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Mit Pfeffi für mehr Berliner Luft?

Mit Pfeffi für mehr Berliner Luft?

Der Pfefferminzlikör “Pfeffi” feiert ein grosses Comeback. Nicht nur Touristen lieben die unter den Marken “Berliner Luft” oder “Pfeffi Berlin” vertriebenen Tropfen. Wir haben uns für unsere Leser mit der Geschichte, Herstellung und Anwendung dieser Getränke beschäftigt.

Mit Pfefferminzlikör, umgangssprachlich Pfeffi genannt, hat man es nicht leicht. Die einen halten es für Kaugummi, die anderen sehen ihn als ausgelutschten Partykracher, mehr aber auch nicht. Obwohl die Minze ein Bartenderliebling ist, spielt die flüssige Variante kaum eine Rolle in der Bar und bei Connaisseren. Aber renommierte Hersteller wie Mampe und die Preußische Spirituosen Manufaktur haben neue Qualitäten herausgebracht und auch international gibt es wegweisende Produkte. Zeit, für die Rehabilitierung eines vergessenen Likörs, jenseits der alten Frage, ob es Berlin mal wieder war oder er nur ein Ostphänomen ist. Auf den Spuren eines Phantoms.

»In der Kulturgeschichte ostdeutscher Spirituosen zählte der Pfeffi sicherlich zu den fünf wichtigsten.«

– Dr. Thomas Kochan, Spirituosenexperte

„Darüber weiß ich nichts. Hab ich mich fachlich noch nicht mit beschäftigt. Kann ich leider nichts zu sagen. Danach hat noch kaum jemand gefragt. Dazu kann ich mich nicht äußern. Vielleicht weiß der oder jener was, frag doch mal den, der sieht so aus, als wüsste er was …“ Gesucht wird kein Phantom, sondern dezidierte Aussagen zu Pfefferminzlikör, als Oberbegriff für jede Form der Darreichung auch besser bekannt als „Pfeffi“. Selbst Bartender, sonst in ihrem Oberligaverständnis immer auf der Suche nach vergessenen und neu zu interpretierenden Aromen, meist um ein klares Statement nicht verlegen, machen ein Gesicht, als wolle man ihnen einen ausgelutschten Wrigley’s Spearmint zur Verkostung anbieten, wenn man nach dem flüssigen biblischen Lippenblütengewächs fragt, mit dem einst antike Tempel, Markthallen und pompöse Tafeln zur Betörung der Sinne ausgelegt wurden. Mancher Feldherr hat den Genuss frischer Minze gar vor entscheidenden Schlachten verboten, wenn er die geweckte Manneskraft nicht ausschließlich in den Lenden seiner Soldaten wissen wollte.

Als frisches, krautiges, ätherisches Aromagewölk, idealerweise in Gestalt der arabischen oder persischen Nanaminze, findet sie den Beifall – korrespondierend zur Technik des „Anklatschens“ der Minze vor der Zugabe zum Drink – der weltumspannenden Mischologen-Zunft. Noch schlimmer als ausgebuht, bis auf exotische Ausnahmen, nämlich kaum wahrgenommen müssen sich Hersteller von Pfefferminzlikör fühlen. Die Kreativfantasie ist dann oft so ergiebig wie ein Speeddate im Totenreich. Aber tatsächlich hat Hades – der Gott der Unterwelt – sich in Minthe verliebt und wurde von seiner Frau Persephone aus Eifersucht und Rachedurst in Stücke gerissen. Hades verteilte das Gefledder in der Sonne und aus ihm erwuchs wunderbar duftendes Minzkraut.

Uncool wie Latschenkiefer

Wo sich Mythen austoben, ist meist der Deutsche nicht weit, und wo gefleddert wird, findet der Berliner – schließlich ist er pfiffig – alles „echt knorke“. Und weil es Berlin ist, steckt man auch beim Thema Pfefferminzlikör, besser bekannt als „Pfeffi“, schnell in der Debatte, wer’s erfunden hat. Gemeint ist damit Pfeffi als Shot, vor allen Dingen auf Partys oder im Club. Ist der Pfeffi ein originär Berliner oder eine Ossi-Ding? Muss er grün oder weiß, also farblos sein?

Emblematisches herumnesteln an Oberflächlichkeiten, die entscheidend zum uncoolen Image von Pfefferminzlikör – nahe der Kultkrause Minipli, Stonewashed-Jeans, Latschenkiefer aus dem Erzgebirge und Apfelkorngelagen im Märkischen Viertel – beigetragen haben. Somit eines der Produkte, an denen sich trefflich Vorurteile bestätigen lassen. Wer sich in jüngster Zeit mit Likören beschäftigt hat – und da hat die Barkultur für das allgemeine Verständnis viel getan–, der urteilt vorsichtiger.

