Shiki statt Chichi: Ein Besuch in Tokios Gen Yamamoto Bar
Wenn in Tokio, dann ins Gen Yamamoto: Der Cocktail-Bar im Bezirk Minato, die den Namen ihres Gründers trägt, eilt ihr Ruf voraus. Wir waren einen Nachmittag für das große Cocktailmenü in einer Bar zu Gast, die den Begriff Bar hinterfragt.
„All tourists“, sagt der Gast aus Manila resigniert und blickt zu seiner Begleitung. Es ist 15 Uhr an einem Nachmittag im März, wir stehen vor einer von Tokios bekanntesten Bars, dem Gen Yamamoto, und warten auf Einlass. Und wo er Recht hat, hat er Recht: Acht Touristen aus aller Welt stehen geordnet in Reih und Glied vor einer Tür in einer unscheinbaren Nebenstraße und sind bereit, etwas außerordentliches zu erleben.
Zwei Gänge – der Chef entscheidet
Acht Plätze hat Gen Yamamotos Bar, es gibt sie bereits seit 2013, und Yamamoto selbst hat, bevor er die Bar eröffnet und nach sich selbst benannt hat, in New York, New Jersey und Tokio an vielen Tresen gearbeitet. Warum so ein ausgefallenes Konzept? Yamamoto lächelt und sagt, das sei vermutlich deshalb, weil er selbst den japanischen Barstil nicht besonders mag.
Nur mit einer Reservierung, die einen Monat vorab gemacht werden sollte, darf man an einem der acht Plätze am L-förmigen Tresen aus 500 Jahre alter Mizunara-Eiche Platz nehmen. Zwischen Dienstag und Sonntag gibt es jeden Tag vier Seatings mit je acht Plätzen, und zu bestellen gibt es entweder das 4-Gänge-Menü zu rund 40 Euro oder das 6-Gänge-Menü zu rund 60 Euro, inklusive Cover Charge. Der Omakase Stil – der Chef, in diesem Fall also Yamamoto, entscheidet – wird getreu dem Shiki-Prinzip gelebt, das heißt, dass saisonal gearbeitet wird.
Acht mal sechs im Gem Yamamoto
Die Gäste nehmen rund um den Tresen Platz, und um fünf nach drei Uhr geht es los. „Die Japaner mögen westliche Bars“, lässt uns Yamamoto auf Nachfrage, ob eigentlich immer so viele Touristen zu Gast seien, wissen. Die Japaner könnten mit dem Stil, wie er im Gen Yamamoto gelebt wird, nicht so viel anfangen. Das Innere der Bar ist puristisch gestaltet, neben dem eindrucksvollen Tresen gibt es wenig zu sehen, weder ein überladenes Backboard, noch eine Auswahl von Gläsern, noch irgendein anderes Chichi. Es läuft keine Musik, Gen Yamamoto steht für die nun folgenden neunzig Minuten niemand zur Seite, und damit gehört ihm zweifelsohne die Bühne hinterm Tresen. Einzig das Rühren und das Schütteln werden die Geräuschkulisse während des Andachtstrinkens bilden, Yamamoto verwendet keinerlei Maßeinheit für die Drinks. Nur wenn eine Spirituose neat bestellt wird, dann misst er ab. Ein unerwarteter Gegensatz zur Japans Liebe zur Präzision.
Das Cocktailmenü ist saisonal und regional, das bedeutet für den März zum Beispiel Erdbeeren. Die Umdrehungen bringen hauptsächlich Sake, Shoshu und nur vereinzelt nicht-japanische Spirituosen in die Cocktails. Der erste Drink, der wie alle folgenden ohne Namen bleiben wird und auf einem Holzbrettchen steht, erinnert an einen grünen Smoothie. Er ist mindestens genauso frisch und fühlt sich gesund an, wie man das von einem Drink um 15 Uhr gerne hätte. Nach wenigen Minuten ist er bei allen Beteiligten auch schon leer, die Gespräche bleiben allerdings noch verhalten, denn das ganze Menü ist sehr leicht. Zögerlich beginnt sich ein Teil der Gruppe darüber auszutauschen, wer denn nun schon welches Sternerestaurant in Tokio besucht hätte. Gen Yamamoto scheint für viele ein Punkt auf einer langen Liste zu sein.
Wasabi an Sake und keine klassischen Cocktails
Im zweiten Drink kommt nun die Erdbeere ins Spiel, da beginnt die Saison im März und im Drink trifft sie auf Sake und – Sahne. Und das macht sie gut. Ja, wirklich. Beim dritten Cocktail gibt es schottischen Gin von BrewDog, der wird mit gemuddelten Tomaten zu einer sehr moussigen Erfahrung und im Glas mit grünem Tee getoppt. Bei jedem einzelnen Cocktail sagt Yamamoto kurz etwas über Zutaten, die meist täglich, manchmal aber sogar mehrmals am Tag wechseln. Eben je nach Verfügbarkeit. Mit dem dritten Drink wird die zweite Halbzeit des Cocktailmenüs eingeläutet, es gibt Sparkling Sake, Pomelo und Wasabi. Die Kohlensäure des Sake verteilt die Schärfe des Wasabi aufregend am Gaumen – ein äußerst ungewohntes Mundgefühl.
Warum eigentlich solche Drinks? Yamamoto antwortet kurz: „Ich glaube, ich mag klassische Cocktails einfach nicht.“
Cremig wird’s dann beim fünften Cocktail, wir sind im Endspurt, es gibt Reiswein und fermentierte Bohnen. Abgerundet wird der Nachmittag nach exakt einer Stunde und zwanzig Minuten mit einem warmen, rauchigen Nikka Miyagikyo Single Malt 12 und Umeboshi-Pflaume. Jeder einzelne Drink ist mit wenigen Schlucken geleert und abschließend lässt sich feststellen, dass man trotz der stolzen Anzahl von sechs Drinks wenig davon spürt.
Was will die Gen Yamamoto Bar?
Gen Yamamoto wirft als Bar und als Raum Fragen auf. Wie soll eine Bar sein, was möchte ich da tun und worum geht’s? Bei Yamamoto hört man jedes einzelne Wort des Gesprächs der anderen Gäste, ob man nun möchte oder nicht, denn der Raum ist klein. So entsteht eine ungewohnte Form von Bar-Intimität. Hier kommt es wie fast überall auf die Gesellschaft an, in der man trinkt – allerdings konzentrierter, wie unter einem Brennglas, und das eben weil der Raum so klein ist und ein Nachmittag oder Abend bei Yamamoto damit zu einer kollektiven Erfahrung wird. Man verbringt diesen abgesteckten Zeitraum mit sechs bis sieben Fremden und das kann – muss jedoch nicht – einiges an der Erfahrung dieses Ortes ändern.
Kurz vorm Gehen macht Yamamoto noch bereitwillig Fotos mit den Gästen, nur hinter den Tresen darf man nicht für das Beweis-Selfie. Und nun raus in den Regen, es geht in einer halben Stunde weiter.