Eine Frucht, X Aromen: Kirschbrand im Mixology Taste Forum
„Kirschbrand“ oder „Kirschwasser“ ist bei genauer Betrachtung die weltweit bekannteste Traditionsspirituose aus dem deutschsprachigen Raum. Er spielte schon in der frühen Bar-Literatur eine Rolle. Heute merkt man davon nur selten etwas. Dabei hat der komplexe Brand so viel Varianz und Qualität zu bieten wie nie zuvor. Wir nehmen einen Querschnitt des aktuellen Angebots unter die Lupe. Die Nase vorne haben am Ende zwei österreichische Produkte.
Mit Kirschbrand verkosten wir wohl den bekanntesten aller Obstbrände. Regionale Vielfalt und Terroir werden hier ins Glas gebracht. Die Hersteller brennen meist in kleinen Chargen für ihre lokale Umgebung, so bieten viele Regionen großartige Produkte an, die es zu entdecken gilt.
Die Kirsche ist gerade für Deutschland und die Schweiz ein Kulturgut, sie hat aber auch in Teilen Frankreichs und Österreich Tradition. Rund 800 Kirschsorten gibt es beispielsweise allein in der Schweiz, davon sind etwa 150 reine Brennkirschen. Kirschbrände sind dort fester Bestandteil der Esskultur und kommen in Käsefondue und zahlreichen Süßspeisen zum Einsatz.
Schwierigere Ertragslage
Aber auch Deutschland spielt kräftig mit: Die Fränkische Schweiz beheimatet sogar eines der größten zusammenhängenden Kirschanbaugebiete Europas. Nach etwa 1000 Jahren gewerbsmäßigen Obstanbaus in dieser Region sorgen klimatische Veränderungen allerdings dafür, dass die Bedingungen für Kirschen nicht mehr ideal sind. Dürre, Spätfrost und Starkregen erschweren den Anbau und führten in den vergangenen Jahren mancherorts zu heftigen Ernteausfällen von bis zu 90%. Mildere Winter kommen außerdem Blattläusen zugute, die Kirschbäume befallen und Viren übertragen. Der immer früher einsetzende Frühling führt zu früherer Blüte und auch dazu, dass sich bei Spätfrost schon frostempfindliche Früchte und nicht nur die resistenten Blüten an den Bäumen befinden. Nicht nur der Klimawandel, auch Faktoren wie der steigende Mindestlohn und höhere Produktionskosten machen den Anbau zunehmend wirtschaftlich unrentabel. Deutsche Bauern können preislich kaum mit Kirschen aus der Türkei oder Griechenland konkurrieren. Schon in wenigen Jahren könnte die Anzahl der Kirschbauern stark zurückgehen.
Auch was die Anzahl der Brennereien anbelangt, sieht der Trend negativ aus: 11.700 von ihnen gab es in Deutschland 2022, so wenige wie noch nie zuvor, 2002 waren es noch fast 24.000. Brenner im deutschsprachigen Raum sind vor allem in kleinen und mittelständischen Betrieben organisiert, die verhältnismäßig kleine Mengen an Bränden und Geisten herstellen. Das Verfahren ist aufwendig, die Skalierbarkeit der Produktionsmenge stark begrenzt, wenn man klassische Brände mit Vodka oder Gin vergleicht. Diese können das ganze Jahr über produziert werden. Ein Kirschbrand kann dagegen nur ein Mal im Jahr, zur Kirschernte, hergestellt werden.
Die Kirsche ist eine zuckerreiche Frucht
Etwa zehn Kilo Kirschen braucht man, um einen Liter Kirschbrand herzustellen. Die genaue Menge hängt allerdings von der Kirschsorte und deren Zuckergehalt ab. Allein aus der Kirschmaische darf der Zucker stammen, der zu Alkohol vergoren und anschließend destilliert wird. Entsprechend braucht man wesentlich mehr Sauerkirschen für einen Liter Brand als speziell zum Brennen gezüchtete Kirschen. Diese Früchte sind kleiner und aromatischer als Tafelkirschen. Meist sind sie so süß, dass sie nach der Ernte schnell eingemaischt werden müssen, weil sie sofort zu gären beginnen. Brennkirschen sind gewöhnlich »Hochstamm-Sorten« und werden teils so gezüchtet, dass sich die Kirschen leicht vom Stiel lösen und so unkompliziert geerntet werden können. Ein mittlerer Baum trägt 200 bis 300 kg, also grob 20 bis 30 Liter Brand.
