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Kolumne Theken & Marken: Hiphop-Acts in der Getränkebranche

Täglich begegnen uns Marken in der Barkultur, monatlich sucht Kommunikationsdesigner (und gescheiterter Rapper) Iven Sohmann das Gespräch. Was uns Leuchtreklamen, Produktverpackungen oder gar Getränkekarten zu erzählen haben, hinterfragt diese Kolumne. Diesmal: Hiphop-Acts in der Getränkebranche.

„Pour out a little liquor!“ rappt Tupac 1994 für den verstorbenen Mike Cooley und verschüttet eine Flasche zu dessen Ehren. Eine Geste, die in der US-amerikanischen Hiphop- und Popkultur weit verbreitet ist. Ob Drake auf Instagram für den erschossenen Nipsey Hussle, Post Malone im Video zu „Too Young“ pauschal für alle, die zu früh von uns gegangen sind, oder Ice Cube als Doughboy im Filmklassiker „Boyz n the Hood“ für den ermordeten Ricky und vorausschauend für sein eigenes Schicksal: Wer trauert, vergießt mehr als Tränen.

Meist verbergen sich hinter den plätschernden Paperbags sogenannte „Fourties“, also Starkbierflaschen mit einem Fassungsvermögen von 40 Flüssigunzen (1183 Millilitern). In seiner mindestens 5000-jährigen Geschichte ist die rituelle Libation da aber keineswegs festgelegt, so wurde schon in der Antike munter zwischen Wasser, Milch, Wein, Honig und Öl hin- und hergeopfert. Klar, dass sich Drake aka @champagnepapi nicht lumpen lässt und auch dem Asphalt nur die edelsten Tropfen gönnt. Sein Labelkollege Lil Wayne tut es ihm gleich und testet 2016 für Samsung sogar wasserdichte Smartphones per Champagnerdusche. Dabei hätte besagter Lil Wayne dafür auch getrost auf seine eigene Spirituosenmarke Bumbu Rum zurückgreifen können – zwei Fliegen mit einer Flasche.

Vorbild USA: Takeovers und Testimonials

Spätestens seit sich das Champagnerhaus Louis Roederer 2006 über den Cristal-Konsum in Hiphop-Videos pikierte, entwickelt das verprellte Genre eigene Produkte oder kauft bestehende Brands ganz oder teilweise auf. Fair enough. Jay-Z hat die Champagner-Marke Armand de Brignac und zusammen mit Bacardi den Henri D’Ussé-Cognac ins Leben gerufen, Nicki Minaj einen mit Früchten infusionierten Moscato namens Myx Fusions gedroppt und der Cîroc-Vodka sowie der DeLeon Tequila dürfen Diddy Daddy nennen. Außerdem flüssig und fließend: Ludacris und Conjure Cognac, 50 Cent und Le Chemin du Roi, Pitbull und Voli Vodka und so weiter und so viele.

Aber auch ohne Anteile kooperieren Hiphop-Acts und Getränkeunternehmen in den USA regelmäßig auf Augenhöhe. Big Boi von Outkast gibt dem Crown Royal Black Whisky ein Gesicht, Nas und Hennessy festigen gegenseitig ihren Legendenstatus und was Snoop Dogg anfasst, wird ohnehin zu Gold – wenn es nicht vorher zu Rauch wird. Nach Engagements für die Starkbiere von St. Ides und Colt 45, den Landy Cognac sowie dem Cuca Fresca-Cachaça, ist er aktuell als gewohnt entschleunigtes Testimonial für Corona in der „La Vida Más Fina“-Kampagne angekündigt. Morgens halb zehn in Österreich hingegen freestylet Money Boy auf Instagram gewohnt empathielos in seine Bierflasche: „Gelbe Diamanten sehen aus wie Corona Bier, mein Outfit ist sick – ähnlich wie Corona, chia!“ Dazu beizeiten mehr.

Abbild GSA: Belächeln und Bettelrap

Wie viele Deutschrap-Acts schenkt der Wiener seinem Publikum großzügig Markennamen ein, hat aber als einer von wenigen immerhin eine Zusammenarbeit mit dem österreichischen Fruchtsaft- und Eisteemarktführer Rauch vorzuweisen. Beim Splash!-Festival 2015 verkippte er als unerwünschter Überraschungsgast Orangensaft auf der Bühne, woraufhin er von der gerade performenden Gruppe eins auf die Cap und obendrein Hausverbot bekam. Derlei Aktionen, Skandale und Fehltritte lassen auch so manche Unternehmen ihre Türen zuschlagen. Die größte Hürde bleibt jedoch, dass Hiphop trotz inzwischen höchster Absatzzahlen und Reichweiten von vielen immer noch als vermeintliche Jugendkultur belächelt wird. Baggy Pants und Gangzeichen, yooo!

