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Tom Graf

"Warum muss Stillstand immer gleich etwas Schlechtes sein?"

Von einem, der auszog, um sich treiben zu lassen – und es immer noch tut: Tom Graf aus dem Zephyr im Interview. Der Münchener Lebenskünstler findet, man sollte nicht ständig dem nächsten Ziel entgegen sprinten, sondern kann die Dinge auch ruhig mal so lassen, wie sie sind. Schließlich sind sie gut so.
Es gibt Dinge über das Zephyr in München, die weiß man. Lukas Motejzik hat hier zu seinem Karrieresprint angesetzt, in seinen weißen Sneaker, in Richtung MIXOLOGY AWARDS und noch weiter. Die Menükarten sind hier schon lange nicht mehr nur aus Papier, und ausgewählte Drinks kommen in Nudelboxen.

Tom Graf und die Menschen

Doch es gibt immer etwas, das man übersieht. Zwischen den Sensationen steht auch Tom Graf, Team-Mitglied und Gastgeber aus Leidenschaft, mit einem außergewöhnlichen Gespür für unseren Beruf. Als ich ihn um ein Gespräch bitte, zögert er zuerst, aber ich bin froh, dass er doch zusagt. Man trifft nicht oft Menschen mit dieser ausgeglichenen Art, die jeden mit Mut ansteckt.
Lukas Motejzik selbst sagt über seinen Kompagnon: “Von Tom hab’ ich nicht viel über Drinks gelernt, von ihm hab ich die Gastronomie gelernt. So wie ich mit Leuten umgehe, wie ich mit Betrunkenen umgehe, mit schwierigen Leuten. Der ganze Umgang mit Gästen kommt eigentlich von Tom. Du kannst so viele tolle Cocktails machen wie du willst, aber eigentlich bist du dann nur ein Koch.”
MIXOLOGY ONLINE:    Lieber Tom, mit dem Zephyr verbindet man ausgefallene Drinks, Lukas Motejzik und eine Handvoll MIXOLOGY AWARDS. Dich sieht man oft an der Ausgabe, halb an der Bar und halb auf der Gastfläche. Was ist deine Aufgabe?
Tom Graf: An Wochentagen mixe ich auch, aber im Zephyr macht jeder das, was er am Besten kann, und am Wochenende sind die Stationen danach aufgeteilt. Lukas arbeitet schneller und besser, deswegen sammelt er die vielen Awards auch nicht zum Spaß, sondern weil er sie wirklich verdient. Mit Simon und Manu kommen nochmal zwei ambitionierte junge Kerle dazu, was soll ich mich dort dazu stellen oder dazwischen drängen? Den Umgang mit der Übersicht und mit der Kommunikation- bzw. Entertainmentebene, den meine Station verlangt, bekomme ich am Besten gebacken.
MIXOLOGY ONLINE:    Wie alt bist du, und wie sehen deine Pläne für die nächsten zehn Jahre aus?
Tom Graf: Ich werde dieses Jahr 45. Ich habe keinen Plan, hab’ ich nie gehabt. Schon seit ich wusste, dass es Pläne gibt, gehe ihnen aus dem Weg. Mein Vater hat mal gesagt, ich sei ein Lebenskünstler, so was wie ein Glücksritter. Ich stelle mir einfach nichts großartiges vor, sondern gehe nach meinem Bauchgefühl, und das hat mich bisher kaum betrogen. Der Spaß ist wichtig, wenn der aufhört, dann fange ich an, mir Gedanken zu machen. Aber eigentlich kann ich mir sowohl alles wie auch gar nichts vorstellen.
MIXOLOGY ONLINE:    Über diese Lebensweise bist du 1997 im Atomic Café gelandet. Wie war deine Zeit dort, was hast du von dort mitgenommen?
Tom Graf: Das Atomic Café war ein Ort für alle. Ich habe als Runner angefangen, nach einem halben Jahr durfte ich an die Bar. Wenn man zuerst mit den Jungs arbeitet, die Kästen rumschleppen, lernt man einfach mit jeder Seite besser umzugehen. Aber ich wollte vom ersten Tag an hinter die Bar, weil da trifft man halt einfach alles – und zwar wirklich alles. Wir hatten nicht nur den Herrn Consultant oder den Schüler zu Gast, sondern auch den Punk, der sich die Babyshambles anhören wollte und selber auch irgendwie ein bisschen Junkie war. Zu der Zeit, kann ich mich erinnern, kamen auch spontan Gäste aus dem Schumann’s, hatten ihre zwei Mai Tai und meinten „Herzlichen Dank, mindestens so gut wie im Schumann’s.“ Im Club lernt man auch schon im Vornherein, um so viel schneller zu sein. So ist das im Hotel nicht.
MIXOLOGY ONLINE:    Wieso entscheidet sich ein Lebenskünstler gegen das Studium?
Tom Graf: Ich habe mir immer wieder überlegt, ob ich das Studium fertig machen soll, aber so ist es nunmal gekommen. Lebensgefühl, Arbeitszeiten – Bar ist einfach, was mir am meisten entgegengekommen ist. Du hast tagsüber Zeit und kannst das Wetter genießen, wofür andere sich freinehmen müssen. Und das mit dem Mixen ist halt einfach geil. Auf der einen Seite hast du das Potential mit der Kreativität, auf der anderen Seite ist der Personenkontakt, und ich mag einfach Menschen. Ich finde das zu einem großen Prozentsatz einfach spannend. Zu allen gehört auch das Trinkgeld, das damals natürlich sensationell war und heutzutage immer noch nicht schlecht ist, das gibt schon so eine Art ‚Pimpfeeling‘. Der Job hat einfach eine irrsinnige Faszination, auch für mich als alten Deppen noch.
MIXOLOGY ONLINE:    Wie gestaltet ein alter Depp seine Freizeit? Hast du Hobbys, die sich durch den Job leichter ausleben lassen?
Tom Graf: Im Moment ist mein größtes Hobby meine Tochter, von der ich jeden Entwicklungsschritt mit bekomme. Das ist das Schönste, was es gibt. Ich bin ich jetzt schon lange in der Gastronomie, viele Dinge haben sich bei mir nicht geändert. Aber wir leben in dieser irrsinnig schnelllebigen Gesellschaft, in der man oft meint, Stillstand ist was schlechtes. Aber ich finde, wenn man zufrieden ist, dann muss man nicht dem nächst höheren Ziel entgegen springen, sondern kann man es auch mal gut sein lassen. Im Leben geht’s einfach darum, glücklich zu werden. Alles andere ist egal – völlig.
MIXOLOGY ONLINE:    Was ist für dich Gastronomie?
Tom Graf: Gastronomie muss interpretiert werden. Jeder Mensch ist anders und arbeitet anders. Dienst nach Vorschrift ist schwierig in der Gastro, klar gibt es Ausnahmen, aber eigene kreative Ansätze müssen da sein und zugelassen werden. Die verschiedenen Ambitionen für den Beruf machen dann auch jeden Laden zu dem, was er ist.
Unser Tipp: Wer mal wieder nach München kommt oder in der Nähe wohnt, sollte ins Zephyr pilgern, im Hinterkopf die Worte eines Lebenskünstlers, der sagt, ein Barbesuch sollte wie ein langer Urlaub sein.

Credits

Foto: Martin Bieringer

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