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Bier, das die Welt wieder braucht

Die deutsche Bierkultur gilt als eine der reichsten und vielfältigsten der Welt, und das zu Recht. Nur sind damit nicht die 50 Sorten Lager Pilsener Art gemeint, die im Supermarkt Floating für die Geschmacksknospen feilbieten. Unbekannte und vergessene Schätze unserer Brautradition könnten die Brücke bauen, Ruf und Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
Es gibt Biere, die braucht kein Mensch. Aus dem Gold-Rausch milder Heller, frisch aus Individualitätsfilter, hat sich letztlich nur sein Bremer Begründer dauerhaft gehalten. Auch die Popularität der Biermischgetränke, liebevoll Bierups getauft, flaut zum Glück ab, denn was nach Curuba, Energy und Mango-Chili noch an Aromastoffen in ohnehin charakterschwaches Bier kommen soll, möchte man sich gar nicht ausmalen. Vielleicht ist es an der Zeit für eine Rückbesinnung auf Bierstile, die unsere Trinkkultur über Jahrhunderte begleitet haben, die aber im Werbewirbel und dem Rennen um die größte Massentauglichkeit den Kürzeren gezogen haben.
Fränkisches Blut – Nürnberger Rotbier
1597 zählte Nürnberg 35 Rot- gegenüber 11 Weißbierbrauereien. „Das Rote“ war ein Renner und die beliebteste Biersorte der Gegend. Das untergärige, im Gegensatz zum Weißbier ausschließlich mit Gerstenmalz gebraute Bier zeichnete sich durch eine schöne Verbindung von Trinkbarkeit und Malzaromen aus. Weniger röstig und rauchig als ganz schwarze Kollegen, bot es Aromen von Nuss über Karamell und Honig bis Schokolade.
Heutzutage wird Nürnberger Rotes wieder in kleinen Mengen gebraut, so z.B. in der Hausbrauerei Altstadthof. Eine weitere, moderne Interpretation des Stils, und zudem deutlich leichter verfügbar, kommt hingegen aus dem hohen Norden in Form des Ratsherrn Rotbiers.
Kölsch, Sticke & Dampfbier – das obergärige Potential
Auch wenn mich Kölner wie Düsseldorfer jetzt lynchen wollen, lohnt es sich doch, diese Stile gesammelt zu besprechen. Bei Sticke handelt es sich um die Starkbiervariante von Alt, also einen Alt-Bock. Dessen Möglichkeiten, wie auch die von Kölsch, werden völlig unterschätzt. Würde man sich doch nur an das halten, was in der Kölschkonvention steht: Hopfenbetont heißt ja nicht unbedingt gleich massiv bitter, aber es öffnet die Tür für all die floralen, fruchtigen Noten, für die Pale Ale, India Pale Ale und Co. im Moment so gehyped werden. Doppelsticke als lokale Antwort auf Imperial Red/Brown Ales? Warum nicht?
Doch Obergäriges gibt es nicht nur am Rhein oder in Weißbierform, sondern auch mit Volldampf. Traditionell aufgrund von Hopfenmangel eher mild, erhielt Dampfbier seinen Namen durch Gasblasen, die während der stark schäumenden Gärung an der Oberfläche zerplatzten und so den Eindruck vermittelten, das Bier „dampfe“.
Maisel hatte einst eine solche im Sortiment, doch momentan verbleiben als prominente Vertreter vor allem das Borbecker Brauhaus in Essen und die Dampfbierbrauerei Zwiesel.
Das stößt dem Reinheitsgebot sauer auf – Leipziger Gose
Dieses Sauerbier, das seinen Namen wohl einem kleinen Flusslauf in, richtig, Goslar verdankt, ist in Deutschland mit kaum einer anderen Biersorte außer vielleicht der Berliner Weisse zu vergleichen. Ansonsten findet es Verwandte in der belgischen Gueuze, und wie es auch in Belgien Tradition ist gibt es nicht reinheitsgebotskonforme Zusätze, in diesem Fall Koriander und Salz.
