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In der Tommy’s Margarita findet zusammen, was zusammen gehört

Die Tommy’s Margarita ist ein Kind der Achtzigerjahre. Mit dem Einsatz von Agavendicksaft katapultierte Julio Bermejo den Tequila-Klassiker im mexikanischen Restaurant seiner Eltern in San Francisco in neue Sphären. Das mag heute selbstverständlich klingen, damals war es aber genau das Gegenteil. Wir erinnern uns mit dem Erfinder an seinen Geniestreich, der um die Welt ging.

Tommy's Margarita

Zutaten

6 cl Tequila Blanco
3 cl frischer Limettensaft
1,5 cl Agavensirup/Agavendicksaft

Die Geschichte des Alkoholkonsums ist eine Geschichte des Selbstbetrugs. Nach so ca. 200 Jahren Cocktailgeschichte hat man sich gerade ein wenig von der medizinischen Rechtfertigung für ein morgendliches Besäufnis verabschiedet, aber ansonsten wird das Feld nach wie vor von Beschönigung, Verharmlosung und Verniedlichung beherrscht.

Man „zwitschert sich einen“, man „gönnt sich“, man „tut sich was Gutes“. Natürlich befinden wir uns mittlerweile alle auf dem Weg zum No-ABV-Genuss, mit allerhöchstens einer kleinen Zwischenstation samt Pinkelpause beim Low-ABV, und einen Euphemismus wie „sich was Gutes tun“ im Umgang mit einem gefährlichen Zellgift lehnen wir kategorisch ab. Man tut sich mit Alkohol nichts Gutes. Punkt. Niemals.

Außer, es handelt sich um eine Tommy’s Margarita.

Tommy’s Margarita in einem Atemzug mit Bramble und Penicillin

Eine Tommy’s Margarita ist nämlich nichts anderes als eine Fernreise im Glas, eine aromatische Flüssigmassage, ein verbotener Lockdown-Spaziergang. Und hilft überdies natürlich gegen Rheuma, Harnverhaltung, Haarausfall und Impotenz. Ganz in echt. Und in dieser Hinsicht ist es tatsächlich essentiell, die Tommy’s-Version anzumixen. Keine andere Margarita darf es sein, von keinem John oder Günter, von keiner Bonny und auch nicht von einer Corinna. Nur Tommy’s ist the real McCoy.

Ja, wie kommt’s, reibt sich verwundert der skeptische Cocktailtrinker die Augen, und wieso denn ausgerechnet die Margarita von einem gewissen Tommy? Kennt man den? Was ist denn an der so besonders? Immerhin ist diese Margarita besonders genug, um von der IBA in die Liste der New Era Drinks aufgenommen zu werden, neben so illustren Gesellen wie dem Bramble, dem Penicillin oder dem Espresso Martini.

Weil aber nun der Erfinder des Drinks ein außergewöhnlich bescheidener und liebenswürdiger Mensch ist, heißt dieser selbst nicht mal Tommy. Sondern Julio. Julio Bermejo, und Tommy ist der Name von Julios Vaters wie auch der des Restaurants, das 1989 zur Geburts- und Heimstätte des Drinks wurde: Tommy’s Mexican Restaurant in San Francisco. Unprätentiöser geht es kaum.

Margarita: Spanisch-Übersetzung einer Ostküstenerfindung

Mark Twain sagte, der Unterschied zwischen dem richtigen und dem beinahe richtigen Wort sei der gleiche wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen. Man kann das auf die Margarita übertragen: Das war schon vor Julio Bermejo kein ganz schlechtes Ding, aber halt auch nicht mehr. Irgendwie nicht so richtig besonders und einzigartig, und das ist auch keine große Überraschung, ist die Margarita ja doch bloß die Spanisch-Übersetzung einer Ostküstenerfindung, wobei Übersetzung ganz wörtlich zu verstehen ist: Schließlich ist die Margarita genau jenes putzige Gänseblümchen, das, auf englisch, als Daisy in der Cocktailgeschichte frühen Ruhm erntete.

