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„Was wirklich zählt, ist handeln.“

Gemeinsam mit sechs anderen Bargrößen hat Alex Kratena letztes Jahr P(our) ins Leben gerufen, ein Symposium, das die internationale Bar-Branche vernetzen und weiterentwickeln will. Wie aber funktioniert P(our) und wie kam es zustande? Im Gespräch mit MIXOLOGY ONLINE erklärt Alex Kratena seine Idee, den Status Quo der Branche sowie die Möglichkeit des nachhaltigen Wirtschaftens – und lässt sich sogar ein paar Worte über sein neues Barprojekt herauskitzeln. 

Schon mehr als ein halbes Jahr ist es her, dass das erste P(our)-Symposium in Paris über die Bühne gegangen ist. Zeit für einen Ausblick darauf, wie es mit dem vielbeachteten Initiative weitergehen wird. Unsere Autorin Kirstin Müller hat den Mitgründer und einen der einflussreichsten Bartender unserer Zeit, Alex Kratena, beim Bar Convent Berlin 2016 zum ausführlichen Gespräch getroffen.

Mr. Kratena: Im Juni 2016 fand das erste P(our)-Symposium im Rahmen der Cocktail Spirits in Paris statt. Wie ist es für Sie gelaufen, sind Sie zufrieden mit dem Einstand? 

Kratena: Mehr als das, ja. Es ist schon ein Wunder, dass alles so gut geklappt hat. Es war eine große organisatorische Herausforderung, wir machen ja alles selbst. Wir haben viel positives Feedback aus der Bar-Community bekommen, und auch die Zugriffszahlen auf die Online-Videos der Präsentationen auf unserer Website zeigen, wie gut das Symposium angenommen wurde. Natürlich gibt es auch noch viel zu lernen und zu verbessern, aber es hat erst mal geklappt. Die neuen Kontakte, die auch jetzt noch daraus entstehen, das ist einfach toll für mich zu sehen. Douglas McMaster z.B., der Zero Waste Chef aus Brighton, hat ausschließlich über sein Restaurant Silo gesprochen und wie er dort arbeitet, trotzdem konnte man als Bartender oder Barbesitzer unglaublich viel mitnehmen. Wir, und auch viele andere Kollegen, sind daraufhin nach Brighton gefahren. Der Sous Chef hat mir die Arbeitsabläufe erklärt und die verschiedenen Verwertungssysteme. Für mich persönlich war das sehr lehrreich, und es ist schön zu sehen, dass es auch schon Barleute gibt, die sich daran ein Beispiel nehmen.

Interessant, dass Sie gerade das Silo erwähnen. Wir bei MIXOLOGY hatten uns beim Thema Zero Waste in der Bar bisher noch zurückgehalten, da uns die konkrete Umsetzbarkeit für die breite Masse der Bars noch zu wenig greifbar erschien. Wie sehen Sie das?  

Kratena: Wenn man die Prinzipien, nach denen das Silo arbeitet, mal live vor sich sieht, merkt man, das ist eigentlich kinderleicht. Die Kompostiermaschine zum Beispiel, alle hatten vorher ordentlich Respekt davor. Die im Silo ist etwa so groß wie eine kleine Hoshizaki -Eiswürfel-Maschine. Ich bin gespannt zu sehen, wie viele Bars eine solche Maschine in Zukunft als feste Position auf ihrem Investitionsbudget haben werden. Im Kern geht es doch um eine Entscheidung: Willst Du was machen, kümmert Dich das wirklich, oder nicht.

Es ist schon eine große Investition, die man erst mal stemmen muss. 

Kratena: Ich kann nur von London sprechen. Wenn ich ein Gerät zum dort üblichen Preis kaufe, habe ich das spätestens in zwei, zweieinhalb Jahren abbezahlt. Ab dann kann ich damit rechnen, mindestens 10.000 Pfund im Jahr einzusparen. Muss man erst mal einen großen Betrag ausgeben? Ja, aber wer eine moderne Bar betreiben will, der sollte alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Besonders wenn man ein Barkonzept von Grund auf neu plant sollten nachhaltige Systeme doch selbstverständlich sein.

