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Athens Bar Show 2023 im Rückblick

Wie groß ist zu groß? Ein Rückblick auf die Athens Bar Show 2023

Ein Geheimtipp war die Bar Show in Athen schon eine Weile nicht mehr. Sie ist vielmehr groß geworden. Noch nicht zu groß, wie unser Autor meint, aber die Tendenz scheint vorgegeben. Trotzdem schwebt über allem auch 2023 noch ein starkes Community-Gefühl. Martin Stein mit einem Resümee zwischen Rückblick und Ausblick.

Schluss nun endlich mit diesen ständigen Lobhudeleien, was Athen und insbesondere dessen Bar Show angeht! Man muss dabei auch irgendwann wieder die Kirche im Dorf lassen, oder den Tempel auf dem Berg, oder wie auch immer. Im Großen und Ganzen haben Asterix und seine Gallier schon damals bei ihrer Teilnahme an den Olympischen Spielen alles Nennenswerte über die Stadt verraten: es gibt keinerlei Hünengräber, und darüber hinaus, ach Gott: „Klar, wer für Säulen schwärmt, dem gefällt sowas.“

Ein bei mir womöglich ein wenig aus Eigennutz geborener Relativismus: Die Athens Bar Show ist groß geworden. Richtig groß. Noch nicht zu groß, möchte ich vorwegnehmen, aber schon mit einer Tendenz, die ein wenig Bange macht. Gut, ein Geheimtipp war die Veranstaltung schon eine Weile nicht mehr, aber wohin führt der Erfolg? Wird das alte Kraftwerk der Technopolis bald zu klein, und man muss umziehen, wie damals der BCB aus der Station? Heute noch schlürfen wir einen der neuen „Happy Accidents“ aus dem The Clumsies, und schon morgen können wir das „Happy“ streichen, weil die Geissens kommen und Prosecco Energy aus dem Eimer saufen?

Austragungsort der Athens Bar Show ist das alte Kraftwerk der Technopolis
Austragungsort der Athens Bar Show ist das alte Kraftwerk der Technopolis
Wer in diesem Jahr in Athen war, kam gerüchtweise an einer Paloma nicht umhin
Wer in diesem Jahr in Athen war, kam gerüchtweise an einer Paloma nicht umhin

Die Community zeigt sich als echte Gemeinschaft

Noch jedoch ist es nicht so weit, und man muss sich vielleicht auch eingestehen, dass die Idee, sich Anfang November bei schönem Wetter zu mäßigen Preisen gute Getränke zu gönnen, nicht so spektakulär außergewöhnlich ist, dass man damit lange allein bleiben könnte. Außerdem mutet die Athens Bar Show manchmal an wie ein einziges großes Familientreffen, fast wie ein schottisches Clan-Meeting, wo die McTipplers aus aller Welt anreisen, um die gemeinsamen Wurzeln zu feiern. Vielleicht lässt sich gerade deshalb an Athen am besten erkennen, was diese Brother- and Sisterhood der Menschen hinter den Tresen der Welt ausmacht: die Bartender-Community zeigt sich hier als echte Gemeinschaft.

Die steigende Beliebtheit der Veranstaltung ist spürbar; es ist schon merklich mehr los als in den letzten Jahren. Dennoch muss man selten lange auf ein Getränk warten, selbst wenn Bar-Promis wie der frisch gekrönte Simone Caporale am Havana Club-Stand auftauchen, hat man nach fünf Minuten sein Getränk. Die längste Schlange bildet sich nach wie vor bei den Toiletten, wobei die zusätzlich aufgestellten Dixi-Klos wenig wahrgenommen werden.

17.000 Besucher:innen meldet die Bar Show; 8.000 am ersten und 9.000 am zweiten Messetag, womit die Erwartungen der Veranstalter doch deutlich übertroffen wurden. „Wir arbeiten aber bereits daran, durch einige kleinere Veränderungen in den nächsten Jahren auch hier den gesteigerten Anforderungen gerecht zu werden“, sagt Organisator Babis Kaidalidis. Abends geht dann die Party weiter, in den Bars wie vor den Bars, und fröhlich fragt man sich, wie oft bei einer entsprechenden Kulisse in Deutschland schon die Polizei gerufen worden wäre. In Athen sieht man das offenbar ganz entspannt. Gerade die großen Namen wie Line, The Clumsies und Baba au Rum ziehen die Massen in Scharen an, und es ist absolut ehrfurchtgebietend, wie da gearbeitet wird.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Wie Georgia Georgakopuolou, Bar-Managerin des The Clumsies, auch noch am letzten Abend der Bar Week (in welche die Bar Show eingebettet ist) mit einem strahlenden Gesicht eine Bestellung nach der anderen über den Tresen schickt, ist unglaublich. „Eigentlich tut mir alles weh,“ gibt sie zu, und damit steht sie nicht allein. Alle hier arbeiten über ihre Grenzen hinaus, und von einer Beurteilung nach deutschen Arbeitszeitregelungen abgesehen darf man sich auch ganz egoistisch darüber freuen, wie viel Mühe sich hier jeder Einzelne gibt, um den Gästen ein großartiges Erlebnis zu bereiten. Sie alle sehen sich hier als Botschafter der Barkultur ihrer Stadt, und niemand käme auf die Idee, eine Viertelstunde nach der finanzträchtigen Promi-Gastschicht den Laden zuzusperren, wie das im Umfeld des BCB immer wieder passiert. Bis drei Uhr früh haben eigentlich alle offen.

