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Top 5: Die heißen Eisen 2014

Wenn ein Jahr sich dem Ende neigt, lässt man sich häufig von der Lust auf Rückschau übermannen. So auch bei MIXOLOGY. Nachdem wir bereits die interessantesten Brauereien und neuen Bars des vergangenen Jahres beschrieben haben, widmen wir uns nun dem Bar-Jahr 2014 in fünf Schlaglichtern, die uns und unsere Leser in diesem Jahr bewegt haben. Vorhang auf!
Jedes Jahr hat seine Helden, seine Unsympathen und Skurrilitäten. So auch die Barwelt, in der selten Langeweile aufkommt vor lauter Alkohol, Paradiesvögeln, starken Egos und streitbarer Themen.
Man kann ohne Umschweife behaupten: die Bar-Community diskutiert, ja, sie streitet manchmal sehr gerne und umfänglich. Worüber? Das steht Jahr für Jahr auf einem anderen Blatt.
Auch 2014 hat es wieder Zündstoff gegeben. Oder einfach Themen, die emotionalisieren und zur Debatte anregen. Das können Trends oder Hypes sein, aber auch Geschehnisse, die viele Bartender betreffen.
Auch in den Redaktionsräumen von MIXOLOGY hat das Jahresende dazu geführt, die vergangenen 12 Monate noch einmal zu analysieren und zu fragen, was eigentlich die Themen unseres und Ihres – der Leser! – Jahres gewesen sind. Was hat uns bewegt, erzürnt, begeistert und beschäftigt?
Eine solche Aufzählung kann nie den Anspruch erheben, erschöpfend zu sein. Aber das kann keine Liste. Wir werfen fünf Schlaglichter auf 2014, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
5) “Craft” – Merkmal oder Label?
Eine Vokabel geht um. Nicht nur in der Barszene ist das kleine Wörtchen “craft” momentan angesagt wie noch nie. Generell scheint der griffige Begriff, der im Prinzip nichts anderes bedeutet als “Handwerk”, vielen Menschen ein zuverlässiger Anker des Guten zu sein.
Ein Garant dafür, dass auch in unserer kalten, hochtechnisierten Welt so manche Produkte aus der hölzernen Werkstatt kommen, statt aus metallen glänzenden Fabriken.
Besonders US-amerikanische “Craft Spirits” stehen derzeit an so manchem Tresen äußerst hoch im Kurs.
Doch das vergangene Jahr hat umso mehr gezeigt, wohin es mit “craft” bisweilen zu gehen droht: nämlich in Richtung Marketing. Was genau handwerklich ist, kann oftmals nicht beantwortet oder gar geregelt werden.
Insofern taucht immer häufiger die Frage auf, was “craft” eigentlich sei und wo die Sicherheit für den Konsumenten denn bliebe, der ja letztlich im Regelfalle für das Wörtchen einen höheren Kaufpreis zahlt.
Dass dieses Wunsch-Panorama oft nur ein Gebilde der Werbung, nicht aber der Realität ist, zeigt beispielsweise der Streit um den in Barkreisen sehr beliebten Templeton Rye Whiskey, dessen Produzenten sich im Herbst mit einer groß angelegten Klage konfrontiert sahen.
Wohin es mit “craft” geht, wird vielleicht das nächste Jahr zeigen. Die Frage, die sich dabei stellt, ist nicht die, ob es auch weiterhin herausragende Spirituosen geben wird, sondern jene, ob die Vokabel “craft” sich erholt und damit weiterhin für Qualität steht, oder ob sie als weiteres, leeres Floskel-Label in der Versenkung der Bedeutungslosigkeit verschwindet, um in dunklen Agenturkellern ihr Dasein zu fristen. Wir bleiben dran.
4) Gin – Freund oder Feind?
