That touch of Pink: der Ward Eight Cocktail
Eine große Innovation ist der Ward Eight Cocktail aus heutiger Sicht wirklich nicht: Ein Whiskey Sour, ergänzt um den teils ohnehin vertrauten Orangensaft und eine Spur Grenadine. Wenn man ehrlich ist, war das selbst zur Zeit der ersten Erscheinung vom Ward Eight auch keine Innovation. Einen knalligen Drink ergibt es dennoch, und damit ist nicht die Farbe gemeint. Obwohl der Granatapfel in der Tat eine wichtige Rolle spielt.
Man muss auch mal die Kirche im Dorf lassen. So zum Beispiel, wenn es um den Ward Eight Cocktail geht. Warum? Weil es sich dabei schlicht um einen Drink handelt, den sich jeder Mensch mit grundlegender Bar-Erfahrung innerhalb von Minuten würde ausdenken können: Ein Whiskey Sour mit etwas Orange und Grenadine. Nichts, was dem Zeitgeist besonders entspräche, aber auch keine Scheußlichkeit im Stil vergangener Tage. Kann man drüber sprechen, muss man aber nicht.
Ward Eight
Zutaten
6-7 cl Rye Whiskey
2 cl frischer Zitronensaft
2,5 cl frischer Orangensaft
1 BL Granatapfelsirup (ersatzweise Grenadine)
1-2 Dashes Zuckersirup (optional)
Der Ward Eight – ein Original aus Boston?
Oder aber passender: Lassen wir die Kirche nicht im Dorf, sondern im Westen der US-Metropole Boston, wo der Ward Eight Cocktail offenbar erstmals über den Tresen ging und wo er seinen Namen erhalten haben soll: Im damals prestigegrächtigen Restaurant „Locke-Ober“ sei der Drink 1898 dem demokratischen Politiker Martin Lomasney serviert worden, der einen Wahlsieg feierte und dabei besonders im achten Bostoner Wahlbezirk (engl. Ward) viele Stimmen erhalten hatte – so die Geschichte.
Zumindest lautet so die Geschichte, die man meist vorfindet, wenn man nach den Ursprüngen des Ward Eight Cocktail sucht. Dabei ist es immer wieder erstaunlich, wie sich bestimmte Mythen entwickeln und halten. Denn verschriftlicht wurde der Cocktail erst wesentlich später. Seine erste Erwähnung findet er 1922 in Robert Vermeires damals recht weit verbreitetem Buch Cocktails: How to mix them auf Seite 48. Natürlich wäre es absolut denkbar, dass ein Drink erst ein Vierteljahrhundert nach seinem Auftreten in einem Buch auftaucht – insbesondere, da Lomasney trotz ca. 50 Jahren Aktivität in der Politik sowie einem Senatssitz in Massachusetts nur wenig Schriftliches hinterlassen hat.
Ein Drink für einen Abstinenzler ergibt keinen Sinn
Doch es spricht wirklich etwas gegen die gängige Story. So hat die renommierte US-amerikanische Fachjournalistin Liza Weisstuch für eine Artikelreihe in der Washington Post recherchiert, dass Lomasney im Jahr 1898 an überhaupt keiner Wahl teilgenommen hat. Eine Siegesfeier ohne Wahl erscheint eher weniger naheliegend. Zudem berichtete der Journalist Albert Van Nostrand im New England Quarterly von Dezember 1948 in einem umfangreichen Dossier über den inzwischen verstorbenen Martin Lomasney, dass dieser, passend zu einer generell asketischen Lebensweise, auch niemals Alkohol getrunken habe. Ein stark alkoholischer Cocktail für eine Abstinenzler, erfunden bei einer Wahlparty, die es höchstwahrscheinlich gar nicht gegeben hat? Das klingt in der Tat blödsinnig.
Geht es um die Verschriftlichung, müssen wir übrigens noch einmal zurückrudern: Denn zwar ist Vermeires Buch von 1922 das erste Cocktailbuch, das eine exakte Cocktailrezeptur mit dem Namen „Ward Eight“ präsentiert, aber es gab eine frühere Erwähnung an anderer Stelle: Wie das offizielle Bekanntmachungsblatt des US-Patentamts verzeichnet, ließ sich die Bostoner Firma „Santa Clara Company“ am Heiligabend 1914 die Wortmarke „Ward 8“ für ein alkoholisches Mischgetränk aus „Whisky, Grenadine-Syrup, Rock-Candy-Syrup, and Lime-Juice“ schützen, und zwar mit dem Verweis, die Marke schon seit dem Jahr 1912 zu verwenden. Wenn auch Martin Lomasney wohl eher eine untergeordnete Rolle in der Entstehung des Drinks spielt, lässt sich offenbar der Ursprung in der Ostküstengroßstadt nicht verhehlen.