Obwohl das von Karlsberg gesponserte TV-Format Mixery Raw Deluxe seit 2001 über Jahre erfolgreich Content Marketing mit Hiphop machte, wagte sich lange Zeit niemand an konkrete Testimonials. Da konnte Sido den geweihten Jägermeister musikalisch noch so hochhängen: „Ich trink soviel Jägermeister wie da ist“, „Bring mir auf keinen Fall Averna oder Underberg, das ist kein Jägermeister!“ und „weiß ich nicht mehr weiter, frag ich Jägermeister um Rat!“ Das Ende der Lieder war, dass er 2014 einen Song mit der Jägermeister Blaskapelle auf den Wolfenbütteler Festspielen performen durfte.

Gude Bier und Bausa in der Artist Edition, 2018
Kabumm: Bio-Vodka von Sido und der Destillerie Farthofer

Mehr Marke, weniger Merch!

Mittlerweile bläst Jägermeister u. a. mit Ali As und Summer Cem ins Horn und hat sich in Werbung und Promoaktionen auf eine Hiphop-affine Zielgruppe eingeschossen. Trotzdem dürften sie der verpassten Chance mit Superstar Sido heute noch nachtrauern. Aber halb so wild, die Konkurrenz verkennt das Marketing-Potenzial beinahe gänzlich. Gude bringt 2018 den Rapper Bausa im Rahmen einer Artist Edition auf Bierdosen und DemDem Çay wirbt 2017 mit Eko. Ja, richtig, ein türkischer Teeproduzent und Eko „Wo muss ich unterschreiben?“ Fresh müssen hier tatsächlich als weiteres Beispiel herhalten. Das war’s!

Kein Wunder, dass Künstler und Künstlerinnen das ganze irgendwann selbst in die Hand nehmen. Etwa ein Jahr nach besagtem Auftritt in der niedersächsischen Provinz lässt Sido die Bombe platzen (und zwar nicht die Jägerbomb): Sido trinkt nun lieber Klares und releast mit der renommierten Destillerie Farthofer einen Vodka: Kabumm! Und was für einen. Inhalt, Branding und Packaging zünden und sprengen die Messlatte hoch. Zu hoch? Mit dem internationalen Format dieses Vorreiterprodukts können die von anderen Artists kurzerhand initiierten Marken kaum mithalten.

Rest easy!

Olexesh vermerchandiset den Xier Wodka, Jalil den Authority Whisky, der de facto ein Whiskylikör ist, und Bonez MC & RAF Camora beweisen mit ihrem Karneval Vodka eindrucksvoll, dass „Premium“ kein geschützter Begriff ist, sich aber dennoch gut verkaufen lässt. Das alkoholhaltige Eis Suckit von Selfmade Records-Labelchef Elvir Omerbegovic und den True-Fruits-Foundern wirft derweil die berechtigte Frage auf, wer hier eigentlich auf wen schlechten Einfluss nimmt. Zitat: „Ab sofort wird nicht mehr im Hinterzimmer gelutscht!“ Höhö, zieh mal am Finger, höhö. Zumindest lässt einen das authentische Nordberliner Pils, das aus dem Umfeld des Labels Nordachse in erlesene Eckkneipen und Spätis rollt, noch an das Gute in Getränken glauben …

Deutscher Hiphop bzw. Deutschrap ist derzeit so groß und breit aufgestellt, dass er seiner oft kolportierten Rolle als „Spiegel der Gesellschaft“ nie gerechter wurde und sich eine Vielzahl von Kooperationen geradezu anbieten. Kann jetzt bitte endlich mal jemand Haftbefehl und Tekirdağ Rakı, Juju und Jim Beam sowie Shindy und das gesamte Comité Champagne an einen Tisch setzen? Aber auf mich hört ja mal wieder keiner. Falls doch, noch ein Tipp: Nirgendwo steht geschrieben, dass Rapper und Rapperinnen rappen müssen, um erfolgreich für ein Produkt zu werben. Siehe Tipico, siehe Conrad, siehe USA. Und außerdem braucht die Welt keine weiteren Merch-Produkte, die für Normalsterbliche nicht mal als Trankopfer taugen. Rest easy!

Credits

Foto: Mr. Fred

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