Sherry im Doppelpack: Fino und Oloroso in der Blindverkostung des MIXOLOGY Taste Forums
Sherry gehört in die Bar! Dennoch bleibt er bis heute in der Breite der Barlandschaft eine Randerscheinung. Dabei bietet er so viele Dinge, die zu einer modernen, zeitgemäßen Cocktailkultur passen. Das gilt insbesondere für die trockenen Varianten. Was aber ist Fino Sherry und Oloroso Sherry? Das MIXOLOGY Taste Forum wirft einen Blick auf eine Auswahl der beiden Kategorien. Und kürt am Ende verdiente Gewinner.
Alles beginnt in Andalusien, der südlichsten Region Spaniens. Im frühen Mittelalter fanden die Mauren über Marokko und den Golf von Gibraltar den Weg in diesen Teil Spaniens und breiteten sich in Europa aus. Mit ihnen kam das Wissen über Destillation, also eine Voraussetzung für alle uns bekannten Spirituosen und natürlich auch fortifizierten Wein, der schon seit dem Mittelalter in der Jerez-Region hergestellt wird. Sherrys sind Weine, die teilweise mit Traubenbrand fortifiziert werden.
Durch den Angels‘ Share und den hohen Zuckergehalt der Trauben kommen einige auch ohne Alkohol-Zugabe auf bis zu über 20% Alkoholgehalt. (Seit Kurzem ist die Fortifizierung nicht mehr vorgeschrieben. Die wichtigsten Änderungen zu den neuen Sherry-Regularien finden sich hier). Sherry muss aber weiterhin im „Sherry-Dreieck“ reifen, das sich zwischen Jerez, Sanlúcar de Barrameda und El Puerto de Santamaria erstreckt. Die Region, in der die Weine dafür angebaut und vinifiziert werden dürfen, ist etwas weiter gefasst. Der beinah weiße, kalkhaltige Albariza-Boden der Gegend eignet sich hervorragend für Weinbau. Das Klima dagegen ist extrem: Im Sommer erreichen die Temperaturen über 40°C, dazu kommt der heiße, trockene Levante-Wind.
Der filigrane Flor
Traditionell gibt es fünf trockene Stile, die alle aus der säurearmen Palomino-Traube fermentiert werden: Manzanilla, Fino, Amontillado, Palo Cortado und Oloroso. Manzanilla und Fino werden mindestens zwei Jahre unter Flor gelagert, einer Hefeschicht, die sich wie ein weißgrauer Schaum auf den Wein im Fass legt. Dieser Prozess nennt sich biologische Reifung, durch sie oxidiert der Wein nicht und behält im Gegensatz zu anderen Sherry-Stilen eine helle Farbe. Flor ist eine aerobische Hefekultur, die sich auf natürliche Weise in bestimmten Fässern bildet. Er ist filigran und kann leicht absterben.
Flor ist eine Besonderheit Andalusiens, er kommt sonst wild nur im Jura und (angeblich) im Kaukasus vor. Er ist so empfindlich für Temperatur und Luftfeuchtigkeit, dass er selbst in ein und derselben Bodega an der Meeresseite dicker wachsen kann als zur Landseite hin. In manchen klimatisch ungeeigneten Bodegas gedeiht er gar nicht. Flor ernährt sich von im Wein vorkommendem Glycerin, Restzucker und volatilen Säuern. Dabei erschafft er die einzigartige, straffe Textur dieser Sherrys, erhöht den Ester- sowie Aldehydgehalt und macht Fino und Manzanilla zu den trockensten Weinen der Welt.
Was ist Fino Sherry, Manzanilla, Oloroso & Co.
Manzanilla dürfen sich ausschließlich Weine nennen, die in der Hafenstadt Sanlúcar de Barrameda ausgebaut werden. Dort herrscht ein einzigartiges, kühleres Mikroklima, das eine andere, dickere Florschicht als irgendwo sonst im geschützten Herkunftsgebiet hervorbringt. Vor allem hier findet sich die Flor-Kultur Saccharomyces rouxii. Manzanillas sind meist frischer und leichter mit schmeckbarem maritimem Einfluss, Finos sind häufig intensiver und herzhafter, ihre dünnere Florschicht lässt etwas mehr Sauerstoff durch und macht sie nussiger. Insgesamt ist der Unterschied jedoch fließend. So stellen Manzanilla-Hersteller aus Sanlúcar teils auch Finos her, die ähnlich maritim schmecken.