Wie viele Rezepte dieser Zeit legte man sich auch bei der Daisy nicht so besonders streng auf die Spirituose fest; wenn gerade kein Whiskey zur Hand war, dann nahm man halt etwas anderes. In Kalifornien und Texas etwa, weit weg von den schnöseligen Yankees, war das eben Tequila, besonders vor der Eröffnung des Panamakanals. Und natürlich waren Limetten auch viel leichter erhältlich als Zitronen, und schon ward die Daisy zur Margarita. Ein bisschen aus der Not heraus. ohne den Anspruch, etwas Eigenes zu schaffen. Tequila, leider später in der Mixto-Variante mit knapp der Hälfte Neutralalkohol, Limettensaft anstatt Zitrone, ein bisschen Zucker sowie der Orange Curaçao oder Triple Sec, und fertig war das Ding. Nicht schlecht, aber auch nicht wirklich typisch, Ein bisschen wie ein Gringo, verkleidet mit Poncho und Sombrero.

Tommy’s Margarita: Der Agavendicksaft macht den Unterschied

Julio Bermejo jedoch drehte an zwei, drei Stellschrauben und machte so plötzlich aus dem beinahe richtigen den richtigen Drink, aus dem Gänseblümchen die Margarite: Er ersetzte den Mixto-Tequila durch 100%-Agave-Tequilas, und anstatt des Triple Sec verwendete er Agavendicksaft, der zum einen dem Drink eine regionale Rundheit gibt, und zum anderen als Unterbau des verwendeten Tequilas wirkt. Und, natürlich, frische Limetten, in einer Zeit, als der Sour-Premix Standard war. Und so wurde der Tequila zum stolzen Protagonisten des Drinks anstatt der dritten Wahl, mit der man in die Kiste steigt, weil um die Uhrzeit sonst nichts mehr aufzureißen war.

„Mein Ziel bei der Verwendung von Agave im Drink war es, den jeweiligen Charakter des verwendeten Tequilas zu unterstützen. Und ich erinnere mich an eine Fachmesse, auf der mich der Vertreter eines sehr renommierten Triple Sec fragte, ob ich denn damit Tommy’s Margaritas machen würde – und mir dann sein Produkt mit dem Hinweis empfahl, dass ich damit auch den billigsten Tequila verwenden könne. Als ich ihm erklärte, dass ich gerne hätte, dass meine Margaritas auch nach Tequila schmecken, da verstand er überhaupt nicht, wovon ich da sprach“, erinnert sich Julio Bermejo.

Die Tradition des Cocktails wurde eben an der Ostküste begründet, mit Spirituosen aus der alten Welt, und mit Schmuddelkindern wie Tequila spielte man nicht. Dieses Klischee hielt sich viel zu lange, zum einen gefüttert durch westliche Ignoranz, zum anderen aber auch durch eine staatlich legitimierte Fuselschwemme, die zeitweise nur noch ein Drittel Agavenanteil als Zuckeranteil im Tequila vorschrieb.

Mittlerweile kommen dem Gast Worte „Anejo“ uns „Reposado“ leichter über die Lippen, sobald er einmal das Wagnis der Qualität eingegangen ist. „Es ist auch für einen ungeübten Gast eine unglaubliche Erfahrung, einen hochwertigen Tequila zu probieren. Und man lernt dazu. Ich sehe immer wieder, wie ein Gast nach der auffälligen Flasche verlangt, in der sich aber oft nur Mittelmäßiges befindet. Manchmal sind es gerade die unscheinbaren und sogar hässlichen Flaschen, in denen sich Kostbarkeiten verbergen,“ erzählt Bermejo.

