Wissenswertes für Wissbegierige: Ein Rückblick auf die Zürich Bar Show 2024
Also, ja, Zürich ist schon anders. Sogar die gelegentlichen Graffiti sehen ordentlich aus, auf den Kanaldeckeln steht zur Sicherheit nochmal „Kanalisation“, und unter so ziemlich jedem Verbotsschild wird das Verbot zusätzlich benannt, inklusive Erfinder und Exekutor des Verbots. Eine Mobilfunkfirma wirbt damit, dass ihre Flatrate nicht nur in der Schweiz gilt, sondern auch „in Europa“. Als Anders-Europäer kann man stundenlang flanieren und sich an diesen Kleinigkeiten erfreuen, und, natürlich, ist auch die Bar Show etwas anders.
Zürich Bar Show – aber wie bitte klingt denn das? Bar Show? Was ist denn das für ein Name? Für ein Event in der Schweiz obendrein? In Zürich zudem, und nicht in so einem Schweizer Duisburg, falls die da sowas überhaupt haben. Das kann man doch auch ein bisschen elitärer bezeichnen; der Handgelenkverschönerer ein paar Straßen weiter heißt ja auch „Boutique Rolex“ und nicht „Armbanduhrenladen“. Also, man könnte da begrifflich schon ein wenig aufmörteln. Irgendwas mit „Salon“ oder „Residenz“ oder so fände ich gut. „Colloquium“ ginge auch, oder „Synode“. „Cocktail-Konzil“.
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Begrenzter Platz, aber viel Freude
Man betrachte da nur den Veranstaltungsort! Andere räumen für eine Veranstaltung dieser Größe die Schulturnhalle leer, Zürich zelebriert seine „Bar Show“ in der Widder Bar, der Bar, deren Trophäenregal der exorbitant gut bestückten Backbar Konkurrenz zu machen droht, und die neben einem Hotel auch gleich noch über ein Zweisterne-Restaurant verfügt, falls man von einem Hüngerli geplagt werden sollte.
Tatsächlich aber ist Zürich eher ein Ort, an dem Bars etwas gezeigt wird, als dass sich die Bars zeigen. Womöglich mehr als bei den vergleichbaren Events steht die Wissensvermittlung im Vordergrund; an zwei Tagen, dem 27. und dem 28. Mai, wurde über je sechs Stunden hinweg in zwei Tagungsräumen mit Wissenswertem auf die zahlreichen Wissbegierigen eingeballert, die teils aus der ganzen Schweiz angereist waren.
Gut, wir reden tatsächlich von Tagungsräumen und eben nicht von Turnhallen; der Platz war begrenzt, und dennoch machte es Freude zu sehen, wie von Anfang bis Ende die Zuhörer dicht gedrängt den Vortragenden lauschten. Maria Kontorravdis aus dem Londoner A Bar with Shapes for a Name hörte erst noch bei den Kollegen aus dem Handshake Speakeasy in Mexico City zu, bevor sie nebenan ihre eigene „School of Flavours“ abhielt. Jason-Candid Knüsel (Healthy Hospo) entwickelte kenntnisreich Entlastungskonzepte mit ausreichend Schlaf und gesunder Ernährung für einen Beruf, der immer noch viel zu schnell seine Berufstätigen verbrennt. Lokalmatador Dirk Hany aus der fünf Minuten entfernt gelegenen Bar am Wasser hätte seinen Vortrag über psychologisches Bar Management vermutlich noch zweimal wiederholen können und hätte immer noch volle Hütte gehabt. Ich selbst war Teil eines Talks über den Einfluss von Frauen in der Barwelt, zusammen mit Georgia Georgakopoulou (Etiquette Agentur, Athen), Mandy Genewein (Little Mercies, London) und Sarah Swantje Fischer (Velvet, Berlin). Titel: „Shattering Stereotypes“. Tja. Immerhin erwies sich meine Befürchtung, für die Rolle des zu zerstörenden Stereotyps vorgesehen zu sein, als nicht zutreffend
Lernen von Jung und Alt
Armin Azadpour und Wolfgang Mayer sind allgegenwärtige und aufmerksame Gastgeber; vom Kaffee bis zum kleinen (und immer gewinnbringenden) kleinen Schubser ins nächste Seminar sind sie immer und überall aktiv, bis man das Gefühl bekommt, in der Widder Bar ist neben dem Wasser- auch noch der Wissensservice im Dienstleistungsspektrum inbegriffen. Die Atmosphäre ist überaus angenehm, nicht überladen, wenn auch opulent, und man hat nicht einen Augenblick lang den Eindruck, seine Zeit zu verschwenden.
