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Thomas Pflanz im großen Interview

„Ich wollte nie etwas anderes.“ Thomas Pflanz im großen Interview

Thomas Pflanz betreibt die Hildegard Bar in Berlin. Seit 40 Jahren prägt der passionierte Musiker die Berliner Barszene. Wir haben ihn nicht nur auf ein Glas getroffen, sondern in von A bis Z ausgefragt. Und das ist wortwörtlich zu verstehen. Im großen Interview spricht er über seinen Weg in die Bar, 40 Jahre Berliner Nachtleben und warum er sich nie etwas Anderes vorstellen konnte.

Die Marburger Straße. Nachmittag. Eine schlummernde Seitenstraße des geschäftigen Kurfürstendamms. Thomas Pflanz öffnet die Tür seiner Hildegard Bar, so wie man ihn kennt: mit einem Lächeln und einem Hut. Unter diesem Hut stecken 40 Jahre gesammelte Berliner Barerfahrung. Deshalb treffen wir uns nicht nur »Auf ein Glas mit…« einer der prägendsten Barfiguren der Stadt. Wir machen ein ABC. Ein ABC der Nacht. Zu jedem Buchstaben des Alphabets gibt es einen Begriff, der sein Schaffen widerspiegelt. Was meint Thomas Pflanz dazu? »Mal was anderes. Dann wollen wir mal.«

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe 6-2022 von MIXOLOGY. Für diese Wiederveröffentlichung wurde es formal adaptiert, aber inhaltlich nicht verändert. 

MIXOLOGY: Lieber Thomas, lass uns loslegen mit: A wie Anfänge?

Thomas Pflanz: Ja, wo fängt man an … Mein Vater war in den 1960ern Leser des amerikanischen Playboy, einen deutschen gab es noch nicht. In dem Magazin ging es gar nicht so sehr um nackte Haut, die damals ohnehin nicht gezeigt wurde, aber es war voller Cocktails. Er ist in die wenigen Bars gegangen, wo es Cocktails gab, was zu jener Zeit Hotelbars in der Nähe des Kurfürstendamms waren, wie das frühere Hilton bzw. heutige Intercontinental – sehr amerikanisch mit Rooftop-Bar. Zuhause habe ich ihm die Zitronen gepresst. Ich habe diese knallgelbe Presse sogar noch und setze sie für eine Schnellpressung ein. Ich habe nicht übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen.

MIXOLOGY: Was uns direkt zu B bringt: B wie Berlin

Thomas Pflanz: Für mich einfach Heimat. Aus unserem Umfeld sind viele weggezogen, weil sie dachten, es könne ja doch was Schlimmes passieren. Die Mauer war für mich aber kein Grund wegzuziehen, im Gegenteil, ich musste nicht zum Militär. Wir haben uns nicht als Deutsche gefühlt, sondern als Westberliner, gerade die Jugendlichen. Die Alliierten haben uns ein gutes Leben beschert. Bei den Franzosen konntest du wunderbar essen, bei den Amerikanern bist du mit Basketball und Whiskey in Berührung gekommen, bei den Engländern haben ein paar mit Rugby angefangen. Meine Eltern hatten vor allem französische Freunde, sie haben im Offizierskasino gegessen und Champagner für 10 Mark getrunken. Die Alliierten hatten die guten Wassergrundstücke, die Franzosen den Pavillon Du Lac, wo ich auch Schwimmen gelernt habe. Dort mixte Hans Schröder aus dem Rum Trader. Natürlich war ich später auch auf Demos, ich war auf einer sehr linken Schule. Aber als mal der halbe Ku‘damm zerkloppt wurde, war mir das zu viel. Ich kannte genügend Geschäftsleute, die hart für ihr Geld arbeiten, die waren für mich nicht das Böse in der Welt.

