Alles überwinden: Der Venceremos
Mit seinem Drink aus Rum, Ananas, Gurke, Sesamöl und Kokoslikör zitiert Gn Chan mehrere Strömungen der kulinarischen Kultur und erlaubt sich dabei ein Augenzwinkern. Zusätzlich überwindet der Venceremos ein paar Grenzen, die vielleicht ohnehin nur noch im Abstrakten bestehen.
Es ist schon interessant, wie einige, bestimmte Zutaten bei vielen Bartendern pawlowsche Reaktionen hervorzurufen scheinen: Speichelfluss beim Wort „Mezcal“. Lustvolle Angst, wenn die dritte Chartreuseflasche des Abends aufgemacht wird. Und blankes Entsetzen beim Stichwort „Kokoslikör“. Ein Wort so schlimm, dass es für viele Tresenprofis gleich nach gekauftem Limettensaft aus Konzentrat kommt.
Ähnliche Reflexe erzeugte bis vor einigen Jahren auch die Ananas. Stand sie doch zusammen mit der Passionsfrucht (also vor allem in Form übersüßter Nektare) geradezu synonym für all die tropisch etikettierten Gräuel, die man ehemals edlen Drinks angetan hatte. Seit das, was man immer noch „Cuisine Style“ nennt, an den Bars flächendeckend Einzug gehalten hat und sich außerdem immer mehr Bars darauf besinnen, dass auch frisch gepresste Säfte von Früchten eine Existenzberechtigung haben, die nicht von Zitrusfrüchten stammen, ist die Ananas vom Buhmann zur neuen Star-Frucht der Barszene geworden: Ananas-Hawaiihemden. Ananastätowierungen. Kupferne Ananasbecher zum Daraus-Trinken. Güldene Ananas-Anstecker für das Revers. Die opulente Tropenfrucht ist irgendwie vom Saulus zum Paulus geworden.
DIE ZWEI AUS DEM ANGEL’S SHARE
Einer, der aus diesen beiden alten Partnern, der Ananas und dem Kokoslikör, nun etwas Neues gemacht und sich dabei auch nicht vom negativen Image des Likörs hat abschrecken lassen, ist Gn Chan. Der gebürtige Chinese steht hinter dem Tresen von Shingo Gokans New Yorker Bar Angel’s Share. Gokan, selbst eigentlich Japaner, war schon seit einigen Jahren ein wichtiger Akteur der internationalen Mixologenszene. Dann gewann er 2012 die globale Bacardi Legacy Competition und wurde endgültig zu einem weltweit bekannten Bartender, mittlerweile betreibt er mit dem Speak Low eine weitere Bar in Shanghai. Mit dem Venceremos, einem Drink aus frischer Ananas, frischer Gurke, weißem Rum, Kokoslikör, Limette und Sesamöl, hat nun sein Bartender Gn Chan die Bacardi Legacy 2016 gewonnen. Irgendwas scheinen die dort also richtig zu machen.
Doch sind Wettbewerbscocktails nicht entweder total überdrehte Exotismen, die man – wenn überhaupt – nur für 50 Dollar das Glas verkaufen kann? Oder – andererseits – betont simple und mitunter fad scheinende Zubereitungen, damit es (gerade wie bei der Legacy beabsichtigt) möglich ist, sie überall zu reproduzieren? Mit Blick auf die Reproduzierbarkeit kann man beim Venceremos sofort sagen: Klar, das geht. Mit ein bisschen Hingabe und Ausstattung. Einfach Daiquiri und dann noch ne vierte Zutat – so wie es Chans Vorgänger im Jahre 2015 schaffte – geht aber nicht, dafür ist der Venceremos zu anspruchsvoll.
