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rivabar Berlin

Riva ne va plus: Eine Berliner Institution sperrt zu

Die rivabar im Herzen von Berlin-Mitte hat Bar- und Stadtgeschichte mitgeschrieben. Jetzt hat Jean-Pierre Ebert genug. Der Quereinsteiger und Querkopf, der die Institution die letzten neun Jahre geprägt hat, verabschiedet sich am Wochenende mit seinem Team von seinen Gästen. Im Gespräch lässt er noch einmal die Jahre Revue passieren.

Jean-Pierre Ebert ist schon immer mittendrin, aber irgendwie auch voll daneben. Oder wie soll man es bezeichnen, wenn ein promovierter Ingenieur mit Aussicht auf eine akademische Karriere in Berlin-Mitte eine Bar mit angeschlagenem Renommee übernimmt, als der Bezirk selbst schon nach Avantgarde, hip oder totsaniert mit allen erdenklichen Attributen durchdekliniert ist. Inzwischen rangiert das Nachtleben in Berlin-Mitte, bis auf die klandestinen Schätze, in der Wahrnehmung kurz hinter Oberschöneweide, im Volksmund auch Oberschweineöde genannt. Eingeklemmt zwischen Hackescher Markt und Alexanderplatz ist die Döblin-Romantik längst der gähnenden Gentrifizierung auf der einen und der gespenstischen Geisterbahnattraktion der Vorstadtrummelplätze für Hau-den-Lukas-Feierbolzen auf der anderen Seite gewichen.

Hier eine ambitionierte Bar für ein differenziertes Publikum zu betreiben, ist Unfug. Das sieht selbst der notorische Dickbrettbohrer Ebert ein. Am 13. Mai 2017 werden nach insgesamt 18 Jahren im Kiez und neun Jahren Ebert-Ägide hinter dem Tresen, der die Form eines riesiges Longboards oder eines Kutters mit Tiefgang hat, die letzten Pullen hervorgeholt und stilecht entsorgt. Dr. Ebert sperrt zu.

Keine Erfahrung, viele Ideen

Jean-Pierre Ebert war nie mittendrin, aber irgendwie doch voll dabei. Die akademische Karriere beginnt allmählich, ihre einmauernde Dynamik zu entfalten. Aus dem stillen Labor heraus zeichnet sich am Horizont die Spießertrinität ab: Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen. Ebert sucht eine andere Maxime. Er ist begeisterter Bargänger, Genusstrinker und Forschender in Sachen Barkultur.

Über seine Bekanntschaft mit Beate Hindermann oder Gonçalo Sousa de Monteiro – beides selbst Quereinsteiger – wächst seine Hochachtung für den Beruf des Bartenders. Er liest im Playboy, dass viele Männer davon träumen, eine Bar zu besitzen. Damit ist es passiert. Die männlichen Distinktionsmerkmale bestimmen ab jetzt sein Leben: Unrast, Hedonismus, Liquides. Obwohl Berlin-Mitte auch in seiner Wahrnehmung den Zenit überschritten hat, treibt es ihn und seine Geschäftspartnerin Dorothee Müller in die Herausforderung, die rivabar wieder in den Kreis ernstzunehmender Bars zu führen. 2008. Er hat keine Erfahrung, viele Ideen, wenig Angst, klare Strukturen, zähen Willen und ein gutes persönliches Umfeld. Dr. Ebert sperrt auf.

Hochkultur des Wohlfühlens

„Da war erst Mal viel Veränderungsnaivität dabei. Aber ich wollte raus aus der Studierstube, was mit Menschen in der Öffentlichkeit machen. Zuerst hieß es von den Barkräften lernen, die bestehenden Strukturen verstehen und neu justieren. Die ersten beiden Jahre habe ich quasi nur Backup im Office gemacht, mich im Service getummelt und als Runner die Löcher gestopft.“ Erst dann lässt er sich selbst an die Mixstation, erinnert sich Ebert.