»Die Knef hat in ihren Texten viel von Frauen erzählt, die sagen, was sie denken. Die sagen: Ich bin nicht die Schönste, ich habe nicht die perfekte Stimme, aber deswegen bin ich nicht leiser. Das Autogramm habe ich in den 1980ern bekommen, als sie aus den USA zurückkam.«

— Thomas Pflanz

MIXOLOGY: Dann ein kleiner Sprung zu C wie Corona

Thomas Pflanz: Fürchterliche Zeit. Ich wollte keine Cocktails-to-Go anbieten oder Gin & Tonic durch einen Fensterspalt auf den Gehsteig schieben. Das war nicht der Grund, weswegen ich so eine Bar aufgemacht habe. Die Atmosphäre gehört zu den Getränken dazu, das wollte ich nicht entkoppeln. Als wir einige Monate geschlossen hatten, habe ich jeden Samstag einen Menschen eingeladen: Stammgäste oder Menschen, die ich interessant fand. Ich habe Drinks gemixt, wir haben Musik gehört und geredet. Da sind Lebensgeschichten zutage gekommen, die bekommt man im normalen Geschäft ja gar nicht zu hören. Ich habe aber keine Videos gemacht oder das auf Social Media gestellt. An so etwas denke ich meistens nicht, oder erst danach. Es ging mir um den Kontakt. Das hat mich am Leben gehalten, auch wenn es schon traurig war, wenn man Samstag 23 Uhr zu zweit hier saß.

MIXOLOGY: D wie Die Knef

Thomas Pflanz: Wir pflegen hier so etwas wie die Hildegard-Dreifaltigkeit: Hildegard von Bingen, Hildegard Knef und Hildegard Dahlmann. Letzterer hat das Haus hier gehört und einen nach ihr benannten Salon geführt. Ich wollte die Bar eigentlich anders nennen, aber der Name war dann eine Hommage an sie. Hildegard Knef wiederum hängt mit einem Autogramm neben der Bar. Ich musste sie mein Leben lang hören, meine Mutter hat sie sonntags immer auf Anschlag gespielt, und irgendwann gefiel es mir auch. Das waren emanzipatorisch starke Texte, die zu meiner Mutter gepasst haben. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet, aber mit Emanzipationskursen brauchte man ihr nicht kommen. Für sie war klar: Ich bin datt! Die Knef hat in ihren Texten viel von Frauen erzählt, die sagen, was sie denken. Die sagen: Ich bin nicht die Schönste, ich habe nicht die perfekte Stimme, aber deswegen bin ich nicht leiser. Das Autogramm habe ich in den 1980ern bekommen, als sie aus den USA zurückkam. Ich habe damals im Bar-Restaurant Carmas gearbeitet, das nach seiner Eröffnung 1984 für einige Jahre der Spot der Reichen und Schönen war. Wir hatten fünf oder sechs Drinks, die auf einen Spiegel geschrieben waren, Gimlet und Mai Tai waren die entscheidenden Kerndrinks. Es war ein Promiauflauf ohnegleichen, Günter Netzer hat eine Flasche Vodka zum Essen bestellt. Meines Wissens war es auch der erste Laden in Berlin mit Valet Parking. Die Straße war schmal und die Promis kamen mit Ferrari und Rolls vorgefahren. Das war schon eine Ansage. So elitär wie sich die Westberliner damals gefühlt haben, das habe ich nie wieder erlebt. Das war vermutlich auch eine Verzweiflungstat aus der Angst heraus, eingesperrt zu sein.

»Mein Vater war Uhrmacher, hat mit Antiquitäten gehandelt und hatte schränkeweise Gläser, von denen leben wir heute noch. Kein Witz. Er wäre begeistert, wenn er das sehen könnte.«

— Thomas Pflanz

Der Vater von Thomas Pflanz war in den 1950ern Modell für Wella-Produkte.
Der Vater von Thomas Pflanz war in den 1950ern Modell für Wella-Produkte.

Hildegard

Marburger Straße 3
10789 Berlin

Mo - Sa ab 18 Uhr

MIXOLOGY: E wie Einstein?

