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Won’t the real Speakeasy please stand up?!

Die kalte Jahreszeit kommt. Welche Szenarien könnten sich für Bars entwickeln? Wird es zu einer Renaissance von Speakeasy-Bars kommen? Für lizensierte Betriebe kann das keine realistische Lösung sein, allenfalls eine ultima ratio. Die Politik versucht zu unterstützen, dennoch hängt alles am seidenen Faden. Hoffnung liegt im derzeitigen Infektionsgeschehen, aber die Corona-Krise hat eines bewiesen: Jederzeit kann sich die Situation ändern. Bars bleibt nur ein vernünftiger Weg.

Als vor Jahren das Rauchverbot in Kneipen und Bars in Bayern eingeführt wurde, hatte eine Wirtin die zündende Idee. Sie stellte vor der Tür ein Schild auf: Heute Laientheater. Es wurde zusammen mit den Gästen eine Theater-AG gegründet und jeden Abend spielte man ein Theaterstück. Das hieß: „Wie es früher war“. Und es „spielten“ die Anwesenden jeden Abend, wie es früher war – vor dem Rauchverbot. Bier und Schnaps flossen in Strömen und die Luft war vom Qualm der rauchenden Gäste erfüllt. Ins Halbprivate oder Klandestine auszuweichen war schon immer die logische Guerillataktik, um Verbote zu umgehen. Es funktionierte bei Opiumhöhlen wie bei den Speakeasy Bars zu Zeiten der Prohibition in den USA.

Und was passiert, wenn sich im Herbst oder Winter das coronagetriebene Infektionsgeschehen dramatisch verschlimmert und Bars wieder geschlossen, oder der Ausschank von Alkohol limitiert, vielleicht sogar ganz untersagt wird?

Heizpilze und neue Filter?

Bisher ist das nicht zu befürchten. Zwar steigen die Infektionszahlen deutlich an, aber die schweren Verläufe sind rückläufig, die Todeszahlen sinken kontinuierlich. Eine Momentaufnahme. Experten begründen Folgendermaßen: Einerseits mit einer höheren Testrate und verbesserter Behandlung, andererseits mit einer stark gestiegenen Anzahl jüngerer Infizierter, die schwächere Krankheitsverläufe anzeigen. Dennoch gibt es vereinzelte Meldungen, in denen von Maßnahmen gegen Bars oder den Alkoholausschank berichtet wird. So wurde in Wiesbaden ein nächtliches Ausschankverbot für die Gastronomie erlassen, nachdem die Fallzahlen stark gestiegen waren und die Behörden Undiszipliniertheiten in Bars und Gaststätten als Teilursache dafür ausgemacht hatten.

Der seidene Faden aus Aerosolen

Es ist nach wie vor ein seidener Faden, an dem das Schicksal vieler Gastronomen hängt. Laut DeHoGa wird die Gastronomie in diesem Jahr nur die Hälfte der Vorjahreserlöse erwirtschaften. Sechs von zehn Betriebe sehen ihr Überleben gefährdet. Vor allem die hohen Pachten und Mieten stellen eine ernste Bedrohung dar – trotz Verlängerung von Kurzarbeitergeld und Ausweitung der Überbrückungshilfen. Aber was tun gegen die über allem buchstäblich schwebende Hauptgefahr der Aerosolübertragung des Virus in geschlossenen Räumen? In der Politik werden derzeit zwei Maßnahmen diskutiert: Heizpilze im Außenbereich sollen temporär wieder erlaubt werden und man will die Betreiber bei der Installation spezieller Filter zur Luftreinigung unterstützen, die Aerosolpartikel zu annähernd 100 Prozent abscheiden. Im Gegensatz zu Hepa-Filtern ist dann eine regelmäßige Frischluftzufuhr nicht mehr zwingend. Allerdings sind hierfür Investitionen im mittleren vierstelligen Bereich notwendig. Geld, das besonders im Moment nicht jeder hat. Zumal die Politik eine solche Investition auch im Einzelfall mit einer speziellen Betriebserlaubnis anerkennen müsste und nicht allgemeine Verbote erlassen dürfte, die alle Bars über einen Kamm scheren.

Speak Easy als Ultima Ratio

„Ich sehe in Heizpilzen keine Lösung. Erstens wird es auch mit den Pilzen ab einer gewissen Temperatur zu kalt, zweitens haben viele Bars gar nicht den nötigen Raum vor der Bar, um das Volumen auszugleichen. Mal abgesehen davon, dass bei Kälte auch weniger konsumiert wird“, lautet die Einschätzung von Lutz Rau, Betreiber der Booze Bar in Berlin-Friedrichshain. Er spricht auch aus, was viele Gesprächspartner nur hinter vorgehaltener Hand äußern: Es werde eine verstärkte Tendenz geben, sich mit Schwarzgeld über Wasser zu halten. „Wenn es tatsächlich zu einem erneuten Lockdown oder einer Prohibition kommen sollte, was ich nicht annehme, dann muss man sich überlegen, ob man nicht das Speakeasy-Konzept wiederbelebt. Auf Social Media eine Gruppe gründen und ins Hinterzimmer einladen. Einer meiner Mitarbeiter ist in einer Partygruppe mit über 2000 Mitgliedern. Da wird man informiert, wo am Wochenende gefeiert wird.“

Back to the Nineties dank Corona?