Es gab im Silo ja sicher auch Beispiele für weniger kostenintensive Maßnahmen? 

Kratena: Ja, die Karte ist voll von solchen Beispielen. Wie dort recyceltes Wasser an verschiedenen Stellen verwendet wird war interessant, oder die Wiederverwertung von Glas. Sie machen dort vor Ort Gläser aus leeren Flaschen. Am wichtigsten für ein nachhaltiges Geschäft ist eine genaue Planung. Wie man seine Karte aufbaut, welche Zutaten man wählt und wie man sie benutzt, das müssen wir uns anschauen. Viele machen das schon, in Zukunft wird das Standard werden. Wir müssen weg von der Sichtweise Müll versus Essbares, wir müssen lernen, in allem eine Zutat zu sehen.

P(our) hat sieben Gründungsmitglieder*. Das erste Programm haben alle zusammen entwickelt. Wie hat das funktioniert? Das übergreifende Thema „The Modern Bartender“ war ja sehr offen. War das beabsichtigt und wenn ja, warum? 

Kratena: Ja, das war gewollt. Am wichtigsten war uns, einen sinnvollen Anfang zu finden, um herauszufinden, wo es hingeht mit unserer Branche. Dafür, fanden wir, müssen wir reflektieren, was bis jetzt passiert ist, und definieren, an welchem Punkt wir jetzt genau sind. Erst wenn wir uns dieses Weges bewusst sind, können wir wirklich sehen, wohin wir uns entwickeln. In Bezug auf diese Fragen erschien ein offenes Thema sinnvoll. Das Programm war eine Zusammenfassung unserer Gedanken zum Thema. Was ist ein „moderner Bartender“? Für uns ist das eine kreative Person mit sozialer Verantwortung.

Eine Person, die außer ihrer Leidenschaft für die Barbranche noch andere Interessen hat.  

Kratena: Ganz genau. Jeder von uns hat seine Themen eingebracht. Der „moderne Bartender“ denkt z.B. viel mehr über Design nach als früher. Wir haben ganz bewusst Redner aus anderen Disziplinen für die Vorträge angefragt. Leute wie den Avantgarde-Designer Martin Kastner, der darüber gesprochen hat, wie das Serviergeschirr das Speiseerlebnis mitgestaltet. Sowas bringt mir persönlich sehr viel, und einige Denkanstöße werde ich sicher in meiner eigenen Arbeit weiterverfolgen. Die üblichen Verdächtigen kann man schließlich auf jeder Barshow treffen.

Wird es nächstes Jahr eine eigenständige Location für das P(our)-Symposium geben, und ist schon klar, in welcher Stadt es stattfinden wird? 

Kratena: Wir planen das alles noch. Es ist schwierig im Moment, wir sind ja noch ein sehr kleines Team. Aber das ist sicherlich unser Ziel, ja, komplett eigenständig zu sein. Das Team der Cocktail Spirits war sehr großzügig, sie haben uns die Bühne umsonst angeboten, wir haben komplett freie Hand bekommen. Sie hätten dort auch gebrandete Vorträge buchen können, um damit Geld zu verdienen. Aber sie fanden unsere Sache toll und wichtig für die gesamte Branche, also haben sie uns unterstützt. Darüber bin ich wirklich sehr dankbar und glücklich.

Wie kam die Zusammenarbeit genau zustande? Hatten Sie auch andere Barshows angefragt? 

Kratena: Das hat sich aus einen Gespräch ergeben. Ich hab das scherzhaft vorgeschlagen. Bei einem Abendessen mit Thierry und Eric (Thierry Daniel und Eric Fossard, Co-Organisatoren der Cocktail Spirits, Anm.) hatten wir uns darüber unterhalten, dass die Branche eine derartige Veranstaltung gut gebrauchen könne. Ich sagte, ja gut, dann überlasst mir doch eine eurer Bühnen, und ich mach das dann schon. Kannst du haben, war die Antwort! Wir haben gleich am nächsten Tag telefoniert und die Antwort war immer: Du kannst auf uns zählen. Dann begannen auch schon die Planungen.

