergrund und präsentiert sich von seiner besten Seite. Es ist absolut faszinierend, wie sich sein Aroma ausbreitet; man bekommt das Gefühl, als hätte man eine nahezu alchemistische Transformation herbeigezaubert und sei dem Wesen der Mixologie einen Schritt näher gekommen.

Passenderweise stammt dieses Rezept aus den 1990er-Jahren von niemand geringerem als Paul Harrington, welcher unter dem Pseudonym The Alchemist zu der Garde von Cocktail-Bloggern gehört, denen wir die heutige Revolution zu verdanken haben. Damals konnte man sich noch The Alchemist nennen, und man konnte auch getrost einen Drink, für den man keinen Namen fand, einfach so benennen: The Drink Without a Name. Es ist also ein paradoxer Cocktail: Den 1990ern entsprungen und hauptsächlich bestehend aus Vodka, und doch kein Vodka-Cocktail, sondern eigentlich ein regelrechter Anti-Vodka Drink. Hier wird die geringste Zutat zum Kernstück.

Das Ende vom Lied

Bei einem so einfachen Rezept zuckt es einem in den Fingern, man möchte austauschen und experimentieren. Doch es zeigt sich, dass es an dem Rezept kaum etwas zu rütteln gibt: Orange-Bitters binden sich nicht gut ein, und andere Orangen-Liköre als Cointreau fallen durch ihre Farbe oder sekundäre Aromen negativ auf. Es bieten sich Getreide-basierte Vodkas an, aber tendenziell sollten sie sich geschmacklich zurückhalten. (Ein Nachteil des Vodka-Bashings der letzten Jahre ist, dass jetzt kaum eine Barkraft mehr etwas über Vodka weiß.)

Es bleibt also das Spiel mit Chartreuse: Das ist der Cocktail, in dem es lohnt, die anderen Abfüllungen der Pères Chartreux aus dem Keller zu holen. Die Unterschiede zwischen der handelsüblichen, grünen Chartreuse und der intensiveren VEP macht sich hier klar bemerkbar. Doch am besten gefällt die Variante mit dem Cuvée des Meilleurs Ouviers de France, welcher sich sehr freudig mit den Orangen-Aromen des Cointreau paart.

Es bietet sich an, diesen Drink kurz zu halten, da er an Brillanz verliert, wenn er zu stark aufwärmt. Das wiederum führt dazu, dass man sehr kleine Mengen von Chartreuse und Cointreau abmessen muss. Entweder nimmt man eine Pipette zur Hand (und erweckt damit Erinnerungen an die Apotheke), oder man bereitet einen Batch in größeren Mengen vor, was das Abmessen erleichtert und die Vermählung verschiedener Chartreusen ermöglicht. Dabei sei es aber empfohlen, der Versuchung zu widerstehen, diesen Batch kühl zu lagern: Dieser Cocktail braucht jede Verwässerung, die er bekommen kann – und das geht einfacher, wenn er auf Raumtemperatur ins Rührglas kommt.

Credits

Foto: Grün & Glas via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

Comments (1)

  • ML

    Habe nachgemixt. Mit Originalzutaten (Vodka Nemiroff als Mixology Preis-Leistungssieger). Interessanter Shortdrink, aber im Mund etwas unangenehm schleimig. Kann mir dies nicht erklären. Unverträglichkeit von Cointreau und Chartreuse?
    Erst Orangenzeste probiert, dann durch Zitronenzeste ersetzt. Gibt eine kleine Spitze, die dem Cocktail gut tut.
    Marcus

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