Von Schwänen und Hässlichen Entleins: Wie Yunus Yildiz die norwegische Barkultur vorantreibt
Yunus Yildiz war bereits bei der Gründung des gefeierten „Himkok“ dabei. 2019 eröffnete er die Bar „Svanen“, die denkmalgeschütztes Speakeasy-Ambiete auf der Osloer Prachtstraße verbreitet. Dort im Keller brütet er mit dem „Hässtlichen Entlein“ schon das nächste Projekt aus, hier wird weggeworfenes Gemüse in Drinks in Szene gesetzt. Juliane Reichert zu Besuch bei einem Dauertüftler.
Die Karl Johans Gate ist quasi der Ku’damm Oslos. Die Maximilianstraße Münchens und die Königstraße Stuttgarts. Kurzum, wer Geld übrig hat und es in eine neue Robe oder andere, den Körper oder Kopfinhalt schmückende Dinge umsetzen will, ist hier richtig. Schon in den 1980ern ist die Osloer Straßenbahn hier verschwunden, die dort nach der zwischen 1875 und 1900 existierenden Pferdebahn fuhr. Im Übrigen war sie bis zum Schluss die einzige Hauptstraße Europas mit Straßenbahn, bis dahin auch ein gern genutzter Fakt für touristische Zwecke.
Längst schon heißt es hier Flanieren, Anprobieren, Gustieren. Letzteres geht seit 2019 ganz hervorragend im „Svanen“, namentlich übersetzt dem Schwan. Ihr Erfinder und Inhaber: Yunus Yildiz, Mitgründer des weltbekannten Himkok, ebenfalls in Oslo. Er empfängt uns in seiner liquiden Apotheke für Wehwehchen jedweder Façon. Und tatsächlich gab es die „Svaneapoteket“ von 1896 bis zum Jahr 2013. Übernommen wurde neben dem neoklassizistischen Apothekenmobiliar in Mahagoni und Ahorn außerdem die bemalte Glasdecke, noch immer werden diese getragen von marmornen Säulen und bewacht von einem goldenen Schwan über dem Tresen.
Im Jahr ihrer Schließung war die Apotheke der älteste Betrieb der Stadt. Yildiz’ Bar nach eigener Angabe der traditionellste Barbetrieb: „Es gibt keine andere Bar in der Stadt, die so klassisch mixt wie wir. Unser Fokus liegt auf klassischen Drinks und Signature Cocktails.“ Deren letzteren wir einen Epleslang trinken, das sind “gestohlene Äpfel”, und er beinhaltet Rum, Gin, Saft grüner Apfel, Lapsang Souchong Tee, Ingwer, Shiso – und er ist milk-washed. Mundet, während Yildiz erzählt, was passiert ist, nachdem er im Jahr 2015 Himkok gründete; also, in Kurzfassung.
Das Futur fällt fantastisch aus
„Himkok war eine wirklich großartige Erfahrung – und eine tolle Schule. Und das vermutlich nicht nur für mich, sondern für alle, die über die Jahre dabei gewesen sind. Es war eine Inspiration für viele gastronomische Entwicklungen weltweit, glaube ich. Ich erinnere mich an einige prominente Bartender und große Namen rund um den Globus, die einfach bei uns vorbeischauen wollten, um zu sehen, wie wir funktionieren. Vor allem, wenn es um Cocktails on tap geht, generell ums Prebatching. Auch um den Vibe und wie wir es geschafft haben, einen so großen Ort mit ausschließlich Cocktails zu unterhalten”, rekapituliert er, und weiter: „Ich glaube, meine Anliegen haben sich über die Zeit wenig verändert: Bei mir steht Gastlichkeit ganz oben, vor allem anderen. Darum habe ich in meinen Bars auch Effizienz immer groß geschrieben. Je schneller der Drink fertig ist, desto mehr Zeit können wir unseren Gästen widmen. Darum will ich auch, dass meine Bars für alle sind, dass der Cocktail ein schönes Erlebnis ist und nicht, dass ein paar Nerds einen blöd fühlen lassen mit ihren irrelevanten Details über ein Getränk.“
Belanglos fühlt sich im Gespräch mit Yunus Yildiz wenig an, im Gegenteil: die Zeit für eine Rekapitulation der Osloer, wenn nicht gar norwegischer Bargeschichte, haben wir nicht – das Svanen öffnet bereits um 17 Uhr die Türen. Obwohl es mit ihm möglich wäre, ist er doch Teil eines respektierlichen Pedigrees norwegischer Tresenkultur. „Die Zukunft der Cocktail-Szene in Oslo sieht fantastisch aus“, so Yildiz auf dem Weg in einen Stock tiefer, wo eine weitere Bar ihre Heimat finden wird. Vielleicht weniger anmutig als der Schwan, dafür mit ähnlich viel anvisierter Reputation wie das nach dem dänischen Hans Christian Andersen benannte „Hässliche Entlein“: Den Grimme Ælling.
