Die Destillateurin spricht: Anne Brock von Bombay Sapphire im Interview
Ihren ursprünglichen Plan, Ärztin zu werden, verwarf Anne Brock im Laufe des Studiums. Sie wechselte für einige Jahre als Bartenderin ins Barfach, in Vollzeit wie auch neben ihrem Folgestudium der organischen Chemie. Ein Freund unterbreitete der promovierten Chemikerin schlussendlich den Vorschlag, sie solle doch Destillateurin zu werden.
Gesagt, getan. Zu Beginn ihrer Karriere als Gin-Destillateurin leitete sie bei Bermondsey Gin den Aufbau der Brennerei in London und übernahm die Produktion der beiden Gins eines Vertragsbrenners. 2015 kam sie in den Vorstand der Gin Guild und war von 2019 bis 2021 die erste Frau als „Grand Rectifier“. Sie wurde sowohl von der IWSC als auch von der WSET in die Liste der Future 50 aufgenommen und bei den Icons of Gin 2022 zur Master Distiller of the Year ernannt. Seit 2017 ist sie Master Distillerin von Bombay Sapphire und überzeugt davon, dass noch kein einziges Laborgerät oder KI-Tool existiert, das die menschliche Nase schlagen kann. Wenn doch, dann lassen wir sie es wissen. „Damit ich an einem kalten Wintermorgen im Bett bleiben kann, und sie es für mich macht. Aber so weit sind wir noch nicht und meine Nase bleibt gefragt“, lächelt Anne Brock während unseres Gesprächs – das am internationalen Frauentag (8. März) geführt wurde.
MIXOLOGY: Liebe Anne Brock, heute feiert die Welt den internationalen Frauentag. Welche Bedeutung hat er für Sie, und brauchen wir Frauen ihn noch?
Anne Brock: Ich habe das Glück, von vielen brillanten Frauen umgeben zu sein. Wir haben uns heute Morgen allen gegenseitig alles Gute gewünscht, und das finde ich schön. Frauen haben in vielen Ländern der Welt große Fortschritte gemacht und stehen viel besser da als etwa die Generation meiner Mutter in Großbritannien. Aber es gibt immer noch grundlegende Ungleichheiten für Frauen, insbesondere in den ärmeren Ländern und Gebieten der Welt. Es ist also wichtig, die guten, bereits passierten Dinge hervorzuheben, aber auch den Dialog aufrechtzuerhalten, damit wir wirklich nach echter Gleichberechtigung streben. Wir brauchen diesen Tag auf jeden Fall.
MIXOLOGY: Heutzutage passiert schon viel, um Mädchen auch für Naturwissenschaften zu begeistern. Wie war das denn zu Ihrer Zeit?
Anne Brock: Chemie ist eines der Fächer, in denen das Geschlechter-Verhältnis schon immer etwas ausgeglichener war. Meine jüngere Schwester hat Physik studiert, und ich glaube, in ihrer Studienklasse waren nur 20 Frauen unter 200 Kolleg:innen. Ich glaube, in der Chemie liegt das Verhältnis heute bei rund 50:50. Als ich studierte, konnte ich das Verhältnis nicht einschätzen, aber ich hatte das Glück, nicht nur großartige Kommiliton:innen zu haben, sondern auch fantastische Lehrerinnen. Das ist wichtig, denn man kann nicht sein, was man nicht sieht. Wenn man also fantastische Lehrerinnen hat, wird klar, dass man es schaffen kann. Und ich hatte das Glück, sogar in der Schule zwei Chemielehrerinnen zu haben.
»Ich liebe die Chemie, die allerdings keine so klaren Berufspositionen definiert wie die Physik, Mathematik oder Biologie. Es sei denn, man macht es wie in der Serie „Breaking Bad“, die das Fach nicht gut verkauft. Mein jetziger Beruf war damals ganz und gar nicht in Sichtweite.«
— Anne Brock
MIXOLOGY: War es die richtige Wahl, die auch schon die Perspektive in der Spirituosenbranche eröffnete?
