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Mise en place The Gibson Marian Beke

Krasser wird’s nicht: Das Mise en Place im The Gibson

Man weiß es, aber wenn man es sieht, staunt man trotzdem: Marian Beke zelebriert im The Gibson ein Mise en Place der Sonderklasse. Das Resultat sind opulente Drinks, mit denen er auch gegen den gegenwärtigen Strom des Minimalismus schwimmt.

Die Spitze des Eisbergs hat gerade genug Quadratmeter für 40 Gäste, und da wird’s schon richtig kuschelig. Eng wäre eine Alternativvokabel. Die Atmosphäre an sich ist gemütlich, ein Klavier steht an der Wand und wird auch bespielt, alte Shaker stehen in den Fenstern und verbreiten Nostalgie.

» Es braucht so ungefähr 20 bis 30 verschiedene Schritte, um diese Sakralbauten des Sprits fertigzustellen.  «

The Gibson London
Where the magic happens: The Gibson Bar London

Bloody Mary im Brotlaib

Die Drinks im The Gibson sind legendär opulent, ausufernd, bom-bastisch; klassisch reduzierte Zurückhaltung erwartet man hier vergeblich. Jedes Getränk ist sein eigenes Miniatur-Wunderland, eine Getränkelandschaft, in der man sich erst mal zurechtfinden muss; manchmal möchte man nach einer Machete fragen, um sich durch das Gestrüpp zu kämpfen, manchmal reicht eine freundlich-unaufdringlich dargebotene Bedienungsanleitung.

Jeder Cocktail hat sein eigenes Gefäß – verspieltüberladene Sonderanfertigungen, Eigenbauten, Umwidmungen; neu ist etwa der innen glasierte Hohlziegel für den „Brick Lane“, legendär auch der ausgehöhlte Brotlaib, in dem die göttliche Bloody Mary serviert wird.

The Gibson London Mise en place
The Gibson London Mise en place

Abläufe im The Gibson sind bis an die Grenzen optimiert

Wer an der Theke das Werden seines Drinks beobachten kann, der sollte mal die nötigen Handgriffe bis zur Vollendung mitzählen: so 20 bis 30 verschiedene Schritte sind schon erforderlich, um diese Sakralbauten des Sprits fertigzustellen. Das Zusammenspiel von Keeper und Barback auf kleinstem Raum ist reibungslos und flüssig, aber dennoch brauchen derartige Machwerke ihre Zeit, und man sollte besonders bei größeren Gruppen nicht erwarten, alle Getränke gleichzeitig serviert zu bekommen.

Ist halt so. Die Abläufe sind bis an die Grenzen optimiert, die Bar ein eigens konzipiertes One-Touch-System nach japanischer Effizienz, bei dem man etwa einen Platz hat, um den Fuß einzuspreizen, damit man sich ohne Zeitverlust nach hinten lehnen und nach einer Flasche greifen kann. Was dann noch Zeit braucht, braucht die Zeit auch.

» Kennt man alles. Wenn, ja wenn nicht in so ziemlich jeder Flasche noch ein Böhnchen, ein Blümchen oder ein Gräslein baden würde.  «

The Gibson

44 Old Street
EC1V 9AQ London

Mo - Do 17 - 01 Uhr, Fr & Sa 17 - 02 Uhr, So 13 - 22:30 Uhr

Marian Beke und sein Mise en Place in Perfektion

Und dennoch ist all das, was man da beobachten kann, eben nur die Spitze des Eisbergs. Die eigentliche Arbeit ist die Arbeit vor der Arbeit. Das wäre alles nicht möglich, wenn nicht schon viele Stunden vorher an einem Mise en Place gearbeitet würde, das einem gehobenen Restaurant alle Ehre machen würde.

Der Blick auf die Backbar weist den Weg: Im Großen und Ganzen sind die Spirituosen hinter der Bar zwar hochwertig, aber nicht ungewöhnlich. Kennt man alles. Wenn, ja wenn nicht in so ziemlich jeder Flasche noch ein Böhnchen, ein Blümchen oder ein Gräslein baden würde. Und darunter stehen, aufgereiht wie die Bauern im Schachspiel, etwa 70 Bitters-Flaschen vor ebenso vielen Töpfchen und Tiegelchen mit Trockenobst und Zuckerstangen und Undefinierbarem. Pimp my Bottle.

Luft schnappen nach einer Extraschicht Rotovap

Das Gibson öffnet um 17:00. Die Vorbereitungen beginnen sieben Stunden vorher, und sie enden nicht zwangsläufig mit der Öffnung des Lokals. Es kann schon passieren, dass man am Tresen sitzt und verdutzt einen Menschen aus einer Falltür steigen sieht, der nach einer Extraschicht Rotovap ein bisschen Luft schnappen geht.

Der Keller steht sinnbildlich für das Fundament, auf dem das Gibson steht. Eine Bar mit dem Flair des kleinen, gemütlichen Eckpubs, das aber auf einer ganzen Menge kaum sichtbarer Arbeit aufbaut. Der Mauerfall zwischen Küche und Bar wird selten so deutlich wie hier, und es sieht da auch erfreulich nach Küche aus, während in ganz London mit einer irritierenden Selbstverständlichkeit nur noch von den „Labs“ gesprochen wird. Wobei natürlich all das schöne, glänzende Männerspielzeug hier auch herumsteht: Zentrifuge, Rotationsverdampfer, dreierlei Hoshizakis, Pomp and Circumstance, ein kompletter Alchimistenfuhrpark.