Ja, es gibt sie, die klassischen Partygetränke, die Shots ohne Knautschzonen. Allerdings hilft es am nächsten Tag auch wenig, sich für fortschrittlich zu halten und Exotenbrände in Dehydrationsvolumen an sich schon für ein Fest zu halten. Es ist auch wenig nachvollziehbar, wieso der Laberflash im Club, befeuert von Taurinbrause in Blechdosen und Waidmannsheilkräutern sexyer ist,als mit dem Hauch eines frischen Pfeffi-Atems.

Vorstoß in neue Pfeffi-Dimensionen

Wenn man das Forschungsobjekt Pfeffi auf den Berliner Raum begrenzt, wird es von zwei Playern in seiner Dimension markiert. Das Feld am tiefsten vermisst dabei mit Sicherheit die Preußische Spirituosen Manufaktur (PSM) mit ihrem „Minze-Likör“, getragen von stolzen 56% Vol. Wie fast immer bei Produkten dieses Hauses zugeschnitten auf Qualitätstrinker mit Sinn für grenzenlose Aromarezeption. Sich bewusst der Masse verweigernd mit dem Anspruch zu zeigen, was Minzlikör im Purgenuss leisten kann. Ein Grenzgänger in voller Breite hingegen ist der Pfefferlikör „Berliner Luft“ der Ostberliner Domäne Schilkin.

Schon zu DDR-Zeiten gerne ins Schaufenster gestellt und mit der gewollten Assoziation zu dem Hedonisten-Gassenhauer gleichen Namens aus den 20er Jahren, entspricht er dem, was Berlin berühmt gemacht hat: nächtelanges Feiern – oder, wie Paul Lincke gedichtet hat „…für wenig Moos den Dicken Wilhelm machen“! Er ist in seinen zahlreichen Geschmacksvarianten und Farbkompositionen in der Leipziger Technoszene angesagt und wird auch in den Clubs und Strandbars in Berlin-Mitte immer öfter verbürgt. Selbstbewusst kapert man auch in Tradition der Völkerfreundschaft die Ikone des Sozialisten-Cocktails und mischt statt Rum den Pfeffi hinein, fertig ist der Berliner Mojito.

Seit einigen Monaten hat sich auch die älteste Berliner Spirituosenmarke auf eine alte Tradition besonnen und zum historischen Portfolio aufgeschlossen, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierte. „Wir schließen ganz gezielt die Lücke zwischen der PSM und Schilkin mit einem regional und natürlich gefertigten Pfefferminzlikör. Klar konzipiert für den Purgenuss“, erklärt Tom Linden-Lohmar, besser bekannt als Tom Mampe. Der „Mampe Pfefferminz“ setzt sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen: Weizendestillat aus Brandenburg, Pfefferminzöl aus Spandau und selbst mazerierter Vanille. Beim erhöhten Alkoholgehalt und der Zuckermenge liegt man eher an einem Crème als einem klassischen Likör, „aber sonst kann man ja gleich Mundwasser gurgeln, wenn man die Süße nicht hat“, scherzt Tom Mampe, der sich bei der Komposition mit seinem Destilliermeister auch durch das legendäre und heute fast nur noch in Tresoren auffindbare „Handbuch für Mixer“ von Hans Krönlein inspirieren ließ.

Potenzial sieht er vor allem in der Craft Spirit- und der Craft Beer-Szene. „Es läuft gut im Direktverkauf in unserem Hofladen und auch im „Doldenmädel.“ Allerdings ist Linden-Lohmar auch Realist: „Für die Bar sehe ich derzeit wenig Chancen. Zu nischig.“ Allerdings erzählt er, dass besonders seine italienischen, spanischen und portugiesischen Gäste gerne zugreifen. Für den Pfeffi ist also der Süden der neue Osten.

Pfeffi geht auch farblos

Danny Müller, Betreiber der Restaurant-Bar „Weintanne“ in Jena, ist Kräuterliebhaber und Literaturmensch, hat also keine Hemmungen auch vermeintlich degoutante Dinge anzufassen, solange sie gustatorisch und ästhetisch transformierbar sind. „Bei uns in Thüringen ist Pfeffi als Shot schon ein Thema. Ich musste viel diskutieren, weil ich mich dem verweigert habe, obwohl das wirtschaftlich nicht klug ist.“ Im thüringischen Nordhausen – seit Thomas Pynchons anarchisch-pornografischen Geheimroman „Enden der Parabel“ Literatur-Topos von Weltrang – ist immerhin „Nordbrand Nordhausen“ ansässig.

