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Wie der Espresso Martini Parmesan die nächste Stufe des Espresso Martini zündet

Der Parmesan Espresso Martini ist ein virales Phänomen. Schmeckt er auch?

Der Espresso Martini hat mittlerweile die Weihen eines Cocktailklassikers erreicht. Ein zentraler Indikator dafür: Er wird im Sinne einer Basisrezeptur variiert und abgewandelt. Beispiele sind globale Phänome wie der Parmesan Espresso Martini oder der Espresso Martiki. Beide stellen wir auf den Tisch, nicht ohne Gedanken zur Einordnung.

Es gibt diese Punkte und Aspekte, an denen sich ablesen lässt, dass ein Cocktail sozusagen zu einem Klassiker wird. Der wichtigste Punkt natürlich: Verbreitung. Ohne Verbreitung kann man einem Cocktail noch so viel attestieren, wie man will. Wenn er nicht alltäglich auf tausenden, zehntausenden Tischen steht, ist er nur ein Hype. Ein Phantom. Mutmaßlich sehr viele jener Drinks, die wir heute aus alten Barbüchern nachmixen, sind wahrscheinlich immer eher Phantome gewesen. Aber sie stehen in alten Büchern, weswegen wir sie Klassiker nennen.

Der Epresso Martini ist schwer in ein Schema zu pressen

Das zweite Kriterium für einen Klassiker? Er wird variiert. Die Verbreitung ist das eine. Sie bedeutet, dass der Mainstream einen Drink akzeptiert und aufnimmt. Die Skalierbarkeit sozusagen. Die Variation hingegen zeigt, dass sich auch Fachleute ernsthaft mit einem Drink befassen und versuchen, ihn weiterzuentwickeln. Variation bedeutet, dass es sowas wie eine tradierte, verschriftlichte Urform gibt, auf der man aufbauen kann.

Von wahrscheinlich allen modernen Cocktailschöpfungen ist also inzwischen recht eindeutig einer der größte Klassiker: der Espresso Martini. Dafür hat er zwei perfekte Voraussetzungen. Erstens: Er ist bestechend simpel, was Zutaten und Herstellung angeht. Spätestens seit ein Gutteil der Menschen in der westlichen Welt durch Vollautomaten oder Kapselmaschinen auch zuhause Zugriff auf einen zumindest mäßigen Espresso hat, steht dem Mixen des Drinks in den eigenen vier Wänden nichts entgegen. Zweitens: Der Espresso Martini ist tatsächlich extrem eigenständig, beinahe so wie die Bloody Mary. Es ist schwer, ihn in eins der etablierten Cocktail-Schemata zu pressen. Das macht ihn besonders.

Wo gehobelt wird, fallen Parmesan-Späne
Wo gehobelt wird, fallen Parmesan-Späne

Parmesan Espresso Martini

Zutaten

6 cl Vodka
2 cl Kaffeelikör
1 frisch gebrühter Espresso (~ 2,5 cl)
1 BL Zuckersirup (optional)

Aktuell der gefragteste Cocktail der Welt

Der ganz große Erfolg allerdings ließ dennoch ein wenig auf sich warten: Denn obwohl der Espresso Martini mittlerweile über 30 Jahre alt ist, wurde der simple Geniestreich von Dick Bradsell erst in etwa den letzten fünf Jahren zum wirklichen globalen Phänomen. Man kann nicht mehr genau sagen, wann und wo es losging – doch plötzlich ist er überall. Der Espresso Martini ist der aktuell gefragteste Cocktail der Welt: 2021 war er nach dem Aperol Spritz weltweit der Drink mit den meisten Google-Suchen. Rund um den Erdball dürfte das SEO-Schlagwort Espresso Martini derzeit Freud und Leid zugleich sein für zahllose Marketeers. Noch ein gewichtiger Indikator für die Spitzenposition des Espresso Martini? Durchstöbert man die einschlägigen Meme-Seiten, die sich an Bartender:innen richten, geht es um keinen Drink so häufig wie um ihn. Und der Drink, über den Barleute die meisten Witze machen, ist traditionell der, mit dem sie am meisten Geld verdienen.

Sein Erfinder hat das nicht mehr mitbekommen. Dick Bradsell verstarb 2016 überraschend im Alter von 56 Jahren. Ob es ihn interessiert hätte? Schwer zu sagen, denn Bradsell galt als schüchtern, öffentlichkeitsscheu, gar hier und da verstockt. Gefreut hätte ihn diese explosionsartige Verbreitung, die selbst Cosmopolitan oder Gin Basil Smash nie erreichen konnten, aber ganz bestimmt.