Thomas Pflanz: Du spielst auf die Lebensstern-Zeit im Café Einstein an. Dort hatte ich zwei Phasen, wobei der Name Einstein nichts mit Albert zu tun hatte. Das wurde von einer Künstlergruppe gegründet. Im Stammhaus ist Martin Kippenberger auf einem kleinen Pony eingeritten und hat Pamphlete verlesen. Vor allem meine zweite Ära vor knapp zehn Jahren war wichtig. Ich hatte ein Konzept, den Laden voll zu machen – zu dem man 45 Marmorstufen nach oben laufen muss. Es sollte wilder und lockerer sein als das gesetztere Stammhaus im Erdgeschoss, ich trug einen Bademantel, eine russische Mütze wie in einem Video von The Mamas and the Papas, dazu eine Dunhill-Pfeife, die immer gedampft hat. Ich habe Musiker von der Straße geholt, und die Bar war innerhalb von drei Monaten voll. Ich habe eine skurrile Kunstfigur erschaffen und musikalisch Dinge ausprobiert, die kaum jemand in guten Cocktailbars gemacht hat. Da lief alles von Oper über Discohits bis zu Iron Maiden. Das hat war für mich eine kleine Schule, wie weit man gehen kann. Letztlich war es aber nicht ganz das, was die Betreiber im Kopf hatten.

MIXOLOGY: Dann gehen wir zum nächsten Buchstaben und einem Erkennungsmerkmal F wie Fliege

Thomas Pflanz: Das hat einen einfachen Grund: Hier im Lokal hängt ein Bild von meinem Vater aus dem Jahr 1957, das ich nach seinem Tod im Schreibtisch entdeckt habe. Meine Mutter meinte, er sei früher Modell für Wella-Produkte gewesen, für Wella-Haar. Davon habe ich nichts geerbt (lacht). Leider hat er diese Bar nicht mehr erlebt. Aber da er auf dem Bild auch eine Fliege trägt, habe ich beschlossen, dass wir hier auch Fliege tragen. Er war Uhrmacher und hat mit Antiquitäten gehandelt und hatte schränkeweise Gläser, von denen leben wir heute noch. Kein Witz. Er wäre begeistert, wenn er das sehen könnte. Ein anderer Grund: Alkohol ist eine harte Droge und manche Gäste verlieren ihre Contenance. Dann hilft es, wenn man eine Art respektable Uniform trägt.

MIXOLOGY: G wie: geschüttelt oder gerührt.

Thomas Pflanz: Mittlerweile lieber gerührt.

MIXOLOGY: H wie heilig. Was ist Thomas Pflanz heilig?

Thomas Pflanz: Ich bin nicht schlecht in Latein und habe mich für ein Musikprojekt viel mit sakralen Texten auseinandergesetzt. Ich glaube heute, dass ein solider Glaube an einen Gott nicht verkehrt ist. Und das nicht nur in einer Notsituation, wenn jemand gestorben oder etwas Schlimmes passiert ist. Man sollte das schon vorher tun. Wobei mir bewusst ist, dass das eine schwierige Äußerung ist von einem Atheisten, der trotzdem glaubt.

»Ich finde Twitter, Instagram oder Facebook fürchterliche Medien, die eine grauenvolle Macht haben.«

— Thomas Pflanz

Der Spruch des Monats steht simpel auf Malerkrepp mit dickem Filzer und ist rasch zum Publikumsliebling avanciert
Der Spruch des Monats steht simpel auf Malerkrepp mit dickem Filzer und ist rasch zum Publikumsliebling avanciert

MIXOLOGY: I wie Informationsgesellschaft

Thomas Pflanz: Schön, dass wir draufkommen: Ich finde Twitter, Instagram oder Facebook fürchterliche Medien, die eine grauenvolle Macht haben. Das beste Beispiel sind Donald Trump und Twitter, das hat die ganze Welt durcheinandergebracht. Im Kleinen kann es auch die Barwelt durcheinanderbringen, etwa wenn Kollegen schlechte Kommentare über andere schreiben. Auf so eine Idee käme ich gar nicht. Wir sind bei Google-Bewertungen ganz oben und das freut mich auch, ich sehe aber auch die Gefahr.

