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Historische Aufnahme im Inneren eines Lufthansa-Fluges

Tour de Trance, Teil 2: Das Hirngespinst vom kultursensiblen Rausch

Der alte Kulturbegleiter Alkohol gerät zunehmend in Bedrängnis. Stattdessen werden grüne Revolutionen ausgerufen, es wird von Cannabis-Sommeliers schwadroniert wie auch von heilsversprechenden Vaporisatoren. Auch die Finanzwelt ist darüber hellwach und begeistert. Im zweiten Teil seiner Serie „Tour de Trance“ liefert Markus Orschiedt einen kleinen, polemischen Einspruch, warum uns das nicht zum Ziel eines Weltfriedensrausches führen wird.

Beginnen wir wieder mit einer Bildbeschreibung des Aufmachers. Was Sie in dieser alten Aufnahme eines Lufthansa-Fluges sehen, ist nicht komplett. Es fehlen noch eine Schrankwand im Gelsenkirchener Barock, eine Schachtel „HB“ und ein Drehaschenbecher. Dann ist das Schreckensensemble, das der urbane Zeitgeistmensch gerne exorzieren will, komplett. Er rast stattdessen gerne in der Aluminiumröhre nach Thailand und erzählt sich anschließend lustige Geschichten von authentisch gekleideten Thai-Muttis, die pünktlich zur Fullmoon-Party die Haschcookies und MDMA aus dem Schoß gezaubert haben.

Oder er fährt gleich nach Amsterdam, wo das zu bestaunen ist, was nun auch in diesem Land ansteht. Coole, dauerbekiffte, achtsame, wohlhabende Menschen, die mit Gesinnung Geld im Überfluss generieren. Das alles fantasiert sich der pseudo-progressiv erwachte Berlin-Mitte-Spießer herbei, so wird es ihm und ihr auf den asozialen Kanälen in die synaptische Petrischale unter der Frisur eingenebelt. „Investieren sie in die grüne Revolution.“ „Grüne Legalisierungswelle im Anmarsch“. „Spektakulärer Milliardenmarkt entfacht.“ Ja, Revolutionen waren bekanntlich schon immer lukrative Anlageobjekte. So wird der sinnsuchende Schwachkopf noch sinniger. Kiffen für die westlich-weißen-Wohlstandstaugenichtse. Heineken & Co sind scheiße, werden Sie der erste grüne „Cannabis-Millionär, laden Sie unseren Depot-Katalog herunter“. Das „Glasperlenspiel“ von Hermann Hesse war dagegen eine antiesoterische-wissenschaftliche Kulturinterpretation. Es ist zum Verzweifeln.

Dröhnskala nach oben offen

Warum so hart? Warum nicht? Es scheint im deutschsprachigen Ereignisraum Mode zu sein, funktionierende Kulturen gegen alternative in Opposition zu bringen, anstatt sie parallel existieren zu lassen. Was bemüßigt eine unterbelichtete Geistesschickeria dazu, heroisch gegen den Alkohol zu Felde zu ziehen und die eigene, nach oben offene Dröhnskala mit neomissionarischem Eifer zu messen und den Al-kuhl (arabisch für Alkohol) in den Abyss zu vermaledeien? Schauen wir uns die Pharisäer des guten Draufseins mal genauer an.

Der Blätterwald ist voll von bewundernden Artikeln über den sanften Rausch, die grüne Versagerdrogenapologetik. Da wird schwadroniert von Cannabis-Sommeliers und von heilsverprechenden Vaporisatoren. Worum geht es eigentlich? Der Rausch definiert sich als ein geistiger Zustand der Ekstase, der das Gehirn und das Gemüt in eine Transzendenz jenseits der Normalität überführt. Je nach Kultur werden hierfür unterschiedliche Mittel genutzt. Diese Grenzüberschreitung unterliegt der Kontrolle, will sie nicht zur Sucht werden. Auch sind Verklärungen zu vermeiden, wie etwa vom Erfinder des LSD, Albert Hofmann, der auf einem seiner Trips eine Ansammlung von Bäumen zum „Wald im Glanze sprechender Schönheit“ herbei haluzinierte.

