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Vito Nicotra ist Barchef des Truffle Pig in Berlin

Vito Nicotra hat Ambitionen und hält damit auch nicht hinter dem Berg

Vito Nicotra hat bereits einige Höhen und Tiefen hinter dem Tresen durchgemacht. Seit einigen Monaten ist der Kasseler in Berlin gelandet und lenkt als Bar-Manager die Geschicke des Truffle Pig. In der Neuköllner Bar hat er einiges vor – und das versteckt er auch nicht, wie sich MIXOLOGY Online überzeugt hat.

Es war ein wenig ruhig geworden um das Truffle Pig in Berlin-Neukölln. Damit ist jedoch seit einigen Monaten Schluss. Der neue Bar-Manager Vito „Valentino“ Nicotra hat die Bar sozusagen „wiedereröffnet“ und ihr neues Leben eingehaucht. Entspannt lehnt er in der Tür des Schwesternlokals „Kauz & Kiebitz“ in der Reuterstraße, in der einen Hand die Zigarette, in der anderen das Handy. Der Laden eröffnet erst in einigen Stunden, doch das hält Nicotra nicht von dem Gastgebersein ab. „Kaffee?“, fragt er auf dem Weg in die Bar.

Truffle Pig

Reuterstraße 47
12047 Berlin

Mi - Sa ab 20 Uhr

Erste Sporen in Kassel

Das Truffle Pig ist seine erste Station in Berlin, bei weitem jedoch nicht der erste Tresen. Die Sporen verdiente er sich in seiner Heimatstadt Kassel. Und das begann, wie so oft, ganz harmlos – als Aushilfsjob zur Abi-Zeit. „Eigentlich wollte ich nur meinen Führerschein finanzieren. Also habe ich angefangen, in einer dieser Tex-Mex Ketten mit bunten Cocktails zu jobben.“

Das Abi kam und ging, daneben ein Studium der Stadtplanung und dann eines im Maschinenbau. Doch nichts schien dem jungen Bartender das zu geben, was er in der Gastronomie gefunden hatte. Diese vibrierende Energie der Arbeit direkt am Gast, die schon so manchen jungen Menschen aus den staubigen Vorlesungssälen der Universitäten gerissen hat. „Damals dachte ich einfach, ich habe die Bar voll im Griff und weiß über alles Bescheid. Nur weil ich den schnellsten Long Island Iced Tea im Laden mixen konnte!“

Manhattan statt Maschinenbau

Die Erleuchtung, was Bar alles sein kann abseits von gigantomanischen Tequila-Zucker-Crushed-Ice-Bomben und literweise Sahne kam mit dem Almanach der Branche: American Bar von Charles Schuhmann. „Da habe ich erst mal richtig begriffen, was Bartender sein bedeutet. Was ein Bartender sein kann. Auch wenn Charles das zugegebenermaßen ziemlich romantisiert.“

Von da an ging er dazu über, sich auch abseits des Tagesgeschäfts mit der Materie vertraut zu machen. Inklusive dem Verschlingen sämtlicher Standardwerke und externer Kurse in der Barschule München. „In dieser Zeit war ich eigentlich nur noch auf dem Papier ein Student. Sowieso würde ich Maschinenbau niemand empfehlen, der nicht mit Mathe kann“, lacht der Quereinsteiger voller Selbsterkenntnis.

Parallel zu diesem Erkunden der Barwelt, fing Vito Nicotra an, sich auch auf Wettbewerben umzutun. Der erste war 2013 die „Academia del Ron“ von Havanna Club. Dort landete er drei Jahre in Folge im Finale. „Damals waren Wettbewerbe einfach die beste Art, sich mit der Szene zu vernetzen. In Kassel war ja bartechnisch noch gar nichts los. Und Social Media in seiner heutigen Funktion gab es auch nicht.“

Die wunderbare Welt der Weine

Das sollte sich 2015 ändern, als Nicotra angesprochen wurde, ob er nicht die Rolle des Barchefs bei der Eröffnung einer neuen Bar übernehmen wollte. „Das war für mich das erste Mal, dass ich im Tagesgeschäft wirklich mit hochwertigen Spirituosen arbeiten konnte. Das war für mich alles neu, Sours mit frischen Zitronen beispielsweise. Das mag jetzt total bescheuert klingen, aber so etwas gab es bei uns in Kassel einfach nicht.“

Das nach dem Kopfgeldjäger aus Tarantinos „Django“ benannte King Schulz mit seinem Shabby Chic-Design und dem Fokus auf gute Drinks war der ideale Ort, um die ersten eigenen Cocktails zu kreieren. Aber nach zwei Jahren war da wieder dieses Gefühl, alles gemacht zu haben, was die Situation hergab. Doch statt Kassel endgültig zu verlassen, kam ein Wechsel des Metiers. Von Sperrmüll-Möbel ging die Reise zu Fine Dining und damit in die Welt der Weine: Über den Kontakt eines Freundes landete Nicotra im Restaurant Voit. „Mein Job war eine Mischung aus Restaurantmanager und Sommelier. Auch wenn ich zu Letzterem nie die Ausbildung dazu gemacht habe. Aber damals habe ich angefangen, Weine zu verstehen.“

Eine Welt, die ihn zwar vorher nicht wirklich interessiert hatte, aber dann in ihren Bann zog. „Ich musste überhaupt erst mal lernen, was mir schmeckt, bevor ich an die Finessen gehen konnte. Was unterscheidet zum Beispiel einen Riesling aus Rheinhessen von einem von der Mosel? Das ist eine ganz eigene Wissenschaft, die ist eigentlich noch krasser als die der Spirituosen.“

