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This is not Sparta: Ein Rückblick auf die Bar Show Athen 2021

Athen hat eine vitale und anspruchsvolle Barszene. Das ist längst kein Geheimnis mehr. Um diese herum gibt es auch die „Athens Bar Show“, die in diesem Jahr trotz Coronapandemie stattgefunden hat. Was macht die Athener Bar Show aus, und wie unterscheidet sie sich vom Bar Convent Berlin? Martin Stein war vor Ort – und ist ein Fan.

Der Deutsche hat’s ja gerne einfach, besonders, wenn es ums Ausland geht. Gott sei Dank stellt ihn Griechenland da vor keine allzu großen Herausforderungen, weil Griechenland ist ja ganz simpel: Da ist es schön warm, zum Essen gibt’s Gyros mit Tsatsiki, musikalisch untermalt von diesem einen Lied aus dem Alexis-Sorbas-Film, und, damit man ein bisschen Differenziertheit in die Sache bringt, weiß man, dass man entweder Retsina oder Ouzo trinken kann, manchmal auch beides.

Dass da aber mehr ist, viel mehr sogar, konnte man schon dadurch erahnen, dass sich seit Jahren mit dem The Clumsies oder dem Baba au Rum zwei Athener Bars unter den prestigeträchtigen World’s 50 Best Bars festgesetzt haben, und wer es genauer wissen will, dem sei eindringlich ans Herz gelegt, die Athens Bar Show besuchen, die in diesem November zum mittlerweile elften Mal über die Bühne ging – und die eindrucksvoll zeigt, was das Land sonst so zu bieten hat.

Im Außenbereich fühlt man sich ein wenig an den alten BCB-Standort erinnert
Im Inneren das vertraute Verkostungsambiente

Klein, familiär, aber mit Inhalt

Die zweitägige Bar Show findet in der Technopolis Athen statt, einem Industriedenkmal und ehemaligen Gasometer, womit sie einiges vom Charme des alten BCB ausstrahlt, und es gibt viele kleine Stände anstatt der großen Renommierbuden der Konzerne, was wiederum an den neuen BCB erinnert, wenn auch ungewollt.

So oder so wird man aber mit Betreten des Areals vom Charme und der Atmosphäre eingefangen – es ist alles ein wenig kleiner, aber eben auch persönlicher und sehr familiär. 45 Aussteller klingt auch nicht nach besonders viel, besonders im Vergleich zu den über 200 des BCB, aber damit ist das Gelände nahezu ideal ausgelastet, und es gibt auch inhaltlich wenig Redundanzen – und was da ist, ist zum großen Teil auch sehens- und testenswert. Fast opulent hingegen wirkt die Zahl der 90 Sprecher mit ihren 65 Seminaren auf vier Ebenen, die viel zu erzählen haben, auch wenn man kein Griechisch kann: Erik Lorincz ist da, Declan McGurk, und ein Nerd wie ich darf sich über die brillante Cocktail-Historikerin Anistatia Miller freuen. Athen zeigt, dass Inhalt mehr ist als das, was ins Glas geht.

Auf Education wird in Athen Wert gelegt

Die beste Spirituose Griechenlands

Auch gegen die eingangs erwähnte Dominanz von Ouzo und Retsina wird erfolgreich vorgegangen: Masticha, der Kräuterlikör mit der oft erdrückenden Anis-Note, wird zu einem komplexen und runden Produkt, in dem neben dem namensgebenden Harz noch Kräuter- und Fruchttöne das Ensemble zu echter Vielstimmigkeit aufwerten.

Die große Entdeckung ist aber der Tsipouro von O’Purist, der einen klassisch-ländlichen Tresterbrand (der noch mit verschiedenen Kräutern und Früchten ein zweites Mal destilliert wird) scheinbar mühelos auf ein internationales Barniveau hebt – intensiv, vielschichtig, fruchtig, geschmeidig; was war noch gleich Grappa? Schumann’s-Urgestein Kostas Ignatiadis, der maßgeblich daran mitgewirkt hat, dass Griechenland auf der Weltkarte der Cocktails immer größer wurde, hat auch hier seine Finger im Spiel, und wenn er sagt, dass es in Griechenland derzeit keine bessere Spirituose gibt, dann macht er damit keine Werbung, sondern stellt das halt mal eben so fest. Man mag ihm nicht widersprechen.

Großtuerei findet man ohnehin nicht auf der Athens Bar Show, und auch nicht drumherum, dafür umso mehr die Zeit für Gespräche und gute Getränke. Die schiere Größe der Show beziehungsweise deren Mangel hält das Ganze einfach schön nachbarschaftlich, und auch die Stadt selbst läßt einen ganz bescheiden nicht das Geringste von ihrer schieren Größe merken: So ziemlich alle Bars, die hier eine Rolle spielen, liegen fußläufig maximal eine Viertelstunde voneinander entfernt – ein großer strategischer Vorteil bei einem getränkefixierten Event, und manch einer grummelt nachträglich noch über Berliner Taxipreise. Hier gleitet die Show dementsprechend reibungslos in die Aftershow hinüber.

