Ambitioniert zwischen Dreitausendern: „The Vue“ in Sölden
Unerwartet ist vieles im Hotel „The Secret“ im Tiroler Tourismus Extrem-Ort Sölden. Dass man nicht nur mit Pistennähe und Bergsicht punkten will, zeigt der Ehrgeiz bei den Cocktails in der neuen Hotelbar „The Vue“ ebenso wie die ganzjährige Öffnung. Roland Graf hat sich das ambitionierte Projekt angesehen.
Mittlerweile ist auch Gras gewachsen rund um den Pool des Hotels, das mit besonderer Intimität, um nicht zu sagen: Verschwiegenheit, punktet. Als man im Frühling mit Verspätung – die Wintersaison 2021/22 war nicht mehr zu retten – The Secret eröffnet hat, umringten noch Erdhügel das ehrgeizige Projekt. Ein Outdoor-Pool, selbst wenn er klein ist, hat aber Seltenheitswert in Sölden. Denn hierher kommt man zum Skifahren. In guten Zeiten sind es zwei Millionen Nächtigungen, die der Ötztaler Ort bei 3.150 Einwohnern pro Jahr verbucht. Das Castello war eine dieser Herbergen, besonders beliebt bei den Familien, die sich in einem der Türme der – sagen wir: originellen – Burg-artigen Architektur einmieteten.
Ein letzter Rest erinnert an diese Appartements, während der The Secret-Neubau auf den alten Grundfesten eher für Understatement steht. Aus der in gedimmtem Orange beleuchtete Garage geht es per Lift direkt zum Zimmer, sofern man nach dem Check in clever parkt. Zur Gaislachkogel-Bahn, die auf 3.048 Meter Höhe und zum dortigen Gastro-Hotspot „Ice Q“ hochfährt, spaziert man zu Fuß, die Ski lässig geschultert. Die Lage passt also. Und auch ein Erfolgsgeheimnis dieses James Bond-bekannten Restaurants (im Film Spectre als Bergklinik Hoffler zu sehen) hat man sich für die Bar abgeschaut: viel Glas für den Blick auf die Bergwelt und Qualität abseits des Aprés Ski-Schnapserls.
The Vue
Vom „Zwinger“ in die Bergwelt
Über sie wacht Lukas Keppler, der unter wechselnden Lichtstimmungen fallweise recht klein am Shaker wirkt. Denn wahlweise werden ein gigantischer Sternenhimmel, Dreitausender-Panorama oder Wellenberge projiziert in der Bar im Dachgeschoß. Mit spektakulären Ausblicken ist Keppler jedenfalls vertraut. Von seiner alten Wirkungsstätte in Dresden, der Rooftop-Bar Felix, hatte er den Zwinger im Blick, hier sind es Gaislachkogel, Rettenbachferner oder das Giggijoch. Womit einige der Signature Cocktails bereits „aufgelegt“ sind, wie man in Österreich sagt.
Etwa „Der Baumige“ (16 Euro), der Irish Whiskey mit Latschenkiefer kombiniert und mit einem Spray aus Fichtennadeln finalisiert wird. Die subtile Balance der in alpinen Bars zwar gerne verwendeten, aber ebenso gern auch geschmacklich überpräsenten Zirbe mit dem Roe & Co. zeigt die feine Handschrift. Sie wurde gemeinsam mit der Innsbrucker Bar Dunlin erarbeitet, deren hauseigenen Minz-Rum man auch in der Söldener Variante des Old Cuban (17 Euro) wiederfindet. Und mit dem geklärten Basil Smash auf Basis des in der Landeshauptstadt bei Kostas Karvounis infundierten Old Tom Gin hat man einen weiteren Klassiker importiert.
The Vue wagt Bergwanderung im Cocktail-Glas
Diese Kooperation beflügelt auch das viergängige Bergsteiger-Menü des Trinkens: „Die Wurzeln“, „Der Waldboden“, der erwähnte „Baumige“ und „Der Bergnebel“ mit Himbeergeist und „Nebel“ aus Rosmarin-Rauch. So setzt man ein Statement, die Bar über den Durst der „Hausgäste“ aus den 44 Zimmern attraktiv zu machen. Dazu muss man sagen, dass es selbst in alpinen 5-Stern-Hotels passieren kann, dass man die Rezeptur eines – eigentlich selbsterklärenden – „Islay Mule“ an den Bartender durchgeben muss. Ein paar lokale Schnäpse, mondän als Highballs serviert, und angejahrte Haus-Signature Drinks sind eher die Regel. So gepflegt der Weinkeller über der Baumgrenze oft ist, in Sachen Bar hält man es eher simpel – mit cremigen Schirmchendrinks, die von den 1980ern offenbar noch immer nicht zurückgefordert wurden.
So schwierig solche Verallgemeinerungen sind, so deutlich wird der Neuaufbruch, den man in Sölden wagt. Das zeigt sich schon am Ehrgeiz, zum einen ganzjährig – von einem generellen Schließmonat abgesehen – offen zu halten, aber auch am klaren Willen Kepplers, die Einheimischen zu gewinnen. „Denn mir gefällt es in den Alpen“, so der Barchef, der auch in den Bergen wohnhaft ist. Zudem wäre auch wirtschaftlich mit der Boutique-artigen Ausrichtung des The Secret, die gefüllte Kühlschränke und Küchen in den Luxus-Appartments vorsieht, wenig mixologischer Staat zu machen.
Zirbe, Trüffel-Gin und Tiroler Malt
Doch die lokale jeunesse dorée nippt ebenso an den Kreationen Kepplers (etwa der The Vue Colada) wie die Hoteliere aus dem Ötztal, erkennbar an ihrem teurem „Sportalm“-Outfit in leuchtenden Blumenfarben (diesmal: Hibiskus). Das zeigt, dass eine Bar auch hier reüssiert – wie es die nachhaltige Burger-Hütte JaTi mit Craft Beer bereits vor Jahren in Sölden demonstriert hat. Der Gletscherskilauf ist schließlich keine Ballermann-Kulisse und mit Liftpreisen von 42,50 Euro (im Sommer) hat man durchaus eine selektive Klientel. Ihr wird es gefallen, dass man sich auch für den Trüffel-Gin etwas einfallen hat lassen: Er kommt, „gezähmt“ mit Mozart White Chocolate und Frangelico, als sähmiger Il Dolce zum Gast.
Der erhält in The Vue auch reichlich die Möglichkeit, sich auf Österreichs Spirituosen-Szene einzulassen: Jede Kategorie der Barkarte wird mit den heimischen Optionen eröffnet. Womit man mit einem Tiroler Single Malt wie „Maass Fissky“ die Nacht vorm nächsten Gletschertrip beenden kann. Oder sich mit einem eiskalten „Guglhof“-Vodka unterm digitalen Sternenhimmel unbesiegbar fühlt wie Daniel Craig in der Bergklinik Hoffler.
Credits
Foto: Dominik Rossner