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Uwe Christiansen: „Ich würd’s nochmal genauso machen.“

Vor wenigen Wochen erst feierte Uwe Christiansen mit seiner Bar Christiansen’s in Hamburg-St. Pauli den 20. Geburtstag – ein Jubiläum, das viele Bars niemals erleben. Anlass genug für ein ausführliches Gespräch mit dem grundsympathischen Hanseaten über Trends, Hysterie, „Cornern“, Stammgäste, Verlässlichkeit, Geld und Bescheidenheit. Eines ist klar: Uwe Christiansen ist mit sich selbst im Reinen.

Uwe Christiansen gehört zu den großen Urgesteinen der heutigen deutschen Barlandschaft. Mit seiner Bar Christiansen’s Fine Drink & Cocktails und vielen weiteren Projekten gehört der 57-Jährige zu den prominentesten Hamburger Gastronomen überhaupt. Vor wenigen Wochen feierte das Christiansen’s seinen 20. Geburtstag. Grund genug, mit dem hanseatischen Sympathen über seine Laufbahn, die Entwicklung der Stadt, die Barszene und Herausforderungen für heutige Barbetreiber zu sprechen.

MIXOLOGY: Lieber Uwe, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu diesem Geburtstag Deiner Bar. 20 Jahre kann man ja – besonders bei einer freien Bar – als einen Zeitraum beschreiben, in dem eine Bar sogar mehr wird als eine Institution.

Uwe Christiansen: Das stimmt, vielen Dank! In der Tat gibt es wirklich nur sehr wenige freie Bars, die so ein Alter erreichen – erst Recht unter dem selben Betreiber. Besonders schön finde ich ja: Wir haben unsere Bar zwar im Laufe dieser 20 Jahre natürlich immer wieder renoviert, aber eigentlich nichts verändert: Wenn wir neu streichen, dann benutzen wir das gleiche Grün. Wenn der Boden neu gemacht wird, dann in der ursprünglichen Farbe. Und das Holz an der Bar ist über die Zeit wahrscheinlich komplett ausgetauscht worden – die Gäste merken das aber nicht, weil wir darauf geachtet haben, dass es so bleibt, wie sie es kennen. Es „bleibt” also das Christiansen’s.

MIXOLOGY: Das hat ja für die Gäste auch immer viel mit einem Gefühl von „Heimkommen“ zu tun.

Uwe Christiansen: Genau! Manche merken ja, dass wir das beibehalten, und dann freuen sie sich. Noch schöner ist es aber bei Gästen, früheren Stammgästen, die jahrelang nicht da waren – vielleicht, weil sie eine Zeit lang woanders gelebt haben oder Kinder bekommen haben – und die dann zurückkommen und so richtig berührt sagen: „Ach, das sieht ja noch genau so aus.“ Ein tolles Gefühl!

MIXOLOGY: Und Du sprichst ja aus wirklich täglicher Erfahrung: Im Gegensatz zu vielen anderen arrivierten Barbetreibern stehst Du, soweit ich weiß, noch immer einen Großteil der Woche selbst hinter der Bar.

Uwe Christiansen: Ja, und das muss auch so sein: Da steht mein Name an der Tür. Das ist für mich eine absolute Verpflichtung und, glaube ich, ein Teil des Erfolgs. Am Wochenende bin ich grundsätzlich da, Montag abends auch. Dienstag habe ich dann üblicherweise das Treffen mit meinen Geschäftsführern der Betreibergemeinschaft vom Spielbudenplatz. Mittwoch soll mein freier Tag sein [lacht] und Donnerstag ist dann Bürotag. Aber das Wichtigste: Es macht mir immer noch am meisten Spaß, am Tresen bei meinen Gästen zu stehen.

MIXOLOGY: Stichwort Gäste und der Spielbudenplatz als zentraler Ort in St. Pauli: In 20 Jahren passiert viel. Wie haben sich Stadtteil, Gäste, Stimmung in der Umgebung der Bar im Laufe der Zeit geändert? Eher positiv oder negativ? Oder hat es sich – Deine Bar spricht ja nun nicht das typische Kiez-Klientel an – am Ende gar nicht wirklich transformiert?

