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Von erogenen Zonen und G-Spots: Der Sexismus der „Whisky Bible“

Jim Murray ist Verfasser der „Whisky Bible“. Besonders gerne vergleicht er darin Whisky mit Frauen. Damit ist er nicht die erste, aber die wohl einflussreichste Stimme, die das tut. Seit dem letzten Jahr weht ihm erstmals Gegenwind ins Gesicht. Und das soll auch so blieben, findet unsere Autorin – und Whisky-Expertin – Juliane Reichert.

Es gibt zwei Dinge, von denen man im Laufe des journalistischen Lernens wieder und wieder gewarnt wird: dem Aufgreifen medial bereits hoch gekochter und zum Teil sogar bereits gegessener Themen, zum einen. Und die aus der ersten Person Singular erzählte Geschichte einer Befindlichkeit, zum anderen.

Beides jedoch wird im vorliegenden Text stattfinden, und das nicht so recht aus Aufmüpfigkeit, sondern aus Mangel an Alternativen. Dass aber das Thema Sexismus in der Schnapswelt indes ein alter und obendrein schlecht sitzender Hut ist, habe ich mir nicht ausgesucht. Dass dem Wörtchen „ich“ hier kein Platzverweis erteilt wird, schon. Es ist immerhin ein ehrliches Personalpronomen, von dem frank und frei zurückgeführt werden kann, wer spricht. Und das ist in so manchen Diskursen gar nicht so unnütz; gerade, wenn manche Menschen versuchen, für eine vermeintlich maskulinisierte Allgemeinheit zu sprechen.

Von Selbstbewusstsein und Schminkkoffern

Es begibt sich also zu der Zeit des ersten Geldverdienens in Berlin, da ein Fachhandel für Whisky, Rum und Zigarren nach Aushilfen sucht. Vom Verkauf keine Ahnung, glänzt der Job in meinen Augen vor allem durch das Verfassen von Verkostungsnotizen und die damit einhergehende Recherche; was nicht bedeutet, dass ich vom Verkauf gefeit bleibe. Gedruckt mag es weniger krude klingen als erlebt, aber kein Mensch kann so viel Whisky probieren, dass er innerhalb weniger Wochen beim Kauf eines Whiskys um eine dreistellige Summe auf wenig dilettantische Weise zu beraten imstande ist.

Die Tage enden mit einer gefüllten Dram und Horst Lünings Verkostungsvideos im Bett, sie beginnen mit dem Riechen im leeren Glas und, abermals, den Worten von „Whisky-Hotte“; abgeglichen mit den eigenen Notizen dazu und keiner geringeren Referenz als der „Whisky Bible“ von Jim Murray. Weil diese auch in besagtem Whisky-Handel verkauft wird, weil sie inzwischen seit rund zwanzig Jahren siedend heiß erwartet wird und weil sie ein finales Kaufargument zu sein scheint, legt sich ein Blättern darin nah. Gleiches gilt für Michael Jacksons „Malt Whisky“. Ich lerne dort unter anderem, dass die 12-jährige Talisker Distiller’s Edition aus dem Jahr 1996 „rauchig und parfümiert wie die Handtasche eines Flittchens“ riecht, und kann mich ob der Pointe dieses Degustations-Vermerks nicht entscheiden; so viele Möglichkeiten.

Dann gibt es da noch den „Schminkkoffer“ (Rosebank Chieftain’s, 18yo) oder auch das „Alte-Damen-Parfüm“ (Banff 1976 Connoisseurs Choice oder Glen Mhor, 1975 Rarest of the Rare, 32yo) – spricht allesamt nicht für die filigrane Ausbildung eines Sensors für die eigene, olfaktorisch bevorzugte Umgebung. Was zumindest Murray und Jackson vereint, ist eine Art, deren Aussterben vom fahnenschwingendem Machismus der Angst besungen wird.

Launische Ladies und ihre G-Spots

Wohingegen Michael Jackson, Jahrgang 1942, mittlerweile verstorben ist, wird Schnaps-Journalist Jim Murray (geb. 1957) nicht müde, sein bewegtes Leben mit der Whisky-Welt zu teilen – aufgrund von Tasting Notes und Verkostungen.

