Goodbye Deutschland: Traveling Bartender in Europa
Traveling Bartender reisen in andere Länder und lassen sich von der dortigen Barszene inspirieren. Häufig wagen sie aber auch den großen, dauerhaften Schritt ins Ausland. Welche Gründe stecken dahinter? MIXOLOGY ONLINE macht sich in einer mehrteiligen Reise auf den Weg und besucht Bartender quer über den Globus verteilt.
Reisen und arbeiten in unterschiedlichsten Ländern dieser Welt? Was klingt wie der berufliche Alltag eines Diplomaten, wird auch für mehr und mehr deutsche Bartender zur persönlichen Wirklichkeit. Die globalisierte Welt von heute verlangt von uns eine gewisse Aufgeschlossenheit, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben, uns durch das Fremde inspirieren zu lassen, zum Traveling Bartender zu werden und – ja: vor allem auch, um uns und unsere individuelle Einstellung hin zum Leben besser kennenzulernen.
Der große amerikanische Geschichtenerzähler Mark Twain sagte einst:„Reisen ist tödlich für Vorurteile“, Goethe entnahm im Umkehrschluss, dass Reisen bilde. In gewisser Weise mag das stimmen, solange wir nicht auf den ewigen Trampelpfaden des Massentourismus wandeln und aus unserer ganz persönlichen Komfortzone entfliehen, um in eine uns unbekannte Kultur eines fremden Landes einzutauchen.
Und so entscheiden Jahr für Jahr immer mehr Bartender, Deutschland den Rücken zu kehren und Traveling Bartender zu werden. Manche von ihnen ziehen wie Nomaden durch unterschiedlichste Länder, bleiben ein paar Jahre hier und dort. Andere von ihnen verschlägt es ganz konkret in ein spezifisches Land. Der Liebe oder Vorgeschichte wegen. Wieder andere legen ein Auslandsjahr ein, den temporären Tapetenwechsel. Ein spannendes Thema, zumal eine jede Persönlichkeit des Nachtlebens auch immer ganz unterschiedliche Beweggründe für diesen Schritt geltend macht. Ein breites Themenspektrum also, dem wir uns bei MIXOLOGY ONLINE nicht entziehen wollen. Wir packen unsere Koffer und klopfen an. Zuerst im Norden.
Arbeiten in Olso
Wir beginnen unsere Tour in Norwegen. Häufig sind es heimische Bartender, die im Ausland nach Talenten scouten. So auch im Falle von Traveling Bartender Timothy Mühlbeyer: „Als ich 2014 beim globalen Finale des Bombay Sapphire-Wettbewerbs von der norwegischen Finalistin ein Angebot erhielt, habe ich zugesagt.“ Seinen Schritt begründet er damit, ein Mensch zu sein, der immer neue Herausforderungen im Leben suche, zumal gerade das Arbeiten im Ausland seiner Meinung nach die Autonomie stärkt und junge Menschen daher besser auf das Privat- oder Berufsleben vorbereitet.
Simon Kistenfeger, Bartender aus der Osloer Bristol Bar, hatte schon immer eine besondere Affinität hin zu anderen Ländern. „Bereits als kleiner Junge war ich glücklicherweise oft mit meinen Eltern am Reisen, und ich bin heute wie damals noch immer fasziniert an anderen Kulturen und deren jeweiligen Auslegungen von Gastfreundschaft. Ich reise auch sehr gerne ohne Begleitung, da ich dadurch etwas mehr aus meiner Bequemzone gestoßen werde und zwangsläufig mit anderen Menschen in Kontakt trete“, so der Expat und Traveling Bartender.
