„Es war der Sprung aus der Isolation.“ Gregor Scholl blickt auf seine Zeit in der Bar zurück
Michael Gregor Scholl war in Berlin als Herr Scholl der Wächter und Zeremonienmeister des legendären Rum Trader. Nach seinem Rückzug aus der Bar widmet er sich heute seiner ursprünglichen Profession: dem Komponieren. Mit Markus Orschiedt reminisziert er mit einem persönlichen Einblick noch einmal seine Jahre hinter dem Tresen.
Die Gebirge der Künste sind beeinsiedelt von nachtschaffenden Exoten, besonders oft anzutreffen in Form der Spezies Bartender. Einige kommen darin um, als Künstler und als Mundschenk. Andere tarnen sich nur und wechseln zwischen den Professionen des Musischen und der Kunst der mixologischen Finesse in Vollendung. Die einen saugen das Leben in der Nacht für ihr schlummerndes Kunstwollen aus und machen es zu ihrem Material für zukünftiges Kunstkönnen, andere bedienen sich ihrer innenwohnenden Kreativität, um Kunstwerke mit Jigger und Spoon in die Schalen zu malen. Schamanen stellen einmal im Jahr eine Beziehung zu ihren Göttern mit Alkohol her, um sie anzurufen und meiden ihn sonst wegen seiner Gefahren. Psychedelische Seefahrer trinken das Sekret der Aga-Kröte, um sich im Narrenschiff der Nacht in abenteuerliche synaptische Maströme zu begeben, andere suchen Heilung darin.
Was soll’s, noch nicht einmal ein weltweites Vorsorgeprinzip aus der Sphäre des insuffizienten Politischen mit totalitären Reinheitsfantasien wird diese Ursuppe menschlicher Grenzüberschreitungslust je aus dem Verlangenshorizonten tilgen können. Prohibition war schon immer ein Treiber, für die Kunst und für den menschlichen Geist in allen Facetten. Bestörung und Zernichtung der sich in Gewissheiten verirrenden Daseinsschablonen bitte! Wenn man all das aus den innersten Tiefen über Jahrzehnte mitgestaltet hat, wie Gregor Scholl in seiner Bar Rum Trader, was bleibt davon und was ist daraus zu lernen? Was geht nicht mehr weg, was für ein Bild des Menschen entsteht im Ausnahmezustand der Bar?
Die Einsamkeit des Komponisten
„Im Grunde war es der Sprung aus der Isolation, aus der Einsamkeit in die Welthaftigkeit“, beschreibt Gregor Scholl seine Motivation, sich in die Fänge des Barwesens zu begeben. Das Studium der Komposition, das Üben und die musikalischen Exerzitien seien für die Seele ein oft düsteres Geschäft. Es findet zudem auch bei sozialen Kontakten in einer ebenso segregierten Blase statt. „Das hat mit dem Querschnitt einer Gesellschaft wenig zu tun, auch, wenn die Themen der Musik diese durchaus streifen. Aber das fußt meist auf Theorie und reiner Anschauung. Für mich folgte daraus eine Konsequenz: Jeder Künstler braucht ein Mephisto-Tor zur Welt, das war dann in meinem Fall die Bar.“
Begonnen hat alles in Scholls Heimatstadt Köln, in der Art Bar, deren Betreiber Alfred Limbach ein schräger Werbetexter und kollegial mit dem noch schrägeren Tommi Ungerer war. „Das waren meine ersten sechs Jahre, vom Commis de Bar zum Barchef. Aber viel Entscheidender war, dass ich bei ihm in der Bar sofort das erleben durfte, was ich nur aus der Literatur kannte: die natürliche Verbindung zwischen der Nacht und der Kunst.“
Für das handwerkliche Weiterkommen sorgte dann noch die Zeit bei Dieter Kleinert und seiner Bar Kleinerts, einer Kölner Institution. Dort habe er die wahre Meisterschaft des Bartenders erlernt. Perfektion in der Zubereitung und die Sattelfestigkeit in der leichten wie auch anspruchsvollen Konversation. Das trägt einen ja durch den Abend. Wer nicht kommunizieren kann, wird vom Gast verbal besprungen, ob man will oder nicht. Man gibt die Zügel aus der Hand.
Das Erweckungserlebnis des Bartenders
Ein Ort der legendären Zügellosigkeit und der Verschwendung von Kunst, Talent und Geld an die Klingelbeutel der Kathedrale der geschwätzigen Westberliner Bohème, die Paris Bar, war dann Gregor Scholls nächste Etappe. Es sollte eine neue Bar entstehen aus dem Kosmos der Vanités parisienne, mit ihm als Garant für Substanz inmitten des Geweses. Es blieb beim Projekt, was dann wieder sehr Berlin war.
Aber zu dieser Zeit tauchte ein distinguierter Herr in der Paris Bar auf, dessen gesamter Habitus nicht den Glanz des sonstigen irisierenden Gelichts verbreitete, der aber um so respektvoller von den Hausherren hofiert wurde. Das weckte die Neugier des Neuberliners. „Schröder mein Name, kommen Sie doch mal in meiner kleinen Bar vorbei, Scholl.“ Diese Bekanntschaft und den Besuch im Rum Trader bezeichnet Scholl heute als eine Art Erweckungserlebnis.
