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Yvonne Rahm ist eine der besten Barfrauen Deutschlands. Leider nicht mehr lange.

Warum? Weil sie nach Portugal auswandern will. Was sie dort machen will und wie die gebürtige Berlinerin den Weg in die Bar fand, erzählt sie Eva Biringer im ausführlichen Porträt.

 

Schwarze Hoodies sind das ideale Kleidungsstück für Menschen mit anstößigen Meinungen. Yvonne Rahm sagt viele wunderliche Sätze: „Kollegen ist mein Geschlecht meist egal. Das Problem sind die Gäste, die einen als Frau nicht ernst nehmen.“ Oder diesen: „Mein Vorsatz für das letzte Jahr war ‚mehr trinken und unvernünftiger sein.‘ Hat ganz gut geklappt. Aber ich kenne mein Suchtpotential und achte deswegen auf meine Grenzen.“

Ihr gelingt es, gleichzeitig tough und zugänglich zu wirken. Wie jemand, der mit ausgefahrenen Ellbogen durchs Leben geht, um dann sein Gegenüber im Gespräch herzlich zu berühren. Wobei gelingen das falsche Wort ist, es steckt bei ihr nämlich keine Mühe dahinter.

Tanzen. Losfahren.

Gleiches gilt für ihre Rolle in der Barszene. Seitdem sie 2018 den deutschen World Class Titel holte, ist sie dort recht präsent. Mit Beiläufigkeit und großer Eleganz bewegt sie sich durch diese Welt, und bleibt doch eine Außenseiterin. Weil sie in Wahrheit etwas ganz anderes will: „Tanzen. Endlich mit meinem Van losfahren.“

Kalt ist es noch mal geworden in Berlin. Yvonne Rahm ist eingepackt in einen gelben Parka. Darunter trägt sie die Uniform der Straße: eine Baggyhose mit Karomuster, Rucksack und Skatersneaker, weiße Marshall-Kopfhörer und einen schwarzen Hoodie, auf dem „Plant Based“ steht. Alles einige Nummern zu groß, was sie noch zierlicher wirken lässt. In ihrer Nase stecken zwei Piercings und ihre Haarfarbe schimpfen manche Frauenmagazine als straßenköterblond, was sie vermutlich lustig fände.

Statt Breakdance fand Yvonne Rahm an die Bar

Sie sieht müde aus, war am Abend zuvor mit Freundinnen im Bürkner Eck trinken, dem inoffiziellen Bartender’s Bar Hotspot. Als heutigen Treffpunkt hat sie das Café The Visit in der Schöneberger Goltzstraße ausgesucht, was total Sinn macht, wenn man von ihrer Barista-Ausbildung weiß. Wie sie ihren Kaffee trinkt? „Normalerweise schwarz. Heute als Flat White, mit Hafermilch.“ Seit ihrem dreizehnten Lebensjahr lebt die Berlinerin vegetarisch, seit einiger Zeit vegan. Gekocht und gebacken hat sie immer schon gerne, Köchin wäre Plan B gewesen. Plan A nicht wie erwartet Bartenderin, sondern Tänzerin. „Breakdance, Varieté oder Zirkus, das war mein Traum. Nach meinem Abitur habe ich die Artistenschule besucht. Mit 21 musste ich aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Ich war magersüchtig.“

Sie erzählt das mit fokussiertem Blick aus ungeschminkten, swimmingpoolblauen Augen. Je mehr sie trainierte, desto weniger aß sie, das macht ein Körper nicht lange mit. Seit beinahe sieben Jahren isst sie wieder regelmäßig. „Viel mehr als die Therapie haben mir meine Freunde geholfen, ohne die hätte ich das alles nicht geschafft.“

Yvonne Rahm vor dem Bonvivant in Berlin, wo sie die Barkarte entwickelte
Tanzen. Losfahren. Bar. Yoga. Yvonne Rahm behält sich im Auge.

Warum trinken Leute das?

Seit sie siebzehn ist, arbeitet Yvonne Rahm in der Gastronomie. Lange Zeit in einem bulgarischen Crêperestaurant im Simon-Dach-Kiez (das ist jener Teil Friedrichshains, der bekannt ist für Schirmchencocktails und Happy Hours mit Open End). Mit dessen Chefin versteht sie sich bis heute so gut, dass die beiden gemeinsam Weihnachten feiern. Mit Anfang zwanzig trank die Berlinerin wenig Alkohol. „Ich mochte weder Geschmack noch Wirkung und habe mich gefragt: Warum trinken Leute das?“

Trotzdem absolvierte sie eine einwöchige Cocktailschule und experimentierte fortan mit den Zutaten neben dem Crêpeeisen, wie Obst und Marmelade. Parallel dazu servierte sie im veganen Café Goodies grüne Smoothies und Hafermilch-Latte, arbeitete als Grafikdesignerin und Partyveranstalterin und begann ein Informatikstudium, das sie aus finanziellen und gesundheitlichen Gründen nicht abschließen konnte.