Bereits seit einigen Jahren wird von einem Gin-Boom gesprochen. Dass dieser stattfindet, darf durchaus behauptet werden, jedoch mit einem gewissen Filter:
denn der Gin-Hype, der sich seit ca. 5 Jahren verstärkt über GSA-Land ergießt, bleibt in seiner Wirkungsmacht beschränkt auf einen Kreis von Menschen, die eine Affinität zu Trinkkultur haben.
Flächendeckend, d.h. in der Masse der Menschen dürfte Gin keine wesentliche Veränderung seiner Wahrnehmung erfahren haben. Dieser Umstand wird ganz eindeutig illustriert in den Verkaufszahlen von Spirituosen, innerhalb derer der wacholdrige Geselle nach wie vor im einstelligen Prozentbereich, und damit deutlich hinter Whiskey, Rum, Korn und vor allem Vodka herumkriecht.
Der Gin-Hype, der jüngst häufig beschworen wird, ist nichts anderes als ein Elitenphänomen. Er ist eine Entwicklung, die von den Bars ausging und über Connaisseurs die generell “bessere Gesellschaft” erreicht hat. Gin als Imagelieferant.
Das zeigt sich daran, dass zwar nicht deutlich mehr, dafür jedoch erheblich teurerer Gin verkauft wird. Wo vor einigen Jahren noch der Weinkeller als Distinktionsmerkmal diente, wird heute die Gin-Sammlung ins Rennen geschickt.
So, wie es der Vodka ein Jahrzehnt zuvor erlebte, geht das Segment Gin derzeit durch eine rasante, radikale “Premiumisierung”, deren Auswüchse bereits jetzt manchmal eigentümlich anmuten.
Doch ist diese Entwicklung im vollen Umfang begrüßenswert? Mittlerweile scheint es in Deutschland mehr selbsternannte Gin-Experten zu geben als Bundestrainer.
Zumal für viele dieser “Kenner” nichts anderes existiert als Gin & Tonic – während Martinez, Negroni, Martini oder Gimlet gänzlich unbekannt sind.
Passend dazu gibt es eine ganze Reihe von Bars, die für sich beanspruchen, die größte G&T-Auswahl der Welt bereitzuhalten. Masse als einziges Qualitätsauswahl? Sind 500 Ginsorten wirklich besser als 40 oder 50, die dafür mit Bedacht gewählt wurden?
Mainstream, wir kommen!
Eine der neuesten Entwicklungen ist die Bemühung mehrerer Supermarktketten, mit eigenen Brands auf den in vollem Tempo fahrenden Zug aufzuspringen.
Damit ist eine wichtige Markierung erreicht: Der Moment, in dem Handelsmarken sich am Trendprodukt versuchen, signalisiert in vielen Fällen das Ende des Trends.
Denn wen, bitteschön, macht ein Supermarktprodukt besonders und sexy?
Dem Gin an sich wollen wir nichts Schlimmes wünschen. Er ist einer der Grundpfeiler der klassischen Bar, darauf hat nicht nur Charles Schumann hingewiesen.
Doch mittlerweile rollt so mancher Bartender bei der Frage nach Gin X nur noch mit den Augen und schaut verliebt in Richtung seiner Bourbon-Auswahl. Vielleicht würde dem Gin ein bisschen Ruhe gut tun. Ein wenig Erholung. Damit er wieder in altem Glanz erstrahlt.
3) Bestenlisten – Sakrament oder Sakrileg?
Eine der wesentlichsten Eigenschaften des Menschen als sogenanntes Kulturwesen ist sein Bedürfnis nach Selbst- und Fremdverortung. Dazu gehören auch Auflistungen dessen, was oder wer in einem bestimmten Bereich am besten ist. Keine noch so kleine Nische kommt heutzutage aus ohne Preise und Auszeichnungen. Die Barwelt ist dabei keine Ausnahme.
Das bringt Diskussionspotential ebenso mit sich wie die Tatsache, dass Bestenlisten als Thema in der vorliegenden Bestenliste auftauchen.