Das ist Rauschlyrik und sonst nichts. Gut, Alkoholtrinker sehen nur doppelt, ohne Glanz und Patina. Andererseits kennen wir den berühmten Text von Platon „Das Gastmahl“. Hier werden mittels der Gabe des Weines Gedanken und Dialoge in Schwung gebracht. Es wird über Erotik und Kunst philosophiert, literarische Konzepte besprochen und mit feiner rhetorischer Klinge die Unbilden des Lebens weggelacht. Der Alkoholrausch im Übermaß hat sich schon immer selbst düster reflektiert. Wir kennen die Divergenz von „richtigem“ und „falschem“ Trinken seit William Hogarth und seinen Zeichnungen. Da ist die „Gin Lane“ mit Absturz, Elend, Verfall, Methomanie. Dagegen die „Beer Street“ mit gemütlicher Geselligkeit, behäbiger Ausgelassenheit ohne Folgen. Aber bereits das gilt heute als gefährlich. Bei der Unterteilung zwischen einfachem und pathologischem Rausch, ist der Alkohol stets als letzterer markiert.

Hier sei nochmals betont, dass der Rausch nie auf eine bestimmte Substanz zu reduzieren ist. In unseren Sprachgebrauch kam er etwas im 16. Jahrhundert. Wortstämmig aus dem Mittelhochdeutschen „riuschen“, was in etwa „anstürmen“ oder „ungestüm“ meinte. Aber bereits in der Steinzeit wurden dem frühzeitlichen Met Halluzinogene wie etwa Fliegenpilze, Bilsenkraut oder Stechäpfel zugesetzt. „Reuschlin“ war der Ausdruck für leichte Trunkenheit. Ob man so weit gehen muss, den Urin des verfliegenpilzten Schamanen zu trinken, wie in Russland es weit verbreitet war, sei dahingestellt.

Sex? Morgen vielleicht

Aber halt! Die inbrünstige neozeitliche Verklärung des „grünen Rausches“ samt Börsennotierung erinnert schon stark an die katholische Liturgie mit dem Weihrauchritual, nebst dem psychoaktiven Wirkstoff Incensol. Haschisch ist seit Jahrtausenden bekannt, lange vor der christlichen Zeitrechnung. Reflektiert man die heutige Debattenlage, wäre zu fragen, ob man sich nicht der kulturellen Aneignung schuldig machte, wenn man wie die Inder vor 3.500 Jahren Cannabis raucht, oder dem Peyote-Kaktus nach Art der Native American Church frönt. Nein, das Lesen von Karl May, der niemals ein Milligramm CO2 für seine Hirngespinste freigesetzt hat, ist der eigentliche Frevel 2022.
Verklärend erklärend wird dem braven Westmenschen der Cannabis-Vaporisator, statt des vom Dunkelalkohol verblödeten Kolonialistengehirn, als luzide Rauschgutigkeit referiert. „Es handelt sich dabei um einen akkubetriebenen Apparat, der die berauschenden Wirkstoffe der Cannabis-Blüten nicht durch Verbrennen freisetzt, sondern durch Erhitzen auf eine Temperatur zwischen 150 und 230 Grad“, schreibt Heiko Zwirner in einem Artikel für die „Welt“.

Diese Berauschungstechnik, die sich liest wie ein Saunaaufguss, sei in den USA im Mainstream angekommen und „to vape“ wurde zum Wort des Jahres 2014 gewählt, der „Budtender“, also der Cannabis-Fachverkäufer, war in der engeren Auswahl. Der Biertrinker zählt zum Standartkulturbotschafter der Trailer-Parks und in seiner Ursuppe schwimmt das verkommene Amerika der Waffenlobby und des Cowboy-Bonanzatums. Ganz nebenbei haben die „Vapos“ noch den Tabak besiegt, da im Gegensatz zum Joint seine Beigabe überflüssig ist. Es ist also mithin nichts Geringeres erreicht, als die engelsgleiche Droge für den lendenlahmen Großstädter mit Haltungsnote eins. Lendenlahm? Ja, will nur keiner wissen. Maßgebliche Untersuchungen weisen darauf hin, dass Cannabiskonsum bei Jugendlichen zu schweren psychischen Schäden mit Langzeitwirkung und bei Erwachsenen zu Libidoverlust bis zur Impotenz führen kann. Ist bei Kiffern aber auch sekundär. Sex? Lass uns das auf morgen verschieben.

