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Was macht eigentlich … Jean-Pierre Ebert?

Jean-Pierre Ebert und seine rivabar waren zehn Jahre lang eine feste Größe in Berlin. Im Jahr 2017 hat er die markante Bar unter den S-Bahn-Bögen am Hackeschen Markt aufgegeben und die Stadt verlassen. Was aber macht der gelernte Ingenieur, der immer auch durch seine provokante Art auffiel, heute? Wir haben nachgeforscht und ihn in Thüringen aufgespürt.

Als Jean-Pierre Ebert die Barszene betrat, geschah das zunächst eher heimlich, still und leise. Kein großer Aufschlag einer bekannten Bartendergröße mit Getöse, mit dem neuen Konzept in der angesagten neuen Location.

Er übernahm eher einen Reparaturbetrieb, einen Sanierungsfall. Die „rivabar“ unter den S-Bahnbögen am Hackeschen Markt galt einmal was im Berliner Baruniversum. Sie war eine ganze Weile im gehobenen Bereich der Barkultur angesiedelt und ein Publikumsmagnet. Zumal zu ihrer besten Zeit auch die Gegend zwischen den Hackeschen Höfen über die Neue Schönhauser Straße bis zur Torstraße in Berlin-Mitte als die wohl angesagteste der Stadt galt. Tagsüber flanierten hier die Hipster aus Tokio, New York, Tel Aviv und überhaupt allen Herrgottswinkeln des globalen Dorfes. Abends hing man in den angesagten Restaurants herum, nachts ging’s in die innovativen Bars oder in die halblegalen Clubs.

Dann folgte, was immer – zumindest sehr oft – als der Tribut an den Hype zu bezeichnen ist: Bars, Clubs und Restaurants wurden verdrängt von Klamotten- und Schuhketten, belanglosen Bespaßungshöllen. Die Neue Schönhauser hieß nur noch Neue Schuhhauser, der Hackesche Markt, verkommen zum 24/7-Albtraum des Rollkoffer-Prekariats. Die Jeunesse-Dorée war weitergezogen und kannibalisierte fortan Kreuzkölln.

Sich den Zeitläuften entgegenstellen

Auch die rivabar, immerhin noch am Platz, machte eher als verlebter Rauschtunnel von sich reden, begleitet vom Gerumpel und Gedröhne der S-Bahnen über den Köpfen, als adäquates Hinter-grundrauschen der eigenen schwindenden Sinne. Kein guter Ort mehr in jeder Hinsicht. Da witterte Ebert die Chance und Herausforderung, sich den Zeitläuften entgegenzustellen.

Als gebürtiger Karl-Marx-Städter und promovierter Ingenieur, der in den USA geforscht hat, kennt man wohl keine Furcht. Die Leidenschaft für genussvolles Trinken suchte sich in Person von Ebert ein Labor für gustatorische Qualitätsforschung. Die rivabar mauserte sich in kürzester Zeit wieder zu einem gut besuchten Ort, der für Drinks mit Niveau stand. Ebert entdeckte den „Sloupisti“ für die Bar, jenen ganz besonderen Whisky der Spreewaldbrennerei, die man in der Bar-Community heute unter der Ägide von Bastian Heuser, Steffen Lohr und Sebastian Brack als Spreewood Distillers kennt.

Man achtete darauf, dass die Rollkoffer vorbeizogen, DJs sorgten für die Klangfarbe und die Gästemischung war ebenfalls eine romantische Erinnerung an das Berlin-Mitte von früher. Ebert, der Quereinsteiger und Extremsanierer, baute ein versiertes Personal auf und hörte in vielem auf dessen Rat. „Das war eine spannende Zeit. Ich wollte raus aus meinem Beruf, die Nacht hat mich fasziniert und die Gelegenheit war günstig. Ich bekam einen Fünfjahresvertrag mit zwei weiteren Fünfjahresoptionen und habe einfach losgelegt. Ich plane nie besonders, sondern hänge mich zu hundert Prozent rein.“

rivabar Berlin
Die rivabar in all ihrer frühen Pracht

Eberts böser Bruder

Damit begann auch die Social-Media-Existenz des Jean-Pierre Ebert. Im starken Kontrast zum eher ruhigen, beinahe sanftmütigen Charakter des Menschen Ebert, baute er eine Art Evil-Avatar auf. Da wurde heftig in Debatten hineingegrätscht, manche Threads hatten epische Längen, kein Streit mit Bargroßkopferten wurde ausgelassen, viele Barweisheiten in Frage gestellt, auf MIXOLOGY Online wurde er gesperrt und wieder entsperrt. Heute sagt er dazu: „Es ist die Reibung, die mich antreibt, der Energiefluss, den ich dadurch aufbaue. Und ganz ehrlich: Es hat mich nicht nur inspiriert, sondern auch zu meiner Bekanntheit und der Markenbildung der Bar beigetragen.“

Das Widerständige, das Unkonventionelle sollte es sein. Dass dabei mache Formulierung in der Hitze der Nacht gefallen ist und vielleicht überflüssig war, gibt er rückblickend zu. „Am Anfang standen wir vor vielen Problemen. Aber wir haben sie gelöst und es war eine wilde, aber tolle Zeit.“ Aber mit den Jahren musste sich auch Ebert einem ehernen Gesetz beugen: „Wenn du in einem Marktumfeld agierst, wo nicht mehrere Läden in Richtung Qualität zielen, sondern eher auf Masse, kannst du den Standard nicht durchhalten. Wir haben das gespürt, es musste eine Veränderung her.“

