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The Mindful Drinking Club: Aufklärung für Alkoholfreies

In diesen nervenaufreibenden Pandemiezeiten, in denen wir uns befinden, einen Laden für alkoholfreie Alternativen zu eröffnen, mutet kühn an. Der „The Mindful Drinking Club“ in Berlin zeigt jedoch, wie es ohne Schmerz und mit viel Horizonterweiterung nicht nur durch einen trockenen Januar geht. Sondern noch viel weiter. Juliane Reichert war im Prenzlauer Berg vor Ort.

Beinahe ist er überstanden, der trockene Monat, der Dry January. Im Grunde ist es nach dem Dezember aber auch eine ähnlich große Kunst, wie an einem Katertag nicht zu rauchen oder trinken. Wer seine Leber einen Monat lang durch eine Hölle aus Zoom-Weihnachtsfeier-Bieren, Netflix-Sours und Pandemie-Schorlen schickt, hat so immerhin einen Monat Ruhe.

Für manche Menschen allerdings ist dies keine Enthaltung für einen Monat, sondern eine Entscheidung für den Alltag. Jennie Kießling und Max Lielje machen aus diesem Lebensstil einen Laden und nennen ihn The Mindful Drinking Club. Dieser Name ist seit Juni 2021 in Berlin-Prenzlauer Berg Programm.

Max Lielje und Jennie Kießling: nicht den Verzicht erklären, sondern die Alternative

Es geht nicht darum, Alkohol zu verdammen

Die rund 80 Produkte auf den an Betonwänden angebrachten Holzregalen beinhalten keinen oder nur ganz wenig Alkohol. Den Betreibern geht es keineswegs darum, Alkohol lautstark blöd zu befinden oder den ihn Konsumierenden eine erhabene Botschaft zu verkünden. Wichtig ist ihnen vor allem, dass alkoholfreie Produkte und Getränke mehr sind als bloß frei von Alkohol– und das ist qua definitionem eine Herausforderung.

Es bedürfe einer profunden Abhandlung, herauszufinden, wie „normal“ der Konsum von Alkohol zum Restaurantbesuch sein mag; Fakt ist dennoch, dass man zu einem Bier, einem Wein nie „mit Alkohol“ ergänzen würde, da sie in ihrem Wesen auf Gärung beziehungsweise Destillation fußen und somit alkoholisch sind. Will man in diesen Kategorien bleiben, allerdings alkoholfrei trinken, muss es dazu gesagt werden. Genauso im Restaurant bei angebotener Getränkebegleitung. Glücklicherweise ist alkoholfreies Trinken zum Essen inzwischen so etabliert, dass sich Sternerestaurants wie etwa das Berliner Cookies Cream auf diese Alternativen zurückgreifen. Da gibt es dann etwa Kombucha von Bouche, mit Sanddorn, Langem Pfeffer, Amarillohopfen und Akazienholz und beweist, dass nach alkoholfreiem Bier oder einer Apfelschorle noch viel Luft nach oben gibt, sollte man einmal nicht „trinken“ wollen.

Gründe dafür gibt es zuhauf, und wer nicht gerade einen Monat „ohne“ mit einer Kollateral-Askese verbindet, sollte nach Alternativen Ausschau halten. Weil Anstoßen schön ist und aus allen anderen Gründen, die auf der Hand liegen.

Nicht der Verzicht muss erklärt werden, sondern die Alternative

Welche Dynamiken Max Lielje und Jennie Kießling zu diesem Ort gebracht haben, erzählen sie in einem Gespräch. Für ersteren waren die Pandemie und der damit verbundene Lockdown definitiv Schlüsselmomente: „Ich war früher viel mit Freunden in Bars unterwegs und am Anfang des Lockdowns hat man sich dann schon mal einen Cocktail zu Hause gemixt, aber das wurde ganz schnell immer weniger bis zu dem Punkt, dass ich fast gar keinen Alkohol mehr getrunken habe. Ich spreche auch immer wieder mit Kund:innen im Laden, denen es da sehr ähnlich ging.”

Jennie Kießling hingegen trinkt noch immer gerne Wein: „Ursprünglich war es bei mir mehr eine allgemeine Beobachtung der kargen und nicht besonders abwechslungsreichen Angebotslandschaft in der Gastronomie als ein persönliches Bedürfnis nach Alternativen. Ich beschäftige mich mit dem Thema jetzt schon seit einigen Jahren und habe mich oft gefragt, warum es so wenig gute Alternativen gibt, weil es auch aus wirtschaftlicher Sicht für mich keinen Sinn ergibt. Wenn man in und mit der Gastronomie arbeitet, ist Alkohol allgegenwärtig und wird oft glorifiziert, und das ist auf jeden Fall erschreckend. Ich wünsche ich mir insgesamt einen bewussteren und reflektierteren Umgang mit dem Thema Alkohol in unserer Gesellschaft.“