Kirschen sind recht zuckerreich, daher werden sie häufiger zu Bränden verarbeitet. Der Unterschied von Bränden (auch Wässer, wie in »Kirschwasser« genannt) und Geisten liegt darin, dass bei letzteren die Aromen durch Mazeration in Alkohol gewonnen werden. So werden üblicherweise Zutaten verarbeitet, die einen zu geringen oder gar keinen Zuckergehalt haben und somit nicht zu Bränden verarbeitet werden können. Manche Aromen lassen sich in beiden Varianten finden, Himbeeren zum Beispiel. Ein Himbeerbrand wird jedoch wesentlich mehr kosten als der günstig herstellbare Himbeergeist.
Kirschbrand mit oder ohne Kern
Kirschen werden sowohl als Blend verschiedener Sorten als auch als sortenreines Destillat angeboten. Bei etwa 40 bis 45% Vol. kommen die Fruchtaromen optimal zur Geltung, zur Veresterung werden die Brände häufig einige Monate (teils auch mehrere Jahre) in neutralen Behältern aus Stahl oder Glas gelagert. Das Aroma wird durch Kirschsorte oder den Blend verschiedener Arten, Qualität der Kirschen und den Umgang mit dem Kirschkern geprägt. Kirschbrände lassen sich mit oder ohne Kern vergären und brennen. Im ersteren Fall macht sich ein Aroma von Marzipan oder Bittermandel im Brand bemerkbar. Die Intensität lässt sich dadurch steuern, wie viele oder wie wenige Kerne verwendet werden.
In unserer Verkostung kommen sortenreine Kirschbrände und Blends zum Einsatz. Dieses Vorgehen lässt sich kritisieren, theoretisch wäre es sinnvoller, beispielsweise nur Sauerkirschen oder nur Blends gegenüberzustellen. Wir haben uns dazu entschieden, wie im Baralltag üblich, verschiedene Produkte aus der Kategorie zu vergleichen. Realistisch gesehen suchen Bartender nach Bränden, die aromatisch gut in Drinks oder pur genossen funktionieren, unabhängig davon, ob es sich um eine Wildkirsche oder eine Cuvée handelt. Das gibt uns auch die Möglichkeit, eine größere Bandbreite dieser vielfältigen Kategorie vorzustellen.
Im Tasting fällt auf, wie groß die aromatische Bandbreite von Kirschbränden ist. Vor allem als Modifier kommen die Produkte in Bars zum Einsatz. Die Intensität der Brände setzt sich schon barlöffelweise gut in Drinks durch und erlaubt ein kosteneffizientes Arbeiten mit den häufig etwas hochpreisigen Produkten. Das Thema Brände in Cocktails, da sind sich die Verkoster einig, birgt das Potential, das Aushängeschild deutscher Barkultur zu werden. Wenn man sich Entwicklungen in der globalen Barszene anschaut, nimmt das Interesse an modern interpretierten, lokalen Zutaten, beispielsweise wie auf der aktuellen Karte des Pariser Little Red Door, stetig zu. Warum also nicht Brände als USP nutzen?
Manchen Bartendern dürfte der Einstieg aufgrund des riesigen, unübersichtlichen Angebots an Herstellern und Abfüllungen schwerfallen. Dafür bietet das Thema einen Reichtum an Aromen, die die deutschsprachige Kulturlandschaft abbilden und internationale Gäste eher positiv überraschen, als die fünfzigste Spicy-Margarita-Variante. Auch der Trend zu weniger süßen Drinks spricht dafür, Kirschliköre in Drinks durch Brände abzulösen.
Mit seiner guten Mixability und aromatischen Vielfalt ist vorstellbar, dass sich Kirschbrand erneut als Liebling der Barszene etabliert. Schön wäre es.
Dieser Beitrag erschien im Original in der Print-Ausgabe 4-2023 von MIXOLOGY. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er gekürzt und formal angepasst. Die Kriterien des MIXOLOGY Taste Forum finden sich hier. Information zur Bestellung einer Einzelausgabe findet sich hier, Information zu einem Abonnement hier.
Credits
Foto: Editienne