Yao Lu im Interview: »In China hat sich eine eigenständige Barkultur entwickelt.«
» Die chinesische Kultur funktioniert bis heute wesentlich mehr, nun, ich würde es „insular“ nennen. Man bekommt natürlich vieles von außerhalb mit, aber die Dynamik ist mit den amerikanischen „Schmelztiegel“-Mechanismen weniger zu vergleichen. «
Shanghai, Houston, dann wieder Shanghai. Es ist immer wieder erstaunlich, wie stark sich ein Lebenslauf in der Darstellung einkürzen lässt. Diese Dreiteilung trifft im Wesentlichen auf das berufliche und private Leben von Yao Lu zu. Geboren und aufgewachsen in der größten Stadt Chinas, siedelte Lus Familie in die texanische Metropole über. Vor rund sechs Jahren ist er zurückgekehrt an seinen Geburtsort – und die Bilanz dort kann sich sehen lassen: Als Mit-Inhaber und Head-Bartender der Union Trading Company hat Yao Lu Preise gesammelt wie nur wenige Protagonisten der asiatischen Barkultur: Vier Jahre in Folge findet sich die Bar nunmehr unter den Asia’s 50 Best Bars, dazu kommen drei Drink Magazine Awards im Jahre 2016: für die beste Bar, das beste Barteam und Yao Lu als besten asiatischen Bartender des Jahres. Wir haben den sympathischen Bartender, Unternehmer und Autor in Amsterdam – wo er als Juror der globalen Bacardí Legacy zu Gast war – zum Interview getroffen.
MIXOLOGY: Yao, Houston hat sich in den letzten Jahrzehnten und besonders in den letzten Jahren zu einer der aufregendsten Städte Nordamerikas entwickelt. Woran liegt das, gerade im an sich vergleichsweise konvervativen Texas?
Yao Lu: Houston verfügt über eine schier unglaubliche Diversität und steht damit in einer Riege mit New York oder Los Angeles. Besonders stark ist der asiatische Einfluss, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sich im Laufe des Vietnam-Krieges eine sehr große südvietnamesische Community hier angesiedelt hat. Dazu kommt außerdem der große Einfluss der skandinavischstämmigen Amerikaner.
MIXOLOGY: Das schlägt sich natürlich auch in der kulinarischen Szene einer Stadt nieder.
Yao Lu: Absolut, es ist großartig: Ich kann in Houston eine Straße entlanglaufen und auf nahezu endlos viele regionale bzw. nationale Küchen zurückgreifen – vietnamesisch, thailändisch, indisch, pakistanisch, chinesisch, japanisch oder aus vielen Gegenden Afrikas; die ganzen europäischen Einflüsse kommen noch dazu. Es ist fantastisch! Da verwundert es kaum, dass Houston immer weiter wächst: Erst kürzlich hat Houston sogar Chicago als drittgrößte Stadt des Landes überholt.
MIXOLOGY: Ist das in gewisser Weise ein Schock, aus Shanghai dorthin zu ziehen?
Yao Lu: Ja und nein. Shanghai ist zwar sogar noch viel größer, aber die chinesische Kultur funktioniert bis heute wesentlich mehr, nun, ich würde es „insular“ nennen. Man bekommt natürlich vieles von außerhalb mit, aber die Dynamik ist mit den amerikanischen „Schmelztiegel“-Mechanismen weniger zu vergleichen.
MIXOLOGY: Wie hat sich in Houston Dein Einstieg in die professionelle Bar vollzogen?
Yao Lu: Auf eine besondere Weise. Ich habe am Houston College of Hotel and Restaurant Management studiert und parallel in einer Bar gearbeitet, die in direkter Nachbarschaft zum Krebszentrum eines großen Krankenhauses lag. Da bekommt man einiges mit. Vor allem aber hat man viele Gäste, auch Stammgäste, die selbst krebskrank sind, die oft nicht wissen, wie viel Zeit ihnen überhaupt noch bleibt. Wenn du feststellst, dass diese Menschen sich bewusst dafür entscheiden, ihre Zeit bei dir – mit dir – zu verbringen, dann entwickelst du einen neuen Blick auf die Tätigkeit. Ich habe das damals für mich als „empathisches Bartending“ bezeichnet und tue es noch.
MIXOLOGY: Das klingt super. Aber was bedeutet es konkret?
Yao Lu: Der Drink ist lediglich eine Art Blaupause, eine Schablone. Etwas, das sozusagen die erste Kommunikation zwischen Gast und Bartender ermöglicht oder legitimiert. Aber alles, was die Bar danach für den Gast zu einem echten Ort macht, hat mit dem Drink selbst nichts zu tun. Oder nur sehr wenig. Diese Erfahrungen prägen meine Sicht auf den Job bis heute.
» Wenn ich meine drei Jahre im Anvil mit einer Erinnerung zusammenfassen sollte, würde ich sagen: Ich rühre einen Martini und Bobby starrt mich dabei kritisch an. «
MIXOLOGY: Die anschließende Zeit im Anvil dürfte nochmal genauso prägend gewesen sein?
Yao Lu: Natürlich, auf vollkommen andere Weise. Ich betrachte Bobby (Bobby Hegel, den Betreiber der Anvil Bar & Refuge und mehrerer anderer Gastronomien, Anm. d. Red.) nach wie vor als einen wichtigen Mentor.
