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Lorenz Humbel

Der Brenner spricht: Lorenz Humbel

Lorenz Humbel genoß das Dolcefarniente in Italien, bis ihn ein Anruf seiner Eltern ereilte. Der Rest ist Geschichte, wie er im großen Interview verrät. Seither lenkt er die Geschicke der Schweizer Spezialitätenbrennerei, die wie kaum eine zweite für Kirschbrand steht und in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert.
Mit der wunderbaren Geschichte, wie sich Max Humbel und Angela Somm –  natürlich bei einem „Kaffee Kirsch“ –  kennenlernten, beginnt die Festschrift zum 100. Jubiläum der Brennerei in Stetten, Kanton Aargau. Drucken ließ sie Lorenz Humbel, der in dritter Generation für die ikonischen Kirschbrände verantwortlich ist.

Lorenz Humbel im Interview: Es beginnt in Italien

Dabei sorgten vor allem seine Innovationen wie die Bar-Kooperationen („Clouds Gin“) oder die Bio-Brände für Wachstum abseits des „Kirschlis“. Bereits 1995 etwa beharrte Lorenz Humbel auf biologische Zertifikate. „Schnaps ist sowieso ungesund und Bio daher unnötig“, beschied man dem Aargauer, der heute die Hälfte seines Umsatzes (rund eine Mio. Euro) im Bio-Joint Venture „Dschinn“ mit dem Deutschen Peter Riegel macht. Warum er nichts gegen einfache Gins hat und was aus Sicht des Kirschbrenners Fondue und Cocktails verbindet, erzählt der 53-Jährige im Interview.
MIXOLOGY ONLINE: Humbel ist wohl nahezu allen Schweizern ein Begriff, wie klar war da die eigene Lebensplanung vorgezeichnet?
Lorenz Humbel: So klar war das gar nicht. Im Winter 1986/87 rief mich meine Mutter an und teilte mir mit, dass sie und mein Vater die Nachfolge der Brennerei regeln möchten. Wenn keines der Kinder das Geschäft übernehmen wolle, dann würden sie einen Käufer suchen. Ich lebte da gerade in Perugia. Zwei Jahre zuvor hatte ich einen sechsmonatigen Stage bei Cognac Bisquit (heute Martell, Anm. d. Red.) in Frankreich absolviert. Im Sommer hatte ich im Hotel Beaurivage in Fano südlich von Rimini als Kellner gearbeitet. Nun war ich also in Perugia und lernte italienisch, genoss das Leben, fühlte mich rundum wohl, mit Aussicht auf eine weitere Arbeitsmöglichkeit in Italien – nur in der Liebe lief es nicht wie gewünscht. Und da kam dieser Anruf von zu Hause.
Ich war 22 Jahre alt, wusste noch nicht, was ich machen wollte, hatte keine klare Berufsvorstellung, aber viele Interessen. Auch für die Schnapsbrennerei interessierte ich mich. Die Vorstellung, dass die Familienbrennerei jetzt einfach verkauft würde, gefiel mir nicht. So habe ich meinen Eltern zugesagt und mir gedacht: Das mache ich jetzt ein paar Jahre lang – und wenn es nicht passt, dann kommt halt etwas anderes. So unbeschwert war meine Lebensplanung damals. Und so übernahm ich 1991 die Firma. Ich heiratete, wurde Vater. 1992 machte ich den Brennmeister in Berlin, 1994 wurde ich nochmals Vater. Dann erschien die Spirituosen-Liberalisierung am Horizont – und schon war ich mittendrin. Mir wurde klar, dass es jetzt ans Eingemachte ging, dass man in dieser Situation nicht wieder schnell aussteigt – es wurde spannend!
MIXOLOGY ONLINE: 100 Jahre Destillieren bedeutet auch den – mengenmäßigen – Abstieg vom Kirschli-Fass in praktisch jeder Beiz zum heute fast unverkäuflichen Produkt. Wie passt man da eine Produktion an? Weniger abstrakt gesprochen, es hängen ja auch viele Personen daran?
Lorenz Humbel: Es war nicht ganz so dramatisch, wie Sie das denken: Tatsächlich gab es einen dramatischen Einbruch nach der Liberalisierung nach 1999. Den haben wir mittlerweile wieder wett gemacht, weil wir uns klar als Kirschbrenner profiliert haben, neue und mehr Kirschprodukte gemacht haben, neue Verkaufsgebiete und Export erschlossen haben. Und auch, weil viel Konkurrenz verschwunden ist. Ein anderes, mengenmäßig wichtiges Produkt vor 30 Jahren war der Obstler für den „Kafi fertig“ (beliebtes Kaffee-Schnaps-Mischgetränk der Innerschweiz, Anm. d. Red.). Hier ist es so, dass dies heute kein Markt mehr ist. Diese Lücke füllen Rum- , Gin- und Whisky-Produktion.