Das erinnert dann an die frühen 90er, als in Berlin Flyer kursierten, auf denen über illegale Bars oder Clubs informiert wurde. Vor der Tür stand dann jemand mit Funkgerät, und wenn die Luft rein war, ging eine Klappe auf und man wurde ins Innere geschleust. Einige Läden mit heute legendärem Ruf sind so entstanden. Oder man macht es so wie das berühmte Cookies: „Nur für Freunde“ stand an der Tür. Das waren dann bald mehrere Tausend. Die Locations wurden häufig gewechselt und am Ende gab es eine mit Zahlencode gesicherte Tür, zu der nur Ausgewählte Zutritt hatten, während sich die Masse im Hauptraum auf den Unisex-Toiletten vergnügte und dem selbst gewählten Claim „Ficken“ die Ehre erwies.

Auch damals entstanden diese Läden aus der Not heraus. Die Energie der Nachwendezeit musste sich Wege bahnen, aus der ganzen Welt kamen Besucher in die Stadt und die offiziellen Clubs und Bars konnten die Nachfrage nicht decken, oder waren zu traditionell und nicht aufregend genug. Außerdem gab es damals wie heute junge Leute, die davon träumten, eine Bar oder einen Club zu eröffnen, aber kein Geld hatten und auch keines von Banken oder Brauereien bekamen. Genau diese neuen Wilden könnten – trotz Corona – versucht sein, es jenen 90er-Pionieren im Herbst und Winter vermehrt gleichzutun. Das gilt auch unter der Berücksichtigung des Umstandes, dass inzwischen durch Gentrifizierung und Eigentumsverschiebung weniger Räume zur Verfügung stehen. Die Findigen werden finden, Räume und Wege entdecken.

Bars versus Clubs

Sollte die Entwicklung so weitergehen, dass es zwar weiter eine signifikante Infektionsrate, aber wenig schwere oder letale Verläufe gibt, wird es vermehrt zu privaten Feiern oder zu Speakeasys kommen. In Der Welt wird der Frankfurter Clubbetreiber Thomas Winterscheid mit folgender Einschätzung zitiert: „Wer gar nicht über Alternativen reden will, der bringt die Leute dazu, dass sie an Orten feiern, die nicht überwacht sind. Die Feiern werden auch im Winter stattfinden, in Kellern, privaten Wohnungen.“ Er verweist auf die guten Lüftungsanlagen im Vergleich zu den meisten Bars, außerdem auf die Einlasskontrolle. Er sieht die Öffnung von Clubs mit all ihren üblichen Kontrollmechanismen als Alternative zu privaten Feiern oder geheimen Events in irgendwelchen Kellern. Clubs würden gebraucht, um Infektionen zu verhindern.

Vermutlich hat Winterscheid im Prinzip recht, allerdings trifft das Szenario nicht auf alle Clubs zu: „Wir hatten einen Infektiologen im Haus. Dabei wurde unsere Lüftungsanlage überprüft. Sie ist sehr leistungsstark, wir haben alle drei bis vier Minuten einen kompletten Luftaustausch. Nötig ist aber eine Frequenz von drei bis vier Mal in der Minute“, so Frank Quickstern, Controlling Manager des Berliner Clubs Tresor. Man wolle einen anderen Ansatz verfolgen. „Wir prüfen gerade den professionellen Einsatz von Corona-Schnelltests. Dann hat man ein aktuelles und auch preiswertes Ergebnis.“ Das wird in der Tat auch von einigen Virologen in verschiedenen Bereichen angeraten. Die Zuverlässigkeit dieser Tests liegt bei etwa 80 Prozent, schwere Virenlast wird also erkannt.

Spielen wie früher wird für Bars nicht gutgehen

Das alles sind jedoch Maßnahmen, die in Bars nicht praktikabel sind. Es wird lizensierten Bars nichts anderes übrig bleiben, als die bestehenden Vorschriften und Hygieneregeln einzuhalten, damit sie nicht als erstes in den Fokus der Politik geraten, sollte in der kalten Jahreszeit eine verschärfte Corona-Lage eintreten. Somit kann man sich klar abgrenzen zu illegalen Speakeasys oder privaten Feiern. Es bleibt schwierig und unberechenbar. Zu spielen „wie es früher war“ wird auf Dauer nicht funktionieren.   

Credits

Foto: Oleksii S via Unsplash

Comments (1)

  • Olger

    Isch ne! Ne, isch ne! Isch mir ne! Isch geh mir einen Saufen!

    reply

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