Schauen wir lieber auf den Ward Eight Cocktail selbst
Das Schöne daran ist jedenfalls, dass wir uns einfach mit dem Ward Eight Cocktail selbst befassen können, ohne auf fiktives Storytelling Rücksicht nehmen zu müssen. Wie ganz am Beginn schon erwähnt, handelt es sich beim Ward Eight (oft auch Ward 8) beileibe um keinen abgefahrenen mixologischen Geniestreich. Wie bei so vielen Rezepten ist somit weniger die Frage wichtig, wann bestimmte Zutaten zum ersten Mal miteinander vermischt wurden, sondern der Funktionsweise des Cocktails.
Die in der Patenteintragung genannte Zusammensetzung unterscheidet sich auch deutlich von jenem Rezept, das Vermeire 1922 nennt. Die ältere Verzeichnung beinhaltet Limettensaft, aber keine Zitrone und erst recht keine Orange. Zudem wird darin zusätzlich zur Grenadine auch noch Rock-Candy-Syrup erwähnt, der – entgegen dem häufig kolportierten Irrtum – kein Kandiszuckersirup ist, sondern eine so stark übersättigte Zuckerlösung, die aufgrund ihrer Sättigung Kristalle ausbildet.
Mehr Punch als Sour
Robert Vermeire hingegen nennt eine Rezeptur, die aus heutiger Sicht an einen Sour denken lässt, von ihrer Gewichtung her aber eigentlich mehr in Richtung eines leichteren Punches geht: Auf ca. 3 cl Rye Whiskey sowie je 1,5 cl Zitronen- und Orangensaft (also 1/4 bzw. 1/8 des alten Flüssigmaß „Gill“) setzt er einen Teelöffel Grenadine an. Rechnet man das Schmelzwasser hinzu, das sich ergibt, wenn der Cocktail „well shaken“ ist, wie Vermeire schreibt, haben wir es ganz klar mit einem süffig-säuerlichen, fruchtigen Punch zu tun – nicht mit einem straighten, trockenen Whiskey Sour (eine komplette Abschrift des Buches findet sich z.B. hier, darin ist der Ward Eight auf S. 35 zu finden). Gleichzeitig gilt dies natürlich für viele Drinks, die wir heute als Sour verstehen, tendenziell wurden vor 100 oder 150 Jahren mildere Mixverhältnisse angewandt. Aus heutiger Sicht muss und soll der Ward Eight Cocktail ganz klar als kräftiger, eher trockener Sour verstanden werden.
Kommen wir daher eher noch zu der Eigenheit, die den Ward Eight letztlich definiert, nämlich die Erweiterung des Whiskey Sours mit Orange und Grenadine. Während man den klassischen Bourbon Sour durchaus immer wieder mal mit etwas Orangensaft antrifft (häufig als „California Sour“ bezeichnet), ist dies beim Rye Sour seltener der Fall. Dabei passt das eigentlich ziemlich gut, denn Roggenmaischen pflegen ein Aromenprofil hervorzubringen, das tendenziell zestigere, obstigere und frischere Noten mitbringt als im Falle von Bourbon.
Ein echt markanter Typ, dieser Ward Eight
Die Paarung von Rye mit ein wenig Orange ergibt somit ohnehin Sinn. Vor allem aber der Zusatz von Granatapfel mit seinen dunkelfruchtigen, würzigen Tönen wirkt Wunder (wie immer gilt: die Grenadine einfach selber machen, dann schmeckt sie auch nach Frucht). Probiert man den Ward Eight nämlich aus, zeigt sich, dass wir es zwar sehr wohl mit einem markanten, kräftigen Whiskey Sour zu tun haben, in dem aber dennoch die tolle fruchtige Spannung aus Orange und Granatapfel für eine ganz eigene Charakteristik sorgt. Bei sorgsamer Dosierung der Grenadine übrigens keinesfalls mit einem roten Drink, sondern einem, der nur zart irgendwo zwischen Orange und Lachs schimmert. Eben that touch of pink, der eigentlich immer Spaß macht. Ohne große Mythen, ohne Politik, ohne Patent. Also einfach mal die Kirche im Dorf lassen.
Credits
Foto: Sarah Swantje Fischer