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Das „Wax On“ in Berlin: Sam Orrocks Antwort auf die Krise

„Auftragen, rechte Hand. Polieren, linke Hand.“ – Wer bei diesen Worten nicht sofort an den Film „Karate Kid“ denkt, ist vermutlich zur falschen Zeit geboren, oder sollte seine Kindheit überdenken. Die neue Berliner Bar „Wax on“ schafft Abhilfe. Wir haben Betreiber Sam Orrock zum Interview gebeten und darüber gesprochen, warum die Weserstraße in Neukölln doch noch eine neue Bar verträgt – und was es in dieser zu erwarten gilt.

Vielleicht sind die Begriffe „Auftragen“ und „Polieren“ (Wax On. Wax Off.) gar nicht so weit weg von der Arbeit, die der gebürtige Brite Sam Orrock täglich stemmt. Aufgetragen wird dick – denn wer glaubt, dass er mit einer neuen Bar am Neuköllner Bar-Catwalk namens Weserstraße noch für viel Furore sorgen kann, trägt ordentlich auf. Und poliert wird in einer Bar sowieso die ganze Zeit. So der Zusammenhang, den man sich zusammenreimen könnte. Bei einem Besuch seines „Wax On“ erzählt Sam Orrock, wie das alles wirklich zusammenhängt – und warum die Bar vielmehr seine persönliche Antwort auf die Krise und zweifelhafte Berliner Arbeitsverhältnisse ist.

MIXOLOGY: Sam, du hast in Berlin gearbeitet, warst in London u.a. Barchef im Scout (das im letzten Jahr schließen musste, Anm. der Red.) und danach wieder in Berlin. Das „Wax On“ ist nun deine erste eigene Bar. Wie kam es ausgerechnet jetzt, zu einem gastronomisch noch immer schwierigen Zeitpunkt, zum Schritt in die Selbständigkeit?

Sam Orrock: In vorherigen Bars hatte ich hier und dort Meinungsverschiedenheiten, wenn es zum Vertragswesen kam. Das ist natürlich einerseits immer unangenehm, räumt aber andererseits auch die Möglichkeiten für Neues frei – wie eben eine eigene Bar, die ich immer schon haben wollte. Wenn ich eines von meinen Wechseln gelernt habe, dann die Tatsache, dass es in einer Bar vor allem darum geht, die Crew zusammenzuhalten. Denn wenn es der Crew gut geht, kümmert sie sich gut um die Gäste, dann kommen die Gäste auch wieder – und du bezahlst deine Rechnungen und wiederum deine Crew.

MIXOLOGY: Der ideale Kreislauf eben …

Sam Orrock: Naja, bis zur Krise eben. Als ich dann in Kurzarbeit war, gab es noch 60 Prozent dessen, was im Vertrag festgehalten worden war. Und wenn man eben von dem im Vertrag festgehaltenen Gehalt ausgeht, ist Überleben kaum möglich. Für mich war das eine traumatische Erfahrung. Als ich den Laden hier aufgemacht habe, war für mich klar, dass jeder einen richtigen Vertrag bekommt. Außerdem wird hier ausschließlich mit Karte bezahlt, so bleibt alles transparent und alle Steuern werden ausgewiesen. Denn diese Sache mit Schwarzgeld kursiert in ganz Berlin. Man bekommt quasi einen Vertrag, in dem 800 Euro festgehalten sind – und dann noch 600 Euro extra, so dass der Inhaber Steuern spart. Zwar schien das immer normal zu sein, aber die Krise und der Weggang von meinem letzten Arbeitsplatz haben mir sehr deutlich vor Augen geführt, dass Teampflege alles ist.

»Als ich den Laden aufgemacht habe, war für mich klar, dass jeder einen richtigen Vertrag bekommt. Außerdem wird hier ausschließlich mit Karte bezahlt, so bleibt alles transparent und alle Steuern werden ausgewiesen. Denn diese Sache mit Schwarzgeld kursiert in ganz Berlin.«

— Sam Orrock

MIXOLOGY: Was, außer einem gut gelaunten Team – zu dem aktuell noch Damien Guichard und Rose-Manon Baux gehören – habe ich also zu erwarten, wenn ich die Türschwelle der Weserstraße 208 übertrete – und wieso sollte ich das tun? Die Auswahl an Bars ist in dieser Gegend schließlich nicht klein …

Sam Orrock: Ich weiß. Natürlich gibt es hier Bars en masse, und es ist keinesfalls so, dass wir denken, wir seien besser als die anderen. Tatsächlich war der Standort eher Zufall, der Besitzer des Gebäudes ist ein Freund von mir, der mich gefragt hat, ob ich Lust habe, zu übernehmen – die ich natürlich hatte. Aber wir machen schon Dinge, die andere Bars so nicht machen. Ein Beispiel: Wir nehmen einen klassischen Drink, sagen wir einen Old Fashioned, und mixen ihn mit Butterscotch; oder wir klären Zutaten. Ich wüsste beispielsweise keinen anderen Ort im weiteren Umkreis, an dem man geklärten Bananensaft kredenzt bekommt. Wir haben einen sehr kreativen Zugang zum Mixen, da kommt auch der Rotationsverdampfer oder die Zentrifuge ins Spiel, trotzdem kostet keiner unserer Drinks mehr als zehn Euro. Auch das ist nicht selbstverständlich. Ermöglicht wird das durch fassgelagerte Cocktails, die wir gut vorbereiten können.