Uwe Christiansen: Das ist schon eine komplexe Sache: Gerade heute [Anm.: das Gespräch wurde am 13. November geführt] titelt die Hamburger Morgenpost tatsächlich mit einem Bild von mir und der Schlagzeile: „Der Kiez geht vor die Hunde“. Ich lasse mich da über den Kiez aus und die mittlerweile 58 sogenannten „Kioske“, die die Leute abfüllen. Dieser ganze Trend zum Cornern ist grässlich, das betrifft alle Bars und Discos, wenn auch mein „Das Herz von St. Pauli“ derzeit wegen Umbau nur als Outdoor-Location im Sommer am Start ist. Aber es ist wirklich schlimm: Die Leute betrinken sich billig im Kiosk, lassen in den eigentlichen Gastronomien kaum Geld, verdrecken nur deren Toiletten oder pinkeln halt direkt auf der Straße den Kiez zu.

„Die ‘Musik’ unserer Bar, das sind die Gäste, ihre Gespräche, das Lachen, das Klackern der Shaker.“

MIXOLOGY: Deine Bar im Speziellen betrifft das allerdings eher weniger, nehme ich an?

Uwe Christiansen: Das schon, ja. Ein Konzept wie das Christiansen’s hätte z.B. auf der Reeperbahn selbst nie eine Chance gehabt. Wir liegen ja ein wenig abseits des ganz großen Stromes, unsere Gäste kommen definitiv größtenteils gezielt. Aber trotzdem bleibt ja generell ein Teil des früheren Publikums allmählich weg. Und zwar nicht, weil die Leute älter werden, nein, sie wollen eigentlich gern noch hier ausgehen. Aber ich höre immer wieder von Leuten, die sagen: Das wird mit hier mit der Zeit zu wild – mehr Schwerstbetrunkene, mehr Gewalt, mehr Polizeieinsätze. Da überlegt man sich dann eben doch, ob man nachts mit der S-Bahn in eine Bar fährt.

MIXOLOGY: Wollen die Leute einfach mehr Exzess?

Uwe Christiansen: Keine Ahnung, die ganz Jungen lernen das ja nur so kennen. Ein Beispiel dafür, dass es auch in vielen selbst ernannten „Bars“ immer mehr in Richtung Party geht, ist die Musik, die ständig zu laut ist. Ich finde das furchtbar. Ich war neulich während des Bar Convent in einer Berliner Bar, die ich früher sehr mochte. Mittlerweile kann man sich da überhaupt nicht mehr unterhalten, weil die da einen DJ stehen haben, der dermaßen laut war, dass sich sogar der Bartender bei uns darüber ausgekotzt hat.

MIXOLOGY: Du hast aber nicht generell etwas gegen laute Musik?

Uwe Christiansen: Überhaupt nicht! Ich habe ja selbst in Nachtclubs gearbeitet, was mir u.a. einen bleibenden Hörschaden auf dem einen Ohr beschert hat. Aber ich sehe immer noch die Trennlinie: Wenn ich in eine Bar gehe, dann will ich doch nicht in einen Club und tanzen. Sondern mich mit Leuten unterhalten, auch mal mit dem Bartender ein entspanntes Wort wechseln. Ist völlig daneben, finde ich. Im Christiansen’s spielt Musik quasi keine Rolle – die „Musik“ unserer Bar, das sind die Gäste, ihre Gespräche, das Lachen, das Klackern der Shaker. Im Übrigen ist das quasi in allen wirklich guten Bars so, finde ich.

„Es ist leichter, einem echten ‘Typen’ das Handwerk beizubringen, als einem guten Handwerker das Wesen eines Bartenders einzuimpfen.“

MIXOLOGY: Du sprichst gerade die Belastung für das Personal durch Lärm an. Nicht alle Gastronomen denken in Bezug auf ihr Personal wirklich nachhaltig, gleichzeitig bemängeln aber auch immer mehr Barbetreiber, dass es schwieriger geworden ist, qualifiziertes und vor allem fleißiges, langfristig denkendes Personal zu finden – obwohl man gemeinhin sagt, dass es heute mehr ausgebildetes Barpersonal gibt denn je. Wie ist Deine Erfahrung damit?