Klingt nach einer altbackenen, unsauberen Geschichte für alte Sachsen in schummrigen Eckkneipen? Mitnichten, denn nicht nur erfreut sich die Gosebrauerei im Bayerischen Bahnhof zu Leipzig steigender Beliebtheit, auch in Köln und Bonn beleben engagierte Brauer den Stil neu. AleMania „Gose Mania“ aus Bonn und die dunkle Apfelholzrauchgose (!) Son of a Batch von Monarchy of Musselland (Köln) stehen hier stellvertretend für einen Stil, der sein aromatisches Potential gerade erst anzapft.
Weißes aus Berlin und Schwarzes aus Bernau
Natürlich muss auch der „Champagner des Nordens“, wie ihn Napoleons Truppen betitelten, in dieser Aufzählung eine Rolle spielen, denn die nüchterne Wahrheit ist: In den Vereinigten Staaten wird deutlich mehr Berliner Weisse gebraut als in Berlin. Tatsächlich ist die einzige weithin erhältliche Weisse, die es noch gibt (die Kindl-Weisse aus dem Hause Radeberger) keine „echte“ Weisse, da sie nicht im traditionellen Mischgärverfahren mit obergärigen Bierhefen und Milchsäurebakterien sowie Flaschengärung mit Brettanomyces hergestellt wird. Der geschmackliche Unterschied ist letztlich der zwischen platter und feiner Säure, weswegen auch nur das Massenprodukt massiv die Zugabe von Sirup propagiert. Zählt man die Kindl-Weisse mit bleiben von 700 Weissebrauereien im 19. Jahrhundert gerade einmal vier: BrewBaker, Andreas Bogk und sein mit Crowd Funding gestütztes Bierprojekt und die Braumanufactur Potsdam, die entsprechend ihrer Lage natürlich eine Potsdamer Weisse herstellt.
Ein weiteres Opfer zu geringer Verkaufszahlen wurde das Bernauer Schwarzbier. Lange Zeit noch durch Berliner Bürgerbräu hergestellt, wurde die Produktion der Spezialität aus der idyllischen Stadt im Norden Berlins nach der Pleite Bürgerbräus und der Übernahme durch Schultheiss-Kindl eingestellt. Tragisch ist daran vor allem, dass eine Stadt, in der im Mittelalter in fast der Hälfte aller Hausstellen gebraut wurde, mittlerweile keine einzige Brauerei mehr besitzt. Inzwischen behelfen sich die Bernauer selbst, und lassen für das jährliche Stadtfest per Auftragsbräu Biere brauen, die an das Original erinnern, zuletzt mit dem erfolgreichen Bernauer Torwächter.
Tradition & Innovation gemeinsam – das geht!
Bei 1.200 Brauereien muss solch eine Liste natürlich unvollständig bleiben. Weder Berliner Braunbier noch die reiche Portertradition des Nordens noch die vielen Versuche, Grutbierrezepte aus der Vorzeit des Reinheitsgebots wiederzubeleben fanden bisher Erwähnung. Solang jedoch der ein oder andere die Regale seiner Kaufhalle, die Karte seines Restaurants nun mit anderen Augen sieht, nämlich als traurigen Spiegel einer so vielseitigen Bierkultur, wird der Ruf nach dem, was diese Kultur zu bieten hat, zunehmend lauter.
Die genannten Bierstile bieten nicht nur eine Alternative zum Einheitspils, sondern auch einen kreativen Spielplatz innerhalb und außerhalb des Reinheitsgebotes, auf dem findige Köpfe sich austoben können (und dies natürlich auch bereits tun).
Darüber hinaus findet sich in der Betrachtung dieser Stile vielleicht auch ein Ansatz, wie man dem Vorbild der amerikanischen Craft-Beer-Welle ein deutsches Gesicht geben kann. Zeit zu zeigen, was wir haben!

Credits

Foto: Biere via Shutterstock

Comments (1)

  • Dirk Hoplitschek

    Nicht im Artikel berücksichtigt wurde die Weiße der Gasthausbrauerei Meierei im Neuen Garten. Da die andere Potsdamer Weiße erwähnt wurde, so gehört auch diese mit in die Aufzählung.
    Milchsäurekulturen erhöhen übrigens die Haltbarkeit drastisch. Kennt man ja vom Sauerkraut.
    Es sind also fünf Weißen in Berlin und Potsdam, Tendenz steigend.

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