Bevor wir aber nun auf die beiden prominent zitierten Verkostungsnotizen zu sprechen kommen, ein kurzer Hergang der Debatte. Sexismus in der Spirituosenwelt ist kein Novum und für eine Kulturgeschichte von geschlechtsspezifischen Geschmacklosigkeiten reicht der Platz nicht aus; für einen kleinen Ausschnitt indes sehr wohl. Als Jim Murray in seiner bescheidenen Rolle als selbsternannter „Guru“ im letzten Jahr die 19. Fassung seiner „Bibel“ herausbringt, erntet er – neben dem gewohnten Murray-Bashing ob subjektiver Superlative und künstlich hergestellter Kontroversen – auch ausformulierte Sexismus-Vorwürfe seitens der Whisky-Expertin und Keeper of the Quaich Becky Paskin. Sie arbeitet an Kampagnen gegen Sexismus in der Whisky-Industrie und wirft Murray gegenüber der Forbes eine „allzu freizügige, reißerische und sexistische Tonalität in seinen Whisky-Besprechungen“ vor, die „prähistorisch und schlichtweg abstoßend“ sei.

Zurecht lamentiert sie den unnötigen Vergleich von Whisky mit Frauenkörpern, -geruch, -charakter oder -verhalten im Bett und bedauert den Schaden, den er an jahrzehntelanger Modernisierungsarbeit innerhalb einer Branche anrichtet. Wie genau sieht eine solche Beschädigung allerdings aus? Dazu zwei Verkostungsnotizen aus der aktuellen Whisky Bible (wir belassen es dabei in der englischen Originalversion, Anm. d. Red.):

Canadian Club Chronicles, Issue No. 1 Water of Windsor Aged 41 Years: „Have I had this much fun with a sexy 41-year-old Canadian before? Well, yes I have. But it was a few years back now and it wasn’t a whisky. Was the fun we had better? Probably not. It is hard to imagine what could be, as this whisky simply seduces you with the lightness and knowledgeable meaning of its touch, butterfly kissing your taste buds, finding time after time your whisky erogenous zone or g spots … and then surrendering itself with tender and total submission.”

Zu Glenmorangie Artisan Cask: „If this whisky could be sexed, this would be a woman. Every time I encounter Morangie Artisan, it pops up with a new look, a different perfume. And mood. It appears not to be able to make up its mind. But does it know how to pout, seduce and win your heart…? Oh yes.“

Wie Kaffee auf alten Fotos

Wer sagt es ihm? Man braucht keine pointierte Zusammenfassung, um herauszustellen, dass diese Zeilen daneben sind. Findet Jim Murray nicht; er sei kein Sexist, seine Bibel nicht sexistisch und er werde sich diesem herbei provozierten Skandal nicht beugen. Weiter: „How, in God’s name, can, for instance, likening a whisky to an orgasm be remotely construed as sexist? Last I heard, male, females, transgender people, everyone is capable of an orgasm. I am a professional writer and use a language that adults – for the Whisky Bible is designed for adults – can relate to. I paint pictures of a whisky. And if that, on the rare occasion, is the picture or sensation that formulates in my mind, then I say so. As I have every right to…“ Er versteht es nicht.

Vielleicht kann Sarah Swantje Fischer, Fotografin und Bartenderin der Velvet Bar helfen, indem sie sich Paskin anschließt: „Diese sexualisierende Sprache aus männlicher Perspektive wirkt wie eine Reminiszenz an das vergangene Jahrhundert. Was würden wir von einem Whiskybuch halten, indem eine Frau seines Alters kulinarische Erfahrungen mit erotischen Begegnungen assoziiert? Vermutlich ginge dieses Buch nicht in den Druck. Traditionell reproduziert die Whisky-Welt besonders männlich geprägte, Testosteron-referenzielle Stereotype und Narrative.“

Ob er das verstünde? Scheinbar verwenden einige Bartender eine Sprache, die der Murrays auf diversen Ebenen voraus ist, vor allem zeitlich. Damien Guichard aus dem Truffle Pig, beispielsweise, findet, dass so wie verschiedene Zutaten, Trends und ästhetische Fragen einander ablösen, sich auch Werte gemäß der Evolution unseres Miteinander anpassen sollten: „Was ist so schwierig daran, einzusehen, dass Dinge, die irgendwann einmal unterhaltsam waren, schlichtweg beleidigend sind und abgeschafft gehören?“

Diejenigen, die bei all diesen Entwicklungen ob der alten Zeiten trauern, vergleicht er mit einem alten Foto voller Kaffeeränder – längst nicht mehr brauchbar und doch nostalgisch auf dem Nachttisch platziert.

