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Das war der Bar Convent Berlin 2021: Fünf persönliche Betrachtungen

Nach einem Jahr Zwangspause war es soweit: Der Bar Convent Berlin (BCB) fand 2021 erstmals in der Messe Berlin statt. Was lässt sich für ein erstes Resümee ziehen? War die Messe ein Erfolg? Und wie kommt der neue Ort an? MIXOLOGY Online mit fünf persönlichen Betrachtungen vom Besuch beim „Comeback“.

Juliane Reichert: Ein spannendes Wagnis mit Luft nach oben

Den Weg zum ICC zu finden, ist die eine Sache, denn angebunden ist die Messe optimal. Den Weg gerne zu gehen, eine andere. Es riecht unfamiliär groß und professionell, gesettled, und so gar nicht nach Klassentreffen. Aber eben nach einer Veranstaltung, die es geschafft hat, die eine Hürde genommen und sie bestanden hat.

Ich genieße die Luftigkeit, das Licht, den Raum und das Bewusstsein, zu wissen, was bereits gesichtet ward und was noch aussteht. Die neue Übersichtlichkeit überträgt sich auch auf die geistige Stimmung der Messe: Vor allem der Fakt, dass die Getränke nicht vorgemixt und zur Mitnahme bereit am Tresen stehen, sondern ein tatsächlicher, vermeintlich interessierter Dialog vor einer Verkostung erfolgen muss, intensiviert die Gesprächs- und so denn auch die Trink-Lage.

Unsicher, ob ich es vermisse, stets eine Frucht – in der Regel eine Limette – an der Schuhsohle kleben zu haben, ist das Ausbleiben der frisch gemixten Drinks augenscheinlich. Keine Stände, an denen Bartender alle drei Stunden mit Früchte-Jonglagen und Mix-Shows die Meute zum Verstopfen der Gänge bringt, keine Bloody Marys, die da morgens an diversen Tresen stehen, in der Hoffnung, die letzte Nacht glimpflich auf ein begehbares Level überleiten zu können. Das noch immer propagierte “Bartender’s Christmas” hat sich überschrieben und ist eine Messe geworden.

Eine Messe, die an Charme verloren und an Level gewonnen hat. Aber „einen Tod muss man sterben“, wie man so sagt – in diesem Falle sind es einige Tode. Es fehlt, dass die Stände, die ehedem einen tatsächlichen „Raum“ beansprucht haben, in diesem Jahr ästhetisch und auch sinnlich – ebenerdig, grau und aus Plastik – gleichgestellt sind. Spekulationen, weshalb dem so sei, sind immer unfair und hanebüchen, doch ein Wermutstropfen bleibt: keine Stufe in ein eigenes Zimmer, wie es selbst Ikea im Möbelhaus kann, keine Pflanzen, und auch keine Atmosphäre, die man begeht, wenn da irgendwo mittelgelaunte Japaner stehen, die zwar spannenden Sake-Tester haben, aber irgendwie nicht so recht reden wollen.

Es ist ein spannendes Wagnis mit Luft nach oben. Dies mag zunächst nach Nostalgie klingen, nach Unwilligkeit zur Veränderung. Stimmt; wer mag schon Dinge weggenommen bekommen, auf die man sich jährlich gefreut hat? Genauso wenig ist Veränderung per se blöd. Vor allem dann nicht, wenn man einem Ort ankommen will, der weltweit etabliert, anerkannt und gefeiert wird. Ersteres hat in diesem Jahr vermutlich zum ersten Mal so stattgefunden, dass man es erst in den Folgejahren verstehen wird.

Der BCB außen bei Tag …
… und innen bei Nacht

Nils Wrage: Die Menschen

Für immer die Menschen ist der Titel eines recht alten Songs der Band „Tomte“. Der Titel trifft ganz gut, was den BCB für mich dieses Jahr besonders ausgemacht hat, was ihn natürlich schon immer in erheblichem Maße ausgemacht hat: Es geht um die Menschen, die man trifft. Meine Tage auf der Messe haben mir umso mehr verdeutlicht, wie sehr es seit Beginn der Pandemie gefehlt hat, die Menschen einfach zu treffen. Diesen Ort zu haben, von dem man weiß, dass man dort Menschen trifft. Nicht nur jene, mit denen man sich verabredet hat, weil man weiß, dass sie dort sein würden. Sondern auch und vor allem jene, die man eben einfach trifft, die man wiedersieht, mit denen man sich austauscht. Und sei es nur der hundertfache Fistbump mit der anschließenden Floskel „wir reden später noch“. Sogar diese kleinen Treffen sind wichtig. It’s a people’s business. Mehr denn je wurde mir das durch diesen besonderen Bar Convent 2021 klar.

