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Kombucha mit Durchblick: Bei Bouche in Berlin hat man noch einiges vor

Kombucha mit Durchblick: Bei Bouche in Berlin hat man noch einiges vor

Bouche aus Berlin zählt zu den deutschen Kombucha-Pionieren. Die Geschichte begann in einer Abstellkammer eines Ateliers, heute produziert man auf über 300 Quadratmetern in der Brauerei in Marzahn – wo man bewusst den Begriff „Manufaktur“ vermeidet.

Randbezirke – diese unendlichen, unverständlichen und unverstandenen Weiten von Berlin. In ihnen verliert sich der Blick in Industrieanlagen, Tümpelbrachen und Häuserburgen, aber hier findet sich auch ein Gefühl der Hauptstadt, das in seiner Mitte verloren gegangen ist. Denn hier gibt es Raum für Experimente und Möglichkeiten zur Entfaltung, die im Zentrum längst der Effizienz und dem Monitoring gewichen sind. Das Herz der Stadt, seine geographische Mitte, ist ein Muskel, der kaum noch etwas produziert, sondern eine Kombination aus Image, Immobilien und Irritation in die Welt hinauspumpt; es ist der Preis, den Berlin für seine Internationalität bezahlt hat. Aber hier draußen, an den Randbezirken, ist noch Platz für Irrationalität. Die hat ihren Wert.

Unscheinbar und verspiegelt präsentiert sich der Zugang zu Bouche
Die Brauerei von Bouche liegt in einem Industriekomplex in Berlin-Marzahn
Die Brauerei von Bouche liegt in einem Industriekomplex in Berlin-Marzahn

Von der Kunst zu Kombucha

Das denkt man zumindest, wenn man an der S-Bahnstation Marzahn aussteigt, sich den Kragen höher stülpt und umweht von einem existenzialistischen Hauch Fargo durch den Schnee in die Georg-Knorr-Straße stapft. In diese Ecke des nordöstlich gelegenen Bezirkes verläuft sich nicht mal ein Partytourist nach einem dreitägigen LSD-Trip durch die südlicher gelegenen Clubs am Spreeufer. Hier in einer Lagerhalle ist im Sommer 2022 Bouche eingezogen, eine Kombucha-Brauerei, die eines dieser Experimente wagt. Nämlich unabhängig zu bleiben und dabei neue Wege zu gehen.

„Wir produzieren alles selbst vor Ort und sind die einzige Produktionsanlage dieser Art in Deutschland“, bringt Walker Brengel auf den Punkt, was Bouche ausmacht. Brengel ist einer drei Gründer der Kombucha-Marke, ein groß gewachsener US-Amerikaner mit einer ruhigen Ausstrahlung, dessen Sprache sporadisch ins Denglische verfällt, wenn er nach einem bestimmten Ausdruck sucht. Wie bei jedem guten Gründungsmythos fehlt auch bei Bouche die Anekdote nicht, dass eigentlich eine Schnapsidee der Anlass gewesen sei, oder vielmehr: eine Bieridee. 2018 war das, als Brengel mit den zwei Ateliers-Kollegen Yannic Poepperling und Felix Rank, wie er selbst in der Berliner Kunstszene verwurzelt, eine Gruppenausstellung in den USA organisierte; in den Staaten war Kombucha als Kategorie schon einen Schritt weiter, als bloße Kuriosität in Ethno-Kreisen zu sein. Die drei waren vom Geschmack und dem Gedanken des Produktes begeistert.

Und wo die Kunst ist, ist auch der Zweifel meist nicht weit. „Es gibt so etwas wie eine Post Exhibition Depression, und nach einer Ausstellung war ich in diesem mentalen Loch“, erinnert sich Brengel, heute CEO. „In dieser Phase dachte ich: Wenn mehr aus der Idee eines eigenen Kombuchas werden kann, dann jetzt. Also habe ich Businesspläne geschrieben und mich nach Förderungen umgesehen. Man muss wie ein Schwamm sein und alles einsaugen. Man lernt von seinen Fehlern, man lernt von anderen. Wir sind Quereinsteiger und müssen für neue Gedanken und neue Ideen immer offen sein. “

Walker Brengel kam 2012 aus den USA nach Berlin und gründete 2019 Bouche
Auf rund 340 Quadratmetern wird heute in Marzahn produziert
Simon Freund (links) ist für Sales und Kommunikation zuständig, Amit Kubi (rechts) lenkt als COO die Geschicke der Brauerei vor Ort
Simon Freund (links) ist für Sales und Kommunikation zuständig, Amit Kubi (rechts) lenkt als COO die Geschicke der Brauerei vor Ort

Bouche ist eine Brauerei, keine Manufaktur

Dieses Befassen mit einer Materie aus einem inneren Verlangen heraus, wie es in der Kunst elementar ist, spürt man auch in diesem Marzahner Fermentationslabor. Hinter dem Besinnen auf eigene Werte und dem Beschwören von Gemeinsamkeiten und Transparenz stecken mehr als Floskeln, die sich wunderbar in eine Pressemappe packen lassen. Man ist hier stolz, in wenigen Jahren die größte unabhängige Kombucha-Brauerei des Landes aufgebaut zu haben. Mit Betonung auf dem Wort Brauerei, nicht Manufaktur. Letzteren Begriff hält man nämlich für verwässert. „Wir meinen es richtig ernst”, grinst Simon Freund, der mittlerweile für den Vertrieb dazugestoßen ist. „Wir lieben unseren Kombucha und die Tatsache, eine richtige Brauerei zu sein. Natürlich sind wir ein Unternehmen und wollen Geld verdienen. Aber wir sind – behaupte ich jetzt einfach– sehr authentisch in dem, was wir machen.“

