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Was macht eigentlich…?

Sie mischten in ihren jeweiligen Einflusszonen die Szene auf, produzierten Ideen und prägten die Entwicklung der Barkultur: Christina Schneider, Jakob Etzold, Thorsten Pannek oder Jack Lauterback.  Bartender von hohen Gnaden und starke Persönlichkeiten. Warum das in der Vergangenheitsform geschrieben ist? Eine berechtigte Frage, denn hier soll kein Nachruf verfasst werden. Aber es gilt ein Porträt zu zeichnen von renommierten Bartendern, die inzwischen nicht mehr so sehr im Rampenlicht stehen, aber nichts von ihrer Bedeutung verloren haben. 

Es geht um Mixologen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen inzwischen unter dem medialen Radar wirken und hierfür sehr interessante Motive haben. Fragt man sie danach, ergibt sich ein Spiegelbild der Branche an sich. Es geht um die Rolle der Industrie, Verletzlichkeit und Respekt, um räumliche Distanz, Blogs und Medien, das Älterwerden. Oder um Bartender, die die Branche gewechselt haben. Aber es geht vor allem um Menschen, die ihren Beruf lieben, die ihre Prioritäten verschoben haben, aber immer Vollblutbartender bleiben.

Einmal Bartender, immer Bartender

Beginnen wir mit dem Branchenwechsel. Der bekannte amerikanische Bartender und Autor Jack Lauterback hat gerne viel Staub aufgewirbelt. Er ist bekannt für seine schonungslosen und sehr subjektiven Berichte. Viele werden sich noch an die Debatte erinnern, die er mit seinem Kokain-Artikel vor einigen Jahren im MIXOLOGY MAGAZIN ausgelöst hat. Inzwischen arbeitet Lauterback in seiner Heimatstadt Richmond, Virginia, für das Radio. „Ich habe meine Bartender-Connections und meine Popularität als Blogger genutzt, um eine Morgensendung beim Radio zu ergattern. Außerdem schreibe ich noch eine Kolumne für eine lokale Zeitung. Zunächst ging es nur um Drinks, inzwischen behandelt sie auch allgemeine Themen“, sagt Lauterback.

Er sei sehr froh über diese Entwicklung, ist aber immer noch begeisterter Barbesucher. Es freut ihn, dass die Craft-Cocktail-Szene mittlerweile auch beim breiten Publikum ankommt und nicht mehr den Nerds vorbehalten bleibt. Da er aber kein aktiver Bartender ist, habe er sich aus den harten Kontroversen zurückgezogen. Aber er betont auch, dass er immer Bartender bleibe, es Teil seiner Unabhängigkeit ist. „Wenn ich gefeuert werde, gehe ich wieder an die Bar. Das ist eine Fähigkeit, die ich nie verlieren werde.

Vom Shaker zur Stulle

Innerhalb der gastronomischen Branche hat Thorsten Pannek eine neue Leidenschaft entwickelt. Ein Mann, der früher in jeder Debattenschlacht zu finden war, der in Institutionen wie dem Kölner Shepheards, der Green Door oder Windhorst Bar in Berlin gearbeitet hat, macht jetzt Berliner Sandwiches. Er erkannte irgendwann sein Interesse für das Essen, traf eine wichtige Entscheidung und eröffnete 2014 „Pannek seine Budike“. Hier frönt er seiner Liebe zu regionalen Produkten, es müssen ja nicht immer Spirituosen sein. Und die Debatten? „Nein das stimmt schon, ich habe mich etwas zurückgezogen. Hat aber auch Gründe. Zum einen liegt das bestimmt auch an meinem fortschreitenden Alter, man bekommt eine gewisse Altersmilde. Dazu kommt noch, dass es auch nicht mehr so viele Barblogs gibt, die dann Debatten aufwerfen.“