Eine weitere Beobachtung und Erkenntnis war, dass die mehrheitliche Abwesenheit der großen Spirituosenfirmen ins Kontor der Atmosphäre geschlagen hat. Ja, klar, es sind die bösen „Großen“, über die oft hergezogen wird, während man sich über die „Kleinen“ freut. Aber man darf nicht vergessen: Die Großen sind es ebenfalls, die immer zur einzigartigen Landschaft des BCB beigetragen haben. Mit ihren mitunter gewaltigen Ständen – teils regelrechten Entertainmentflächen –, die zu echten Treffpunkten werden, haben sie immer wichtige Akzente und Anker im Trubel der Messe gesetzt. Sie haben ebenso zum Zauber des BCB beigetragen, es war die Vielfalt und das Nebeneinander von Groß und Klein, das für den Bar Convent charakteristisch war und wieder sein sollte.

Sicher ist es nachvollziehbar, dass fast alle großen Konzerne im Lauf der Pandemie ihre Marketingaktivitäten teilweise extrem deutlich und sehr rasch von der Bar weg und in Richtung Handel verschoben haben. Doch das darf nicht auf Dauer so bleiben. Eine derartige Veranstaltung kann ihren Messe-Aspekt nur dann mit dem gewissen, ganz speziellen Twist aufrechterhalten, wenn diese Vielfalt bleibt. Und das ist eigentlich im Interesse aller. Denn nur dann kommen: die Menschen.

Martin Stein: Mit anderem Flair, aber nicht mit weniger

Früher war mehr Lametta, möchte man reflexhaft gleich nach Betreten des BCB vor sich hingrummeln, und das ist an sich natürlich auch nicht so falsch, aber andererseits stellt man bald fest, dass es vielleicht gar nicht so sehr auf das Lametta ankommt.

Jeder weiß, wie schwierig es ist, eine Bar umzuziehen – selbst wenn man das gesamte Mobiliar, das Personal und alles andere mitnehmen kann, wird der alte Ort am neuen Platz oft nicht akzeptiert, auch weil so ein komisches Gefühl der Altvertrautheit oft hartnäckiger an den alten Wänden klebt als die Tapeten. Das Gleiche gilt auch für den BCB: Man hat sich ja doch recht heimisch gefühlt in der alten Station am Gleisdreieck. Tatsächlich ist aber der neue Standort in der Messe unter dem Funkturm zwar von einem anderen Flair, sicher aber nicht mit weniger. Man fühlt sich schnell heimisch und bereit, die alte Liebschaft fallenzulassen.

Natürlich fällt auf, dass viele bekannte Gesichter unter den Ausstellern fehlen, aber da muss man schon sehr zurückhaltend sein, um deshalb den Stab über den neuen Messebetreibern zu brechen. Eine Vielzahl von Gründen kann dahinterstecken: Gerade die großen Schlachtschiffe der Industrie haben einen enormen Wendekreis, und die benötigte Vorlaufzeit zur Organisation wurde ihnen von der Pandemie verwehrt. Und wer bucht schon in diesen Zeiten ein halbes Jahr vorher die benötigte Infrastruktur, die Flüge und Hotelzimmer? Haben denn all die notwendigen Messebauer eineinhalb Jahre darauf warten können, dass ihr komatöses Gewerbe wieder Fahrt aufnimmt? All diese Dinge sollte man bei der Beurteilung nicht vergessen, und angesichts dieser allgemeinen Umstände muss man vor allem auch den Organisatoren der Messe Respekt zollen, dieses Risiko auf sich genommen zu haben und als eine der Ersten wieder so etwas Großes in Deutschland auf die Füße gestellt zu haben.

Vielleicht hätten sich einige der Industriegrößen ja auch dazu bequemen könne, vier oder fünf Nummern kleiner aufzukreuzen und ein hübsches kleines Fähnchen zu schwenken, wenn man schon nicht gewillt war, Flagge zu zeigen. Immerhin konnten so viele kleinere Anbieter deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Weniger Big Players bedeutet auch weniger High-Volume-Abfüllstationen, und siehe da, es scheint, dass der Messebesucher plötzlich den Mund, den er nicht zur Getränkeaufnahme benötigte, zum Reden benutzte. Der immaterielle geistige Inhalt trat wieder an die Stelle des materiellen. Auch nicht schlimm. Meistens.

Drink „Pastell“: A Bar with Shapes For A Name brachte seine handbemalten Flaschen nach Berlin
BCB-Markenbotschafter Damien Guichard im Außenbereich des Palais

Mia Bavandi: Nischiger, kleiner und clean, aber nicht weniger vertraut

Endlich wieder – ein Bar Convent Berlin „in real life“. Also face to face mit Kollegen, Freunden, Partnern, Herstellern, Händlern aus der ganzen Welt. Mit Shaking Hands, innigen Umarmungen und einer Mixtur aus vielschichtiger Vor- und Wiedersehensfreude.

Sowie einem wahrhaftig spürbaren Drang, eintauchen zu können in die Aura dieser für alle Akteure bedeutenden Zusammenkunft. Die unaufhörlich lange Warteschlange vor den Toren der diesjährigen BCB-Location in der Messe Berlin formte ein gewohntes und keineswegs wertend gemeintes Bild vieler Teilnehmer als Repräsentanten der Branche: immer noch sehr männerdominiert, jung und ambitioniert, bärtig, tätowiert, trendy mit Understatement. Open-minded in einer analogen wie auch digital extrovertierten Gemeinschaft, die gerade analog wieder in Bewegung gerät.