Die Dinge entwickeln sich zunächst prächtig. „Wir haben uns ein heterogenes Publikum aufgebaut. Eine Mischung aus Szene, jüngeren, neugierigen Leuten und erfahrenen Gästen, die auch gerne mal etwas Geld dalassen. Auch Laufkundschaft war dabei, aber der Stammgästeanteil lag bei 60 bis 70 Prozent.“ Ebert hat ein stabiles Team, es ist eine Kaderschmiede für talentierte Bartender wie Konrad Friedemann, Markus Littmann, Maximilian Heidenreich. Auch erfahrenen Kräften wie Annika Leverenz lässt er allen Freiraum, sich zu entfalten.

„Jetzt, wo alles sich dem Ende nähert, bekomme ich von dem einen oder anderen, der nicht mehr im Team ist, Nachrichten, dass sie die Arbeitsbedingungen hier sehr geschätzt haben“, so Ebert mit einer Mischung aus Stolz und Wehmut. Hier deutet sich schon eine Bruchlinie in der neueren Geschichte der rivabar an.

Doch zunächst stehen die Zeichen auf Angriff. Die Vorgabe lautet, aus der Bar, trotz ihrer relativen Größe, einen Ort zu machen, in dem die Qualität der Drinks zwischen internationalem Anspruch und Mainstream ohne fühlbare Klassenunterschiede im Zentrum steht. Die Hochkultur des Wohlfühlens ist das Ziel. Und in der Tat: Die rivabar macht positiv von sich reden, auch, wenn manche Attacke daneben geht.

Virale Schlachten

Wie kommt ein tüftelnder Querschädel aus Karl-Marx-Stadt darauf eine Bar, benannt nach einem italienischen Stürmer, der 1970 bei der WM in Mexiko im sogenannten „Jahrhundertspiel“ Fußballdeutschland mit seinen Toren eine der fernetbrancahaftesten Niederlagen ihrer Geschichte zugefügt hat, zu übernehmen?

In Eberts Jugend heißen die Vereine „Energie“, „Traktor“, „Wismut“ oder „Turbine“, alles Begriffe, die auf den ersten Blick besser zu einem Ingenieur passen. Aber nach ein, zwei Drinks und etwas Synapsensegelei gelangt man dann zum Sinn des Ganzen. Riva, Riviera. Ebert ist leidenschaftlicher Surfer, fährt jedes Jahr nach Frankreich, um mit Wind und Welle zu spielen und auf der Fahrt nach Hause kistenweise Champagner jenseits des erhältlichen Einheitsangebotes für die Bar zu beschaffen. „Zu Champagner habe ich erst über die Bar Zugang gefunden, das war vorher Terra Incognita für mich“, sagt er mit Glanz in den Augen.

Auch die rivabar vollführt ihr Nachtwerk auf der Sonnenseite, und Ebert will mehr. Er will mit seiner Bar ins Getümmel, mitten rein in die vitale, aber auch hermetische Welt der Barszene. „Ich bin aber kein exzessiver Bargänger, beschäftige mich in meiner Freizeit noch mit Dingen jenseits der Branche. Da stellte sich die Frage, wie man daran aktiv teilnehmen kann, ohne jeden Abend mit anderen Kollegen an der Bar abzuhängen, sich auszutauschen und Drink um Drink zu nehmen?“

Ebert stürzt sich in virale Schlachten und kennt nur riva’sche Offensive. Über Facebook und Blogs beteiligt er sich an Debatten, greift sie auf, provoziert und schießt auch manchmal über das Ziel hinaus, macht Welle. Besonders Jörg Meyer und MIXOLOGY-Herausgeber Helmut Adam werden nicht geschont. Big-Wave-Surfer eben.