Parmesan Espresso Martini und Espresso Martiki

Doch es wird Zeit für den Kern dieses Artikels. Werfen wir also einen Blick auf die erwähnte Tatsache, dass der Espresso Martini inzwischen eine Grundlage für Adaptionen und Twists ist. Zwei sehr unterschiedliche und jeweils in ihrer Art aber komplett funktional gedachte Varianten des Espresso Martini will dieser Artikel vorstellen. Ihren herrlich exemplarischen Charakter für den heutigen Stellenwert des Espresso Martini zeigen die beiden Drinks nicht nur in der Unterschiedlichkeit ihrer Rezepturen, sondern auch durch ihre Herkunft: Es geht um den Parmesan Espresso Martini und den Espresso Martiki.

Einer der beiden Drinks, der „Martiki“ ist bereits einige Jahre alt. Er wurde entwickelt von Martin Hudák. Hudák gehört zu den prägenden internationalen Szene-Akteuren der letzten Jahre. Der Slowake zählt zu jener Garde osteuropäischer Bartender:innen, die seit Beginn des Jahrtausends die britische und somit globale Szene stark beeinflussten – unter anderem als langjähriger Bartender der American Bar im Londoner Savoy Hotel. Auch sein eigenes Barkonzept Maybe Sammy in Sydney konnte große internationale Beachtung erlangen. Vor allem aber setzt Hudák sich seit vielen Jahren intensiv mit Kaffee auseinander: 2017 gewann er die weltweite Coffee in Good Spirits Championship, ferner entwickelte er den Kaffeelikör Mr. Black, der letztes Jahr vom Diageo-Konzern übernommen wurde. Hudák ist also tief in den beiden Bereichen Bar und Kaffee verwurzelt. Sein Espresso Martiki stammt somit ebenfalls direkt aus dem internationalen Spitzen-Bar-Kontext.

Von Portland um die Welt

Anders sieht es beim Parmesan Espresso Martini aus. Er wurde in der jetzt überall diskutierten Form im Februar 2023 von Jordan Hughes in einem Video publiziert. Hughes bezieht sich dabei namentlich auf den Bartender Jonathan Stanyard aus Seattle, der im vergangenen Herbst einen Variante mit Parmesan und Trüffel veröffentlicht hatte. Das Punch Magazine führt an, dass Stanyard wiederum eventuell inspiriert worden sein könnte vom Cafe Con Queso, mit dem der Peruaner Carlos Ruiz vor knapp einem Jahr an einem Cocktailwettbewerb teilgenommen hatte. Es stimmt: Diese Entwürfe standen vor Hughes‘ Video im Raum. Doch der große Sprung in die mediale Überholspur kam durch ihn.

Hughes ist in der kleinen US-Bar-Metropole Portland ansässig und konnte sich ab 2017 mit seinem inzwischen 185.000 Follower starken Instagram-Account High Proof Preacher und dem zugehörigen Blog als einer der führenden englischsprachigen Influencer im Cocktailsegment etablieren. Mittlerweile zählen große Spirituosenfirmen ebenso zu seinen Kunden wie der Bar Convent Brooklyn. Über eine wie auch immer geartete frühere Tätigkeit als aktiver Bartender lässt sich jedoch in Bezug auf Hughes keinerlei Nachweis finden. Diese Feststellung soll seine Arbeit nicht diskreditieren, zeigt jedoch: Sein Parmesan Espresso Martini scheint auf einer völlig anderen Grundlage zu basieren als der Drink von Hudàk – es geht vermeintlich eher um den Traffic, den ein solcher, auf den ersten Blick absurder Drink erzeugen kann.

Gar nicht so abwegig

So absurd ist der Gedanke aber doch nicht, wie etwa Paul Bonna bestätigt. Bonna betreibt die Kaffeekommune in Mainz und zählt zu den progressivsten Röster:innen und Baristi in Deutschland. Er sagt: „Kaffee-Food-Pairing funktioniert prima, auch mit Käse. Zwei Beispiele wären etwa die Paarung mit Gorgonzola oder aber ein frischer Ziegenkäse mit einem sehr süß angelegten Anaerob natural. Es ist definitiv ein tolles Thema, bei dem sich ein genauerer Blick sehr lohnt.“

Bonna hat auch ein klares Verständnis des Espresso Martini im Allgemeinen. Der Drink, der zwar beim Blick auf seine Zutatenliste sehr einfach wirkt, verlange viel ernste Auseinandersetzung seitens des Barpersonals, meint Bonna: „Tatsächlich finde ich ihn überaus komplex. Es kommt schon sehr darauf an, welche Zutaten man sich aussucht. Und natürlich auf korrekte Zubereitung. Das Knifflige ist, dass man sowohl die Fertigkeiten hinter der Bar und hinter der Kaffemaschine beherrschen muss. Ich kenne nur sehr wenige Menschen, die beides können.“ Wie tiefgreifend auch er selbst sich schon mit dem Espresso Martini befasst hat, zeigt z.B. Bonnas YouTube-Clip, in dem er gemeinsam mit Gabriel Daun eine höchst fein austarierte Variante unter Verwendung von Braulio vorstellt. Die Parmesan-Version des Drinks habe er bislang noch nicht probiert, aber „ich kann mir Parmesan gut dazu vorstellen“, sagt er.