MIXOLOGY: J wie Juke-Box?

Die steht hinten und gehört zum festen Inventar. Unlängst hatten wir eine schöne Szene. Drei junge Frauen standen neben der Juke Box, eine kam zu mir und meinte, ihre Freundin hätte Geburtstag, ob ich etwas spielen könne. Ich hatte nichts auf Abruf und meinte, ich schaue mal, dann habe ich den Geburtstag im Mikrofon durchgesagt und Ti Amo von Howard Carpendale gespielt. Und der ganze Laden hat mitgesungen. Das war eine schöne Szene, diese vielen weißen Männer, die für eine schwarze Frau singen. Wir leben heute in einem Land, wo schwarze Menschen gewarnt werden, an bestimmten Ampeln in Brandenburg nicht stehen zu bleiben. Der alte Grundsatz No Politics, no Sports funktioniert in der Bar nicht mehr, und ich fand den Augenblick politischer als vieles, was sonst so passiert.

MIXOLOGY: Weiter geht’s mit K wie Karlsson vom Dach

Thomas Pflanz: Von ihm stammt unser aktueller Spruch des Monats, den wir am Backbord stehen haben. »Knallen muss es tüchtig und lustig will ich es haben. Sonst mach ich nicht mit.« Wir haben mittlerweile dutzende davon gesammelt, von Ginsberg bis Marx. Es ist ein Element in der Bar, das die Leute lieben: billig auf Malerkrepp mit dickem Filzer und Krakelschrift geschrieben. Teilweise fragen die Gäste, wann der nächste kommt, oder sie schlagen einen vor.

Zappa

Zutaten

3 cl Banks 5
3 cl Amaro Montenegro
3 cl Sherry Oloroso
2 cl Volcan Azul Freimeisterkollektiv
1 BL Pflaumenbalsamcreme Miriam Eva Kebe
1 BL Stroh Rum 80%

MIXOLOGY: L wie Lieblingsdrink?

Thomas Pflanz: Der wechselt. Ich gehe nicht in eine Bar und bestelle nur Martinis. Gott sei dank bin ich nicht so festgefahren. Ein aktueller Lieblingsdrink ist der »Zappa«, benannt nach dem Musiker. Den habe ich während der Pandemiezeit für das Projekt Ghostdrinks – das großartig war – für zwei Brüder entworfen. Der Amaro steht für Zappas italienische Abstammung, der Kaffeelikör für seine Vorliebe für Kaffee. So haben wir den Drink entwickelt.

MIXOLOGY: M wie Mentor-sein?

Thomas Pflanz: Das bringt die Erfahrung mit sich. Ich war 15 Jahre in der Bar am Lützowplatz, das waren allein schon 480 Mitarbeiter. Es gibt auch aus den letzten 15 Jahren Menschen, die sagen: »Danke, Thomas, ich habe viel gelernt bei dir.« Ich sage dann: Was denn, die Löffelhaltung? Nein, ist dann die Antwort. »Es geht um die Art, wie du eine Bar führst und wie du mit Menschen umgehst. Wo du sie packst und wie du sie auf deine Spur kriegst.« Teilweise kommen auch Leute, die keine Ahnung von der Bar-Materie haben, auch die muss man greifen können. Konflikte lösen ist eine wichtige Sache, ob an der Tür oder im Team. Bei mir ist das auch Resultat einer Psychomacke. Meine Eltern haben sich nie scheiden lassen, aber sie hatten immer Stress. Ein Elternteil hat zu viel getrunken, es gab immer Trouble, und schon als kleiner Junge musste ich verbinden und schlichten und schauen, dass es allen gut geht und keine Tränen mehr fließen. So sehe ich das heute zumindest, nach zwei Jahren Therapie. Das musste mir aber auch erstmal jemand erklären.

MIXOLOGY: N wie Nachtmensch?

