Von Bartendern und Bratkartoffeln
Auch gerade wieder vom Bartender für die falsche Bestellung gerügt worden? Kommt ja kaum noch vor, jetzt, da alle vom Gastgeber-Sein sprechen. Blödsinn! Ein neuerlicher, bewusst biergetränkter Exkurs in die Untiefen von falschem Bartenderstolz.
Das alte Spiel, man trifft es immer wieder an. Die Situation: Da geht einer der zahllosen Bartender aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis mit mehreren Begleitpersonen in eine innerhalb der Szene, auch der internationalen Szene, extrem renommierte Bar irgendwo in Deutschland. Die Bar ist nur mäßig besucht, der Chef selbst ist nicht anwesend. Das Personal kennt den Bartender, von dem wir sprechen, nicht. Alle Freunde des besagten Bartendersgastes ordern: Bier.
Die Ballade vom bösen Bier…
Die Reaktion, die dann seitens des Barteams kommt, ist so klischeehaft, dass sie schmerzt. Was denn solch eine Bestellung in einer Bar solle. Könnt Ihr nicht was vernünftiges ordern? Man befinde sich schließlich in einem Tempel der Cocktailkultur. Okay, mag der Leser jetzt einwenden, das war sicherlich nur Spaß. Ein kleines bisschen Piesacken, weil die Jungs sozusagen in einem gehobenen Restaurant nach Bratkartoffeln verlangen. Doch weit gefehlt, von Humor oder Ironie ist keine Spur in den ernsten Gesichtern der Mixologen zu erkennen. Als der Bartender unter den Gästen dann „immerhin“ nach einem Cocktail verlangte, wurde in Richtung der flüssigen Bratkartoffelesser nachgelegt: Wenigstens einer, der sich zu benehmen wüsste.
Das Tragische an der Sache liegt dabei noch nicht einmal in dem Umstand, dass der bestellte Drink mies war – mit einer windigen Begründung des einen Bartenders wurde eine klassische Sour-Variation gerührt anstatt sie zu schütteln (wahrscheinlich hätte er in solch einer Lage aber ohnehin kaum schmecken können). Sondern in der fatalen Ignoranz eines Barteams, das sich besserwisserisch, fordernd, diktatorisch aufspielt. Und das in Zeiten, in denen innerhalb der Szene in den letzten Jahren die Abkehr vom Labormixologen und die damit verbundene Hinwendung zum Bewusstsein der Gastgeberschaft öffentlich immer mehr thematisiert werden. Denn der Bartender ist ein Gastgeber. Alles andere kommt danach. Das mehr oder minder unsachliche Angehen eines Gastes, weil er nicht aus der gewünschten Getränkekategorie wählt, ist ein Fluch, den die Bar an sich offenbar trotzdem niemals loswerden wird.
Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Bartender auf den Gästen
Viel krasser liest sich der geschilderte Vorfall allerdings vor dem Hintergrund, dass es noch nicht einmal der Inhaber der Bar war, der sich so verhalten hat, sondern seine Mitarbeiter. Denn die Bar, um die es geht, bietet Bier an. Steht auch in der Karte. Damit wäre eigentlich schon genug gesagt. Bier ist im Angebot, es ist das gute Recht eines jeden Gastes, davon zu bestellen. Dass es sich dabei auch noch um gutes, mit Bedacht ausgesuchtes Bier handelt, unterstreicht den Anspruch des Chefs, dass er sein Bier bewusst anbietet – nicht als Verlegenheitslösung für ignorante Verirrte.
Damit haben wir nicht nur überhebliches, arrogantes und unzuvorkommendes Personal, sondern sogar ein solches, das den Gästen gegenüber auch noch die Produktauswahl der Person, die ihnen ihren Job gibt, in Zweifel zieht. An sich eine unfassbare Konstellation, die in vielen anderen Berufen undenkbar wäre. Und selbst der einzige, hinter vorgehaltener Hand halbwegs einleuchtende Grund für das Gepöbel, der noch irgendwie nachvollziehbar sein könnte, war nicht der Fall: Denn die Bar war, wie eingangs erwähnt, weitgehend leer. Es war also nicht so, dass das Barteam den letzten freien Tisch an – zugegebenermaßen – umsatztechnisch enttäuschende Biertrinker „verloren” hätte.
Das Problem, es ist nicht im Jahr 2005 geblieben
Von einem Einzelfall zu sprechen, wie es manche Mahner jetzt tun werden, scheint vollkommen unangebracht. Nach vielen Jahren als Autor und später Redakteur bei MIXOLOGY genieße ich bei vielen Bartendern ein großes Vertrauen. Man spricht über derlei Erfahrungen immer wieder miteinander. Und beinahe jeder hat – natürlich immer nur dort, wo man sein Gesicht nicht kennt – eine solche Erfahrung in einer angeblichen Spitzenbar gemacht. Die Erfahrung, dass dem Gast das Gefühl gegeben wird, in einer wie auch immer gearteten Bringschuld zu sein. Doch das ist er nicht. Er muss sich benehmen und er muss am Ende bezahlen – aber sonst hat er zunächst mal keine Pflichten. Dieses Prinzip scheint aber immer noch eine erschreckend große Menge Rockstartender nicht begriffen zu haben.