Vom hässlichen Entlein zum Schwan
„Hier unten wird ein sehr besonderer Ort werden. Ein paar Jahre verspätet, aber zu meiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass ich mit nur 5000 Euro und ohne Investor gestartet bin. Die beiden Jahre mit Covid und das damit zusammenhängende Öffnen und Schließen haben nicht direkt geholfen.”
Die untere Etage wird also eine futuristische Bar mit dem hauptsächlichen Ziele der Nachhaltigkeit. Wie auch in Deutschland und etlichen anderen Ländern, wird auch in Norwegen Obst und Gemüse en masse weggeworfen, da nicht (mehr) schön genug für das Supermarktregal. „Hier unten wollen wir genau diese Lebensmittel, und sie werden Bestandteil eines wunderschönen Cocktails. Hier wird das hässliche Entlein quasi zum Schwan“, so seine Zusammenfassung. Es werde bezaubernde und verrückte Drinks geben, erzählt er; die Lampen werden gestellt aus leeren Flaschen im Svanen, die Tische aus recyceltem Aluminium eines Künstlers und einer Bar aus der Behind Bars-Agentur, die Alex Ruas federführend mitgegründet hatte.
Es liegt was in der Luft
Es wirkt nicht so, als kenne Yildiz den Begriff der Langeweile. Eigentlich wollte er nach dem Himkok gar keine neue Bar öffnen: „Ich wollte als Berater arbeiten – habe ich auch, für einige Projekte.“ Eine harte Zeit sei das gewesen, erzählt er. Alles, was man von Kindesbeinen an aufzubauen versuche, ändere sich, außerdem mache es kaum Sinn, Kurzfristiges oder Schnelllebiges zu planen. Yildiz Pläne dauern sichtbar lange. Im April öffnet er eine weitere Bar, Tjeld; Tjeld ist ein Vogel, namentlich der Austernfischer, und der fliegt in Tjuvholmen, einem Stadtteil von Oslo. Serviert werden Austern, und zwar mitunter von Aleksandrs Sadovskis, den Yildiz vor etlichen Jahren dazu bewegen konnte, seinen Arbeitsplatz in Berlin ins Himkok zu verlegen. „Einer der besten, mit denen ich je gearbeitet habe.“
Ohne solche geht es nicht, davon kann wohl jeder Bartender ein Liedchen singen. Gerade bei einer Bargründung. Wie schwierig ist es, in Norwegen eine Bar zu öffnen? Laut Yunus Yildiz kein Akt: „Wenn man genug Geld hat und den Vermieter überzeugen kann.“ Zumindest im Svanen schien es flauschig gelaufen zu sein. „Wir haben die Lizenz schnell bekommen, das Problem ist immer das Geld. Anfänglich musste alles super günstig sein und gebraucht.“
Norse Bar Show bringt Leute in die Stadt
Von nahezu allen Produzenten hat er Preisnachlass und Kredite bekommen, und wenn er zurückdenkt, dann scheint es ihm beinahe wie ein Wunder, dass es mit seinen 5k-Euronen geklappt hat. In der ersten Nacht holte er 6.200 Euro zurück – und das scheint ein guter Deal zu sein, für den Start. Und wo wir nun bei Zahlen sind – 2023: ein gutes Jahr für Oslos Barszene? „Ich denke, dieses ist ein gutes Jahr für Oslo. Es gab eine Pause, aber jetzt passiert wieder etwas.“
Für ihn sieht es nicht aus, als gehe es gastronomisch nach der Pandemie den Bach runter, im Gegenteil: „Außerdem kommen mit der Norse Bar Show noch mehr Leute in die Stadt!“ Diese findet übrigens in der ersten Juniwoche statt. Er hofft, dass sein Keller bis dahin vorzeigbare Form annimmt. Mit etwa Monica Berg und dem Himkok war Oslo in seinen Augen immer schon eine wichtige Barstadt. Er glaubt, dass es in den nächsten Jahren eine Menge neuer Bars in Oslo geben wird. Zumindest die Öffnung der historischen Posthallen Ende vergangenen Jahres als eine Art „Bar Mall “ stützt seine These. In jenen Posthallen hat Yildiz zwischendurch auch eine weitere Bar eröffnet. Eine tropische Bar. „Die Kids dieser Tage kennen Tiki gar nicht mehr so recht, deswegen sagen wir, es ist eine tropische Bar. Tiki Bars sind für die Geeks.” Ihm geht es sichtlich um Zugänglichkeit: Seine Karte ist verständlich, im Svanen wird sich nicht gefeiert. Auch wenn die norwegischen Medien das tun, etwa in Titeln als „die schönste Bar der Stadt“. Sie trägt kein Schild außen, denn Yunus Yildiz will, dass man gezielt kommt. Nicht zum Auftanken zwischen H&M und Hugo Boss.