„Als Kirschbrenner sind wir es gewohnt, dass unsere Produkte weiterverarbeitet werden.“

MIXOLOGY ONLINE: Wird es eine Jubiläumsedition zum Geburtstag geben?
Lorenz Humbel: Quasi die Festschrift in flüssiger Form sind unsere acht 10cl-Fläschchen in einer Holzkiste. Sie erzählen über Tradition, Innovation und Zukunft.
MIXOLOGY ONLINE: Humbel hat mit dem „XK“ einen eigenen Kirschbrand für die Bar entwickelt, zuvor schon den Clouds Gin für die gleichnamige Zürcher Bar. Was verleiht Fruchtdestillaten die „Mixability“ bzw. worauf achten Sie da technisch?
Lorenz Humbel: Mit der Filigranität von Obstbränden umzugehen, ist für einen Barkeeper nicht immer so einfach. Beim XK Kirsch (Süßkirsch & Sauerkirsch) sowie beim neuen XB Birne (Williams & Mostbirne) haben wir deshalb versucht, mit einer Cuvée und den 45 Volumsprozent trotz der schönen filigranen Aromen mehr Robustheit ins Produkt zu geben.
MIXOLOGY ONLINE: Sie brennen vor allem sortenreine Kirschbrände, der „Rettungsanker“ für Destillate scheint aber aktuell die Bar zu sein. Schmerzt es, wenn dann ein Tonic Water z. B. die Nuancen eines Basler Langstielers „wegspült“?
Lorenz Humbel: Nein, als Kirschbrenner sind wir es gewohnt, dass unsere Produkte weiterverarbeitet werden. Was wären Kirschstängeli, Kuchen, Fondue usw. ohne Kirsch?
MIXOLOGY ONLINE: Woher kommt eigentlich diese Faszination der Schweizer für das „Kirschli“, die auch ein wenig Ihre übrigen Erzeugnisse zudeckt?
Lorenz Humbel: Die Kirschbäume haben im nördlichen Alpengebiet ideale Bedingungen im Anbau gefunden. Und schon früher war es so, dass Kirsch der nobelste unter den Obstbränden war. Er war auch der teuerste, weil die Arbeit für das Ernten groß war.

„Deutschland ist auch der wichtigste Markt für Bio-Destillate.“

MIXOLOGY ONLINE: Von wieviel Flaschen sprechen wir da quer über alle Kirschsorten?
Lorenz Humbel: Von den 35cl- bis 100cl-Flaschen umgerechnet, werden das 15.000 bis 20.000 Flaschen á 0,7 Liter sein. Und mindestens nochmal so viel Menge liefern wir eben offen an Patisserien und Fonduemischer.
MIXOLOGY ONLINE: Wenn wir vom Export reden: Wie schlägt sich Humbel hier bzw. welche Märkte sind entscheidend für Sie?
Lorenz Humbel: Der deutsche Markt ist klar der Wichtigste: Den Deutschen ist der Obstbrand kulturell bekannt; Deutsche schätzen Schweizer Produkte und Deutschland ist auch der wichtigste Markt für Bio-Destillate.
MIXOLOGY ONLINE: Sehen Sie eine Chance, dass die Bevorzugung regionaler Produkte, wie sie in der Küche gängig ist, auch dem Edelbrand wieder Rückenwind verleiht?
Lorenz Humbel: Das hilft sicher, ist aber ähnlich wie beim Bio nicht der entscheidende Faktor bei Spirituosen. Die Geschichte dazu bzw. was das Destillat erzählen will, ist wichtiger.
MIXOLOGY ONLINE: Sie sprechen wie Winzer von einem „legendären“ Jahrgang (2011) bei den Kirschbränden – was passte da besonders gut?
Lorenz Humbel: Kirschen sind sehr delikate Früchte, vor allem zu viel Regen haben sie nicht gern – während des Wachstums wegen der Pilzkrankheiten, bei der Ernte wegen dem Aufplatzen. Gute Kirschenjahre sind: trockene Jahre, nicht zu heiß bei der Ernte und eher guter, aber nicht zu dichter Behang. 2018 könnte es auch wieder so etwas geben, warten wir mal ab …