Anne Brock: Ich liebe die Chemie, die allerdings keine so klaren Berufspositionen definiert wie die Physik, Mathematik oder Biologie. Es sei denn, man macht es wie in der Serie „Breaking Bad“, die das Fach nicht gut verkauft. Mein jetziger Beruf war damals ganz und gar nicht in Sichtweite. Ursprünglich wollte ich Ärztin werden, doch dieses Berufsleben erschien mir schon während des Studiums mit lebenslangen Folge-Prüfungen zu vorgezeichnet. Die Chemie war also mein zweiter universitärer Versuch und die richtige Wahl. Gegen Ende meines PhD musste ich mich orientieren, doch ich fand nichts Spannendes. Bis ein Freund zu mir sagte: Du bist doch Bartenderin und Chemikerin. Warum wirst du nicht Destillateurin?
MIXOLOGY: Ein wegweisender Tipp, aber das Bartending mussten Sie sein lassen. Was schätzten Sie daran besonders?
Anne Brock: Ich hatte wirklich Glück, denn niemand denkt daran, Gin-Destillateur zu werden. Die meisten Berufsberater oder Lehrenden raten zu traditionellen Berufen mit garantierten Erfolgen, aber sicher nicht dazu. Die Welt der Bars und des Gastgewerbes an sich ist geprägt von langen, harten Arbeitszeiten, die sowohl körperlich als auch mental anstrengen. Aber ich habe die Zeit geliebt, den Team Spirit, um gemeinsam an einem Strang zu ziehen und eine Bar voller glücklicher Gäste zu haben, den Kontakt zu Menschen und das Vertrauen der Stammgäste.
MIXOLOGY: Es sollte die Gin-Branche sein?
Anne Brock: Als ich beschloss, Brennerin zu werden, sollte es diese Branche sein, weil Gin als typisch englisches Getränk immer schon auch mein Spirituosenfavorit vor allem als Gin & Tonic gewesen ist. Ich habe in der kleinen, handwerklichen Brennerei Bermondsey Gin begonnen, bis ich 2017 zur Bombay Sapphire Distillery in Laverstoke Mill in Hampshire gekommen bin.
MIXOLOGY: Wofür sind Sie als Master Distiller bei Bombay Sapphire genau verantwortlich?
Anne Brock: Ich leite das Destillationsteam und bin im Wesentlichen für die Produktion, die Beschaffung der Rohstoffe und den weltweiten Versand aller Bombay Sapphire-Varianten verantwortlich. Jeder der Bombay-Gins stammt aus meiner Brennerei, alle London Dry Gins fallen in meinen Zuständigkeitsbereich und den meines Teams. Den Großteil macht unser Hauptprodukt Bombay Sapphire aus. Es gibt aber auch Bombay Dry, Bombay Sapphire Premier Cru Murcian Lemon, Bombay Sapphire Sunset oder Premier Cru Tuscan Juniper, der nur in Duty-Free-Geschäften erhältlich ist.
»Als Chemikerin bin ich zwar mit vielen technischen Geräten im Labor wie Spektroskopie-Modellen vertraut, was mich aber bis heute fasziniert, ist, dass es kein Laborgerät gibt, das besser ist als die menschliche Nase.«
— Anne Brock
MIXOLOGY: Hält der Gin-Boom noch an?
Anne Brock: In Großbritannien sind das Wachstum und die Kreativität definitiv noch zu beobachten, vor allem im Bereich der Craft Gins. Vor dem Gin-Boom war Gin & Tonic wahrscheinlich die einzige Art, Gin zu trinken. Heute wissen die Menschen, dass es mehr als das gibt, das ohnehin ein großartiges Getränk ist, und mixen auch zu Hause Cocktails mit Gin. Der Markt wächst zwar nicht mehr so exponentiell wie noch vor einigen Jahren, und ein großer Teil des Wachstums entfällt auf aromatisierte Gins. Wir sehen aber viel Interesse von nicht-traditionellen Gin-Märkten außerhalb des Vereinigten Königreichs oder Europas. Der Markt wächst weiterhin, und viel Interesse an klassischen Dry Gins kehrt zurück.