Pannek erkennt mit Genugtuung, dass immer mehr Bars klassische Spirituosen mit regionalen Produkten mischen. Die Zukunft sieht er in der Verbindung zwischen gutem Essen und exzellenten Drinks. Hat er in dieser Hinsicht Pläne? „Ja, die gibt es! Die Eröffnung eines Imbiss/Restaurant-Konzeptes für Pannek seine Budike, wo dann auch Berliner und Brandenburger Spirituosen, Getränke und Biere eine wichtige Rolle spielen werden.“

Genitalien, Korruption und Glück

Ebenfalls nie ein Blatt vor den Mund genommen hat Christina Schneider. Seit bald drei Jahren ist ihre Stimme etwas abhanden gekommen. Nach zwei Jahren im Pariser „Glass“ – die sie als die lehrreichsten und besten ihrer Karriere bezeichnet – lebt und arbeitet sie nun in London. Aber wenn man sie fragt, dann kracht es. Sie ist seit einem Jahr Headbartender im Happiness Forgets und sagt über London: „Einen größeren Kontrast kann man sich kaum vorstellen. Von der Late Night Partybar inklusive Koks, Nutten, Laybacks, Kotze und nackter Genitalien, wo die Mehrheit der Gäste Mojito und Ginto (französisch für Gin & Tonic) für die Spitze der Barkultur hält, in das „Seated service only“-Speakeasy, die um 23 Uhr zumacht und in der sich Tag täglich die Cocktailnerds aus aller Welt die Klinke in die Hand geben, um dich mit irgendwelchen obskuren Klassikern auf die Probe zu stellen.“ Aber sie lerne täglich dazu und findet es großartig.

Aus der Debatte habe sie sich zurückgezogen, weil es keine Debatte mehr gebe, meint Schneider: „Kritische Stimmen, ehrliche Meinungen, Diskussionen – das scheint irgendwie nicht mehr ‚in‘ zu sein. Blogs verschwinden in der Versenkung, Medien werden immer stromlinienförmiger, die Spirituosenindustrie dominiert die Netzwerke wie nie zuvor.“ Also nimmt man daran weniger teil und macht sein Ding.

Beim Blick auf die Branche lobt sie das Fachwissen, vor allem das der deutschen Bartender. Wünscht sich aber, dass diese von ihren starren Haltungen stärker abweichen, um langfristig in der Weltspitze bestehen zu können. Global gesehen holt sie zum großen Schlag aus und hofft, „dass die Barszene einen Weg aus der immer schlimmer werdenden Korruption findet. Heute ist es ja schon so weit, dass Brands Bartender direkt kontaktieren mit Angeboten wie: wenn du mein Produkt für deinen nächsten Drink nimmst, lade ich dich ein nach Spanien/Italien/Mexiko.” Schneider sieht das beinahe schon im strafrechtlichen Bereich und erhofft sich ein Ende dieser Praxis. Trotz der harschen Kritik, will sie aber der Gastronomie treu bleiben und philosohiert: „Gastronomie ist nicht was ich tue, es ist was ich bin. Sicherlich werde ich mir irgendwann andere Wege suchen müssen, um Teil dieser irren, bunten, lauten, exzessiven und passionierten Welt sein zu dürfen. Denn irgendwann will Dich einfach keiner mehr hinterm Tresen sehen.“

Vom Cowboy-Saloon nach Down Under

Neue Herausforderungen und geografische Veränderung hat auch Jakob Etzold gesucht. Nach Stationen über das Stagger Lee, die Bar Americano und das Fine Dining hat er sein Glück in der klassischen Bar The Everleigh im fernen Melbourne gefunden: „Diese Bar wurde vor 4 Jahren von Sasha Petraske und Michael Madrusen geöffnet und ist seitdem das Zentrum der australischen Bar-Bewegung.“ Außer seiner Familie und Freunden vermisst er nur die Currywurst.