Das grundlegende Problem ist dabei die Messbarkeit. Anders als im Sport, wo meistens die Leistung durch fassbare Parameter festgelegt ist, bleiben Auszeichnungen in vielen Fällen eine subjektive Angelegenheit. Im Fußball zählen Tore, in der Leichtathletik ist es wahlweise Geschwindigkeit, Höhe oder Weite.
Beim Gewichtheben nunmal das Gewicht. Und in der Bar? Eine objektive Bewertung kann es bei keiner noch so hohen Qualifikation und Streuung der bewertenden Personen geben. Punkt.
Daher bieten Preisverleihungen stets veritablen Zündstoff, wenn angeblich die Falschen ausgezeichnet wurden. Das gilt sowohl für Preise, die an Bars oder Personen vergeben werden, als auch für die Vielzahl an Spirituosenwettbewerben.
Eins der prominentesten Beispiele ist die Kür der 50 weltbesten Bars, die jährlich im Herbst im Zuge der London Cocktail Week vorgenommen wird. In diesem Falle hat sich über die Jahre ein Korpus an meist angloamerikanischen Bars etabliert, die auf die vordersten Plätze abonniert scheinen.
Jedes Jahr wird im Anschluss an die Bekanntgabe debattiert, dass die Fetzen fliegen und es melden sich zahlreich Befürworter vermeintlich übergangener Trinkstätten.
Gleiches erfahren wir jährlich im Zuge der MIXOLOGY BAR AWARDS. Nicht selten wird die Würdigung eines Preisträgers als Diffamierung aller Nicht-Ausgezeichneten aufgefasst – die Preisverleihung geriert in der Wahrnehmung zu einer negativistischen Farce.
Das sollte nicht der Fall sein. Objektivität ist Teil der Naturwissenschaft, nicht der Kultur. Deswegen auf Awards zu verzichten, wäre die falsche Reaktion.
Das Zauberwort in der Bewertung ist hier die in humanistische Kreisen gelehrte “Intersubjektivität”. Nicht zuletzt mit der Neuauflage unseres MIXOLOGY TASTE FORUMS haben wir den Entschluss gefasst, auch in der Bewertung von Spirituosen und Bieren stärker als ordnendes Organ in Erscheinung zu treten.
Denn eine Branche hat sich das Recht auf Wertung und Würdigung verdient. Auch wenn es immer jemanden geben wird, dem das nicht passt.
2) Bier – aromatisch oder abgestanden?
Kaum ein Thema hat bei unseren Lesern im Jahre 2014 so sehr polarisiert wir Bier. Den einen ist der Gerstensaft neuer heiliger Gral, den anderen ein gewaltiger Dorn im Fleisch der klassischen Bar: wozu teures, abseitiges Bier anbieten, wenn doch deswegen die Bitters-Flaschen verstauben?
MIXOLOGY brachte die Auseinandersetzung mit dem Thema Bier häufig den Vorwurf ein, dem Bereich werde zuviel Aufmerksamkeit geschenkt.
Dabei findet Bier beispielsweise auf MIXOLOGY ONLINE nur einmal in der Woche statt, wohingegen der Rest der Woche stets klassischen Barthemen vorbehalten ist.
Welchem der beiden oben genannten Lager man auch angehören mag, so steht doch fest: der Biermarkt ist eine der momentan vitalsten Branchen im flüssigen Sektor.
Während zwar der generelle Absatz seit Jahren sinkt, erfreuen sich traditionelle Kleinbetriebe und kreative Start-ups eines immensen Zuspruches. Sich diesem Umstand zu verschließen, wäre fatal und kurzsichtig.
Ist Bier “Bar”? Ohne Zweifel!
Denn Bier hat eine enorme Relevanz für das Bar-Gewerbe. Sicher spielt die Frage nach dem jeweiligen Barkonzept im Einzelfall eine gewichtige Rolle. Nichtsdestotrotz gibt es mehr und mehr Bartender als auch Connaisseurs, denen eine anständige, von Liebe und Sorgfalt zeugende Bierauswahl immens wichtig ist.