MIXOLOGY: Wie darf man sich einen Ihrer ganz normalen Arbeitstage vorstellen?
Anne Brock: Es gibt keinen normalen Arbeitstag. Nur eine Sache ist alltägliche Routine, nämlich die Qualität des Gins laufend sensorisch zu bestimmten Zeitpunkten zu begutachten. Als Chemikerin bin ich zwar mit vielen technischen Geräten im Labor wie Spektroskopie-Modellen vertraut, was mich aber bis heute fasziniert, ist, dass es kein Laborgerät gibt, das besser ist als die menschliche Nase.
MIXOLOGY: Schnuppern steht also an der Tagesordnung. Sind Sie darin speziell geschult?
Anne Brock: Jawohl. Als sensorische Autodidaktin habe ich natürlich einige Kurse besucht und Tests absolviert. Für meine Funktion bei Bombay war ein sensorischer Test einer der Prozessetappen, damit sie sicher sein konnten, dass meine Nase in der Lage ist, das zu tun, was sie von mir verlangen. Es ist einfach, Gin herzustellen, es ist aber nicht einfach, guten Gin zu machen.
MIXOLOGY: Es versuchen sich auch viele neue Hersteller in der Gin-Produktion. Worauf kommt es an?
Anne Brock: Viele waren auch sehr erfolgreich. Was ich am Verfahren bei Bombay Sapphire so liebe, ist, dass es trotz des großen Maßstabs immer noch ein sehr praktischer Prozess ist. Unsere Destillateure müssen die Botanicals auf eine ganz bestimmte Art und Weise von Hand in unsere Dampfkörbe füllen. Es wird auf ganz eigen geschichtet, was wir in einem automatisierten System nicht nachbilden können. Wenn wir destillieren, könnten wir die Anlage einfach eingeschaltet lassen, wüssten aber nicht, was auf der anderen Seite herauskommt. Wir müssen also Schnitte machen, verwerfen den Vor- und Nachlauf und behalten nur den Mittellauf. Dieser ist es, der Bombay Sapphire dazu macht, was er ist. Die Entscheidung, wo wir schneiden, müssen wir mit unserer Nase treffen. Unsere Destillateure müssen also an der Brennblase stehen und den Destillationsverlauf sensorisch mit der Nase überwachen. Wir haben keine Maschine, die das für uns erledigen kann. Und danach muss nochmals alles mittels Nosing und Tasting überprüft werden.
»Ich glaube, seit dem gestiegenen Interesse an handwerklich hergestellten Spirituosen und der Entstehung von Craft Destillerien ist auch der Anstieg der Frauen gestiegen. Wir haben Glück, dass Bacardi großen Wert auf Frauen im Konzern sowie in Führungspositionen legt.«
— Anne Brock
MIXOLOGY: Angeblich wird schon an KI-Tools mit Geruchseinschätzung oder auch -sinn geschraubt. Könnten Sie sich vorstellen, dass dadurch der Gesamtprozess vielleicht automatisiert werden kann?
Anne Brock: Wenn es jemals eine Technologie geben sollte, die meine Nase schlagen kann, wäre ich sehr glücklich, weil immer viel Druck herrscht. Wenn man erkältet ist, zweifelt man an sich selbst. Bei der Gin-Herstellung gibt es keine richtige oder falsche Antwort, sondern nur eine Wahrnehmung. Wenn ich etwas optimieren will, und jemand anders möchte diese Optimierung Schwarz auf Weiß sehen, dann kann ich das nicht widerspiegeln. Ich kann es nur riechen. Wenn der technologische Fortschritt also einen Weg findet, mich an einem kalten Wintermorgen im Bett zu lassen, wäre das für mich in Ordnung. Aber so weit sind wir noch nicht, und das ist gut, denn meine Nase bleibt gefragt.
MIXOLOGY: Wie groß ist Ihr Team?
Anne Brock: Wir betreiben die Destillerie 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und in einem zwölfköpfigen Brenner-Team im Zwölf-Stunden-Schichtdienst zu dritt während des Tages und zu zweit in der Nacht. Dazu kommen noch einige wenige Ingenieure und Logistiker, die sich um die Materialien und Produktionsplanung kümmern. Es ist also kein großes Team.