MIXOLOGY: Bobby ist nicht nur einer der bekanntesten US-Barbetreiber, er ist auch eine Art soziales Gewissen der dortigen Szene. Was macht ihn besonders?
Yao Lu: Bobby sagt immer von sich selbst, er bilde keine Bartender aus, sondern Barbesitzer. Und das stimmt. Ich gehörte damals quasi zu seiner zweiten Generation von Mitarbeitern nach der Eröffnung des Anvil. Das hieß, dass es noch viele Möglichkeiten zur Kreativität gab, aber gleichzeitig musste man sich den klaren Vorstellungen und Qualitätsansprüchen von Bobby unterordnen. Da geht es dann ganz schlicht um Dinge wie Ordnung, Sauberkeit, Disziplin, aber auch das Einhalten exakter Standards. Wenn ich meine drei Jahre im Anvil mit einer Erinnerung zusammenfassen sollte, würde ich sagen: Ich rühre einen Martini und Bobby starrt mich dabei kritisch an (lacht). Grob gesagt kann man sagen: Vor dem Anvil habe ich mir die soziale Komponente des Bartendings angeeignet, bei Bobby wiederum habe ich das Handwerk und alles weitere professionalisiert.
MIXOLOGY: Und er hatte Recht: Nach Deiner Rückkehr nach Shanghai bist Du selbst Barbesitzer geworden. Inwiefern war es wiederum ein Schock, im Anschluss an die Zeit in Houston wieder in China zu arbeiten?
Yao Lu: Es war eine Herausforderung, sich an die vollkommen anderen Faktoren anzupassen.
MIXOLOGY: Inwiefern?
Yao Lu: Aus zweierlei Sicht. Erstens: Plötzlich war ich selbst der Mitinhaber, der für Zusammensetzung und Weiterbildung des Teams zuständig ist. Zweitens, und da macht sich der Unterschied zu Houston noch stärker bemerkbar: Chinas Entwicklung, besonders die von Shanghai, ist krass, geradezu erschreckend. Das macht sich auch für Bars bemerkbar. Früher waren Cocktailbars für Chinesen ein absoluter Luxus. Sie sind es im Prinzip noch immer, werden aber dennoch immer mehr zum Lifestyle bestimmter Schichten. Sie sind aber eben immer noch Lifestyle. Das ist völlig anders als in den großen Städten der USA, wo Bars einfach zum Alltag gehören.
» Über die Bars hier wurde im internationalen Kontext lange kaum gesprochen, Japan und vielleicht noch Singapur einmal ausgenommen. Die Awards haben dazu beigetragen, dass die exzellenten asiatischen Bars jetzt auch in der öffentlichen Wahrnehmung mit jenen aus Europa und Amerika auf Augenhöhe sind «
MIXOLOGY: Du hast vorhin die chinesische Kultur als nach wie vor insular bezeichnet. Wie geht man damit in einer Stadt wie Shanghai um, die täglich Zehntausende internationale Besucher hat?
Yao Lu: Die positive Konsequenz dieser Tatsache ist, dass sich in China eine sehr eigenständige Barkultur entwickelt hat. Die heutigen chinesischen Barleute haben zwar durch moderne Kommunikationsmittel viel vom globalen Geschehen mitbekommen, greifen aber zudem in hohem Maße auf die lokalen Gegebenheiten zurück. Natürlich spielen die großen Spirituosenmarken heute eine gewaltige Rolle, auch weil sie nach wie vor Prestige-Objekte sind. Aber daneben beobachte ich, dass die heutigen chinesischen Bartender sehr selbstbewusst zu den heimischen oder regionalen Einflüssen stehen.
MIXOLOGY: Die asiatische Szene hat in den letzten paar Jahren sehr viel Aufmerksamkeit durch neue Awards-Formate erhalten. Hältst Du es für bedenklich, wenn eine junge Szene schnell auf diese Weise in die Öffentlichkeit gerät? Sind diese Preise letztlich nur zustande gekommen, weil zahlreiche asiatische Länder für sponsernde Firmen zu den Emerging markets gehören?
Yao Lu: Überhaupt nicht, im Gegenteil! Ich müsste lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass diese Preise auch unserer Bar sehr geholfen haben. Aber generell waren die der panasiatischen Barszene von großem Nutzen. Über die Bars hier wurde im internationalen Kontext lange kaum gesprochen, Japan und vielleicht noch Singapur einmal ausgenommen. Die Awards, wie etwa die Asien-Auskopplung der „World’s 50“, haben dazu beigetragen, dass die exzellenten asiatischen Bars jetzt auch in der öffentlichen Wahrnehmung mit jenen aus Europa und Amerika auf Augenhöhe sind.
MIXOLOGY: Eine letzte Frage: Du bist in China geboren, hast in den USA zum Bartending gefunden und wiederum in China Deine eigene Firma gegründet. Du sprichst beide Muttersprachen. Würdest Du heute eher die USA oder China als deine Heimat bezeichnen?
Yao Lu: Einfach ist das nicht. Aber ich würde mich letztlich als Chinesen bezeichnen. Dort wurde ich geboren, dort bin ich bewusst wieder hingezogen und habe mich selbstständig gemacht, habe noch immer viel Familie dort, außerdem meine Lebensgefährtin. China ist meine Heimat.
Credits
Foto: Bacardi