Dass das Thema häufig derart spaltet, scheint auch daran zu liegen, dass es vor neue Herausforderungen stellt, etwa beim Thema Kalkulation. Ebenso stören sich Menschen an dem Schlagwort “Craft Beer” – die Gründe hierfür sind vielfältig.
Den einen stört die bisweilen nerdige Abgrenzung und Stilisierung, die das Sujet manchmal sperriger erscheinen lässt, als es vielleicht ist.
Andere werfen der Neuen Deutschen Bierszene vor, sich zu ernst zu nehmen. Es gehe doch “nur” um Bier und das aktuelle Hoch sei nichts als Hysterie – man solle doch beim wässrigen Bud-Light bleiben.
Wie auch immer man zu dem Thema stehen mag, eins steht fest: Bier ist wahrscheinlich festerer Bestandteil gastronomischer Geschichte als jedes andere Getränk.
Bier wird nicht nur bleiben, es wird sich entwickeln, und zwar auch in Bars. Diese noch lange nicht abgeschlossene Genese als Magazin für Barkultur nicht zu begleiten, wäre nicht nur arrogant, sondern schlichtweg dumm.
So freuen wir uns nicht nur auf ein spannendes Bierjahr 2015, sondern ebenfalls auf Ihre Stimmen zu dem Thema.
1) Arbeitsbedingungen – Gejammer oder Geknechte?
Es war nur ein Text. Ein einziger Text, den wir im Frühling dieses Jahres, etwa um die Osterfeiertage, zum Thema Arbeitsbedingungen in der Gastronomie und in der Bar veröffentlicht haben.
Doch die Resonanz war gewaltig. Kein anderer unserer Artikel konnte in diesem Jahr ein dermaßen umfangreiche Echo, eine so große Beachtung verzeichnen wie der Beitrag über den fiktiven Barmann “Ben”.
Über Wochen brummten sämtliche Kanäle aufgrund der teils heißblütigen Reaktionen auf die These des Artikels: in der Gastronomie, besonders in exklusiven Hotels, herrschen nach wie vor mitunter haarsträubende Bedingungen vor, wenn es um Themen wie Arbeitszeit und Überstunden geht.
Dieser Umstand macht auch vor so manchem Bartender nicht Halt. Die emotionalen, teilweise arg unter Gürtellinie liegenden Antworten haben im Resümee vor allem eines artikuliert: auch wenn die Geschichte von Ben bei vielen das Blut zum Kochen brachte, scheint das Thema doch wahrlich große Aktualität zu haben.
Die entsprechende Podiumsdiskussion auf dem diesjährigen Bar Convent Berlin hat die Prominenz des Problems weiter unterstrichen.
Hinzu kommt die Tatsache, dass viele Reaktion auf den Artikel von Dankbarkeit und Zuspruch geprägt waren – denn das Thema ist in der medialen Landschaft leider so gut wie nicht präsent.
Insofern zeigte der Artikel, der freilich nicht nur die Barszene betrifft, wie wichtig es ist, auch Themen aufzugreifen, die jenseits von Spirituosen, Bier, Bitters und Rezepturen liegen.
Denn die Barkultur ist mehr als das. Sie ist heute – mehr denn je – Teil der Gesellschaft, steht selbstbewusst in der Mitte einer sich etablierenden Genusskultur. Und die Missstände, die jene Branche jedoch leider noch bisweilen austreibt, anzusprechen, ist Anspruch eines Magazins, das sich mit Barkultur beschäftigt. Für uns eins der großen Themen des Jahres.
Auch im kommenden Jahr wird es wieder Sachverhalte geben, die bewegen, polarisieren, zur Debatte und leider auch manchmal zur Beleidigung anregen.
Aber wir freuen uns darauf – hoffentlich gemeinsam mit Ihnen, werte Leser. Wir wünschen Ihnen einen guten Start ins neue Jahr und ein gesundes und glückliches 2015.

Credits

Foto: Zeitungen via Shutterstock

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