Uwe Christiansen: Hm, also, wenn wir eine Stelle ausschreiben, kann ich mich eigentlich vor Bewerbungen nicht retten. Wir versuchen, das deshalb immer eher „leise“ zu machen. So hält man den Kreis kleiner und hat vielleicht nicht so viele der typischen Bewerber. Ich leiste mir auch immer mal wieder den Luxus, jemanden einzustellen, der streng genommen null Erfahrung mit der Bar hat, mich aber durch seine Ausstrahlung überzeugt. Ich glaube noch immer, dass es leichter ist, einem echten „Typen“ das Handwerk beizubringen, als einem guten Handwerker das Wesen eines Bartenders einzuimpfen. Wir haben das gerade wieder gemacht.

MIXOLOGY: An sich ein schönes Vorgehen, das ein bisschen dem heute teilweise zu beobachtenden Recruiting-Schema entgegenläuft.

Uwe Christiansen: Richtig, aber dann… Aber dann! Dann kommt nämlich oft das Problem, dass Du als Arbeitgeber viel Zeit und Mühe investierst, und dann kommt einer und fragt Deinen eingearbeiteten Mitarbeiter: „Sag mal, willst Du nicht bei mir Barchef werden? Ich geb’ Dir auch 300 Euro mehr.“ Das passiert leider ständig, immer wieder. Früher hatte ich Mitarbeiter teilweise zehn, elf Jahre am Stück. Ich bin skeptisch, dass ich das nochmal erleben werde.

MIXOLOGY: Woran liegt das?

Uwe Christiansen: Ich denke, das hat viel mit der Suche nach „Ruhm und Ehre“ zu tun, auch mit mangelndem Anstand. Zuletzt habe ich einen als Barchef eingestellt und mit ihm vereinbart, dass er mindestens zwei Jahre bleiben würde. Nach neun Monaten war er dann aber doch wieder weg. Und es geht nicht nur um mich, sondern auch um meine Gäste. Wir haben unheimlich viele Stammgäste. Und die kommen ja auch wegen der Gesichter hinter der Bar. Denen will ich auch nicht alle paar Monate neue sogenannte Gastgeber „vorsetzen“. Das sind dann ja eigentlich keine wirklichen Gastgeber mehr.

„’Du, ich brauch’ mal 100.000 Mark!’ War kein Problem, damals jedenfalls.“

MIXOLOGY: Außer Uwe, der immer da ist. Hast Du die Bar damals eigentlich ganz alleine aufgemacht?

Uwe Christiansen: Ja, ganz alleine. Und tatsächlich kamen da schon ein paar glückliche Zufälle zusammen. Ich war damals, 1997, Bartender im Angie’s Nightclub am Spielbudenplatz. Und eines Abends kamen dann die damaligen Betreiber meiner heutigen Bar – die hieß damals „Knickerbocker“ – in den Club und waren extrem unglücklich mit der Performance. Sie wollten den Laden loswerden. Sie wussten, dass ich viele Gastronomen kenne, ich habe ja jeden Abend zig Gastro-Leute am Tresen gehabt. Ich habe gesagt, „ja, kann ich machen, aber ich brauche noch ein paar Kennzahlen.“ Dann wusste ich ja alles, was ich wissen musste. Ich habe eine Nacht drüber geschlafen und dann meinen Bruder angerufen, der eine Bank geleitet hat –  also nochmal Glück – und ihm gesagt: „Du, ich brauch’ mal 100.000 Mark.“ War kein Problem, damals jedenfalls. Den Jungs ist dann am nächsten Abend natürlich ein wenig die Kinnlade runtergefallen, als ich gesagt habe: „Ich kenne ja den untersten Preis, genau den nehm ich.“ Hat alles in allem eine Woche gedauert, dann gehörte die Bar mir.

MIXOLOGY: Das Christiansen’s läuft durchgehend sehr gut. Wie siehst Du es in der Rückschau in Bezug auf die anderen Projekte, die Du angegangen bist? Gibt es Entscheidungen oder Ideen, die Du heute anders oder nicht machen würdest?

