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Nachhirschen? Die Top Fünf der Kräuterlikör-Designs aus GSA

Unser Designkritiker Iven Sohmann zieht mal wieder ordentlich einen von der Leber und präsentiert die feinsten Augen- unter den vermeintlichen Verdauungstropfen.
 Novum: Zum ersten Mal haben es G, S und A aufs Treppchen der Top Fünf GSA-Packagings geschafft. Wir belassen es aber bei Lobeshymnen.

Als im Radio noch Mambo No. 5, im Kino noch Matrix und im Westfalenstadion noch Andy Möller lief, startete die Marke Jägermeister einen Imagewandel wie ihn im deutschsprachigen Raum sonst wohl nur Xavier Naidoo vollzogen hat. Allerdings in die entgegengesetzte Richtung: vom Ewiggestrigen zum Branchenkrösus.

Mit den Werbespot-Hirschen Rudi & Ralph, Aktionen wie der Miss Arschgeweih-Wahl oder auch der KeinJägermeister-Kampagne setzte der Kräuterlikör Jägermeister regelmäßig Meilensteine in der Werbekommunikation und avancierte vom Altherrengetränk zur wertvollsten Spirituosenmarke Deutschlands. Angesichts dieses Triumphes ist es kaum verwunderlich, dass sich andere Kräuterliköre an der Marke mit dem Hirschen ein Beispiel nehmen.

Nächster Halt: Zoologischer Garten

In der Kreativbranche weiß man zwischen Inspiration und Ideenklau zu differenzieren, wiewohl die Grenzen nicht immer gleich gezogen werden. Man muss das Rad jedenfalls nicht neu erfinden, um ein wettbewerbsfähiges Auto zu gestalten. Oder eine S-Bahn. Oder einen Rollkoffer. Dass sich tierische Markenbotschafter auf Kräuterlikör-Packagings großer Beliebtheit erfreuen, ist also vollkommen legitim. Die Häufigkeit ist aber durchaus bemerkenswert.

Neben dem eher wenig weit hergeholten Hirschrudel, finden sich im großräumigen Kräuterkäfig auch Kuckucke (Mr. Cuckoo), Adler (Absacker of Germany), Muli (Muli68), Affen (Clockers Herb) und Löwen (Löwenblut). Und das ist nur eine Auswahl unter den Ansehnlichsten. Die Motive für die Motive sind verschieden. Die Biene beim Gude Nacht – Kräuterlikör mit Honig ist beispielsweise schlicht der namensgebenden Zutat geschuldet, das Verpackungsdesign reiht sich ansonsten nahtlos in die vorbildlich durch deklinierte Produktpalette der Dachmarke Gude ein. Abseits der Faunafanatiker ist serielle Gestaltung übrigens auch beim KR/23 der LQR Company, dem Gyld der Gebrüder Elwert und dem Mamma Nero von Gaffel zu beobachten.

Was nach dem Jägermeister-Boom sonst noch an hochwertigen, prägnanten und innovativen Kräuterverpackungen entwickelt wurde, zeigt die folgende Top Fünf. Meine liebe Klosterfrau Melissengeist, das müssen Sie erstmal verdauen! Die besten Kräuterlikör-Packagings aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Platz 5: Michelberger Wald

Es war einmal ein hyperhippes Hotel in Berlin-Friedrichshain, das sich mit einem steinalten Spiritusfabrikanten zusammentat, um der Welt ein schaurig-schönes Märchen aufzutischen: der Schnaps im Wolfspelz. Die Kooperation des Michelberger Hotels mit der Preussischen Spirituosen Manufaktur nutzt die sich bietenden Freiheiten eines Hausprodukts und hüllt es in einen umlaufenden Siebdruck. Von hinten wie von vorne: Michelberger Wald.

Vor güldenem Inhalt erzählen farbenfrohe, aber düstere Illustrationen von Waldromantik, Nachtwanderung und mystischen Verwandlungen. Ist ja schließlich nicht selten, dass man sich beim Wandern einen Wolf säuft. Während das liebevolle Artwork und die im wahrsten Sinne umfassende Etikettierung des Kräuterlikörs vollends zu überzeugen wissen, lassen sich Standardflasche und Verschluss leider nicht so recht schöntrinken. Ein höchst innovatives Packaging mit geringen Abzügen in der A-Note. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann optimieren sie vielleicht morgen.

Design: Azar Kazimir

Foto: Michelberger

Platz 4: Amanero

Ja, wo samma denn? Deutschland? Italien? Dazwischen? Der Amanero der Brennerei Schnitzer ist ein dunkler Kräuterbitter aus den Chiemgauer Voralpen, Südost-Oberbayern. Das Kofferwort aus amaro für „Bitter“ und nero für „schwarz“ verweist wie auch Flaschenform und -farbe auf den italienischen Teil der Unternehmensgeschichte. Der Senior-Brennmeister hat in den Sechzigern da gelernt, wo andere Urlaub machen und das Rezept mit über 30 Kräuteressenzen importiert. Das Etikett lag aber vergleichsweise nahe.

Um den Markenschriftzug mit allerlei Hairlines und Highlights tummelt sich die Zutatenliste als kolorierte Strichzeichnung in Form eines Insalata di Pasta. Der „Amaro Bavarese“ zeigt, was in ihm steckt, und lagerte monatelang im Barrique-Holzfass. Keine Sorge, die Tiere in diesem Kräuterlikör schmeckt man nicht, sie symbolisieren lediglich die Jagdpassion des Seniors. Diese wimmelbildartige Veggie-Wolke mit Fleischbeilage hätte ein Einhorn jedenfalls nicht ansehnlicher rülpsen können. Und wo ist Walter? Oder Wally? Oder Waldi?