Nach Oslo gelangte er eigentlich recht zufällig. Zuvor für längere Zeit als Reisender Work&Travel-Vagabund in Australien unterwegs, ereilte ihn dann doch das Heimweh, und die günstigste Option nach einem Stopp in Bangkok zurück nach Deutschland war eine Flugverbindung über Oslo. „Als ich dann meinen Fuß in die Bristol Bar gesetzt habe, wusste ich sofort, dass ich hier arbeiten will.“
Und doch sind sich sowohl Timothy als auch Simon einig, dass so einiges ganz schön anders sei. Von beiden erwähnt ist die strikte gesetzliche Reglementierung von Alkohol. „Da es in Norwegen sehr strenge Alkoholgesetze gibt, sind wir, was die Arbeit angeht, ein wenig eingeschränkt. Happy Hour und das Werben mit Spirituosen ist tabu“, so Timothy. Simon ergänzt das noch und verweist auf die Steuerproblematik und die daraus resultierenden, horrenden Preise. Hier muss Wareneinsatz genau kalkuliert sein, damit sich das Unterfangen „Bar” überhaupt rentiert. Trotzdem sieht Kistenfeger darin eher Herausforderung denn Bürde: „Man beschäftigt sich dadurch viel mehr mit den Grauzonen der Gastronomie, und es fördert die Kreativität enorm.“
Traveling Bartender: Gemeinsames Pilzesammeln im Wald
Nicht nur sei Norwegen mit seiner atemberaubenden Natur, hervorragenden Lebensbedingungen und seinem überaus progressiven Vergütungssystem ein wahres Traumziel, auch habe sich die Barszene hier in den letzten Jahren enorm entwickelt. 2016 fand bereits die zweite Auflage der Oslo Bar Show statt (dieses Jahr übrigens um den 25. und 26. Juni), auch wissen die großen Konzerne um die Alkoholproblematik und halten daher die Bartender bei Laune. Die Big Player veranstalten regelmäßig Workshops. So schwärmt Timothy noch heute von einer Fahrt auf einem Zweimaster durch die norwegischen Fjorde, geladen viel Aquavit, und Simon begrüßt die sonntägliche Initiative einer Foreaging-Gruppe aus Bartendern und Köchen, die sich zusammen ganz naturverbunden auf die Suche nach Pilzen und Waldfrüchten macht. Ob Norwegen ihre letzte Station sei? Mit Sicherheit nicht. Die Zeit werde schon zeigen, wo es hingehe, so machen es beide spannend. Der Rucksack sei jedoch noch nicht gepackt …
Aleksandrs Sadovskis weiß, wovon die beiden sprechen. Der gebürtige Weißrusse zog während seiner Schulzeit mit seinen Eltern nach Lettland, wo er anschließend einer Barausbildung nachging. Nach einigen Jahren entschloss er sich dazu, der Rigaer Barszene den Rücken zu kehren, und ging nach Berlin. Maßgeblich festigte ihn übrigens der Bar Convent Berlin in seiner Entscheidung, der ihm, so sagt er, aufzeigte, wie groß und breit doch die Berliner Szene eigentlich gefächert sei. Nach Stationen im Reingold und unter der Ägide Ferhat Akbiyiks – der schnell ein guter Freund von ihm wurde – arbeitete er auch im Prinzipal und Sodom & Gomorra mit Akbiyik zusammen. Als er dann schließlich ein Angebot aus dem Himkok erhielt, sagte er sofort zu. Zwar sei die Barszene noch sehr jung, aber das ermögliche einem auch, mit ihr zu wachsen, so Sadovski.
Kopenhagen: Close and yet so
Alle reden über Stockholm, und wir gehen nach Kopenhagen. Hier nämlich kam auch der Rum-Philosoph Geoffrey Canilao an, als er New York verließ. Er eröffnete das Balderdash, in dem heute der gebürtige Hamburger Oliver Pawlowski arbeitet. „Als ich auf dem BCB Bartender aus anderen Ländern kennengelernt habe, da hat es mich gereizt, auch mal dort als Traveling Bartender zu arbeiten.“ Die Chance in Kopenhagen zu arbeiten, habe er über das Jägermeister-Stipendium erhalten, das jungen Bartendern aus der deutschen Szene einen Tapetenwechsel in hochklassische Bars dieser Welt ermöglicht. Das Erasmus-Semester der Barwelt mit anderen Worten. Gerade den internationalen Vibe der Stadt erachtet er als äußerst positiv. „Es entwickelt sich momentan so viel. Neue Bars, Restaurants. Die gastronomische Szene unterliegt einem großen Wandel.“
Vor allem merkt Oliver an, dass die dänische Schule sehr häufig eine andere Auseinandersetzung mit dem Thema des regionalen Fokus im Getränk sucht. Dieser sei überaus präsenter als in Deutschland und sorge letztlich für eine stetig auf gleich hohem Niveau bleibende Qualität des Drinks. Seinen Arbeitsplatz beschreibt er als großartige Bar mit außergewöhnlichem Team und Konzept. Wohl auch ein Grund, weshalb er sich momentan nicht vorstellen kann, fortzugehen.
Go West. Go Paris.
Immer dieser Norden. Dabei vergisst man oft, den Blick mal gen Frankreich zu richten. Wer André Pintz ist, bedarf wohl seit ein paar Jahren schon keiner besonderen Erklärung mehr. Dass er hingegen für einige Zeit anstelle von Leipzig auch in Paris gearbeitet hat, sei an dieser Stelle noch einmal zu erwähnen.
Auch er ist damals im Zuge des Jägermeister Stipendiums im Ausland gelandet. Die fixe Idee, im Ausland auf neue Inspirationen, Marken, Spirituosen und Netzwerke zu treffen, habe ihn in seiner Entscheidung bekräftigt, auch wenn er erst ganz woanders hinwollte. „2014 hatte ich ein festes Ziel vor Augen und wollte eigentlich sogar nach Kapstadt oder Sidney. Die Behörden haben mir jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht und daher wurde es dann Paris.“ Nach Barcelona oder London wollte er nicht gehen, gerade weil er dort schon bestehende Kontakte hatte und es ihm auch darum ging, seiner Komfortzone zu entfliehen.