Aus, vorbei, keine Kompromisse und kein Plan

Die Gelegenheit dazu kam, als zehn Jahre vorbei waren und ein neuer Mietvertrag ausgehandelt werden musste. „Ich war durchaus bereit, die Option auf fünf weitere Jahre zu ziehen. Aber zu besseren Konditionen, und auch wir wollten uns konzeptionell verändern. Ich wusste aber auch, das würden dann meine letzten fünf Jahre als Barbetreiber sein. Es musste einfach alles stimmen.“ Es stimmte aber nichts. Die Verhandlungen mit dem Vermieter Deutsche Bahn liefen schlecht. Trotz stetig ungünstigerem Marktumfeld sollte die Miete steigen, „dann habe ich mich relativ schnell entschieden, dass zehn gute Jahre besser sind, als sich vielleicht nur noch für weniger Geld zu quälen“.

Er hatte auch da keine Lust auf Kompromisse, die sich nicht gut anfühlen. „Ich hätte die Bar mehr auf Masse trimmen müssen, auf ein sich wandelndes Publikum, das auch anders trinkt. Das ist alles völlig legitim, ob ich dabei aber Freude gehabt hätte, habe ich mich gefragt.“ Also aus und vorbei. Ein halbes Jahr baute er die Bar aus, verkaufte die Spirituosen und Maschinen. „Ein halbes Jahr war ich mit der Abwicklung beschäftigt. Dann hatte ich wieder keinen Plan und bin aufs Land gezogen, zu meiner Familie an den Rennsteig in Thüringen.“

Der Raketenforscher und seine Autos

Die Gegend ist landschaftlich ein Kleinod: Skigebiet, Wandern, Wälder, Hügel und Schieferorgien an jedem Haus. Weltberühmte Glasbläserkunst. In Eberts Landkreis ist die Arbeitslosigkeit gering, die Leute kommen sogar aus Bayern, um hier Jobs zu finden. Aber weder auf Raketenwissenschaft-ler noch auf ambitionierte Barbetreiber hat man hier gewartet. „Ich habe mich dann erstmal um Haus, Hof und Garten gekümmert oder meiner Frau assistiert, die Tierärztin ist. Außerdem hatte ich endlich wieder Zeit für mein Hobby – dem Herumschrauben an Autos.“

Ob er denn so schnell alles hinter sich lassen konnte und Berlin nicht vermissen würde? „Das ging erstaunlich schnell. Obwohl ich die Phase und Berlin immer sehr genossen und positive Erinnerungen habe, interessiert mich das gar nicht mehr. Ich habe noch ein paar Freunde aus Barzeiten, die besuche ich, wenn mir danach ist.“ Er gehe dann gerne in die Victoria Bar oder ins Buck & Breck, „einfach dahin, wo ich die Menschen mag, und da ich nie ein Wirkungstrinker war, dahin, wo gutes Handwerk vorherrscht und ich vor Show verschont bleibe“. Zu Hause mixt er sich aus ein paar Raritäten, die er noch übrig habt, ein paar Cocktails – meist für Gäste.

Immer noch der Mann für schwierige Fälle

Aus seiner Leidenschaft für Problemlösungen, dem Tüfteln und Basteln an Autos hat sich inzwischen eine formidable Profession entwickelt. Über Foren, Mundpropaganda und Bekannte gilt er inzwischen als der Mann für schwierige Fälle. „Es fragen mich sogar Leute um Rat, die keine Hilfe bei ihren Fachwerkstätten gefunden haben. Das sind ja oft nur Teileweitwerfer. Manche reisen sogar aus Berlin, dem ganzen Bundesgebiet, Österreich und der Schweiz an, um sich meine Exper-tise zu holen.“ Er habe sich spezialisiert auf die ältere E-Klasse von Mercedes, die im ländlichen Raum noch viel gefahren werde. „Ich habe ein Faible für großvolumige Motoren. Insbesondere bei den W211er-Modellen kenne ich jede Schraube.“

Allerdings gibt es da doch noch zwei Dinge aus seiner Ära als Barmensch. „Wenn ich in Berlin bin, schaue ich manchmal bei der rivabar vorbei. Nach Jahren stehen die Räume noch immer leer. Ich denke, ich habe damals eine richtige Entscheidung getroffen.“ Außerdem ist da noch das Surfen und der Champagner. Einmal im Jahr geht es an die französische Mittelmeerküste ins Hochwindgebiet, „wo der Tramontane, ein Nordwind, einen fast vom Brett bläst, und hau mich in die Wellen. Auf dem Rückweg fahre ich in die Champagne. Eine tolle Landschaft, ich besuche dort einige Winzer und kaufe Champagner ein. Die Liebe zu diesem einzigartigen Produkt ist geblieben.“

Planlos wie immer, ist aus dem Extremsanierer ein Extremschrauber an den Hängen Thüringens geworden. Mit einer Affinität zu besonderen Hanglagen.

Credits

Foto: Jean-Pierre Ebert; Bearbeitung: Editienne

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