Thomas Pflanz: Bartender ist ein großartiger Beruf. Aber die wenigsten wollen das. Du musst dich natürlich entscheiden: Willst du Kinder? Willst du das oder nicht? Ich wollte die Bar, und das ausschließlich. Auch die Nacht. Ein Teil meiner Familie waren Musiker und immer nachts unterwegs. Ich wollte auch die Musikrichtung einschlagen, Profimusiker oder Jurist, das war die erste Entscheidung. Die Musik hat mich nie losgelassen, während meines Studiums bin ich aufgetreten und habe verstanden: Ich brauche eine Bühne, ich bin eine Rampensau.

MIXOLOGY: O wie Österreich?

Thomas Pflanz: Ich bin mit einer Österreicherin aus dem Salzburger Land verheiratet. Sie ist auch der einzige Profi hier, denn in Österreich wissen sie, wie Gastronomie geht. Behaupte ich jetzt einfach mal. Unsere Hochzeit war im Tennisclub Rot-Weiß im Grunewald, eine wunderschöne Location direkt am Wasser, übrigens ein ehemaliges Sterne-Restaurant, in dem Johannes King gekocht hat.

MIXOLOGY: P wie deine Philosophie?

Thomas Pflanz: Ich bin ein Produkt der vielen Läden, in denen ich gearbeitet habe, und von vielen falschen Momenten, die ich erlebt habe. Du lernst in jedem Laden, und du kriegst die Fehler mit und die Schmerzen als Angestellter. Wenn du diesen Beruf und die Branche richtig liebst, dann tun dir diese Fehler weh. Ich habe einfach versucht, hier in dieser Bar möglichst wenig Fehler zu machen. Aber sowas wie Philosophie … mein Lieblingsspruch ist: Werde, wer du bist. Und daran arbeite ich immer noch. In unserer Branche gibt es Menschen, die vor 20 Jahren aufgehört haben, sich weiterzuentwickeln. Das habe ich nie. Ich wollte immer weitermachen. Unser Beruf ist zu interessant, als dass man stoppt und sagt: Ich mache nur noch eine Sache.

MIXOLOGY: Q wie Quentin Tarantino?

Thomas Pflanz: Er war häufig im Lebensstern, schon das Casting von Inglourious Basterds war praktisch dort. Einer der intensivsten Gäste, die man sich vorstellen kann. Ich glaube, er hat irgendwann mal gesagt, er will keine Filme mehr machen, sonst stirbt er daran, und das Gefühl hatte ich auch, wenn er so weitermacht. Das war Power ohne Ende und alkoholische Hardcore-Exzesse. Zwei Flaschen Bordeaux, fünf Margaritas, dann Whisky, die Nummer. Täglich. Irgendwann war ich verzweifelt, denn ich wusste nicht mehr, was ich machen soll. Er meinte nur: Ich brauch‘s härter! Dann habe ich mit Blackwood Gin 60% einen Gimlet gemacht, geschüttelt mit Limette. Er hat ihn geliebt, aber der Name gefiel ihm nicht, also nahm er die Flasche, auf der ein Wikingerschiff abgebildet war. »From this day on we call this the ›Viking Gimlet‹. I swear to god!« posaunte er los. Völlig irre, aber eine lustige Zeit. Beim einem der nächsten Filme habe ich eine Einladung zur Premiere für den Zoopalast bekommen, so wie viele andere Bartender übrigens auch. Tarantino ließ es sich nicht nehmen, auf der Bühne allen Berliner Bartendern zu danken. Das war eine schöne Würdigung.