Der Espresso Martini ist ein globales Phänomen

Espresso Martiki

Zutaten

4,5 cl Ananas-Rum (z.B. Tiki Lovers Pineapple)
1,5 cl Kaffeelikör (z.B. Mr. Black)
1,25 cl Orgeat
2,5 cl frischer Ananassaft
1 frisch gebrühter Espresso (~ 2,5 cl)

Der Parmesan Espresso Martini schmeckt nicht nach Käse

Das Resultat ist beim Parmesan Espresso Martini in jedem Fall einerseits verblüffend, für erfahrenere Barleute erwartbar: Keinesfalls hat man den Eindruck, als würde man in ein Stück mit Kaffee besprenkelten Hartkäse beißen. Genauso wenig, wie ein Benton’s Old Fahioned vordergründig nach Speck schmeckt, schmeckt der Parmesan Espresso Martini nach Käse. Das geht allerdings nur aufgrund der geriebenen Struktur des Parmesan gut. Auf diese Weise verteilen sich die Käseflöckchen auf dem Oberflächenschaum und erzeugen im Mund eine sehr komplexe Mischung aus Schmelz und herzhafter Nussigkeit. Im Gegensatz zu so manchem Foto des Drinks sollte man allerdings bei der Dosierung des Parmesan auf gesunde Zurückhaltung setzen. Weniger ist mehr, denn ab einem bestimmten Punkt überwiegt der Parmesan nicht nur geschmacklich, sondern vor allem texturell – die feine Cremigkeit des Drinks wird durch ein Übermaß an Käsegrissel auf der Zunge übertüncht.

Der Espresso Martiki setzt auf Ananas

Einen sehr schlichten und nachvollziehbaren Ansatz hatte unterdessen Martin Hudák bei der Idee für seinen Espresso Martiki: „Es war ungefähr 2015 und ich war im Savoy tätig. Ich war unzufrieden mit der Qualität unseres Kaffees und wollte den Espresso Martini verbessern.“ Konfrontiert mit dem Umstand, dass der Kaffee in seiner vorliegenden Form gesetzt war, musste an anderen Stellschrauben gedreht werden, wie Hudák erklärt: „Der Ananassaft kam zwar auch der Fruchtigkeit wegen dazu, vor allem aber ging es um die Textur. Er sorgt für eine viel dichtere Schaumigkeit und Cremigkeit“, spielt er auf die spezifische Proteinstruktur von Ananas an, die auch in anderen Tiki-Cocktails oder Klassikern wie Mary Pickford für eine fast sahnige Bindung sorgen kann.

Gleichzeitig habe sich seinerzeit das Angebot an Rum verändert: „Ich habe den Vodka gegen Rum getauscht, und fand den Einfall schön, den Saft mit einem Ananas-Rum zu ergänzen.“ Die Kombination aus Rum und Ananas als klassischer Tiki-Paarung habe dann beinahe als logische Konsequenz nach Orgeat verlangt, gibt Hudák abschließend an. Der Mandelsirup hat aber auch eine ganz grundlegende Funktion: Die durchaus spitze Säure der Ananas braucht eine leichte Süße-Balance.

Als langfristige Idee wird sich der Parmesan nicht verankern

Und das klappt auch in der Realität richtig gut: Hudáks Espresso Martiki (in unserem Fall auf Basis von Tiki Lovers Pineapple, Mr. Black und Bacanha Orgeat Brut) duftet herrlich würzig-schokoladig mit kandierten Fruchtnoten, dazu Vanille. Außerdem zeigen sich die floralen Nuancen vom Orgeat leicht hintergründig. Auf der Zunge zeigt sich dann als erstes, wie stark der Ananassaft den Drink durch seine kraftvolle Säure bereichert. Fast ist es so, als erhalte der Cocktail dadurch eine weitere, vorher fehlende Dimension, die für viel zusätzliche Spannung sorgt. Zusammen mit der mandelig-blumigen Tönung des Orgeat und dem dunklen Kaffee ensteht in der Tat ein Aromengeflecht, das deutlich an vertraute Tiki-Kombinationen erinnert. Man kann es nicht anders sagen: Ein toller Cocktail.

Und so sehen wir: Der Parmesan Espresso Martini mag aktuell einen Hype erleben. Und hier ist der Begriff „Hype“ mal wirklich angemessen. Als langfristige Idee wird er sich in der jetzt überall bekannten Form nicht verankern können. Um universeller und mehr drinkable zu werden, müsste der Parmesan anders in den Cocktail überführt werden. Martin Hudáks Espresso Martiki hingegen wirft vor allen die Frage auf, warum der Cocktail nach inzwischen fast acht Jahren nicht schon viel bekannter und stärker verbreitet ist. Aber das kann ja noch kommen. Wer weiß: vielleicht wird er irgendwann selbst abgewandelt.

Credits

Foto: Sarah Swantje Fischer

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