Was war das Besondere, das Andere? „Der Mann verströmte das Moment der souveränen Freiheit. Ein ungebundener Geist zu jeder Zeit. Außerdem die Fähigkeit, Unmögliches möglich zu machen. Nicht im Sinne eines Buchstabenperfektionismus, eher mit einer unmerklichen Beiläufigkeit, obwohl er so präsent in dem von ihm geschaffenen Raum war. Ich habe immer mit Staunen auf seine unglaubliche Menschenkenntnis geschaut, die sich beinahe in den Charakter des Drinks übertrug. So kann man auch aus Wassereis noch einen trockenen Martini rühren.“
Auch die eingangs erwähnte Fähigkeit zur Kommunikation schienen beiderseits überzeugend. Nach einer Debatte über Wagners Lohengrin war die Sache klar: „Scholl, Sie können nicht nur mixen, Sie haben auch was in der Birne. Sie werden hier mein Nachfolger!“ Scholl schlug ein, mixte nun für Bohème, die das grelle Licht scheute, verbat sich das distanzlose, übergriffige Geduze von Ehefrau wie Nachtdarstellern und war dennoch allen ein exzellenter Gastgeber, die ein wenig Esprit zum Drink suchten. Strenge waltete bei Tresennovizen, die zunächst eine Leseliste abzuarbeiten hatten und dann mit Mixturen glänzen konnten.
Kein Misanthrop hinter dem Tresen werden
Man fragt sich natürlich, ob das nicht alles elitär überladen ist. Ob da jemand um den Rang seines Daseins, die Reputation mit der nicht immer besten Aura des Bartenders ringt. Ein Erlebnis aus Köln: „Der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel war bei uns zu Gast und lud in einem ruhigen Moment zu einem Glas Champagner. Allerdings mit der strengen Anweisung, wenn seine Frau käme, müssten schnell alle Gläser verschwinden.“
Es war nicht der Alkohol, aber mit dem Gesinde trinkt man nicht. Aber all das ist Material für den Künstler. „Daran sieht man, wie brüchig die bürgerliche Welt ist, wie schnell sie in Auflösung gerät. Wie eine Versuchsanordnung, die ins Wanken gerät. Nun ja, Kompositionen sind auch Versuchsanordnungen.“ Ob er denn in der Bar eine Arbeitsdroge gehabt habe, vielleicht sogar die gleiche, wie in der Musik oder zum Brainstorming? „Brainstorming ist immer, das sollten Sie wissen! An der Bar, die Zeiten waren auch ein wenig anders, gehörte irgendwann eine gewisse Niveaubegleitung hinsichtlich des Konsums dazu. Insofern wurden Einladungen von Seiten des Gastes akzeptiert. Man muss das im Rahmen halten. Auch das war von Schröder zu lernen. Für die Musik gilt: Pfeife, Tee und ein klarer Kopf sind gute Drogen.“
Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass schon bei Shakespeare und „Macbeth“ Haschisch und die Aga-Kröte im Spiel waren. Aber vielleicht auch zu dramatisch. „Man blickt als Bartender über die Jahre ohnehin in viele menschliche Abgründe, erlebt verstörende Dinge, das muss man nicht forcieren. Der größte Fehler wäre, das alles eins zu eins zu nehmen. Auch wenn es Material für die Kunst ist. Am meisten hat mich die Bar als Spiegel für den gesellschaftlichen Wandel fasziniert. Wie Dinge verschwinden, anders bewertet werden. Das Bewusstsein dafür hatte ich früher nicht. Ob ich darüber zum Misanthropen geworden bin? Sicherlich nicht. Man muss damit umgehen. Als Bartender kann man kein Misanthrop sein. Man muss einen Schutzmechanismus für sich selbst haben und einen für den Gast entwickeln.“
Dann sind auch die Ausnahmezustände Geheimnisse für die Kunst in jeder Hinsicht – vor allem ein guter Bartender zu sein.
Credits
Foto: Katharina John (Aufmacher); Archiv: Gregor Scholl
Konrad Adenauer
Sehr schön und bissig! Manchmal etwas zu verklausuliert und fremdwörtlich. Eine gute Erinnerung an bessere Zeiten! Vielen Dank!
Frau Ludwig
Für mich trifft der Text nicht, was Herrn Scholl als Gastgeber oder Komponist ausmacht. Die Wärme, Strenge und der Witz, der sich in Sekunden über den Gast ergoss und die legendären Nächte im Rum Trader waren ein Geschenk. Heute ist es dort laut geschäftig und beliebig. Unter der Bank stehen Pfandkisten und die Liebe zm Detail fehlt, von der Musik ist ganz zu schweigen. Die Aufführung im Januar habe ich leider verpasst. Ich hoffe auf bald.
Jürgen Nieveler
ich kenne ihn noch aus seiner Zeit im Meyer-Lansky in Köln – ist lange her, aber er war sehr wichtig für mich. Vielleicht sieht man sich irgendwann mal .. Gruß von dem jungen Typen der 1999 den Becher mit dem Fächer bestellt hat (und viele andere klassische Cocktails)