Olorosos hingegen sind trockene Sherrys, die komplett ohne Flor-Schicht reifen und mit der Luft interagieren, also eine oxidative Reifung durchlaufen. Olorosos sind konzentriert und körperreich, gegensätzlich zu Fino und Manzanilla haben sie hohe Glycerin-Werte was ihnen nahezu einen Eindruck von Süße verleiht. Amontillado und Palo Cortado reifen sowohl biologisch als auch oxidativ. Geschmacklich liegen sie üblicherweise irgendwo zwischen Fino und Oloroso. Abgesehen davon produziert die Region Süßweine wie Moscatel und Pedro Ximénes, den wohl süßesten Wein der Welt. Daneben werden vor allem für Exportmärkte meist liebliche Blends, z.B. Cream Sherry, produziert.
Ein Naturprodukt. Nur echt aus Andalusien
Der ursprüngliche Herstellungsprozess ist sehr naturnah. Fermentiert wird traditionell mit wilden Weinhefen in jenen getoasteten American-Oak-Fässern, in denen der Sherry auch gelagert wird. Heute sind viele Hersteller dazu übergegangen, moderne Metall-Fermentationsbehälter und Reinzuchthefen zu benutzen. Aber die alten Herstellungsweisen existieren parallel dazu weiter. Der fertige Wein wird in Fässer gefüllt und nach einigen Monaten klassifiziert, dann wird sichtbar, welche Fässer sich für welchen Sherry-Stil eignen. Das bedeutet nicht, dass aus einem als Fino klassifizierten Wein auch immer Fino wird: Flor ist launisch und bildet sich in manchen Fässern zu schwach oder gar nicht aus. Die Fässer werden regelmäßig inspiziert. Jedes Fass entwickelt sich anders, aus ein und derselben Charge kann eine Vielzahl verschieden schmeckender Sherrys entstehen.
Alle Sherrys (außer die seltenen Jahres-Abfüllungen) gehen danach durch das Solera-System, also Reihen von übereinanderliegenden Fässern, die nie ganz geleert, sondern abwärts von einer Reihe zur nächsten mit entsprechendem Sherry aufgefüllt werden. Bei Finos und Manzanillas wird so die Flor-Schicht, die sonst nach einigen Jahren absterben würde, mit neuem Wein »gefüttert« und kann dadurch sehr lang weiterleben. Bei anderen Sherry-Stilen wird durch das Blenden in Solera-Fässern die Kontinuität des Produkts gewahrt. Ein kleiner Teil des Sherrys in jedem Solera-Fass ist so alt wie das jeweilige Solera-System der Bodega. Deswegen hat Sherry meist keine Altersangabe, es kann nur ein durchschnittliches Alter des Weins errechnet werden.
Nie gab es so guten Sherry wie heute
Die Verkaufszahlen von Sherry sinken, dabei ist Sherry so gut wie noch nie. Forschung und ein wachsendes Interesse eröffnen den Herstellern neue Möglichkeiten. Dadurch, dass viele Bestände unverkauft blieben, schlummern große Mengen sehr alter Sherrys in hervorragender Qualität in den Bodegas. Viele Hersteller bringen Premium-Sherrys raus, auch Abfüllungen mit Age Statement sind keine Seltenheit mehr. Die Anzahl von Boutique-Marken nimmt zu, ein Wechsel der Regulierungen führte dazu, dass man für eine Handelslizenz statt 12.500 Hektolitern nur noch 500 Hektoliter Sherry halten muss. Das eröffnete vielen kleinen Almacenistas den Weg zum eigenen Label und aus der Abhängigkeit von großen Produzenten. Denn ähnlich wie in der Champagne ist auch in Jerez ein System aus großen Handelshäusern und von ihnen abhängigen, kleinen Weinbauern etabliert, das langsam aufweicht. Man kann nur betonen, dass man selten so viel Qualität und lang gereifte Weine für so wenig Geld bekommt wie bei Sherry heute.
Sherry ist ein Thema, mit dem sich viele unserer Verkoster:innen intensiv auseinandersetzen. Gerade die trockenen Stile ermöglichen feine Balance ohne große Mengen von Säure und Zucker. Auch als Modifier eignet sich Sherry hervorragend. Abgesehen davon passt Sherry hervorragend in Low-ABV-Drinks, ein wichtiges Thema in vielen modernen Bars und ist Bestandteil von unterschätzten Klassikern wie Adonis oder Bamboo Cocktail. Zur doppelten Blindverkostung trafen sich Ruben Neideck (Velvet), Florian Drucks-Jacobsen (Kink), Thomas Domenig (Jack Rabbit), Alice Muraviova (damals Green Door), Joseph Lewis-White (Wax On) und Felix Fuchs (Tulus Lotrek).
Weiterführende Literatur:
Julian Jeffs: »Sherry«
Ben Howkins: »Sherry, Maligned, Misunderstood, Magnificent!«
Talia Baiocchi: »A Modern Guide to Sherry«
Credits
Foto: Editienne