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Vokabular der Trunkenheit.

Man muss kein Barfly sein, um Alkohol in Bestform zu erleben. Die wichtigste Voraussetzung für ein positives Berauschtsein ist Gesellschaft.
Genussvolles Trinken ist dabei natürlich unabdinglich, denn wer zu schnell „hochschaltet“, verpasst allzu oft jenen leicht schummrigen Schwebezustand, jene entspannte Euphorie, die erfahrene Trinker anstreben. Um eben diesen Zustand soll es im Folgenden gehen, und darum, wie verschiedene Kulturen ihn bezeichnen und was diese Bezeichnungen über seine gesellschaftliche Rolle aussagen.
Warum in die Ferne schweifen…
In seiner bierreichen Weltreise zu Three Sheets To The Wind (2007) betrachte Pete Brown bereits einige dieser Aspekte, beging jedoch einen klassischen Bescheidenheitsfehler – die eigene, in diesem Fall die englische, Trinkkultur mit der härtesten Kritik zu strafen, während in anderen Ländern die positive Betrachtungsweise überwiegt.
Diese Einstellung lässt sich in Windeseile auf die eigenen Ansichten übertragen – und damit als klischeeschwangere Denkfalle entlarven: Wer genussvolles Trinken in Feierlaune sucht, würde hierzulande vielleicht auch nicht unbedingt in eine Eckkneipe gehen, die sich selbst mit Worten wie „gediegen“ oder „gutbürgerlich“ beschreibt und damit oft „bieder“ meint. Desillusionierten Spätvierzigern bei Feierabendbier und Hausflucht beizuwohnen klingt wenig verlockend. Diese Aufgabe fällt englischen Pubs aber durchaus zu, während sie bei uns den Anklang des Exotischen mitbringen. So werden „buying rounds“ und die Glocke zur letzten Runde plötzlich zu Unterhaltungsfaktoren, obwohl man Letztere in England längst als dem gemütlichen Trinken abträglich ausgemacht hat. Es ist auch viel leichter, im Zwang zum letzten Drink etwas Unterhaltsames zu sehen, wenn man hinterher noch woanders hingehen kann.
Viel Krach um nichts?
Deutsche Pubbesucher begeben sich hier auf die Suche nach etwas, dass sie meist nicht beim Namen nennen können und das in diesen Simulacren, den künstlichen Abbildern von irischen und englischen Pubs, auch nur selten zu finden ist: Die Iren nennen es the Craic.
Die Herkunft dieses urgälisch scheinenden Begriffes ist dabei näher an der Heimat, als es zunächst den Anschein hat: Craic [kræk] ist die gälische Version von crack, welches wiederum auf das mittelenglische crak zurückgeht. Es bedeutet soviel wie „lautes, prahlerisches Reden“, und gemeinsame Wurzeln mit dem deutschen „Krach“ liegen nahe.
Von dort hat es jedoch eine Wendung zum Positiven genommen. Heutzutage beschreibt es eine einzigartige Atmosphäre, eine Kombination von Gesprächen, Musik, Beschwingtheit und einem Gefühl der Zugehörigkeit, die zusammen die ultimative Puberfahrung bilden.
Probier’s mal mit gezelligheid!
Ohne dem Craic seine einzigartige Rolle als Ziel eines gelungenen Pubaufenthaltes absprechen zu wollen – andere Kulturen haben natürlich verwandte Konzepte. Die Engländer würden es vielleicht mit cosiness umschreiben, die Niederländer mit gezelligheid, die Norweger mit hyggelig, die Dänen mit hygge und die Deutschen mit Gemütlichkeit.
All diese Begriffe bezeichnen eine Stimmung, die ähnlich, aber nicht in allen Beiklängen identisch ist. Gemein ist ihnen, dass sie schwerlich allein herstellbar ist und dass ein Gefühl von Heimeligkeit und Entspannung transportiert werden soll – letztlich entscheidende Aspekte eines Abends, der nicht eskaliert und am nächsten Tag im Katzenjammer endet. Wo Mr. Brown vielleicht richtig liegt, ist dass diese Worte mit unterschiedlicher Frequenz in Zusammenhang mit dem Rausch Anwendung finden. So dürften Gemütlichkeit und Alkohol im Süden Deutschlands deutlich öfter gemeinsam ausgesprochen werden. Auch der Engländer kennt zwar den cozy pub, es ist aber nicht unbedingt der trendigste Ort to get lashed – und genau in solcher Wortwahl (etwa „gepeitscht werden“) findet sich eine zwanghafte Einstellung zum Trinken, die mit den zuvor genannten Konzepten nicht vereinbar ist.
Der Funke springt über
Was diesen Worten ein wenig abgeht, ist die Energie, die Euphorie, die mit angenehmer Trunkenheit einhergehen kann. In Spanien nennt man das la chispa (der Funke, das Glitzern). Was hier mehr Betonung findet als in den nördlichen Kulturen ist die Inspiration, die Teil des Rausches ist. Dabei geht es nicht um volltrunkene Dummheiten, die man am nächsten Tag bereut, sondern um die Befreiung der eigenen Persönlichkeit von Unsicherheiten, quasi das Polieren sonst von sozialen Beschränkungen überschatteter Qualitäten, um etwas mehr zu glänzen oder eben zu funkeln.
Eigentlich mit ähnlichem Potential gesegnet, ist das englische buzz leider nicht ganz so positiv belegt, dennoch kommen Schwirren und Summen dem Ideal schon deutlich näher.
Nicht außer Acht lassen kann man an dieser Stelle den guten, alten Schwips. An sich ein ähnlich amüsant klingendes Wort wie das englische tipsy, haben beide unsäglicherweise eine negative Verweiblichung erfahren. Oder wie oft haben Sie schon einen Mann gehört, der sich selbst als beschwipst bezeichnet? Mit tipsy ist das noch etwas verschärft. Dabei beschreiben diese Worte eigentlich sehr gut einen harmlosen und positiven Rauschzustand.
Der Franzose sagt an dieser Stelle être un peu pompette, man ist also quasi leicht gepumpt. Über den Umweg des lateinischen pompa findet sich hier auch der Ursprung des deutschen pompös, und so schließt sich der Kreis zum prahlerischen Gebaren, welches den crak verursachte. Ansonsten hat man im Land des Weines einen entsprechenden Allrounder, nämlich avoir le vin gai/mauvais/triste, der sich je nach Bedarf anpassen lässt. Eher abfällig hingegen ist être éméché(e). Was an sich nach Benebelung klingt, hängt auch mit la mèche zusammen (der Docht), was nicht ganz zufällig an das englische burning the candle at both ends gemahnt.
Eine Betrachtung von Worten zum Rausch ist zwangsläufig selektiv, denn eins ist allen Kulturen gemein – wenn es darum geht, den Trunkenheitszustand zu beschreiben, knistert la chispa elektrisiert umher und sorgt für ungeahnte Kreativität. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass die Art, wie wir über den Rausch reden seine Realität mit formt. Wenn die Sprache bereits vermittelt, dass der Weg und nicht das Delirium das Ziel ist, sorgt man damit auch für eine gesündere Trinkkultur.
In diesem Sinne – I’d like to catch my buzz. But ganz gemütlich.
 
Bildquelle: Diego Velázquez, 1629

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