In der harten Schule der Schwarzen Traube

Ende 2013 wurde sie Teil des Schwarze-Traube-Teams. Diese intime Kreuzberger Bar von Atalay Aktaş stellt ihre Mitarbeiter vor die nicht ganz einfache Aufgabe, täglich vier total neue Drinks zu kreieren. Für die 33-Jährige die beste Schule überhaupt. „Irgendwann hat man Routine, und dann macht es großen Spaß.“

Kein Wunder, dass sie schließlich bei der World Class landete, bei der in mehreren Disziplinen spontaner Ideenreichtum gefragt ist. Dass ausgerechnet der aus Bourbon, Zitronensaft, Zuckersirup und Ananasmarmelade bestehende Granny’s Vasara in den Köpfen der Leute geblieben ist, ärgert sie. „Hinter meinem Rücken haben sich einige über mich lustig gemacht, nach dem Motto: ein Marmeladendrink?“

Tatsächlich könnte man den Drink als Referenz an ihre Zeit am Crêpeeisen verstehen, as a tribute sozusagen, oder man schaut, was sie sonst noch gemacht hat, beispielsweise einen als warme Gurkensuppe servierten Drink mit Don Julio Blanco, Koji, Amazake, Dillöl und Ayran, oder Capital B. mit Berliner Weiße, Whiskey-Honig-Waldmeister-Likör und Rosensirup.

Das Sehnsuchtsland der Yvonne Rahm

Whatever, Rahm gewann als erste Frau den Deutschlandtitel, für sie völlig überraschend. Und das, obwohl sie doch eben erst auf Portugal zurückgekommen war, ihrem Sehnsuchtsland. „Dort habe ich endlich wieder getanzt und viel draußen abgehangen. Zurück kam ich nur, weil meinem Exfreund und mir das Geld ausgegangen war.“

Beim weltweiten World Class Finale kam sie mit ihrer in einer Austernschale servierten Manhattan-Variation aus Johnny Walker, Belsazar Riesling, Apfelmus, Blauschimmelkäse, Passionsfruchtessig und Kaffee unter die letzten Zwanzig. Im Frühjahr 2019 wurde sie Barchefin im wenige Schritte vom The Visit entfernten Cocktailbistro Bonvivant, seit Dezember ist sie selbstständig. Aktuell entwickelt sie die Getränkekarte eines japanischen Restaurants und berät Bars – mit großer Freude, wie sie sagt. Und nimmt wieder an einem Wettbewerb teil, dem Bacardi Legacy. „Ich liebe diese Herausforderung, da kommt meine Sportlerseele durch.“

Never forget where you come from: Dass sie Berlinerin ist, hört man zum Beispiel, wenn sie „jetze“ sagt. Heute lebt sie wieder dort, wo sie aufgewachsen ist, in Alt-Treptow. Allerdings nicht mehr lange. „In drei Monaten gehe ich zurück nach Portugal, hoffentlich für immer“, verrät Rahm mit strahlendem Gesicht. Mit einem Van will sie die Mittelmeerküste entlangfahren, Freunde besuchen, dann erst mal in Lissabon oder Porto bleiben, langfristig aber raus in die Natur, irgendwo an die portugiesische Küste. „Es wäre schön, wenn ich in Portugal mit dem Mixen weiterhin Geld verdienen kann, aber mein Fokus liegt woanders.“ Auf Yoga zum Beispiel, weswegen sie derzeit eine entsprechende Lehrerausbildung macht. Auf Surfen und Musik und auf alles, was schief läuft auf der Welt. „Da fliegen Flugzeuge in Hochhäuser und gleich danach folgt eine Wimperntuschewerbung.“

Zwischen Greta Thunberg und Naomi Klein

Die ihr zuteilwerdende Aufmerksamkeit will sie für ihre Anliegen nutzen. Für die Bacardi Legacy etwa hat sie sich nicht nur den Haselnuss-Honig-Drink Laloba (mit dem sie die lokale Berliner Ausscheidung gewann) ausgedacht, sondern auch einen Bartourflashmob organisiert, bei dem Interviewausschnitte von Greta Thunberg und Naomi Klein zu hören sind.

Sie erzählt das mit diebisch blitzenden Augen, wie jemand, der gerade die nächste Antifa-Aktion plant. Liegt vielleicht aber auch am schwarzen Hoodie.

Credits

Foto: Eva Biringer

Comments (1)

  • Robert Schröter

    Ein schöner Artikel!
    Mit ungewöhnlich klaren Einblicken, welche ich gerne las.

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