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Mit der Wagemut Kavalierbar wird die Bar des Grand Hotel Wien wiederbelebt

Von Kreuzberg an den Wiener Ring: Wie Nicolas Kröger mit seiner Wagemut Kavalierbar das Grand Hotel wiederbelebt

Im Dreiteiler nimmt der Bartender dem Gast den Mantel ab, der Apéro zum Ankommen wartet schon. Rum-Zampano Nicolas Kröger belebt die Bar des Grand Hotel mit Klasse. Vor dem Umzug in den ersten Stock am Wiener Ring musste er jedoch erst eine unternehmerische Talsohle durchschreiten. Im Gespräch mit MIXOLOGY Online erzählt er, was er daraus gelernt hat – und was er mit der neuen „Wagemut Kavalierbar“ in Wien vorhat.

Man könnte meinen, dass der Name „Kavalierbar“ für Nicolas Krögers neues Unternehmen in Wien erfunden wurde. Tatsächlich stand die Bar am ersten Stock des „Grand Hotel“ lange leer und sie trug ihren Namen aber schon seit dem Engagement des 32-Jährigen am Tresen.

Dass an diesem Begriff ein Hauch Nostalgie klebt, ist im Falle der Neuausrichtung jedenfalls kein Nachteil. Doch dazu später mehr. „Kavalier“ klingt halt besser als „nicer Dude“, und zu Ersterem kann man sich auch die Möblierung vorstellen, ohne in Wien gewesen zu sein. Sie verbindet einen zentralen, mit zwei Holzrahmen gestuften Tresen mit einer weitläufigen Sitzlandschaft, für die das Stil-Epitheton „Empire“ quasi erfunden wurde.

Gregor Eisele und Nicolas Kröger (v.l.n.r.) setzen auf intensive Betreuung der Gäste
Gregor Eisele und Nicolas Kröger (v.l.n.r.) setzen auf intensive Betreuung der Gäste
Der Fokus der Wagemut Kavalierbar liegt auf einer „kompromisslosen Spirituosen-Auswahl“
Der Fokus der Wagemut Kavalierbar liegt, so Kröger, auf einer „kompromisslosen Spirituosen-Auswahl“

Foursquare-Manhattan aus dem Fass

Im imperialen Ambiente eines Ringstraßenhotels erwartet der Gast das nach einem Langstreckenflug auch heute noch durchaus, das Auge bleibt aber an einem weiteren Detail des Interieurs hängen: Ein 200 Liter-Fass, direkt aus der Foursquare Distillery, dem Shangri-La des trockenen Rums, lehnt noch gemütlich neben der Bar.

Setzen Gregor Eisele, ebenso im dezent karierten Dreiteiler wie Kröger (den Chef erkennt man an der Taschenuhr), oder der Wagemut-Macher persönlich das Fass in Bewegung, wird daraus die Wiener Antwort auf den Martini-Trolley des Londoner The Connaught Hotel. Barbados-Rum in Fass-Stärke wird nicht einfach gezapft, sondern mit einer Venencia ins Rührglas gebracht, dazu gesellen sich Josef Farthofers Birnen-Dessertwein Mostello und ein zehn Jahre alter PX-Sherry. Der „Rum Cask-Manhattan“ (18 Euro) ist das Meisterwerk, dem auch das Drinks Menu zwei Seiten Erläuterung widmet.

Dem ewigen Geheimtip Armagnac wird viel Platz gewidmet
Dem ewigen Geheimtip Armagnac wird viel Platz gewidmet

Kavalierbar Wagemut

Wagemuts Metropolen-Wechsel

Aber halt! War Kröger nicht vor Kurzem noch ein Fixpunkt für Spirituosen-Nerds in Berlin-Kreuzberg? Stimmt, denn nach Stationen im Salut und Lebensstern goss die Bar Wagemut seine zuvor schon im Rum-Depot ausgelebte Leidenschaft für Zuckerrohrdestillate in den Rahmen einer Bar. Gut zwei Jahre lief das Geschäft, doch am Ende wurde alles zu viel. Spirituosenproduktion, allen voran die Wagemut-Rums, und Bar liefen über eine Firma. „Um die Ohren geflogen ist mir aber, dass ich im großen Stil Spirituosen für Rapper hergestellt habe. Ich war kein guter Unternehmer“, warnt Kröger selbstkritisch heute andere Kollegen, sich auch zu übernehmen.