Der BCB, von Anfang an eine Begegnung zeichnend, die eine internationale Gesellschaft widerspiegelt, sie zusammenschweißt, Brücken verfestigt bei einhergehenden Gastschichten aus der nationalen wie internationalen Kollegenschaft. Nach zweijähriger Abstinenz und auferlegter Zwangspause in der Auslebung der Bar-Profession musste die Wiederauflage doch ganz anders wirken als bisher. Das war so. Anders sei der BCB gewesen, so auch die vielfach aufgenommenen, einhelligen Eindrücke. Ein wenig ist es dem Rahmen in einem Teil der Messe Berlin sowie den Bedingungen geschuldet, dass er nischiger, kleiner, in seinem Workshop- und Diskussionsprogramm reduzierter, sehr fachlich und clean wirkte, aber nicht weniger vertraut.

Es waren viele kleine, wohl internationale Hersteller, die in den sonnendurchfluteten Hallen eine einladende Bühne hatten, keine Big Brands auf Showbühnen. Sichtbar geworden sind auch verstärkt Hersteller eigens alkoholfreier Destillate, die mehr Raum hatten als bisher, weil die Zielgruppe dieser Fachmesse eigentlich eine ganz andere ist. Oder doch nicht? In jedem Fall sind sie so sichtbar geworden wie die Selbstverständlichkeit, nachhaltig zu arbeiten. Sei es mit Strohhalmen aus Naturmaterialien oder verzehrbaren Kaffeebechern. Der BCB war anders, nicht aber seine wieder spürbare Bedeutung für alle Beteiligten.

Darf es etwas Karottenschnaps aus Litauen sein?
Es geht ums Entdecken: Sotol aus Texas (links) und Raicilla von Ninfa (rechts)

Stefan Adrian: Big Guns

Paolo greift unter das Regal, und egal ob man am Tresen einer Bar oder einer Barmesse steht, heißt das: Jetzt kommen die Big Guns. In diesem Fall Raicilla der Marke Ninfa. Noch nie gehört. Er hat ein dezent fruchtiges Aroma, und nach dem ersten Schluck weiß ich nicht, was mich getroffen hat. Mich verblüfft weniger der überraschend säuerliche, essigartige Geschmack; sondern vielmehr die Art, wie der 100 Euro teure Agavenbrand am Gaumen verschwindet. Als ob er während des Trinkens die Textur wechselt wie ein Kleid und in einer Senke verschwindet. Aber dabei nicht dünn wirkt, sondern vollmundig bleibt. Ich sehe Paolo an. Er grinst.

Was mich ebenfalls trifft, ist die Erkenntnis, wieder auf dem BCB zu sein. Wie es sich anfühlt, langsam von Stand zu Stand zu schlendern und mal kürzer, mal länger hängen zu bleiben. Sich vom Zufall treiben lassen. Das Entdecken ist ja immer noch das, worum es geht. Man entdeckt natürlich auch viele Gesichter. Ich bin jetzt eine gewisse Zeit bei MIXOLOGY, also kenne ich immer mehr Leute, oder werde erkannt. Es wird also viel geredet, denn scheinbar sind alle in der Stadt. Auf Social Media war das spürbar: wie von unsichtbarer Hand dirigiert hatte es den Anschein, als seien ab Samstag alle Bartender:innen dieses Landes auf dem Weg nach Berlin. Und nicht nur dieses Landes, auch einige international bekannte Namen gaben Gastschichten, auf dem BCB selbst war die Bauhaus Pop-up Bar von Rémy Savage und seinem Team natürlich ein Highlight mit Ansage.

Dort, abgetrennt von den eigentlichen Verkostungshallen, ließ sich bei einem Pastell auch wunderbar sprechen, wie man die neue Location des BCB nun finde. „A bit Third-Reich-y, but I think it’s great. I like the light“, so etwa Danil Nevsky, bekannt als Cocktailman. Viele mochten tatsächlich das Licht, die hohen Fenster, die hohen Hallen. Da und dort wirkten manche Ecken etwas steril, aber an der Atmosphäre kann und wird man nach einem Jahr Erfahrungswert sicher schrauben. Dann vielleicht ja auch wieder mit den anderen Big Guns, den großen Spirituosenkonzernen, die fehlten. Ob nun Planungsunsicherheit oder andere Gründe ausschlaggebend für die Abstinenz der Bacardis, Camparis, Diageos und Pernod-Ricards dieser Welt waren, mag ich nicht beurteilen. Der BCB braucht sie sicher. Für dieses Wechselspiel aus Entertainment und Entdeckung, das den Reiz des BCB ausmacht. Darauf einen Raicilla.

Credits

Foto: Stefan Adrian

Comments (2)

  • Daddy o's

    Ein zusammentreffen der immer gleichen.
    Ihr geht gar nicht.

    reply

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