Aber alles wird benutzt, nichts ist zur Zierde, und – das vorweggenommen – die gewonnenen Aromen sind kein Blendwerk, sondern erfüllen wohldosiert und gekonnt eingesetzt ihren Zweck. Die Pfefferblüte, die beim Kauen die Mundflora und somit das Geschmackserlebnis des Drinks völlig verändert ebenso wie der Popping Candy, der vor dem Trinken in den Mund genommen wird und dann seinem Namen alle Ehre macht.

» Das Gibson schöpft aus dem Füllhorn dessen, was London zu bieten hat. «

Umami zum Redistilled Martini

Bananen werden in den Dörrautomaten gegeben, Erdbeeren mit Mezcal eingekocht, Waldpilze in Honig eingelegt, Süßgras entsaftet. Jim Meehans Banks 5 Island Rum kriegt ein Fatwashing mit Iberico-Schweineschmalz, Szechuan-Pfeffer und Kardamom. Während Bars wie das Scout ihr Foraging-Konzept aus den Ressourcen der näheren Umgebung bestreiten, schöpft das Gibson aus dem Füllhorn dessen, was London zu bieten hat. Und das ist, allein durch all die Immigrantenküchen, eine Menge. Shiso- und Olivenblätter, kandierte Angelika. Ganz viel indisch.

In den Monkey Shoulder kommt Seeigelrogen. Eigentlich naheliegend. Komisch, dass man da noch nicht selber draufgekommen ist. Der Earl Grey läuft durch den Cold Drip. Zwiebelchen werden geröstet und drei Tage lang im eigenen Gewürzsud eingelegt, um schließlich für ein wenig Umami zum Redistilled Martini gereicht werden.

Das The Gibson pflegt ein massives Inconvenience-Konzept

Es nimmt kein Ende. Der betriebene Aufwand entspricht etwa dem dreifachen anderer, ebenfalls nicht gerade auf die Skinny Bitch fokussierter Bars. Bei vielen Gaststätten ist das „Hausgemacht“ mittlerweile gleichbedeutend mit „den TK-Beutel selbst aufgerissen“. Demgegenüber pflegt das Gibson ein massives Inconve-nience-Konzept.

In einer Branche, in der Augenringe ohnehin das Äquivalent zur Schmucknarbe mutiger Krieger darstellen, gehört Marian Beke zweifellos zu den härtesten Arbeitern. Vorträge, Schulungen, Gastschichten weltweit, dazwischen immer mal wieder kurz rüber nach Belgien, um die Kooperation mit Copperhead zu pflegen – man schämt sich direkt ein bisschen, wenn man ihm gegenübersitzt und in der Nacht fette fünf Stunden Schlaf hatte.

Das bedeutet natürlich auch für die Mitarbeiter, dass sich der Netflix-Account nicht rentiert. Dafür lernt man vermutlich so ziemlich alles, was es gibt. Fermentieren, Mazerieren, Zentrifugieren, Schuhe besohlen, Blinddarm operieren. Sex muss man sich vielleicht wieder zeigen lassen.

» Wir sind schön langsam so weit, dass sich Bartender nicht mehr über ihre Drinks unterhalten, sondern über ihre persönlichen Waschbeton-Vorlieben. «

Das Gibson schwimmt gegen den Strom des Minimalismus

Die Üppigkeit des Gibson schwimmt ein wenig gegen den gegenwärtigen Strom des Minimalismus, aber das ist auch gut so. Sicherlich geht es dabei zum einen auch um die grässliche „Instagrammability“: eine klare Flüssigkeit um einen klaren Eiswürfel in einem durchsichtigen Glas mag den Gaumen erfreuen, man kann damit aber nicht gut sozialmedial protzen. Und zum anderen sind wir schön langsam so weit, dass sich Bartender nicht mehr über ihre Drinks unterhalten, sondern über ihre persönlichen Wasch-beton-Vorlieben („Ich hab da ja ein C45/55 mit Schrumpfporen. Der kommt so dirty clean.“), und auch die nicht abgehängte Industrial-Decke mit Blick auf Leitungen und Lüftungen ist echt nichts Neues mehr.

Und bei aller Drink-Qualität: Es gibt wirklich schon wahnsinnig viele gute Japaner, die meisten davon durch Geburt, manche durch Fleiß und Talent. Aber viele der Anwärter sollten es doch bitte einfach stecken lassen. Es ist das Gleiche wie mit den Tätowierungen: Hin und wieder freut man sich, eine mitteleuropäische Wampe zu sehen, die ihre ideale, künstlerische Entsprechung mal ausnahmsweise nicht in einem Koi-Karpfen findet.

Credits

Foto: ©The Gibson Bar London

Comments (1)

  • Flo

    Toller Artikel, kann das zu 100% unterschreiben.
    Die Cocktails schmecken wahsinnig gut und mehr Liebe kann man in Garnishes nicht stecken.
    Das Ambiente – man denkt nicht, in so einer kleinen Bar so viel erkunden zu können.
    10/10

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