MIXOLOGY: Halten Sie die Spirituosenbranche noch für männerdominiert, und wie sieht dies in Ihrem Team aus?
Anne Brock: Historisch gesehen war die Branche stark männerdominiert. Wie in vielen anderen Branchen ändert sich das jedoch. In meinem Destillationsteam gibt es nur Männer, was ich gerne ändern würde. Dafür besteht mein Produktionsteam aus Frauen. Blickt man auf die gesamte Branche oder speziell auf unseren Dachkonzern Bacardi, dann sehe ich viele Master Distillerinnen, mit denen ich zusammenarbeiten darf. Ich glaube, seit dem gestiegenen Interesse an handwerklich hergestellten Spirituosen und der Entstehung von Craft Destillerien ist auch der Anstieg der Frauen gestiegen. Wir haben Glück, dass Bacardi großen Wert auf Frauen im Konzern sowie in Führungspositionen legt. Nur so kann man einen vielfältigen Querschnitt in den Teams erlangen, der wiederum unsere Kundschaft widerspiegelt.
»Solange man ausreichend Wacholderbeeren als Basis im Liquid hat, kann man viele andere Botanicals beimengen, und es ist immer noch Gin. Das liebe ich an diesem Destillat.«
— Anne Brock
MIXOLOGY: Wo und wie finden Sie Inspirationen zu neuen Gin-Editionen?
Anne Brock: Solange man ausreichend Wacholderbeeren als Basis im Liquid hat, kann man viele andere Botanicals beimengen, und es ist immer noch Gin. Das liebe ich an diesem Destillat. Deshalb finde ich Inspirationen auch überall, sei es bei einem Spaziergang, im Urlaub oder einem Besuch bei indischen Freunden, wenn ich einen Duft erhasche, eine neue Gewürzmischung entdecke oder bei einem Drink in einer Bar, der Inspiration freisetzt. Für dem Bombay Sapphire Premier Cru zum Beispiel war es unser Wunsch, die Geschichte der Lieferanten und Menschen zu erzählen, mit denen wir in verschiedenen Regionen der Welt zusammenarbeiten und Botanicals beziehen, Menschen, die es mir ermöglichen, meinen Job zu machen und Bombay Sapphire herzustellen.
MIXOLOGY: Wenn Sie nicht gerade am Schnuppern oder Administrieren sind, was machen Sie dann?
Anne Brock: Ich liebe Yoga und Pilates und das Reisen, wo ich neue Kulturen, Küchen und Orte kennenlernen kann. Meine Reise-Hitliste wird immer länger anstatt kürzer. Ich brauche also mehr Zeit. Wenn Sie mir also diese automatischen Riechmaschine beschaffen, könnte ich losziehen.
MIXOLOGY: Liebe Anne Brock, vielen Dank für das Interview.
Weitere Interviews aus der Serie „Die Brenner:innen sprechen“:
Lorenz Humbel – Spezialitätenbrennerei Humbel
Katharina Zott – Destillerie Zott
Josef Farthofer – Destillerie Farthofer
Robert Birnecker – Koval
Florian und Johannes Kuenz – Kuenz Naturbrennerei
Jasmin Haider-Stadler – Destillerie Haider
Florian Faude – Faude feine Brände
Hermann Rogner – Destillerie Rogner
Ernst Wallner – Dorfbrennerei Ernst Wallner
Hans Reisetbauer – Reisetbauer Qualitätsbrennerei
Harald Keckeis – Destillerie Keckeis
Hans Erismann – Brennerei Destillerie Erismann
Gerald Schroff – Michelberger X Preussische Spirituosen Manufaktur
Felix Kaltenthaler – Destille Kaltenthaler, Kernstein
Reto Meier – Distillery Studer
Credits
Foto: Bacardi
Angelica Schwarzkopf
Eine tolle, witzige und unglaublich inspirierende Frau! Jedes Gespräch mit ihr ist eine nachhaltige Bereicherung, jeder Besuch bei ihr ein Highlight. Viel Liebe für Anne Brock!