»Ich hatte immer top bezahlte Jobs. Aber es begann mich zu stören, dass viele Betreiber keine Ahnung von der Branche hatten. Dann kam hinzu, dass du irgendwann ein Alter erreichst, so ab 50, ab dem du als Risiko betrachtet wirst. Ich als Chef sehe das anders und habe als erstes einen 68-jährigen Bartender angestellt, der war brillant.«

— Thomas Pflanz

MIXOLOGY: Es gibt ein Video von dir für »Freepour«, wo auch Songs von dir verwendet werden. Daher nehmen wir für den Buchstaben R deinen Song »Raumschiff« …

Thomas Pflanz: Der stammt von einem gescheiterten Projekt aus den Nullerjahren. Ich hatte damals etwas Geld mit Musik gemacht und die verrückte Idee, ein eigenes Studio in Kreuzberg zu bauen. Es hat mich ein Vermögen gekostet, aber ich habe getextet und komponiert und wollte meine Texte loswerden. Es hatte sich eine Wut angestaut, weil mein letzter Deal mit einem Label nicht gut gelaufen war. Es war das erste Mal, dass ich etwas mit deutschen Texten gemacht habe. Aktuell arbeiten wir in einer Band für die freie Volksbühne an einer Krautrock-Oper. Schräges Projekt. Die Sängerin ist über 70, eine ehemalige Zadek-Schülerin, die vom Schauspiel kommt. Viel ist Improvisation, Krautrock war auch häufig Improvisationsmusik. Bis auf meine Wenigkeit, der kaum noch mit Musik zu tun hat, sind die anderen Top-Musiker und spielen beispielsweise in der Royal Albert Hall oder waren mit Iggy Pop auf Tour. Ich spiele alles, was mit Saxofon zu tun hat, und haue Effekte raus ohne Ende. Meine Frau nennt es meine elektrische Eisenbahn. Aber ich halte es für absolut wichtig, sich ein Hobby zu suchen. Das ist essenziell. Man braucht es als Ausgleich zu diesem harten Beruf der Nacht. Es muss etwas außerhalb von Flaschensammeln und Barkultur geben. Das lässt einen überleben.

MIXOLOGY: S wie Selbständigkeit. Warum hast du dich so spät dafür entschieden?

Thomas Pflanz: Ich hatte immer top bezahlte Jobs. Aber es begann mich zu stören, dass viele Betreiber keine Ahnung von der Branche hatten. Dann kam hinzu, dass du irgendwann ein Alter erreichst, so ab 50, ab dem du als Risiko betrachtet wirst. Ich als Chef sehe das anders und habe als erstes einen 68-jährigen Bartender angestellt, der war brillant. In der Victoria Bar arbeiten heute zwei Angestellte, die über 70 sind. Das läuft wie geschnitten Brot, so eine straighte und effiziente Arbeit siehst du bei vielen jüngeren nicht. Ich war einfach an dem Punkt: Ich möchte mir nichts mehr erzählen lassen, weil ich weiß, wie es anders geht. Mir ist sozusagen der Geduldsfaden gerissen.

Der leidenschaftliche Nachtmensch Thomas Pflanz rät allen Bartender:innen, sich ein Hobby abseits des Berufes zu suchen
Der leidenschaftliche Nachtmensch Thomas Pflanz rät allen Bartender:innen, sich ein Hobby abseits des Berufes zu suchen

MIXOLOGY: T wie Teambildung:

Thomas Pflanz: Wichtig! Wir sind ein kleines Team. Das ist einerseits schön, andererseits spürst du längere Ausfälle sofort. Aktuell habe ich drei Festangestellte und zwei Aushilfen – abgesehen von meiner Frau und mir. Teambildung bedeutet immer reden, immer zuhören. Es läuft nicht nur über Geld, in keiner Form. Eine Warnlampe habe ich nur, wenn Menschen ankommen, die sich einen anderen Namen verliehen haben als ihren Geburtsnamen. Ich weiß nicht, warum, aber es hat sich oft bewahrheitet, dass das nicht funktioniert.

MIXOLOGY: U wie Unvermögen: Was kannst du gar nicht?

Thomas Pflanz: Computer. Das ist echt nicht meine Welt.

MIXOLOGY: Dann passt ja V wie: Vinyl.