MIXOLOGY: Wie sieht es jenseits von Cocktails aus, könnte man auch einfach auf eine Zigarette und ein Bier vorbeikommen?

Sam Orrock: Klar, wobei die Zigarette draußen geraucht werden muss, wir sind eine Nichtraucherbar. Bier gibt es, ab nächster Woche nochmals mit frisch kuratierter Karte mit Hilfe meines Freundes Cory Andreen, der sich – vielleicht bekanntermaßen – auf Cold Brew kapriziert hat und mit dem ich ein Fasssystem erarbeiten werde. Außerdem bieten wir ein ziemlich weites Spektrum an Naturweinen an. Auch das ist für eine Cocktailbar so nicht üblich. Bald gibt es außerdem kleine Snacks wie Grilled Cheese, dazu haben wir unseren kleinen Kamin – also wir sind ganz bestimmt keine Bar, die nichts anderes zulässt als Menschen, die gustatorisch über sich hinauswachsen wollen. Man darf hier einfach sein, und das wird die Crew auch so vermitteln.

Coconut
Horse Sour
Skin & Bones

Wax On

Weserstraße 208
12047 Berlin

Di - Sa 18 - 1 Uhr, So & Mo geschlossen

MIXOLOGY: Wie leistet man sich in Zeiten der Pandemie die Eröffnung einer Bar?

Sam Orrock: Natürlich hatte ich überhaupt kein Geld, und ohne die Hilfe von Familie und Freunden wäre das nicht möglich gewesen. Ich habe versucht, alle meine Kontakte zu nutzen, das waren Designer-Freunde ebenso wie Leute, die das, was ich mir vorgestellt habe, in ein umsetzbares Konzept verwandelt haben. Außerdem habe ich alles selbst gemacht – den Tisch, den Edelstahl eingesetzt, alles. Ich liebe übrigens das Wort Edelstahl, es klingt wie ein schöner deutscher Berg, auf dessen Spitze es sich ganz wunderbar Bier trinken lässt. Im Ernst, ich war einfach jeden Tag hier und habe nicht viel anderes gemacht. Demnächst bauen wir noch ein kleines Labor im Keller aus. Dann wird fermentiert, noch und nöcher!

MIXOLOGY: Nochmal zum Namen: Verbirgt sich hinter „Wax On“ mehr als eine nostalgische Anspielung an Karate Kid?

Sam Orrock: Es hat tatsächlich mehr mit meinem Unternehmen zu tun. Ich habe in London nicht nur für das Scout, sondern auch für Beratungsagenturen oder ein paar ziemlich bekannte Köche gearbeitet. Man reißt sich in London, gerade in der Gastronomie, wirklich den Hintern auf. Das habe ich auch getan – und habe entschieden, wegzugehen. Zuerst wollte ich nach Australien, bis Damien mich ins Truffle Pig geholt hat, wo ich wiederum meine heutige Frau kennengelernt habe, mit der ich im Dezember ein Baby erwarte [hör- und sichtbare Vorfreude]! Lange Rede, kurzer Sinn: Aufgrund der breiten Erfahrung in der Branche habe ich mein Unternehmen schlichtweg „Wax On, Wax Off“ benannt: „Wax On“ ist die Bar, also der Bereich On-Trade. Das mein den Branchennamen für die Barszene: Als Brand Ambassador hat man auch immer zwei Bereiche, einen für den On-Trade, die Bars, und einen für den Off-Trade, also Supermärkte. Daher heißt mein Beratungsunternehmen „Wax off“. In der Kombination dieser beiden Geschäfte schien mir das der perfekte Name. Und einmal ganz davon abgesehen, liebe ich Karate Kid schon immer!

MIXOLOGY: Wer nicht …

Sam Orrock: Ich habe als Kind täglich die Kostüme aus Karate Kid getragen. Meine Mutter musste sie mir nachts, wenn ich eingeschlafen war, ausziehen, um sie zu waschen!

MIXOLOGY: Lieber Sam, alles Gute und danke für das Gespräch.

Credits

Foto: Damien Guichard

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