Yannic Poeppeling hat sich mittlerweile aus dem Unternehmen zurückgezogen, um sich wieder der Kunst zu widmen. Aber nach wie vor gibt es bei Bouche keine Investoren oder Business Angels. Die Gründung 2019 erfolgte durch Crowdfunding und Zuwendungen aus dem eigenen, sozialen Umfeld, Erweiterungen laufen über Kredite: „Die Idee eines Start-ups hört sich oft romantisch an, ist aber harte Arbeit und mit vielen Opfern verbunden. Natürlich trägt dich die Passion für die Sache, aber es kostet viel Blut und Schweiß, um dahinzukommen, wo wir jetzt sind“, so Walker Brengel. „Aber Unabhängigkeit war uns immer wichtig, das spiegelt sich in der Firmenkultur wider. Wenn es einen konstanten Druck von Investoren gibt, Zahlen vorzulegen, trifft man Entscheidungen, die nicht ideal für die Zukunft sind.“

Brengel spricht mit der Gelassenheit einer Person, die viele Hindernisse überwunden hat, trotzdem ist da noch ein ungekünsteltes Erstaunen über das, was gerade passiert. Und es passiert einiges: Zu Beginn wurde in 30 Liter-Kanistern in einem fünf Quadratmeter großen Gemäldelager produziert, später in 300-Liter Tanks und heute in 5.000 Liter-Tanks, die sich wie glatt polierte Raketen zur Hallendecke strecken. Die neue, soeben angeschaffte Abfüllanlage schafft 5.500 Flaschen pro Tag, während der Ausstoß bei aktuell bei rund 2.000 bis 2.500 Litern pro Woche liegt – im ständigen Kreislauf zwischen Tee, Zucker und Skoby, der Kultur aus Bakterien und Hefen, die der Ursprung von jedem Produkt bei Bouche ist. „Das Mischverhältnis unseres Kombuchas besteht aus zu etwa 89 Prozent Tee und zu elf Prozent Hefekultur, die zwei bis drei Wochen bei einer Idealtemperatur von 27 bis 28 Grad fermentieren”, umschreibt Produktionsmitglied Léo den Prozess. Die Range besteht aus vier Kombucha-Geschmacksrichtungen – Lemondrop, Earlybird, Cascarah, Hybiskus7 – und zwei Pét-Nats, hinzu kommen alkoholfreie „Proxys“, die auf Anregung aus dem Fine Dining entstanden sind, beispielsweise dem Cookies Cream.

Die Reise von Bouche begann mit 30-Liter-Kanistern, heute ist man bei 5.000 Liter-Tanks angekommen
Die Reise von Bouche begann mit 30-Liter-Kanistern, heute ist man bei 5.000 Liter-Tanks angekommen
Die Kernrange besteht aus den vier Kombuchas namens Lemondrop, Earlybird, Cascarah und Hybiskus7. Interessierte können sich die Hefekultur auch für Heimexperimente bestellen
Die Kernrange besteht aus den vier Kombuchas namens Lemondrop, Earlybird, Cascarah und Hybiskus7. Interessierte können sich die Hefekultur auch für Heimexperimente bestellen

Neue Prozesse, neue Hefe, neue Dosen

Der deutsche Markt macht heute etwa die Hälfte des Umsatzes bei Bouche aus, stark präsent ist man in den Niederlanden, aber auch Portugal, Österreich oder Tschechien gehören zu den wachsenden Märkten: Europa hat Durst auf den freshen Kombucha aus Marzahn. Deswegen muss man sich auch etwas Neues einfallen lassen. „Viele Konsumenten wollen Kombucha roh und naturbelassen, und wir pasteurisieren unseren Kombucha nicht. Aber dann muss er bei 9 Grad gekühlt sein, ansonsten fermentiert er weiter, was wiederum dazu führen kann, dass der Geschmack sich verändert und die Flaschen beim Öffnen überschäumen”, erklärt Simon Freund, „das war weniger ein Problem, als man noch fünf Leuten am Telefon die Problematik erklären konnte. Wenn man wächst, ist das nicht mehr so einfach.“

Die Lösung soll ein neuer Prozess bringen, bei dem die Hefe mit Hilfe einer Zentrifuge gefiltert wird, um – salopp formuliert – möglichst viele Bestandteile der Hefe zu entfernen, die nicht benötigt werden, ohne die gewünschten Bakterien mit zu entfernen. Denn diese und deren Bekömmlichkeit für die Darmflora sind – wenn auch nicht wissenschaftlich erwiesen – ein Image-Bonuspunkt, der häufig ins Spiel gebracht wird, wenn es um Kombucha geht. Auch eine Erweiterung der Range auf Dosen ist angedacht, um den energieaufwendigeren Versand von Flaschen zu überdenken.

„Es ist wie in der Malerei. Man hat zuerst eine feste Idee eines Bildes im Kopf, aber während des Prozesses schieben sich andere Gedanken in den Weg und man muss flexibel reagieren“, beschreibt Walker Brengel prosaisch.

Wer flexibel reagiert, landet dann auch mal in einem Randbezirk. Und das ist auch gut so.

Credits

Foto: Bouche; Stefan Adrian

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