Zwar hat sie den Beruf der Sommelière nicht gelernt, aber schon oft in ihm gearbeitet. Alle beide sind auch auf privaten Events, Tastings und Workshops für private Anlässe sowie für Gastronomen tätig. Doch weder unter Letztgenannten, noch unter Gästen oder Endkonsument:innen ist das Thema „Alkoholfrei“ eines, das keine Diskussionen schürt. Nicht der Verzicht auf alkoholischen Konsum muss erklärt werden, sondern eher das Profil der Alternative. Gerade bei etwa Säften wie Traubensaft aus der Merlot-Traube muss mit erklärt werden, dass hier wirklich jemand denkt, er bekäme alkoholfreien Merlot-Wein. „Der Merlot-Traubensaft ersetzt keinen Merlot-Wein, das kann und versucht er auch nicht. Der Trauben sind zwar die Ausgangsbasis sowohl für den Saft als auch den Wein, das Geschmacksprofil ist jedoch ein völlig anderes: der Saft ist leichter, filigraner, natürlich wesentlich süßer, hat ein vergleichsweise exotisches Geschmacksprofil“, so Max Lielje. Aber eben keine Tannine und keine Volumenprozente, summa summarum fehlt: ein Geschmacksträger und ein Nervengift. Da Alkohol also nicht wirklich als Aroma selbst, sondern als eine Art Subwoofer funktioniert, arbeitet er andere Aroma-Strukturen aus einer Flüssigkeit, die keinen enthält. Dafür wird sie auch an keiner Stelle vernebelt.

Der Fokus des Duos vom The Mindful Drinking Club ist es, für Situationen und Anlässe Getränke zu kuratieren, die mit der Komplexität und dem Anspruch von beispielsweise Wein mithalten können. Dabei scheint die Chose beim Thema Wein besonders raffiniert zu sein.

Zu finden ist der „The Mindful Drinking Club“ in Berlin-Prenzlauer Berg
Der Mindful Drinking Club will bewussteren Umgang mit Alkohol, aber ihn nicht kategorisch ausschließen

Mindful Drinking Club: Aufklärung ist alles

Bei den Spirituosen verhält es sich da nochmal etwas anders. Da diese alkoholfrei meist nicht pur kredenzt werden, bekommen sie zwar aromatische Hilfestellung, müssen allerdings dennoch ihren Platz im Drink einnehmen. Wie geht das, alkoholfreie Spirituosen, ist das nicht rein namentlich schon ein Widerspruch? „Eine alkoholfreie Spirituose ist natürlich ein Widerspruch in sich, weshalb ich lieber, aber auch nicht konsequent, von Destillaten spreche. Im Gespräch mit Kund:innen merken wir oft, dass ein Vergleich mit einem bekannten Produkt durchaus hilfreich für eine grobe Einordnung sein kann, aber eben auch die Gefahr der Enttäuschung birgt. Da geht es dann ganz klar um eine offene und klärende Kommunikation: Wir verstehen die meisten alkoholfreien Destillate als eine Annäherung an bekannte Spirituosen und empfehlen unseren Kund:innen daher auch immer, sie nicht pur zu trinken. Eine Alternative zu Bourbon oder Gin, die man einfach auf Eis trinken kann, ohne das Gefühl zu haben es fehle etwas, gibt es eben leider (noch) nicht. In einem guten Drink hingegen ist der Unterschied oft nicht oder kaum spürbar“, so Jennie Kießling.

Und technisch? „Der grundsätzliche Unterschied ist erstmal, ob Alkohol entzogen wird oder gar nicht erst zum Einsatz kommt, das sind völlig unterschiedliche Produktionsverfahren. Und dann unterscheiden sich die Produkte auch in der Geschmacks-Philosophie: Laori oder Lyre’s beispielsweise produzieren Alternativen mit dem erklärten Ziel, bekannte Spirituosen so gut wie möglich nachzubauen. Easip auf der anderen Seite kreiert Destillate mit komplett eigenen Geschmacksprofilen, die schwer mit bestehenden Spirituosen vergleichbar sind“, fügt Max Lielje hinzu.

Am besten einfach Ausprobieren

Es scheint, als bestünde Redebedarf. Gerade dann, wenn die derzeitige Aufmerksamkeit Getränken wie den sogenannten Proxies, also Wein-Alternativen gilt. Diese ziemlich junge Kategorie ist im Gegensatz zu entalkoholisierten Weinen eine, die der Komplexität von Wein nachempfunden ist, ohne ihn als Kopie ersetzen zu wollen. Dieser Zugang seitens der Getränkebranche ist auch einer, den die Besitzer des The Mindful Drinking Club teilen. Weder Jennie Kießling noch Max Lielje sind Fans eines Entweder-Oders oder von Extremen. „Wir freuen uns über jeden Beitrag zu bewussterem Umgang mit Alkoholkonsum, aber den Alkohol kategorisch auszuschließen halte ich nicht für die richtige Lösung. Einen bewussteren Umgang damit zu schaffen und das Trinkverhalten Schritt für Schritt zu verändern braucht Zeit, und das ist okay.“

Bevor die beiden ein Produkt bestellen, wird selbstredend probiert. Derzeitige Lieblingsprodukte sind für Jennie Kießling die Sekt-Alternativen LILO und ROMI von Viez & Töchter, einer kleinen Manufaktur aus Marburg. „Richtig viel Spaß macht auch der Opaque von Novin aus dem Hause Bouche in Marzahn.“

Zu Max Lieljes Favoriten zählen ganz klar die Oxymels von Kruut. Das sind kaltextrahierte Kräuterauszüge auf Basis von naturtrübem Apfelessig und Honig aus der Uckermark: „Als dickflüssiger Sirup verdünnt man sie mit Wasser, ich persönlich mag Sprudel am liebsten, und kreiert damit je nach Sorte einen wunderbaren Aperitif oder Digestif.“

In der Variante namens „Kraft“ probiert und für exzellent befunden, sogar komplett ohne alles.

The Mindful Drinking Club
Prenzlauer Allee 31, 10405 Berlin
Do 15-20, Sa 12-19

Credits

Foto: Damien Guichard

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