Außerdem fehlen auch Etzold reizvolle Debatten in der Branche, gibt aber ebenso zu, dass durch die große räumliche Distanz eine gewisse Entfremdung entstanden ist. Auf die Frage nach dem Quo Vadis der Bar sieht er vor allem eine „große Entwicklungen im asiatischen Raum und eine noch enger zusammenwachsende internationale Gemeinschaft.” Für die Bar selbst glaubt er an „Themen-Bars, Dive Bars, Speakeasies, Hotelbars… das alles geht weiterhin gut, solange das Konzept gut umgesetzt wird.” Etzold lobt noch Qualität und Produktvielfalt, sieht aber das Buhlen der Industrie um Bartender durchaus kritisch. Ansonsten wirkt er sehr entspannt und will es sich jetzt erst mal im Everleigh gemütlich machen. Aber eines verrät er noch: „Ich hatte letztes Jahr mal so ’ne Phase, in der ich mit dem Gedanken gespielt habe, in die Forstwirtschaft zu gehen. Habe aber mit dem Gedanken nur gespielt, war ein schwacher Moment. Biergeschwängert und vom Rauschen der Bäume überlagert. Nein, ich bin froh, diesen Job zu machen und hoffe, das bleibt so.“

Freigeister und Saftmischer

Kommen wir zu einem Mann, der stets polarisiert hat. An Mario Hofferer scheiden sich die Geister. Die einen sehen in ihm einen erfolgreichen Bartender, Caterer und Unternehmer, der immer wieder mit neuen Ideen glänzt. Für andere – besonders in seiner Heimat Österreich – ist er vor allem ein Marketingmensch von zweifelhafter Qualifikation. Österreicher können bekanntlich sehr böse sein und oft wird berechtigte Kritik zu Neid.

Hofferer lässt sich nicht beirren und geht seinen Weg, einen sehr erfolgreichen. „Vor 3 Jahren fand eine Umstrukturierung im Unternehmen statt und wir haben uns, zusätzlich zum heimischen Markt, verstärkt auf das Internationale High Class-Geschäft mit logistischer Drehscheibe in Marbella konzentriert.“ Hofferer bedient also neben seinem Hauptquartier am Wörthersee mit seinem Cateringunternehmen seither auch den Süden Europas und die Golfregion. Am Wörthersee hat er noch in einen Bar-Salon, eine Cocktailakademie und ein Labor investiert. In diesem wird aktuell unter wissenschaftlicher Begleitung das Verhalten von Cocktails in der Schwerelosigkeit untersucht.

Hinsichtlich seiner Präsenz in der Öffentlichkeit lässt sich einige Kränkung erahnen: „Ich habe vor mehreren Jahren aufgrund diverser Vorkommnisse und Entwicklungen der Barszene meine Philosophie bzw. die meines Unternehmen geändert und mische mich nicht mehr aktiv in Diskussionen oder Beweihräucherungen rund um unsere Gilde ein.“ Hofferer sieht die Szene gespalten in die nerdigen „Freigeister“ und die sogenannten „Saftmischer“, zu denen auch er gezählt werde. „Am Ende des Tages sind alle von uns satt und glücklich, was mir beweist, am richtigen Weg zu sein, auch ohne mich in die angesprochene Barszene einzumischen!“

Global betrachtet, lobt Hofferer den regen Austausch und die Vernetzung der Szene. Vor allem aber das Entwicklungspotenzial hinsichtlich Arbeitstechniken, Küchen- und Laborgeräten haben es ihm angetan. „Eine tragende Rolle für Europa werden hier sicherlich Städte wie Berlin, Kopenhagen und London spielen.“ Doch in naher Zukunft will er sich auf seine Schulungsprogramme in der eigenen Akademie konzentrieren, in denen es vor allem um Gesundheitsthemen und wirtschaftliche Kompetenz rund um den Beruf des Bartenders geht. Die Frage, ob er jemals etwas anderes machen möchte, erübrigt sich bei einem Mann wie Mario Hofferer.

Credits

Foto: Mann hinter den Kulissen via Shutterstock

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