Design: Cskw 

Illustration: Max Osvald

Foto: Anja Prestel

Platz 3: iva 

Die im wahrsten Sinne erlesene iva stammt aus Zernez aus dem Engadin. Von den blauen Bergen also. Oder vielmehr von den grünen. Diesdas, Skipass, iva. Jetzt bloß nicht fragen wer’s erfunden hat! Es waren die Rätoromanen. Im Standarddeutschen spricht man stattdessen von der Moschus-Schafgarbe, vor Ort aber auch vom „Wildfräuleinkraut“ – ein traditionelles Mittel gegen Magenverstimmungen. Stichwort Raclette, Stichwort Fondue.

Den aus der gleichnamigen Pflanze gewonnenen Kräuterlikör macht vor allem seine natürlich grüne Färbung zum Hingucker. Das rechtfertigt die reduzierte Gestaltung zwar nur bedingt, der Heilsanspruch tut das aber umso mehr. Selten kommen Apothekerflasche- und aufmachung so legitim zum Einsatz wie beim rundum stimmigen Packaging der iva. Klassizistischer Markenschriftzug, schreibmaschinte Typografie, händische Nummerierung, echter Stempel und on top ein vergleichsweise selten verwendeter Glasstopfen, der Gletscherassoziationen zu fördern weiß. Alpenland, ick hör dir rufen!

Design, Foto: Julia Bochanneck

Platz 2: Kalê 

Kale wird auch die Glänzende genannt. Sie ist die jüngste der drei Grazien aus der römischen Mythologie und zugleich Namenspatronin und gestalterisches Zentrum des Kräuterlikörs Kalê. Vienna pouring! Während die Zutatenliste vom Schmelztiegelstatus der Stadt inspiriert ist, verkörpert die leicht asynchrone Choreografie der drei Frontfrauen die Wiener Gelassenheit. Grazil, aber wienerisch.

Auf dem Bauchetikett werden rankende Illustrationen, figürliche Bleistiftzeichnungen und veredelte Spruchbänder gekonnt kombiniert. Dabei verstärken sich die Kupferstichanmutung letzterer und die zugrunde liegende, mintgrüne Peterskirchenpatina gegenseitig. Wien-Wien-Situation. Auch der Schriftmix aus Art-Deco-Font, geometrischer Grotesk und handschriftlicher Antiqua wirkt überraschend harmonisch. Die prunkige Karaffe der Kalê samt Glasstopfen und Siegelwachs tut ihr Übriges. Mythologisch, metropolisch und irgendwie magisch – eine gestalterische Glanzleistung.

Design: Le Foodink 

Illustration: Anna Luise Schnur

Foto: Thomas Apolt

Platz 1: Pijökel 55

Die einen schnitzen Pfeil und Bogen und lachen sich einen Ast, andere finden ein Stück Wurzelholz, erklären es zum Kultobjekt und huldigen fortan dem „Pijökel“. So geschehen im Jahr 1955, als sich irgendwo bei Bremen aus einer Pennälerposse die „Pijökel-Bruderschaft“ gründete. Gymnasiastenhumor at its best. Der Truppenapotheker entwickelte ein paar Jahre später einen Kräuterlikör, der fortan unter Treueschwüren von ein und dem selben Alulöffel konsumiert wurde. Kräuter is a hell of a drug.

Trotz seiner Wiederbelebung in Berlin ist der Pijökel 55 im Jahr 2010 nicht weit vom Stamm gefallen. Der Inhalt der braunen Apothekerflasche entspricht der Originalrezeptur, das eigensinnige Bauchetikett zitiert die Brudibräuche im schnittigen Holzschnitt-Look (zumindest seit dem Rebranding von 2015). Schwurhand, Löffel und alchemistische Knasttattoos als UV-lackiertes Sonderfarbenklebchen – bei diesem konsistenten Artwork kann Bleigießen einpacken. Platz 1. Schwöre und frohes Neues!

Design: SchäferWolf 

Foto: Pijökel

Kräuterlikör: Scheitern für Profis

Dass der wohlverdiente Sieger in diesem Ranking Pijökel 55 heißt, wäre vor drei Jahren noch undenkbar gewesen. Nicht, dass das Packaging damals schlecht war. Es sah jedoch eher nach einem Schweizer Balsamico powered by Rotkäppchen denn nach einem Kräuterlikör made in Berlin aus. Der Mut, sich per Rebranding zum Löffel zu machen, zahlt sich aber nicht nur in diesem weltbedeutenden Online-Artikel aus. Die Neuausrichtung ließ zudem ein sattes Umsatzplus verzeichnen. So kann man Jägermeister ebenfalls nacheifern.

Man kann die Veränderung aber auch direkt zum Konzept erklären, wie die stetig wechselnden Editionen von Borgmann1772 eindrucksvoll unter Beweis stellen. Mit dem Logo und der Aluminiumflasche als Konstante, lässt der Berliner Hersteller Borgmann&Clausen die Verpackung seines Kräuterlikörs in etwa jährlich von namhaften Kreativen redesignen. Neben haptischen, textlichen und illustrativen Höhepunkten, kommen dabei auch niedere Instinkte zum Vorschein (wow, ein von Raucherfingern betatschter Frauenhintern, frech). In der Gesamtheit ist der litfaßsäulenartige Output dieses Trial and Errors aber sehenswert und erfrischend.

Gewohnheitstiere hin oder her: die hundertste Apothekerflasche als Ommas Nachlassverwalter lockt jedenfalls kaum noch jemanden hinter der Schrankwand hervor. Und die röhrenden Jagdtrophäen über der Holzvertäfelung so: “Traut euch!”

Credits

Foto: Foto via Shutterstock.

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