Bei mir war es zuletzt vor einigen Monaten in einer vielfach prämierten Hotelbar soweit, wenn auch nur mit einem indirekten Hinweis: Ich saß an der Bar und trank ein Flaschenbier. Und zwar aus dem simplen Umstand heraus, dass man dort eines meiner liebsten Pilsener führt, das man besonders in der nördlichen Hälfte Deutschland kaum in Bars bekommt. Der US-Amerikaner auf dem Nachbarhocker bekam zu seinem auf Basis von Ketel One gemixten Screwdriver (der also sowohl umsatztechnisch als auch mixologisch ebenfalls keine wirklich hohen Weihen erreicht) sofort ein Schälchen mit Oliven (oder Nüssen, die Erinnerung ist in diesem Punkt ein wenig verblasst) serviert. Unaufgefordert. Ich nicht. Ich trank ja nur Bier. Die Probe aufs Exempel gab mir Recht: Kaum hatte ich nach dem Bier einen Gin & Tonic bestellt, bekam auch ich zu Essen.
Arroganz, Dogma und mangelnde Weitsicht
Was versprechen sich Bartender von einem solchen Verhalten? Gibt es noch immer vorgebliche Fachleute, die denken, sie würden sich, ihrer Bar oder ihrem Berufsstand eine wie auch immer gearteten Gefallen tun, wenn sie dem Gast vor allem ein Gefühl geben, nämlich: „Du bist hier nicht willkommen, weil Du nicht das trinkst, was ich mir vorstelle, dass Du es trinken solltest.“ Denn das Ergebnis kann nur negativ ausfallen. Ist es ein versierter Barfly, der möglicherweise nur zum Ankommen ein Bier ordert? Der wird nach einem solch matten Einstieg wohl kaum noch ernsthaft in die Karte schauen und verweilen mögen. Und ein unerfahrenerer Gast, der sich im Bereich Bar noch orientiert, wird seinen ersten guten Cocktail sicherlich überall trinken – auf keinen Fall aber an jenem Tresen, an dem er für seine erste Bestellung abgekanzelt wurde.
Fälle wie der obige zeigen, dass viele Bartender nach wie vor keinerlei Fingerspitzengefühl dafür haben, ihre Gäste zu lesen, zu fühlen, vielleicht auch im positiven Sinne zu führen. Bestellt einer „nur“ Bier? Für das eigene professionelle Wohlbefinden (und auch für das wirtschaftliche Gedeihen der Bar) kann ein passender Whiskey zum Bier empfohlen werden. Oder man verweist beim Servieren auf die gerade neu gestaltete Karte, möglicherweise mag der Gast ja hineinschauen.
Und bitte nicht verwechseln: Es ist das gute Recht einer Bar, nicht alles zu verkaufen. Wer kein Bier führt, muss die entsprechende Bestellung eben höflich abfedern und Alternativen anbieten. Wer sein Konzept darauf aufbaut, dass es in seiner Bar keinen Gin gibt, muss das dann eben auch kommunizieren. Es geht nicht darum, dass ein Gast einfach alles verlangen kann und darf. Aber ihm das, was man anbietet, madig zu reden, ist ein Fanal des Stumpfsinns, der vollkommenen inneren Verkanntheit, des falschen Berufsverständnisses. Von einem Bartender, der nicht einmal Bratkartoffeln richtig hinbekommt, weil er sich dafür zu schade ist, möchte ich im Leben keine Paté de Foie Gras.
Trifunovic dejan
Mixology ist selber schuld! Haben sie doch die “Superstars” selbst gross herausgebracht 🙂
Redaktion
Lieber Dejan,
entschuldige, aber diese Behauptung halte ich für grundlegend falsch. Die Tatsache, dass ein Magazin zur Vernetzung von Fachleuten beiträgt, hat nichts damit zu tun, dass jemand seinen Beruf missversteht.
Wenn ein Magazin einflussreiche Fachleute durch Berichterstattung hervorhebt oder gar – wie wir – durch Auszeichnungen würdigt, kann das nicht die Begründung dafür sein, einen integralen Bestandteil seines Jobs nicht zu beherzigen.
Der Fehler, die “Bringschuld”, von der ich im Text auch spreche, liegt hier bei jedem einzelnen Bartender, ob berühmt oder nicht: Er ist für jeden Gast verantwortlich, nicht nur für jene, die er persönlich kennt. Das, was wir “Startender” nennen, ist ein Phänomen innerhalb einer spezifischen Szene. Jeder reguläre Gast gibt aber darauf, deutlich gesprochen, einen Scheiß. Jeder Bartender, der denkt, dass er sich aufgrund eines Berichtes über ihn oder seine Bar nun daneben benehmen könne, hat seinen Beruf nicht verstanden. Daran trägt kein Magazin der Welt eine Schuld. Sondern der Bartender selbst. Mit Beachtung und Würdigung muss man umgehen können.
Beste Grüße // Nils Wrage