Den Namen bekommt die Tommy’s Margarita von Kollegen

In den Anfangsjahren zeigte er dabei einfach Geduld, verbannte die Mixtos aus der Backbar und veränderte ein Rezept, so wie er es für sinnvoll hielt, ohne darum ein großes Brimborium zu machen. Er gab ihm nicht einmal einen eigenen Namen; das war halt die Margarita, wie es sie bei ihm gab. Keine Spur von „Schaut alle her, was ich erfunden habe!“

Tommy’s Margarita wurde sie dann von kundigen Kollegen genannt, die begriffen, dass da im Glas etwas Neues passiert war. Und etwas, das tatsächlich seine eigene, unverwechselbare Identität besaß. „Die Margarita erfreut sich zwar in Mexiko selbst nicht der Beliebtheit wie ansonsten im Rest der Welt, aber die Zutaten stammen jetzt tatsächlich auch aus den Gegenden, in denen Tequila produziert wird. Regional wurde die Tommy’s Margarita auch in der Hinsicht, in dem Nordkalifornien immer ganz vorne dabei war, wenn es darum ging, neue Zutaten zu entdecken und zu verwenden, nicht nur bei Cocktails, sondern auch in der Küche und allen anderen Bereichen. Als dann etwa Agavensirup erhältlich war, weil die Bio- und Gesundheitswelle darin etwas Nützliches mit besonderen Eigenschaften sah, nun, dann ist das schon regional – und zwar, weil das alles hier seinen Anfang genommen hat.“

Eine wahrhaft kalifornische Tradition konträr zu allen Mauerbauern – man nimmt etwas Gutes, woher auch immer, und macht etwas Eigenes draus, vom Hard Shell Taco bis zur Margarita, und irgendwann weiß sowieso keiner mehr, woher was kam. Weil es ja auch egal ist. Immer noch gibt es für Julio Bermejo viel zu tun: „Wir haben einen großen Kundenkreis, der die Vielfalt unseres Angebots beim Tequila zu schätzen weiß – aber, ganz ehrlich, nicht so viele, wie ich gerne hätte. Die Margarita ist bestens dazu geeignet, mit verschiedenen Tequilas zu experimentieren, und viele machen das auch, aber andere sind wohl auch ein wenig vom Angebot eingeschüchtert. Wir versuchen, auf sie einzugehen und ihnen die Scheu zu nehmen.“

Der Traum des Julio Bermejo

Man geht ins Floridita und bestellt einen Daiquiri. Man geht ins Tommy’s und bestellt eine Margarita. Der Fluch des Ruhms. Die Stones dürfen auch kein Konzert geben, ohne „Satisfaction“ zu spielen. Aber „Satisfaction“ ist ja auch ein wirklich gutes Lied, und gerade in Zeiten wie diesen ist die Freude an einer gut gemachten Tommy’s ja gar nicht zu überschätzen: „Ein Gast sagte mir einmal: auch wenn es draußen regnet – in einer Tommy’s scheint immer die Sonne.“

Dennoch birgt der eigentlich lang ersehnte Erfolg des Tequilas auch andernorts neue Gefahren: „Mittlerweile kämpfen wir einen neuen Kampf, und zwar zwischen Tequila, der natürlich hergestellt wurde, und solchem, der mit Diffusoren und Chemikalien produziert wird. Der Erfolg von Tequila hat manche Hersteller dazu gebracht, zu massenmarkttauglichen Produktionstechniken überzugehen. Und das hat die Qualität im letzten Jahrzehnt erheblich vermindert.“

Gerade die Agave als sehr arbeitsintensive Pflanze konnte sich da den Rationalisierungswünschen der Industrie kaum noch entziehen. Insofern ist es auch, wenig überraschend, der große Traum Julio Bermejos, selbst in einer eigenen Destille Tequila herzustellen; und zwar wie früher, traditionell, nach den alten Methoden.

Er arbeitet schon lange an diesem Traum. Er wird ihn verwirklichen.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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