Das Wabi Sabi Shibui zelebriert die hohe Kunst der Entschleunigung
Nach gerade mal eineinhalb Jahren konnte das Wabi Sabi Shibui in München den erstmals verliehenen MIXOLOGY Bar Award als „Restaurant-Bar des Jahres“ an die Isar holen. Das schraubt natürlich die Ansprüche nach oben, zeigt aber vor allem: Leonie von Carnap und Klaus St. Rainer haben nichts von ihrem richtigem Riecher verloren – sei es bei der Entwicklung eines Kon-zepts, noch beim Händchen für das Personal.
Als Klaus St. Rainer letzten Winter, knapp neun Monate nach Eröffnung des Wabi Sabi Shibui, über die täglichen Schichten sprach, dann klang das für die bekannten, lakonischen, rainer’schen Verhältnisse beinahe frohlockend: „Das ist quasi meine allabendliche Yogastunde! Ich komme am Nachmittag hier rein, nach der Büroarbeit und dem Tagesservice in der ‚Goldenen‘ – und sofort bin ich entspannt.“
Leidenschaft für japanische Kulinarik
Der Weg dahin war nicht ganz so schlicht und einfach, wie dieser Satz klingt. Zwar war die Idee einer japanischen Küche mit Fokus auf Ramen, gepaart mit einem korrespondierenden Barkonzept, absolut einleuchtend. Ebenso faszinierend (und für Rainers Hang zum Minimalismus eigentlich nicht überraschende) war die Vision einer dazu korrespondierenden Bar, die von jeder Spirituosenkategorie exakt eine Marke führt. Sasha Petraske und sein legendäres Milk & Honey lassen grüßen.
Gleichzeitig war die Umsetzung dann doch komplexer und anspruchsvoller, als man es sich ausgemalt hatte. Sei es ganz am Anfang durch bauliche Gegebenheiten, die man elegant ins Raumkonzept implementiert hat, aber auch durch weitere Faktoren. Wer Klaus St. Rainers Liebe zur japanischen Kultur, zur dortigen Kulinarik kennt, ebenso seinen Hang zum Perfektionismus – der weiß, dass ein neuer Laden wie das Wabi Sabi nicht von Tag 1 fertig ist, sondern ein Prozess bleibt.
Die so typisch japanische Akribie wurde in vielen Fällen übernommen. An der finalen Rezeptur für die Ramen-Nudeln etwa ließen Rainer und von Carnap mehrere Monate lang tüfteln, bis das Ergebnis wirklich zufriedenstellend war. Eben diese Detailversessenheit ist jedoch nichts, womit die Gäste im Wabi Sabi Shibui gewissermaßen „behelligt“ werden sollen. Das alles geschieht nur hinter den Kulissen, während der Gastraum vor allem eines sein soll: Ein gastlicher, familiärer Ort, der mit gesundem Minimalismus zu Ruhe und Genuss einlädt. „Wir haben hier ja auch kein Telefon“, meint Rainer. „Das fällt mir manchmal immer noch auf: Ey, es klingelt einfach nie das Telefon. Das ist ein Geschenk.“
Neues Team, neues Glück: Alles richtig gemacht im Wabi Sabi
Richtig angekommen sind Rainer und von Carnap mit ihrem Wabi Sabi Shibui aber erst im März 2019, also knapp ein Jahr nach der Eröffnung: Nach einem auch personell durchwachsenen Start stießen mit Susan Ann MacKenzie und Alexander „Axa“ Hötzinger zwei langjährige Veteranen der Goldenen Bar zum Team des Wabi Sabi, um gemeinsam die Leitung der Bar zu übernehmen.
„Es ist ein gutes Gefühl, Susan und Axa wieder bei uns zu wissen“, erklärte Rainer seinerzeit und ergänzte: „Ich finde das vor allem deshalb gut und wichtig, weil es eine Beständigkeit zeigt, die man in der Branche in letzter Zeit immer weniger findet. Viele Bartender ziehen ständig weiter. Die beiden waren lange bei uns und wollten dann weiterziehen. Dass sie jetzt zurück kommen – das ist doch das beste Zeichen, das es gibt.“
Mit dieser „Wiedervereinigung“ zeigten von Carnap und Rainer letztlich auch, dass sie zu den ganz wenigen Gastronomen zählen, die nicht nur ein Händchen für griffige, schlüssige Konzepte haben, sondern ebenso das richtige Gespür für die passenden Menschen am passenden Ort.
Jeder Drink eine Brücke nach Japan – prämiert mit einem MIXOLOGY Bar Award
Noch vor MacKenzies und Hötzingers offiziellem Einstieg wurde eine neue Karte entwickelt, die pünktlich zum Start des Ko-Chef-Duos lanciert worden ist. Natürlich gespickt mit kleinen Verweisen auf die neuen Gesichter, aber dennoch im klaren Geiste der zentralen Prämisse des Wabi Sabi: „Jeder Drink schlägt die Brücke nach Japan: Ob etwa durch eine Zutat, eine Arbeitstechnik oder ähnliches. Es ist kein Dogma, sondern eher ein Prinzip, zu dem wir nach wie vor stehen.“
Die Belohnung der harten konzeptionellen und allabendlichen Arbeit kam nach vergleichsweise extrem kurzer Zeit: Anfang Oktober wurde das Wabi Sabi bei den MIXOLOGY Bar Awards 2020 nach gerade mal knapp eineinhalb Jahren Bestehen mit dem erstmals vergebenen Preis als „Restaurant-Bar des Jahres“ prämiert – eine beeindruckende Bestätigung der Arbeit aller Beteiligten inklusive Küchenchef Jacob Weis.
Wabi Sabi Shibui und das Knacken der Nadel
Da wundert es nur wenig, dass am Konzept in absehbarer Zukunft nur wenig verändert werden wird: „Es geht auch künftig z.B. um Foodpairings“, verrät Rainer. Die Drinks kommen nach wie vor von der durchdachten Mixstation, der die Elemente eines klassischen Sushi-Counters integriert. Die Herangehensweise, von jeder Spirituosenkategorie nur eine einzige Sorte zu führen, „ist unverändert und wird sogar noch knapper werden. Es sind nach wie vor elf Spirituosen aus elf Kategorien im Laden“, verspricht Rainer. Nur für einen kleinen Bereich gilt diese Einschränkung nicht: „Ausnahmen sind nur japanische Spirituosen sowie Vintage-Schnaps“, macht er Appetit auf einen derzeit z.B. vorrätigen Cream of Kentucky Bourbon aus der späten 1950er Jahren.
Und als Musikquelle steht – auch das ein Signal des Ausgleichs und der Entschleunigung in der Spotify-Ära – ein Plattenspieler. Wirklich nur einer. „Wenn dann gerade eine Seite zu Ende gespielt hat und ich gerade einen Drink mixe, dann gibt es eben mal eine Minute nur das Knacken der Nadel“, sagt Rainer. Aber das ist ja, wenn man zu Hause Gäste sitzen hat und familiär im Gespräch ist, ganz genauso. Und das Telefon kann diesen Moment dann auch nicht stören.
Credits
Foto: © Christoph Grothgar / Wabi Sabi Shibui