Als mit der Pandemie sogar die Zahlungsunfähigkeit im Raum stand, folgt mit der Neustrukturierung – die Rumproduktion in Quickborn ist heute eine eigene GmbH – auch der Umzug nach Wien. Aus der privaten Fernbeziehung, die er jahrelang geführt hatte, wurde das Zusammenziehen am Hauptwohnsitz Wien. Es war eine Begegnung mit seinem alten Hotelfachschul-Kameraden Nicolas Schmidt – heute F&B Manager am Ring –, der das Hotel ohne Bartender mit dem Bartender ohne Bar zusammenbrachte. „Wagemut Wien“ war schnell am Start.

Spirits-Deep Dive für tiefe Taschen

Sollte ein Fan aus Berliner Zeiten in den ersten Stock am Ring kommen, wird er zwar nicht die 2.500 Flaschen aus der Sammlung Krögers vorfinden. Aber doch eine „kompromisslose Spirituosen-Auswahl“, so Nicolas Kröger. Highballs sind rar auf der Karte, lieber widmet man sich Clover Club, Whiskey Sour (je 16 Euro), und vor allem eben dem Manhattan. Dass auch mit einem 20 Jahre alten Armagnac gemixt werden kann, lernt der Gast so nebenher. Und wer wieder einen Aufreger beim nächsten Spieleabend in Hüttenpatschen braucht: Der 650 Euro-Manhattan mit Louis XIII. und weißem Portwein aus dem Jahrgang 1935 steht nicht zu Unrecht unter „Liquid History“.

Nach wie vor liebt Kröger diesen „deep dive“ in die Spirituosengeschichte. Zu seinem aktuellen Liebling aus Lissabon, den „Carcavelos“, müssen auch Kenner die Suchmaschine bemühen. Besonderes bieten ist in der Kavalierbar Wagemut Programm. Das bedeutet aber weder Elitismus, „noch arrogant zu sein“. Aber in Zeiten, in denen jedermann gelernt hat, seinen Negroni kalt zu rühren, müsse die Bar eben anderes bieten, „als was in jedem Supermarkt steht“. Umgekehrt bedeutet wenig Anstrengung auch kleinere Preise – das zeigt der für die Lage an der Ringstraße fast schon provokant günstige Kalkulation des Gin & Tonic: Um 12 Euro geht sich das auch nur durch die im Hintergrund stehende eigene Destillation aus. „Gin und Vodka produzieren wir selber, wer auf einem Brand Call besteht, bekommt ihn zu einem dann höheren Preis auch.“

Die Wagemut Kavalierbar befindet sich im ersten Stock des Grand Hotel Wien
Die Wagemut Kavalierbar befindet sich im ersten Stock des Grand Hotel Wien

Austro-Raritäten und alter Armagnac

Zelebriert wird im neuen Team auch die österreichische Obstbrand-Tradition. Nimmt Nicolas Kröger beim Gast nur das leiseste Interesse für gebrannte Exzellenz wahr, dann wird der Abend sicher länger. Denn destillierter Muskatkürbis (!) steht bei den Essenzen von Georg Hiebl ebenso wie die Frucht-Klassiker. Kirsche etwa setzt der Rum- und Whiskyfan (Macallan hat hier offiziell sein Wiener „spirituelles Heim“ eingerichtet) gerne ein. Zur anderen Seite des gläsernen Entrées reihen sich die Armagnacs mit einer Jahrgangstiefe auf, dass Frankophilen die Freudentränchen einschießen. Generell werden sich Freunde des seriösen Trinkens in der schirmchen- und espumafreien Zone instinktiv wohl fühlen.

Dass Kröger auch eine Ausbildung zum Butler absolviert hat, mag in Zeiten von Krönungsmessen für Charles III. ein nettes Detail für die Konversation sein. Doch auch so merkt man den Perfektionswillen an Kleinigkeiten. Etwa, dass es die erste Cocktailkarte einer neuen Bar seit Äonen ist, die keinen einzigen Tippfehler aufweist. Das mögen nur Rezensenten (jaja, die Bösen, die nichts von Eröffnungsstress wissen und ewige Deadlines haben) bemerken. Doch auch hier liebt man es schalkhaft. Das Wappentier des Grand Hotels, ein stolzer Löwe, badet hier leicht beschickert in einer Coupette. Auch der Hinweis zum Rob Roy (24 Euro) – natürlich mit Macallan – ist eine Trinkanleitung, die Kennertum atmet und wie die gesamte Karte Englisch spricht: „This drink will get better while getting warmer. So take your time!”

Konsumdruck macht die neue Wagemut keinen, diese Botschaft unterstreicht auch der kostenlos gereichte und alkoholfreie Drink zur Begrüßung. „Der Weg zu uns in den ersten Stock ist vielleicht ungewohnt, und da soll der Gast erst einmal verschnaufen und ankommen können“, gibt Kröger den Psychologen.

Der das Motto in seinem Cocktail Menu auch gelebt wissen will: besser genießen.

Credits

Foto: Alexander Müller

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