„Gin hat das Interesse am Destillieren wieder entfacht, das freut mich.“

MIXOLOGY ONLINE: Viele Brenner, speziell Neueinsteiger, „flüchten“ sich in den einfach zu erzeugenden, im Extremfall nicht einmal destillierten Gin. Wie sieht diese Entwicklung ein Routinier am Brennkessel wie Sie?
Lorenz Humbel: Das ist so, wie Sie es sagen, und trotzdem sehe ich das Ganze positiv. Gerade weil es im Verhältnis einfach ist, einen Gin zu brennen, haben die Leute wieder begonnen, sich für die Destillation zu interessieren, und das freut mich. Stellen sie sich vor, jemand möchte mit Kirsch beginnen und stellt nach dem Brennen fest, dass etwas misslungen ist. Dann müsste er wieder ein Jahr warten, bis er einen neuen Versuch machen kann, und das würde Neueinsteiger frustrieren.
MIXOLOGY ONLINE: Wie läuft eigentlich das Geschäft als Lohnbrenner, das Sie ja relativ niedrigschwellig „jedem Besitzer eines Baums voller reifer Früchte“ anbieten?
Lorenz Humbel: Das machen wir erst seit etwa 15 Jahren und es hat sich gut entwickelt. Gerade die Leute, die nur ein kleines Bäumchen im Garten haben, sind dann stolz auf ihren eigenen Schnaps.
MIXOLOGY ONLINE: Wenn Sie nur ein einziges Destillat machen dürften, was würde es sein?
Lorenz Humbel: Der Brenzer Kirsch, Humbel Nr. 22 (=kleine schwarze Süßkirschen von Hochstamm-Bäumen).
MIXOLOGY ONLINE: Von welchen Bränden gibt es aktuell zu viel am Markt?
Lorenz Humbel: Von schlechten!

„Solange ich das Sagen habe, bleibt das Etikett.“

MIXOLOGY ONLINE: Was ist aus Ihrer Sicht am schwierigsten zu destillieren?
Lorenz Humbel: Zucker- und damit alkoholarme Früchte mit delikaten Aromen, wie etwa die Erdbeere.
MIXOLOGY ONLINE: Und zum Abschluss: Das Etikett in seiner simplen Form wird auch im 101. Jahr bleiben?
Lorenz Humbel: Solange ich noch das Sagen habe, bleibt das Etikett – ungeachtet der Umsatzentwicklung –, sowie der Hochkamin mit den Störchen!
MIXOLOGY ONLINE: Lorenz Humbel, vielen Dank für das Interview.

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Weitere Interviews aus der Serie „Die Brenner:innen sprechen“:

Lorenz Humbel – Spezialitätenbrennerei Humbel

Katharina Zott – Destillerie Zott

Josef Farthofer – Destillerie Farthofer

Robert Birnecker – Koval

Florian und Johannes Kuenz – Kuenz Naturbrennerei

Jasmin Haider-Stadler – Destillerie Haider

Florian Faude – Faude feine Brände

Hermann Rogner – Destillerie Rogner

Ernst Wallner – Dorfbrennerei Ernst Wallner

Hans Reisetbauer – Reisetbauer Qualitätsbrennerei

Harald Keckeis – Destillerie Keckeis

Hans Erismann – Brennerei Destillerie Erismann

Gerald Schroff – Michelberger X Preussische Spirituosen Manufaktur

Felix Kaltenthaler – Destille Kaltenthaler, Kernstein

Reto Meier – Distillery Studer

Photo Credit: Lorenz Humbel

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