Die Athens Bar Show bietet Platz für nur 45 Aussteller
Viel Austausch mit London war sichtbar, hier Kwānt-Betreiber Erik Lorincz

Mittelmeernachbarn sind stark vertreten

In ganz Athen herrscht 2G in der Gastronomie, und wo wir auch sind, werden die Kontrollen ebenso selbstverständlich durchgeführt wie hingenommen. Als Gegenleistung für den gescannten Impfnachweis bekommt man ein schönes Stück Vorkriegsnormalität geliefert, manchmal vielleicht sogar eine Form der Zwischenkriegsnormalität, gefühlt am Berlin der 1920er Jahre orientiert: viele Freunde sehen sich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder und tanzen auf dem Vulkan, weil sie irgendwie das Gefühl haben, dass es das noch nicht so ganz war mit der Katastrophe.

Athen ist eine Barshow, aber vielleicht auch nicht wirklich, denn es lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob die Hütten und Stände nicht doch nur eine Art potemkinsches Trinkdorf darstellen, um den Vereinten Bar-Illuminaten des Planeten zwar auch eine Bühne, vielmehr jedoch einen Stammtisch zu bieten: vor allem die Mittelmeernachbarn haben, wie es scheint, starke Gesandtschaften abgeordnet, und wenn etwa gefühlt jede gute Bar Italiens vertreten ist, dann bedeutet das ja beinahe automatisch, dass auch die Londoner Enklave prominent vertreten ist.

Zwischen Aufnahmeumstand und Ausnahmezustand

In den oberen Räumen des The Clumsies rührt Ago Perrone Martinis, und die einzig relevanten Aerosole sind die der Zitronenschalen, die elegant durch die Luft gezestet werden. Salvatore Calabrese steht daneben und kommentiert nur halb ihm Spaß: „Zuerst zieht man sie groß, und dann überflügeln sie einen.“ Unten hingegen herrscht ausgelassene Coyote-Ugly-Atmosphäre, und vom Tresen herab wird Schnaps in die offenen Münder gegossen.

Man kämpft sich irgendwann bis zur Bar durch – wo mit dem Provocateur aus Berlin im übrigen auch eine deutsche Bar eine Gastschicht hatte – und brüllt gegen die Musik und den Lärm dem Bartender zu, dass er bitte vier Drinks für die Gruppe bereiten möge – irgendwas, man möchte nur was trinken und hat eh noch keine Karte gesehen. Der Bartender versteht, nickt, macht sich an die Arbeit – und fertigt in Windeseile, trotz Ausnahmezustands, vier verschiedene Drinks. Die alle richtig gut sind.

Das ist vielleicht auch das Besondere hier: Bei aller Ausgelassenheit stimmt die Qualität, und auch nachdem die Orgien überstanden sind, herrscht eine angenehme Gelassenheit vor. Im Baba au Rum scheint es so, als wäre Chef Thanos Prunarus von morgens bis nachts vor Ort, immer mit dem Auge fürs Detail, immer makellos im Auftreten, und dennoch immer entspannt. Im Barro Negro haben sie auch alle im Grunde die letzten drei, vier Tage durchgearbeitet und freuen sich auf ein bisschen Ruhe; die erste Schicht nach der Barshow stemmt dann Elpida, und das ohne sichtbare Probleme, obwohl der Laden gut besucht ist und sie sicher nicht weniger gearbeitet hat als alle anderen. „She’s a machine“, kommentiert ein Kollege beiläufig und verabschiedet sich, und so wird dann eben auch der letzte Abend noch länger als gedacht.

Die Bar Show in Athen als jährlicher Fixpunkt?

Man freut sich, dass man dann tags darauf noch ein wenig Zeit hat, sich von einem lauen Lüftchen bei einem Kaffee den Kopf freiblasen zu lassen und beglückwünscht sich im Nachhinein zu dem weisen Entschluss, hierher gereist zu sein. Von jetzt an ist die Athens Bar Show ein fixer Termin im Kalender.

Natürlich ist Griechenland im November Deutschland so oder so massiv vorzuziehen, auch ohne Barshow, und auch wenn die Leute ein paar Meter weiter im Café dick eingemummelt unterm Heizpilz sitzen. Aber gut, Athen ist halt nicht Sparta.

Credits

Foto: Athens Bar Show

Comments (1)

  • Peter Schütte

    Danke Dir lieber Martin für diese Eindrücke. Ich muss es endlich mal „hinbekommen“
    Auf bald.

    reply

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