„Da gab es in dieser Szene hochintelligente Statements, dazu gehören eben Adam und Meyer. Da wollte ich hin, wollte meine Zweifel am Statuarischen äußern, was lernen, aber auch Auseinandersetzungen in Gang bringen. Aus heutiger Sicht würde ich manches so nicht mehr machen. Ich hätte meine Kritik und meine Angriffe positiver konnotieren sollen, da ist dann manchmal der Inhalt hinter der Form verschwunden“, gibt er selbstkritisch zu. „Oft sind diese Debatten aber leider durch idiotische Kommentare zerstört worden. Na ja, ich war ja Teil davon. Letztlich bin ich da auch ein Außenseiter geblieben.“

Angekommen, um wieder zu gehen

Aber die rivabar ist angekommen. Sie wird unter Fachleuten und Besuchern mit Anerkennung wahrgenommen, tut dem gastronomischen Niveau des Areals gut. Das Gift aber versteckt sich nicht im Lob, sondern wirkt schleichend. „Der erste Einschnitt kam 2013. Wir haben unsere starke Zeit trotz Terrasse immer in der Herbst- und Wintersaison. Da unterscheiden wir uns nicht von anderen Bars. Aber nach dem Sommer habe ich eine Veränderung gespürt. Manche Freunde und Stammgäste sind seltener gekommen. Einige sind weggezogen, die neuen Gäste waren volatiler. Das sind Leute, die oft Jobs haben, die viel Reisen mit sich bringen. Wenn sie dann ausgehen, wollen sie Party, schnell ganz viel erleben, genauso wie die Berliner Gäste von außerhalb und Touristen. Hier in Mitte ist das Publikum nicht so gewachsen wie in Schöneberg, das im eigenen Kiez ausgeht.“

Auch beim Personal gibt es Veränderungen. „Es scheint ja in der Barwelt normal zu sein, dass Arbeitsplätze häufiger gewechselt werden als in anderen Branchen. Ist ja auch in Ordnung, Bartender sollen Erfahrungen machen. Letztendlich führt das zur Erkenntnis, dass eine Bar auch für sich alleine stehen muss“, so Ebert nachdenklich.

Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr bremsen, die Strukturanpassung, die Gentrifizierung – zu der ja letztlich auch Bars beitragen, bevor sie selbst gentrifiziert werden – kann auch die rivabar nicht verhindern. Kleine, spezielle Konzepte können in solch einem organischen Soziotop überleben, ohne Kompromisse zu machen, eine Bar, die auf Volumen basiert, ist dem eher ausgeliefert. Ebert schaut sich das Ganze noch eine Weile an, justiert hier und da, spürt aber letztlich die Macht der Zwänge. „Das ist eben so, lässt sich aber mit meinen Ideen nicht länger vereinbaren. Klar kann man immer weiter machen, man kann’s aber auch lassen, wenn die Balance aus Engagement, Ertrag und Freude nicht mehr stimmt. Ich habe keine Lust, Drinks an den Bedürfnissen der Leute vorbei zu produzieren, oder Drinks für Leute zu machen, auf die ich keine Lust habe.“

Ein Stück Berlin-Geschichte: die rivabar               

Jean-Pierre Ebert wirkt nicht sonderlich betrübt, wenn er die neun Jahre noch einmal Revue passieren lässt. „Nein, im Gegenteil. Der schönste Gewinn ist die Tatsache, es überhaupt gewagt zu haben, sich dem Experiment gestellt zu haben.“ Und, ganz Wissenschaftler, „die Resultate sind nicht eindeutig. Der Beruf und die Welt der Bar sind aber einzigartig. Wer weiß, was mir in Zukunft dazu noch einfällt.“

Hoffentlich eine Menge. Die rivabar war und ist alles andere als eine Quantité négligeable. Sie hat Berlin-Geschichte der Nachwendezeit mitgeschrieben und Spuren hinterlassen. Da es beim mixenden Ingenieur nicht ganz ohne Düsentrieb geht, wird in den nächsten Tagen noch einmal die selbstkonstruierte, thermo-mechanische Eiskugelschmelzmaschine angeworfen und die Bar ausgetrunken.

Danach geht Ebert Dinge tun, die vielleicht auch im Playboy stehen. Dinge, die Männer tun müssen. In Japan über Bars nachdenken, surfen und den Schwarzen Gurt in Judo machen. Für die Zukunft gilt: „Niemand hat die Absicht, eine Bar zu bauen.“

Credits

Foto: Foto via rivabar.

Comments (9)

  • Lars

    Klasse geschrieben. Und ich bin froh die riva Bar von innen erlebt zu haben! Der Mannschaft plus Chef für die Zukunft alles Gute!