Grüne Börsenmongolen

Stattdessen werden ganz neue Geschäftsfelder eröffnet. Aktuell arbeitet die Regierung an einem Gesetzentwurf, um die Freigabe von Cannabis zu organisieren. Ich freue mich schon auf den Innovationskick, der davon zu erwarten ist und im Gegenzug sollten unbedingt backsteingroße Warnhinweise zur Toxizität des vergorenen Rebensaftes auf Weinflaschen Pflicht werden. Scheiß auf den Wein und seine Jahrtausende alte Kultur. Oder gar den Sommelier. Jetzt schlägt die große Stunde des Cannabis-Sommeliers. Der Sommelier verkostet bekanntlich, schluckt aber nicht. Der C-Sommelier macht es dann wie Bill Clinton: Ficken ohne zu ficken und Kiffen, ohne zu inhalieren.

Das Zertifikat lässt sich in Kanada in zwei Tage erwerben und tatsächlich geht es um olfaktorische und sinnliche Kompetenz. Der C-Sommelier ist – manchmal – ebenso nüchtern, wie der Wein- oder Wassersommelier. Er vermag zu unterscheiden zwischen aufputschendem, frischem Marihuana und eher dumpfen, retardierenden Sorten. Nun gut, sparkling Riesling oder Burgunder im Schlafrock. Der C-Sommelier hantiert mit getrockneten Blüten, Ölen, Kapseln, Edibles, Gleitgelen oder Badezusätzen. Von der Wiege bis zur Bahre sind alle dabei. Die C-Sommeliers versprechen dem urbanen Antiwüstling des fair gehandelten Rausches Aromen von Nüssen, Eiscreme und fernen, exotischen Früchten. Der sehr sympathische C-Sommelier Thomas Rothmeier sagt im „Iconist“-Interview: „Ich persönlich konsumiere Cannabis größten Teils in Form von CBD-Blüten, um tagsüber weniger gestresst zu sein, und THC-Blüten, um abends schneller einzuschlafen.“ Klar, er war ja auch nicht gestresst. Ich konsumiere tagsüber eine Flasche Vodka mit Red Bull und bleibe am Ball und abends – dann schlafe ich aber bestimmt – Rum mit heißer Milch.

Wimpernschlag der Zivilisationsgeschichte

Warum steht das jetzt alles hier? Ich habe überhaupt kein Interesse daran, gegen Cannabis und dessen Konsumenten zu polemisieren. Ich bin nur eines überdrüssig: Der ewigen Kulturkämpfe, des verabsolutierenden Verbösen von sozial in Verkehr gebrachten Kulturtechniken, Stoffen und Prozeduren. Auch diese Zeit ist nur ein Wimpernschlag in der langen Zivilisationsgeschichte des aufrecht Gehenden. Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir unsere Hervorbringungen statt sie kritisch zu begleiten, gegeneinander in Stellung bringen.

Das im Aufmacherbild gezeigte Szenario ist aus der Zeit gefallen – zu Recht. Die Heilsversprechen auf einen kultursensiblen Rausch werden für immer ein Chimäre bleiben. Daran wird auch die „grüne Revolution“ der Börsenmongolen nichts ändern.

Credits

Foto: picture-alliance / dpa | Georg Göbel; Bearbeitung: Editienne

Comments (1)

  • Boulevardier

    Ein Artikel, den man genüsslich liest und bei dem ich — schmunzelnd — oft nicken musste. Das Bild ist auch sehr passend, quasi die deutsche Version einer Szene aus Mad Men. Der Artikel ist ein Potpourri der hiesigen Diskussionsmuster, im Land der stramm gezogenen weißen Socken und allein deswegen erscheint Alkoholverzicht riskant und unvernünftig.

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