„Paris hingegen war eine Stadt, von der man bis 2014 nicht so viel hörte. Alle rieten mir davon ab: ‚Franzosen sind nicht die einfachsten Gäste’, ‚Du musst Französisch sprechen’ und ‚Es ist extrem teuer’ waren nur einige häufig gehörte Argumente. Das genau hat mich aber noch mehr angespornt, nach Paris zu gehen.“ Die dortige Barszene beschreibt er rückblickend als überaus international und kollegial. Jeder helfe dort jedem, es gäbe ein extrem großes, vitales Netzwerk untereinander. Und doch sei einiges anders. „Platztechnisch geschuldet sind die Bars sehr klein. Man hat sehr wenig Platz für die Gäste, aber auch für das Lager oder die Vorbereitung.“
Als besonders positiv beschreibt er rückblickend den Teamgedanken und das Zusammenkommen der Barteams nach der Schicht – übrigens schon gegen 2 Uhr nachts aufgrund Sperrstunde. Ein Ritual, das sich Nacht für Nacht wiederholte. Der für ihn größte Unterschied war das „Pre-Batching”, das gerade an stressigen Abenden die Arbeitsabläufe beschleunigen sollte, aber gleichzeitig auch eine zeitaufwendige Vorbereitung erforderte. „Selbst in der kleinsten Bar – im Candelaria hatten wir damals nur 25 Sitzplätze, aber an guten Tagen über 400 Drinks – erfordert das Schnelligkeit beim Arbeiten“, so Pintz. Hätte er nicht im Leipzig das Imperii eröffnet, so wäre er wohl geblieben, gibt der Träger eines MIXOLOGY BAR AWARD 2017 für die „Neue Bar des Jahres” zu, der diesen Schritt retrospektiv als beste Entscheidung seines Lebens sieht. „Es geht nicht darum, in eine coole Stadt zu gehen, die einen Strand vor der Tür hat. Schmelzwasser und nasse Füße hast du in der Bar genug, wenn du dich richtig anstellst.“
Die Stadt der Liebe zeigt diese nicht immer
Auch Felix Engels, der seit knapp zwei Jahren mit Dominique Simon zusammen das Suderman in Köln betreibt, verschlug es einst nach Paris. „Ich wollte damals eine neue Trinkkultur kennenlernen und mein Handwerk auf die Probe stellen. Auch wollte ich privat mal was anderes sehen und davon profitieren, dass die Einstellungskriterien als Bartender nicht vergleichbar sind wie jene eines anderen Berufes. Hier kommt es viel mehr auf die Qualitäten beim Probearbeiten an, als auf einen Lebenslauf im Wettbewerb mit der Konkurrenz, wo man schon beim Bewerbungsschreiben scheitert“, so Engels.
Zwar betrachtet er die Gästetypen und die Seriosität hinter dem Job als durchwegs vergleichbar, doch stellt er eine große Liste an Unterschieden auf. „Das beginnt schon beim Tip. Du hast am Ende des Monats viel weniger Geld zur Verfügung bei viel höheren Lebenshaltungskosten. Auch ist die Szene viel amerikanisierter und eher international beeinflusst als die deutsche Barwelt. Während in Paris die Trends aus den USA und London übernommen werden, orientiert man sich hier an anderen deutschen Städten.“ Was die Industrie betrifft, so betrachtet Engels die deutsche Szene als durchaus verwöhnt. „Hier wird so viel mehr gemacht als in Paris. Dort wurde damals für Tastings oder Wettbewerbe trotz einer großen vor allem sehr internationalen Bartenderschaft kaum Geld in die Hand genommen.“ Seinen Schritt, zurückzugehen, begründet der Wahl-Kölner mit seiner jungen Familie. Das Reisen sorge aber für die nötige Inspiration und auch Reflexion, so Engels.
Alles in allem: No Regrets
Sechs Bartender in drei Städten, alle Traveling Bartender. Jeder mit seiner eigenen Geschichte und Motivation, die in jeder Stadt auf eine ganz unterschiedlichen Art und Weise zur Geltung kommt. Und doch haben sie alle eines gemeinsam: Nicht einer von ihnen bereut die Entscheidung, ins Ausland gegangen zu sein. Vielleicht ist es ja nun doch Zeit für dieses überaus kitschige Zitat, das erst für den Anfang gedacht war: „Wer auf den Berg geht, der blickt auch in die Ferne.“ Und dorthin, in die Ferne, geht es beim zweiten Teil dieser Reihe rund um Traveling Bartender.