Die erste Bauchlandung

Diese Welt war zwar ungleich komplexer, doch dafür eben auch weniger interaktiv: Dem ambitionierten Gastronom fehlte das Mixen. So ging es zurück hinter den Tresen, wieder eine Neueröffnung, dieses Mal im Zentrum der Stadt. Dort hatte er zwar den Shaker wieder in der Hand, es fehlten jedoch oft die Gäste und damit die geliebte Energie der Zusammenkunft. „Es gab Tage, da habe ich Prep gemacht, aufgemacht und dann irgendwann wieder zu. Ohne einen einzigen Gast gesehen zu haben.“

Es folgte ein weiteres Intermezzo im Voit, gleichzeitig jedoch schielte er auf den nächsten Schritt: einen eigenen Laden. Die Immobilie war schnell gefunden, eine kleine Weinbar im Ausgehviertel. Der Besitzer jedoch brauchte um so länger, um sich von dem Objekt zu trennen. Als er schließlich zusagte, ging die große Planung los.Vom durchkalkulierten Innenausbau über die Verträge mit der Industrie bis hin zum Logo war alles unter Dach und Fach, als der Besitzer die Bombe platzen ließ: Er wolle sich doch nicht von der Immobilie trennen. „Das hat sich komplett beschissen angefühlt“, sucht Nicotra keine Ausflüchte um seine damalige Gefühlswelt.

Vito Nicotra geht nach Berlin

Dieser Rückschlag war der endgültige Anstoß, sich von der nordhessischen Heimat zu lösen. „Am liebsten wäre ich nach München, um noch mal mit Charles hinter dem Tresen zu stehen.“ Im Schumann’s jedoch gab man man sich – es war eben Corona-Winter – eher verhalten, was neue Engagements anging. Dafür zahlte sich das Netzwerken vergangenener Tage aus. Denn 2017 hatte Nicotra Damien Guichard im Finale der Bacardi Legacy kennengelernt. Die beiden waren lose in Kontakt geblieben und so bekam er mit, dass Guichards Stelle im Truffle Pig frei wurde.

Was folgte waren ein erster Berliner Winter, bekanntlich grauer als im Rest Deutschlands, und ein gewisser Rückschritt im Lebenskomfort. Von eigener Wohnung und eigenem Auto zu einem acht Quadratmeter kleinen Zimmer in Neukölln. Doch dafür auch die Chance, die Karriere noch einmal kräftig zu „pushen“, wie Nicotra sagt.

Push It Real Good

Im Truffle Pig führt er gewissermaßen die Linie Guichards weiter. Das heißt weiterhin klarifzierte, komplexe, dabei eher leichte Drinks mit einem Minimum an Garnitur. Wobei er hier jedoch nach und nach der Fokus auf italienische Produkte verschiebt. Symbolisch zu nennen etwa der White Ferrari, ein fruchtiger Daiquiri-Twist mit leichter Mandel-Note. Letztere erhält der Drink durch den Amaretto Adriatico, für den der umtriebige Bartender mittlerweile als Brand Ambassador aktiv ist.

Zum anderen nutzt Nicotra Instagram, um sich mit der europäischen Szene zu vernetzen. So wird das Truffle Pig regelmäßig zur Heimat von verschiedenen Guestshifts, wie etwa Ellas Empowerment, einem Kollektiv, das die Rolle der Frau hinter dem Tresen stärken will. Auf die Frage angesprochen, wie er bei der Entwicklung neuer Drinks vorgeht, sagt der gebürtige Sizilianer, dass es meist mit einem Name beginne. Wie etwa dem Cinema Paradiso. „Ich habe mich gefragt, wie ein Besuch in einem sizilianischen Kino schmecken würde. Davon ausgehend habe ich begonnen, zu experimentieren.“

Das Ergebnis war ein Drink auf der Basis von Popcorn-Rum, Chinotto-Likör, Verjus, Fernet und Soda, garniert mit einem Stück dehydrierter Zitrusschale. Doch auch wenn das Mixen wieder Spaß macht, ist es für ihn vor allem vor der Öffnungszeit interessant. „Wenn wir geöffnet haben, bin ich gerne auch im Service, begrüße die Gäste, nehme ihnen die Jacken ab, erkläre ihnen die Drinks und überlasse das Mixen meinem Kollegen.“

Ein Anspruch an die Hospitality, den er sich seit dem Ausflug ins Fine Dining zum Standard erhoben hat. Oder wie er selbst sagt. „Die Gastgeberneurose. Mir geht es nur gut, wenn es allen anderen gut geht!“ Ein weiterer Vorteil dieser Aufgabenverteilung: Sie lässt Zeit für die zweite große Leidenschaft, die Musik. Noch so eine Faszination, die man in seinem Instagram-Kanal mitverfolgen kann, etwa wenn einzelne Lieder als Post auf den Bar-Abend einstimmen sollen.

Der Italo-Bartender Deutschlands

Auf die Zukunft angesprochen, ist Vito Nicotra sympathisch offen über die eigenen Ambitionen. „Ich möchte DER Italo-Bartender Deutschlands werden!“, sagt er mit leuchtenden Augen. Und das im eigenen Laden. Ob Berlin dafür der richtige Ort sei, müsse er die nächsten Jahre aber erst einmal ausloten.

Bis dahin gehen sicher noch einige Drinks über den marmornen Tresen, während aus den Boxen die Chef-Selection R’n’B läuft.

Credits

Foto: Vito Nicotra

Comments (2)

  • Vito Nicotra

    Danke liebes Mixology Team! 🙂
    kurze Anmerkung zu den Öffnungszeiten: Mi-Sa ab 20 Uhr 🙂
    LG Vito

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  • ADRIATICO

    The best ! ?

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