A for Attention: Man musste selten lange auf seinen Drink warten
A for Attention: Man musste selten lange auf seinen Drink warten
Auf der Athens Bar Show darf es auch mal dunkel werden
Auf der Athens Bar Show darf es auch mal dunkel werden

A for Athens

Der Stolz auf seine Bar ist es auch, der Thanos Prunarus dazu bringt, in seinem Baba au Rum an allen diesen Tagen die komplette Karte zu fahren – im Grunde völliger Irrsinn angesichts des Ansturms; und auch, wenn er es mit seinem Team schafft, alleine in den ersten drei Tagen 2500 Drinks zu schicken – ohne Premixes, wohlgemerkt – so steigen doch die Wartezeiten deutlich. „Wir haben das schon diskutiert, aber das Baba ist diese Karte, und wir wollten zeigen, was wir sind,“ meint Prunarus dazu.

Irgendwie sind natürlich auch die Besucher:innen selbst ein wenig schuld an den vereinzelten Auswüchsen. Nicht zu Unrecht verweist Babis Kaidalidis auf die Tatsache, dass Athen weitaus mehr zu bieten hat als die immer gleichen drei, vier Namen. Die Bar Week, deren Bedeutung rund um die Show auch künftig zunehmen soll, hatte schon in diesem Jahr über 130 Events aufzubieten; eigentlich genug Angebot, um auch neue Bars kennenzulernen. Das 7 Jokers etwa ist ein ganz wundervoller Ort, und auch eine richtige „Bartender’s Bar“. Die Bar in Front of the Bar verwandelt mit Gästen von Kapstadt (House of Machines) bis Berlin (das Wax On gab sich die Ehre) ihre Einflugschneise in ein Straßenfest.

Eine weitere dringende Empfehlung: das A for Athens, dessen Dachterrasse mit mörderischem Blick auf die Akropolis an sich die Notwendigkeit nach Qualität im Glas entbehrlich machen würde. Hier haben viele der italienischen Nachbarn ihre Auftritte, organisiert von ihren Landsmännern des Blue Blazer Italy, die seit diesem Jahr auch die internationale PR für Athen übernommen haben. Auch in ihrer Außendarstellung versucht die ABS immer wieder, neue Wege zu gehen, ohne ihre Wurzeln zu vernachlässigen. Die Möglichkeit, über eine App namens Whova ihre Besucher zu informieren, zu leiten und miteinander zu vernetzen, ist da nur ein weiterer (und nebenbei sehr gewinnbringender) Aspekt.

Die Vorträge waren gut besucht, viele gar überfüllt
Come for the drinks, stay for the wisdom: Die Vorträge waren gut besucht

Auch das Bildungsangebot mit starker Resonanz

Einer meiner persönlichen Favoriten der Stadt hat zuletzt schon auf dem BCB positiv auf sich aufmerksam gemacht: das Barro Negro hatte in Berlin die Bar des Agaven-Forums betrieben und auch dort die für mich besten Drinks der Messe zubereitet. Mittlerweile klopft der Laden schon vehement an die Tür der World’s 50 Best und hat auch während der Bar Week eines der Highlights in petto: den „Bar Fight Club“, in dessen Rahmen Bars wie das Himkok oder das Paradiso nicht mit den Fäusten, sondern mit ihren Drinks gegen das Barro Negro antraten. Moderiert vom allzeit eloquenten Danil Nevsky, war diese Veranstaltung für mich ein Symbol für die Leichtigkeit einer Szene, die sich selbst auch nie zu ernst nimmt. Es hat aber mal wieder so richtig Spaß gemacht, und man war immer später im Bett, als man sich vorgenommen hatte – wenn auch immer noch früher als Peter Dorelli, aber man muss sich ja keine überirdischen Maßstäbe setzen.

Bei aller Partylaune täte man Athen aber arg Unrecht, wenn man das Ganze als hellenistischen Prä-Karneval bezeichnen würde. Ganz im Gegenteil: absolut bemerkenswert auch die Resonanz auf das Bildungsangebot. Die verschiedenen Vorträge waren allesamt gut besucht, viele gar überfüllt. We came for the drinks but stayed for the wisdom. Auch nicht schlecht.

Ich bin auf jeden Fall, wenn’s irgendwie geht, auch nächstes Jahr wieder dabei. Das lasse ich mir nicht entgehen. Aber gut, ich schwärme ja auch ein bisschen für Säulen.

Credits

Foto: Athens Bar Show

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