Zentralisierte Zukunft
Es ist schon eine Krux auf einer Straße wie dieser, mit einem Anspruch wie diesem. Denkmalgeschützte Speakeasy-Vibes auf der Prachtstraße. Das erkennt auch Yunus Yildiz: „Natürlich hat es Vor- und Nachteile an einem solchen Ort. Wir haben wenig Laufpublikum. Auch wenn wir versuchen, es so schön wie möglich zu machen, abzulesen, was ein jeder will.“ Die meisten wollen Wein oder Bier, werfen dann aber doch einen Blick auf die Cocktails. Yildiz hat ein dezidiertes Herz für die, die lediglich geschwind auf einen schnellen Drink oder ein Bier vorbeikommen wollen, weil ihr Hotel in der Nähe liegt und das Svanen praktisch situiert ist. Und die zurück kommen: für einen Cocktail vor ihrem Dinner, und für einen danach. Dieser Gattung kommen einige dreimal am Tag: „Das ist kein Witz und keine Lüge“, versichert Yildiz.
Natürlich ist das eines der schönsten Komplimente für einen Bar-Inhaber. Warum aber kommen Menschen aus etwa Asien zu ihm, was macht das Svanen besonders – jenseits des offensichtlichen Einrichtungs-Arguments? Yildiz definiert die Qualität seiner Bar vor allem über das Team – inzwischen in dieser Form beständig seit vier Jahren: „Es herrscht so ein guter Vibe im Team, auf dessen Basis man auch eine gute Stimmung im Raum erzeugt. Meiner Meinung nach schafft eine Bar gar nichts ohne das gute Team.“ Seine komplette Equipe ist beteiligt an den bereits beständigen Projekten und ist dementsprechend auch Teilhaber: „Für mich war das die einzige Art und Weise, meine Dankbarkeit zu zeigen für die viele und harte Arbeit, sowie für deren Loyalität über all die Jahre.“
Und weil die Nachrichtenlage in der Welt dieser Tage eine anstrengende ist, etwas Schönes zum Schluss: Starbucks hätte die denkmalgeschützte Apotheke eigentlich gern gekauft; allerdings wollten sie das Mobiliar und die Raumaufteilung nicht. Es gibt ihn doch, den Rückenwind für die guten Dinge. Und sie schmecken nach Safran und anderen Kräutern und Gewürzen – Zutaten, die Yildiz hier schon in dieser Hausnummer gekauft hat, als sie noch eine Apotheke beheimatete.
So hat sich, bis auf die Darreichungsform, glücklicherweise wenig verändert. Und wer einmal um den Weg ist, sollte außerdem den Gin „Skagerrak“ probieren. Das ist ein Teil der Nordsee zwischen der Nordküste Jütlands (Dänemark), der Südküste Norwegens und der nördlichen Westküste Schwedens; außerdem hat Yildiz ihn mitentwickelt, und er beinhaltet Seetang.
In Oslo wird Zukunft kredenzt.
Credits
Foto: Cocktails: Kevin Fauske