„Ich hatte zwei Hauptgedanken“, erläutert Chan, „ich wollte Zutatenpaarungen zusammenbringen, die einerseits vertraut, anderseits aber neu sind. Und ich wollte, dass die Piña Colada, die in guten Bars lange Zeit fast als geächtet galt, die Grundlage der Rezeptur ist.“ Die Kombination von Gurke und Sesam bzw. Sesamöl, so Chan, sei z.B. im gesamten asiatischen Raum, auch in seiner chinesischen Heimat, ein kulinarischer Selbstläufer – so wie Tomaten und Basilikum in Italien. Dazu kommt die Verbindung herzhafter Zutaten – wieder Gurke und Öl – mit Früchten, die laut Chan besonders für die karibischen und südostasiatischen Küchen so charakteristisch ist. „Zu guter Letzt dann noch die klassische Kombination der Colada: Ananas, Rum, Kokos“, meint Chan, „ich wollte einen neuartigen Drink, der aber gleichzeitig Erinnerungen an verschiedene Orte und Zeiten hervorruft, auch Nostalgie.“
EVERYBODY’S DARLING
Benannt hat er den Cocktail mit einer Pluralform des spanischen Wortes für „überwinden“, quasi „lasst uns überwinden“, denn „es geht mir einfach darum, nicht in alten Denkmustern zu bleiben. Essen und Trinken sollen aufregend bleiben und sich erneuern, dabei aber zugänglich bleiben. Ich hätte ihn auch komplizierter machen können, aber wozu?“, fragt der Wahl-New Yorker mit der markanten Undercut-und Dutt-Frisur. Um den Gedanken der Praktikabilität von oben aufzugreifen, braucht man im Wesentlichen einen Entsafter oder aber viel Geduld beim Aussieben von Ananas und Gurke. Denn ohne deren frische Säfte geht es nicht, und reif müssen die Früchte obendrein sein – süß die Ananas und feinherb die Gurke. Das fertige Ergebnis umschreibt Chan selbst als eine Verquickung von klassischem Carribean-Erlebnis mit leichter Modern Cuisine, die ihre Deftigkeit nur dezent inszeniert. Und gerade durch die Implementierung des Sesamöls, das gemeinsam mit dem Likör die nussig-cremige Komponente beisteuert, ist Chan der eigentlich Geniestreich gelungen: Das Öl bindet den Drink vollkommen anders, als es Sahne oder auch Eier jemals könnten. Zudem bringt es die entscheidende, umamihafte Qualität hinzu, die aus dem Piña Colada-Twist einen wirklich neuartigen Cocktail macht – der dabei, ganz im Sinne seines Erfinders, nicht sperrig oder „elitär“ ist: „Wir verkaufen ihn im Angel’s Share seit rund einem Jahr und er gehört zu den Lieblingen der Gäste. Jeden Abend!“
Obwohl er durch den Venceremos und den damit verbundenen Sieg bei Bacardis Riesenwettbewerb natürlich einen gewaltigen Popularitätsschub erhalten hat, bleibt Chan ehrlich und meint: „Der Drink funktioniert nicht nur mit Bacardi. Ich denke, man kann ihn durch verschiedenste weiße Rums ziemlich gut variieren. Ich kann mir auch sehr schöne Versionen mit Espadín-Mezcal vorstellen. Das dürfte dann die würzigen Noten vom Öl und der Gurke noch etwas mehr hervorheben.“
LAST BUT NOT LEAST
Und dann noch die letzte Frage: Warum Kokoslikör? Gibt es nicht heutzutage mit Kokoswasser auch ein Produkt, das in fast allen größeren Städten gut verfügbar ist und gleichzeitig der Stil-Polizei gefällt? „Ganz ehrlich: Mich haben so viele danach gefragt, warum ich Kokoslikör benutze. Viele meinten, den hätten sie gar nicht bei sich in der Bar. Dabei gibt es durchaus sehr hochwertige Produkte in diesem Bereich“, ist es Gn wichtig zu erwähnen, „natürlich kann man den Likör durch Kokoswasser ersetzen und mit ein wenig Zucker ausgleichen. Aber, salopp gefragt, warum? Ich finde an Kokoslikör nichts schlimmes. Er kann nichts dafür, dass er über Jahrzehnte in die falschen Drinks geschüttet wurde. Und für mich gehört er in diesen Drink.“ Ein schönes letztes Wort. Schließlich kann man ja neben vielem anderen auch Klischees manchmal sehr schön überwinden.
Credits
Foto: Bild via Tim Klöcker.