Thomas Pflanz: Wir spielen hier gerne Vinyl: Je zerkratzter eine Scheibe, bei der ich mich frage, ob man sie überhaupt noch spielen kann, umso schöner finden es die Gäste. Man könnte sagen: Je mehr Lagerfeuer drauf ist, desto besser. Wir sind kein Soundtempel für den Techno-DJ, wo alles perfekt sein muss. Die Musik hier lebt davon, dass sie nicht perfekt ist, da ist Vinyl das richtige Medium, weil es auch nicht perfekt ist. Ich spiele meist nur Musik, die mit richtigen Instrumenten gemacht wurde, oder wenn die Texte einen Anspruch haben. Einer der wichtigsten Songs der letzten Jahre für uns war „Drinks & Liebe“ von Die Sterne. Eine Hymne für uns und das Lokal.

»Eine Zeit lang war es unmöglich, in eine Bar zu gehen und nicht zu hören: der Wassermelonen-Mann. Aber mittlerweile habe ich meinen Frieden damit gemacht.«

— Thomas Pflanz

MIXOLOGY: Die Frage muss jetzt kommen: W wie Watermelon Man, deine Erfindung …

Thomas Pflanz: Natürlich. Da werde ich immer noch darauf angesprochen. Ich wollte ihn hier zuerst nicht auf die Karte setzen, aber der Journalist Peter Eichhorn meinte: »Das kannst du nicht machen, egal wie sehr du das Ding mittlerweile verfluchst.« Ich habe so viele Drinks entwickelt – und auch viele schöne, hoffe ich –, und dann immer an diesem Ding festgemacht zu werden … eine Zeit lang war es unmöglich, in eine Bar zu gehen und nicht zu hören: der Wassermelonen-Mann. Aber mittlerweile habe ich meinen Frieden damit gemacht. Zurzeit ist eher das Problem, dass es keinen Wassermelonenlikör gibt, der nach Wassermelone schmeckt. Diese Chemie braucht der Drink (lacht).

MIXOLOGY: X wie der X-Faktor des Erfolges?

Thomas Pflanz: Gute Frage. Ich habe für diese Bar meine Lebensversicherung aufgelöst, mich selbst aufgelöst und noch einen Freund mit an Bord geholt. Die Freundschaft besteht auch noch, aber das hätte komplett in die Hose gehen können. Die Straße war verpönt, hier war nichts los. Aber es hat funktioniert. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht lag es daran, so hartnäckig weiter gearbeitet zu haben. Du bist auch immer etwas abhängig von der Lokalpresse, die hatten mich auf dem Schirm. Das hat geholfen, aber war das der X-Faktor? Schwer zu sagen. Es hat sich jedenfalls schnell eine Art Magie hier eingestellt, die hatte ich nicht oft im Leben. Ich habe viele Läden gemacht, die ersten beiden Jahre in den 1990ern in der Lützowbar waren ähnlich magisch mit einer unglaublichen Atmosphäre. Wir hatten hier Abende, wo ich dachte, wie schön, dass ich sowas nochmal erleben darf.

MIXOLOGY: Y … schwieriger Buchstabe. Sagen wir Yoga?

Thomas Pflanz: Habe ich tatsächlich gemacht, Pilates, was ja eine Form Yoga ist. Ich hatte drei Bandscheibenvorfälle, die bekommst du ohne intensives Training nicht weg. In der Victoria Bar habe ich mir mal über einen längeren Zeitraum drei Ibuprofen 800 pro Tag reingepfiffen. Aber Pilates hat mich weitergebracht. Allerdings komme ich kaum dazu, seit ich selbständig bin. Nächstes Jahr.

MIXOLOGY: Was uns direkt zum letzten Buchstaben bringt: Z wie Zukunft?

Thomas Pflanz: Ich möchte noch mindestens zehn Jahre machen, dann bin ich 73. Ich habe jetzt die Bar, die mir wirklich Spaß macht. Und wir wollen etwas Neues machen, ein Tagesgeschäft direkt neben der Bar. Dazu wollen wir einen Hauch Schwarzes Kameel aus Wien nach Berlin bringen.

MIXOLOGY: Lieber Thomas, dafür alles Gute und danke für das Interview.

Credits

Foto: Birte Filmer

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