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  • Jean-Pierre Ebert

    Danke, mein Freund!

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  • Jacob

    Schöner Artikel über eine einzigartige bar!
    Auch wenn er die Geschichte der riva bar in ein falsches Licht rückt und nur über die letzten 9 Jahre berichtet. Die riva bar hatte ihren Namen z.B. jedoch auch schon in den bestehenden Jahren davor, sodass eine Verbindung mit Herrn Ebert keinen Sinn macht.
    Ein wenig mehr und besser recherchierte Geschichte wäre schön.

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    • Redaktion

      Lieber Jacob,

      puuuh, den kleinen Fehler hat uns der Autor Markus Orschiedt bereits in der vergangenen Nacht auszubessern gebeten – er war ihm schlicht unterlaufen. Mit Unkenntnis hatte das weniger zu tun.
      Jener Autor ist übrigens einer der besten Kenner der rivabar und Vertrauter des Wirtes Jean-Pierre Ebert. Bei einem solchen Text, der eher Würdigung als “Artikel” darstellt, von mangelhafter “Recherche” zu sprechen, scheint uns dann doch ein wenig schief.

      Mit besten Grüßen // Nils Wrage

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  • Marcus

    Vor einigen Wochen warnte Hauke mich bereits vor… sprachlos… wehmütig… Mit vielen Bildern im Kopf und Emotionen im Bauch… Gute Reise geliebtes Wohnzimmer… Mit einer hochachtungsvollen Träne im Knopfloch…

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  • Steffen

    Wirklich schade, aber konsequent. Wann immer mich meine Reisen nach Berlin geführt haben, habe ich auch der rivabar einen Besuch abgestattet. Bei meinem letzten Besuch im April diesen Jahres war schon irgendetwas anders, ich hab’s gespürt, wusste aber nicht, was es war.
    Vielen Dank für das Erlebnis rivabar und alles Gute für die Zukunft, Jean-Pierre!

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  • Markus Orschiedt

    @Jakob

    Lieber Jakob,

    vielen Dank für die zunächst anerkennenden Worte. Nun zu Deinem Kritikpunkt, ich zitiere Dich hier. “Auch wenn er die Geschichte der riva bar in ein falsches Licht rückt und nur über die letzten 9 Jahre berichtet. Die riva bar hatte ihren Namen z.B. jedoch auch schon in den bestehenden Jahren davor, sodass eine Verbindung mit Herrn Ebert keinen Sinn macht.
    Ein wenig mehr und besser recherchierte Geschichte wäre schön.”

    Aus dem Text geht mehrfach hervor, dass die rivabar inklusive des Namens von Ebert übernommen wurde. Auch das Personal wurde weiter beschäftigt. Es war eine eher geräuschlose Übernahme vor 9 Jahren, mit sukzessive folgenden Veränderungen in der Kontinuität der Bar. Auch das ist mehrfach im Text angeklungen. Von daher gibt es sehr wohl einen Bezug.
    Ich kenne die rivabar seit dem ersten Tag ihres Bestehens und mir sind auch einige weniger delikate Hintergründe aus den ersten 9 Jahren bekannt, die ja letztlich zur Abgabe der Bar an JP. Ebert führten. Diese hier auszubreiten halte ich für illoyal gegenüber der Leistung die VOR Ebert ohne Zweifel dort erbracht wurde, dem aktuellen Anlass nicht angemessen und den Rahmen sprengend.

    Entscheidend ist das Fazit, das sich selbstredend auf die gesamten 18 Jahre dieser Institution beziehen, aber nun eben unter der Leitung Eberts enden. “Die rivabar war und ist alles andere als eine Quantité négligeable. Sie hat Berlin-Geschichte der Nachwendezeit mitgeschrieben und Spuren hinterlassen.”

    Herzliche Grüße – Markus Orschiedt

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  • Sophie

    Das Ende einer Ära! Auch ich werde die rivabar in wärmster Erinnerung behalten! Mille merci an JP und alle seine Mitstreiter!

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  • Martin Peukert

    Schade, Respekt danke für die schönen Momente für mich als Barbesucher in 2010, 11, 12, 13…

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