Das bloße Konstatieren von Schwachsinn ist kein Angebot

Allerdings sind die Häuser jener Schlafzimmer, in dem jener Nachttisch steht, noch immer bewohnt. Und so kommt es, dass es in besagter Edition der Murrayschen Bibel 34 Referenzen darauf gibt, dass Whisky generell sexy und aufreizend ist, und außerdem zahlreiche gezogene Parallelen zwischen dem Genuss von Whisky und Sex mit Frauen. Wenn die Sache doch immerhin sprachlich nur ein My Anspruch hätte, könnte man zumindest über Kunstfreiheit oder ähnliches debattieren. Lohnt hier nicht. Der walisische und in Ex-Laphroaig-Fässern gereifte Penderyn Celt ist aus der Hand einer reinen Frauen-Crew produziert – so wie alle Penderyns. Für Murray eine einfache Assoziation: „Wenn dieser hier eine Frau wäre, würde ich jede Nacht mit ihr schlafen. Und auch am Morgen. Und am Nachmittag. Immer, jedenfalls, wenn ich die Zeit hätte… und die Energie…“ Ebenfalls aus Gründen des Energiehaushalts möchte ich mich an die Devise halten, dass eine angebrachte Kritik Zitate für sich selbst sprechen lassen sollte.

Das kann es aber nicht gewesen sein, denn das bloße Konstatieren von Schwachsinn ist kein Angebot – nicht in einem Artikel und auch nicht in einem Tasting. Derer habe ich nämlich im Laufe meiner inzwischen siebenjährigen Zeit als ganz unreligiöse Whiskyschreiberin verschiedene gehalten. In der Regel lege ich vorweg meinen „Whiskylauf“ dar, um für die notwendige Kredibilität zu sorgen. Denn die Fragen bleiben dieselben: „Wie kommt man denn als Frau zum Whisky?“ oder „Ich war ja letztens in Destillerie xy und habe das ganz anders erlebt.“ oder „Hast du überhaupt schon einmal Whisky getrunken?“

Nein, ich trinke ausschließlich Orangina mit einem Schuss Prosecco. Es nervt abartig, doch Sprechen hilft – da muss eine jede Whisky-Trinkerin die Länge ihres Geduldsfadens ermessen können. Gemäß meiner Erfahrung sind es zwei Dinge, die helfen: Natürlich können Frauen dem Klischee die Kampfansage machen und sich beweisen. Das ist anstrengend, ungerecht und mühsam, aber könnte sich langfristig lohnen. Man könnte genauso gut nichts auf blödsinnige Zuschreibungen von vermeintlich „männlichen“ und „weiblichen“ Drinks, Berufsfeldern und Aromen geben; sich des Klischees erheben und entscheiden, dass Konfrontation nicht notwendig oder wert sei. Diese Option, allerdings, ist für Menschen innerhalb der Branche so gut wie nicht verfügbar.

In welcher Realität wir leben wollen

Keineswegs, allerdings, sollten „wir“ – denn wir werden tendenziell mehr, als dass wir ausstürben, daher ist es Zeit, die erste Person Singular zu verlassen – uns rechtfertigen; uns erklären in fadenscheinigen und beinahe ausschließlich dumpfsinnigen Dialogen, die auf irgendetwas zwischen Bar und Bett hinzielen. Wir können außerdem Becky Paskins OurWhisky Foundation beitreten und sollten weiterhin mit Männern Whisky trinken; beide Seiten benötigen den gemeinsamen Tresen, um ab und an sicherzustellen, in welcher Realität wir leben – und in welcher wir leben wollen.

Credits

Foto: Dan Jazzia - shutterstock.com / Überarbeitung Editienne

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