Nun ist der gesamte Zürcher Kleinkosmos nicht gerade prekariatsaffin, und neben der Widder Bar macht es natürlich Spaß, sich da ein wenig in dieser deutlich über dem eigenen Gehalt angesiedelten Welt umzusehen. Dringend sollte man zum Beispiel in die Bar am Wasser gehen, wo Finanzprolls wie die Geissens lernen könnten, Reichtum ohne Lautstärke zu zelebrieren, und wenn sie sich dann da bewährt haben, dürfen sie vielleicht sogar noch in die Kronenhalle, um einen Ort zu erleben, der mit seinen Originalen von Picasso, Miró und Matisse wie vielleicht weltweit kein zweiter die Barkultur mit Kunst und Literatur verbindet. Elitär, natürlich, aber vor allem im besten, weil geistigen Sinn. Abends begegnet man dann tatsächlich noch Peter Roth, dem legendären, langjährigen Chef de Bar, der auch in seinem Ruhestand von Ruhe wenig wissen will und in Auftreten, Anspruch und Eleganz wie die Schweizer Version eines Charles Schumann daherkommt. Das richtige Leben hinter der richtigen Bar scheint jedenfalls der Gesundheit nicht abträglich zu sein. Wehe dem, der glaubt, von den Doyens der Bar ließe ich nichts mehr abschauen.
Auch Gastschichten gehören dazu
Natürlich nutzt auch Zürich die Anwesenheit der mehr oder minder weit Gereisten für diverse Gastschichten, und so wird es dann doch noch zu einer Barshow, bei der sich auch die Bars zeigen – ebenfalls jedoch alles ziemlich unaufgeregt. Man schlendert gemütlich von hier nach dort, besucht diesen oder jenen und stellt erfreut fest, dass auch in der Schweiz Qualität nicht immer in 18 Karat daherkommen muss, sondern auch mal ganz leger. Die Bar Lupo zum Beispiel, wo man wieder auf Jason-Candid Knüsel trifft und ohne viel Firlefanz gemütlich drinnen sitzen kann oder draußen, sehr gut essen, sehr gut trinken … was braucht man mehr. Stammkneipenpotential auf hohem Niveau.
Das Late Bloomers sollte mittlerweile auch europaweit ein Begriff sein; die gemütliche Neighborhood-Bar mit ihrem ganz eigenen Vinyl-Vibe ist ein Meilenstein des Understatements; das Team rund um Vangelis Dimitris, Aineias Chilas und Stelios Kalemis bringt alles mit, was die griechische Barszene in den letzten Jahren so weit nach oben gebracht hat; sie sind weltweit bestens vernetzt, laufen aber dennoch nicht jedem Bierzelt-Tusch hinterher. Ihre Zweitbar, die Kasheme, sei ebenfalls wärmstens empfohlen. Als Gastgeber sind sie mediterran-familiär und begreifen ihre Einladungen als Verpflichtung zur Rundumversorgung; man muss vorsichtig sein, um bei einer derartigen Behandlung nicht die Fähigkeit zum selbständigen Dasein zu verlieren.
Besondere Späteinlage am Markt
Für ein außergewöhnliches Erlebnis war dann noch Armin Azadpour verantwortlich, der um ein Uhr nachts plötzlich die versammelte Feiermeute im Late Bloomers um sich schart, um sie kollektiv zum Zürcher Großmarkt zu verfrachten, wo Max Marinello vom gleichnamigen Frucht- und Gemüselieferanten mit über 100-jähriger Geschichte, eine Führung durch den Markt anbietet, der gerade eben zum Leben erwacht. 20 Tonnen Ware schlägt allein Marinello pro Tag um, und dabei geht es nicht um Supermarktware, sondern nur um die absoluten Top-Qualitäten für die entsprechenden Abnehmer. Die Schweiz liegt in der Mitte Europas und hat erkennbare Standortvorteile darin, von beinahe überall das Beste vom Besten zu bekommen. Die etwa 40 Bartenderinnen und Bartender stehen mit unverhohlener Begeisterung den Marktarbeitern im Weg herum und bestaunen kaum bekannte Produkte in kaum bekannter Güte. Ein seltenes Privileg, einen derartigen Einblick hinter die Kulissen zu erhalten.
Zürich ist kein Ort für Bullshit; Zürich ist teuer, aber es gibt auch viel Geld zu verdienen, und so oder so mag man seine Zeit nicht mit Kasperltheater verschwenden. Dahinter aber steckt auch immer noch sehr viel Herz, und Aineas vom Late Bloomers fasst es perfekt zusammen: „Lass uns reden. Lass uns offen miteinander reden. Setzen wir uns zusammen, als Freunde, und reden miteinander.“
Beglückt gehe ich durch die unglaublich saubere, ruhige und friedliche Stadt Richtung Hotel nach Hause. Ein wunderschönes Erlebnis. Die beiden freundlichen Damen, die mich auf dem Heimweg noch ansprechen, stellen sich immerhin als Prostituierte heraus.
Fast bin ich ein bisschen beruhigt. Wäre ja alles sonst fast zu schön, um wahr zu sein.
Credits
Foto: Jannis Hafner & Shepherd Media