P(our) ist eine Stiftung und ein Symposium, dh. die Stiftung organisiert das Symposium, ist das richtig? 

Kratena: Ja, genau. Alle Beteiligten arbeiten freiwillig, neben ihren regulären Jobs. Wir haben keine Praktikanten, aber viele Freunde haben geholfen. Die Stiftung ist ausführend tätig, sie betreut die Website und das Symposium. Das Gründerkomitee – personell wie gesagt mit der Stiftung noch mehr oder weniger deckungsgleich – hat auch die rechtliche Verantwortung, dass alles korrekt abläuft. Wie wir auch auf dem Symposium angekündigt hatten, wird es auch Projekte geben, die direkt bei lokalen oder auch virtuellen Gemeinschaften ansetzen. Wir wollen den Leuten mit wenig Geld unter die Arme greifen.

Könnten Sie das genauer erläutern? 

Kratena: Wir werden jedes Jahr ein spezifisches Problem auswählen, dem wir uns widmen wollen. 2016 hat P(our) einen indigenen Stamm aus dem Amazonasgebiet unterstützt. Wir hatten die Gegend und die Menschen im Rahmen eines anderen Projekts besucht, und dabei ist uns diese Idee gekommen. Der moderne Bartender, das ist in unserem Verständnis eben auch jemand, der/die sich sozial engagiert. Es ist nur ein kleiner Betrag, klar, aber auch wir als Bartender haben die Möglichkeit, die Welt zu verändern, indem wir anderen helfen.

Was haben Sie genau gemacht? 

Kratena: Im Grunde ist das klassisches Fundraising. Den ersten Event hatten wir im September 2016 im NoMad Hotel in New York. Monica Berg war da, und ich. Ein Großteil der Erlöse ging an das Amazonas-Projekt. Das ist es doch, was wirklich zählt: handeln. Das ist Teil der Mission von P(our), wie wir es auch auf der Website beschreiben: „Taking ideas from theory to action.“ Wir haben uns die richtige NGO in Peru für eine Zusammenarbeit gesucht, haben das Geld aufgetrieben und tatsächlich und direkt geholfen. Primär geht es uns natürlich um Bars und Cocktails und um die gesamte Getränke-Industrie. P(our) soll sich zu dem Ort entwickeln, wo die wichtigen Fragen der Branche diskutiert werden. Wir rufen ausdrücklich dazu auf, mit uns in Kontakt zu treten, mit Themen und Fragen, oder einfach Tatsachen, die mal gesagt werden müssen.

Das hört sich fast wie eine Interessenvertretung an. 

Kratena: Formal nicht, aber inhaltlich definitiv. Als weltweit operierende Branche sind wir mehr als unterrepräsentiert. Wir haben nicht diese Institutionen wie andere Wirtschaftsbereiche, die unsere Interessen vertreten und Lobbyarbeit für uns machen. Wir sind also alle aufgerufen, selbst was zu tun.

Seit Sie Ihren Rückzug aus dem Artesian öffentlich gemacht haben, fragt sich die Barwelt, wie Ihr nächstes Barprojekt aussehen wird. 2017 soll eröffnet werden. Können Sie zum jetzigen Zeitpunkt schon mehr sagen? 

Kratena: Wir werden in London bleiben, soviel ist klar. Die geeignete Location haben wir, um ehrlich zu sein, noch nicht gefunden. Erst wenn ich die Schlüssel in der Hand halte, werde ich darüber sprechen. Reden macht jetzt gar keinen Sinn, jetzt wird erst mal gearbeitet!

Mr. Kratena, wir danken Ihnen für das Gespräch! 

*Simone Corporale, Monica Berg, Alex Kratena, Jörg Meyer, Ryan Chetiyawardana, Jim Meehan, Xavier Padovani

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