Uwe Christiansen: Ich glaube, mit dem Christiansen’s würde ich es nochmal genauso machen, ja. Natürlich habe ich aber mit der „Bar Cabana“…

MIXOLOGY: … Deine Tiki Bar, die mittlerweile wieder geschlossen hat…

Uwe Christiansen: … genau, mit der habe ich eine ziemliche Bauchlandung hingelegt. Die hat im Prinzip überhaupt nicht funktioniert. Dann kam auch noch beim Verkauf am Ende der Käufer nicht mit dem Geld hinterher – das Projekt Cabana hat mich letztlich einen saftigen, hohen fünfstelligen Betrag gekostet. Für einen kleinen Unternehmer wie mich dann schon sehr schmerzhaft. Von einer kleinen Bar wie dem Christiansen’s kann ich alleine gut leben, das ist nicht das Problem. Aber wenn dann rückwärtig die andere Bar nur Geld frisst, wird’s schwer, vor allem, weil parallel die Probleme mit dem „Das Herz von St. Pauli“ dazu kamen.

MIXOLOGY: Eine Belastungsprobe?

Uwe Christiansen: Ja und nein. Einerseits hat mich das schon in Bedrängnis gebracht. Andererseits zahlt es sich dann aber aus, wenn Du Deine Partner in all den Jahren immer fair behandelt hast. Dann bekommst Du nämlich auch mal einen Hilfskredit. Oder Dein Lieferant gibt Dir gerne einen Monat Zahlungsaufschub, nachdem Du eineinhalb Jahrzehnte immer pünktlich gezahlt hast. Das hat viel mit Geben und Nehmen zu tun, mit Verständnis und Respekt. Das hätte auch nicht geklappt, wenn ich die Bar nicht alleine gemacht hätte.

Ich bin einer, der arbeitet, arbeitet, arbeitet.

MIXOLOGY: Warum nicht?

Uwe Christiansen: Eine kleine Bar wie das Christiansen’s kann man meiner Meinung nach eigentlich nur alleine gewinnbringend betreiben – jedenfalls, solange man keine weiteren Läden hat. Viele junge Bartender machen den Fehler und eröffnen zu zweit oder gar zu dritt eine kleine Bar. Da frage ich mich immer: Wie soll denn eine Bar mit 30 oder 40 Plätzen drei Leute ernähren? Ich habe das auch schon vielen Leuten gesagt: Rechne Dir doch mal durch, wie viel Geld Du im Monat brauchst, um ganz simpel zu leben. Das ist gar nicht wenig! Und das muss so eine Bar dann dreifach abwerfen. Das wird sie so gut wie nie tun. Ich habe über die Jahre zahlreiche dieser Truppen erlebt – in fast allen Fällen hat die Bar keinen ersten Geburtstag erlebt. Und die Typen waren am Ende meist zerstritten.

MIXOLOGY: Für das Christiansen’s brechen nun die nächsten 20 Jahre an. Kannst Du Dir vorstellen, in Deiner Bar wirklich alt zu werden, etwa wie Charles Schumann es tut? Oder siehst Du die Sache eher wie Erich Wassicek aus Wien, der ganz klar sagt: Irgendwann ist Schluss, es muss ein Leben nach der Bar geben?

Uwe Christiansen: Ich war schon immer so einer, der arbeitet, arbeitet, arbeitet. Ich habe ja auch keine Familie. Und es geht nicht nur um die Bar selbst, sondern auch ums Bücherschreiben, Moderieren, Beratungstätigkeiten, Juryplätze bei Wettbewerben, die Tätigkeit im Leaders Club. Ich bin ein Arbeitstier. Daher glaube ich auch, dass es bei mir eher Ersteres wird. Ich glaube, es könnte ungefähr so kommen: Wenn das „Herz“ irgendwann wieder aufgemacht wird, vielleicht so ungefähr 2020, dann könnte das evtl. meine Rente sein. Denn der Laden läuft ohne mich, also auch ohne mich als Charakter. Das Christiansen’s nicht. Wenn der Barjob irgendwann zu anstrengend wird, würde ich das Christiansen’s dann eben zumachen oder weiterverkaufen. Aber dann müsste es auch einen anderen Namen kriegen. Eben Müller oder Hansen. Aber nicht mehr Christiansen’s. Doch das dauert noch!

MIXOLOGY: Lieber Uwe, wir danken Dir ganz herzlich für das Gespräch.

Credits

Foto: Fotos via Christiansen's

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