Der frühere VEB ist heute Heimat von „Mumm“ und „Rotkäppchen“, sowie verschiedener Spirituosen wie dem „Nordbrand Pfefferminzlikör“. Auch er wird als giftgrüner Partyklassiker vermarktet. Müller arbeitet lieber mit dem farblosen „Menthe Pastille“ von Giffard und interpretiert damit in Acht und Bann geschlagene Scheußlichkeiten wie Stinger und Grashopper neu. Furchtlosen Bartendern empfiehlt er auch Experimente mit Old Fashioned oder einen Rusty Nail, den er mit Pfefferminzlikör statt Drambuie zum Scotch in den Ring schickt.

Thomas Pflanz, mit allen Aufs und Abs vertrauter Westberliner Bartender, wusste nie, ob er bei seiner Oma ins Aquarium oder doch lieber in die grüne „Bols Peppermint Green“-Flasche greifen sollte. „Furchtbar, 80er-Jahre eben. Später dann haben ab und zu mal Touristen in der Bar nach Pfeffi gefragt. Ich habe ihn für mich als wunderbaren Espuma entdeckt und so über die Zeit gerettet.“

»Ich habe ihn für mich als wunderbaren Espuma entdeckt und so über die Zeit gerettet.« – Thomas Pflanz, Hildegard Bar, Berlin

Ein Stück flüssiger DDR-Kulturgeschichte

Einen affirmativen Zugang zu Pfeffi hat Tom Zyankali, Betreiber der Kreuzberger „Zyankali Bar“, er hält sich nicht lange mit spintisierenden Debatten auf. „Auch wenn er fast nicht nachgefragt wird, stelle ich ihn selbst her. Aufpassen muss man beim Chlorophyll, das zerfällt, wenn der Alkohol weniger als 40% Vol. hat.“ Zyankali wendet daher nach der Mazeration eine Pektinaseklärung und Cryofiltration an, „die hat den Vorteil, dass ich nur etwa 3 Prozent Verlust habe im Gegensatz zu etwa 20 Prozent bei der Agar-Agar-Klärung“, erklärt er. Hört sich kompliziert an, ist aber mit relativ wenig Aufwand auch von Laien durchführbar. Das Endprodukt hält sich rund zwei Wochen, somit kann Zyankali optimal nach seinen Bedürfnissen die Mengen bestimmen.

Dr. Thomas Kochan, Autor des wunderbaren Buches „Blauer Würger – So trank die DDR“ und Inhaber des Spirituosengeschäftes „Dr. Kochan Schnapskultur“ im Prenzlauer Berg, hat die Trinkkultur des Ostens ausgiebig erforscht: „In der Kulturgeschichte ostdeutscher Spirituosen zählte der Pfeffi sicherlich zu den fünf wichtigsten.“ Klassisches Arbeitergetränk? „Heute wird von den Leuten manchmal nach Pfeffi gefragt, wenn sie was ‚aus Berlin‘ haben wollen. Aber oft landen sie dann doch bei Persico oder anderen Produkten“, erzählt der Ethnologe und Historiker.

Kreatives Pfeffern in Finnland und den USA

Ein Blick über Berlin als angebliche Heimat der Pfeffi-Ursuppe lohnt sich. Kochan empfiehlt seinen Kunden den klaren „Bruns Pfefferminzlikör“ der Minidestille Bruns aus Rothenburg/Wümme. Er bringt alles mit, was einen perfekten Kräuterlikör ausmacht: die Komplexität des Einfachen. Es kann schon sein, dass Berlin mit seiner berühmten “Berliner Luft” den Pfeffi erfunden hat, kann aber auch sein, dass es sich dessen nur rühmt und andere es mal wieder besser gemacht haben. Der Blogger und Gastronomiejournalist Jan-Peter Wulf erinnert sich: „Beim Empfang des US-Brennerverbandes in der Botschaft vor (der Messe) Bar Convent Berlin 2014 gab es einen Hersteller mit einer Premiumversion, ohne Farbe und mit echter Minze. Super Zeug.“

Dabei handelt es sich um den „Wondermint“ von Death’s Door Spirit. Die Finnen wiederum kennen neben „Lakka“ (Moltebeere) noch „Minttu“ als Nationalgetränk. Er wird in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen angeboten und für den Export sogar mit 50% Vol. abgefüllt. In Suomi wird er entweder direkt aus dem Eisfach pur oder in heißer Schokolade getrunken.

Auch ein Fossil aus den 70er-Jahren hat in Bartenderkreisen in den letzten zwei Jahren wieder neue Aufmerksamkeit mit Hilfe kreativer Anwendungen und gewitztem Marketing erfahren. Der Fernet Branca Menta (kein originärer Pfefferminzlikör, sondern ein Pfefferminz-Hybrid auf Basis des legendären Fernet Branca) ist ein Magentonikum für ganz Harte, aber kann in einem Cocktail für erstaunliche Wendungen sorgen. Schon das Originalrezept des „Hanky Panky“ aus dem „Savoy Cocktail Book“ ist weit mehr als ein Techtelmechtel – so die Übersetzung aus dem Englischen.

Interpretiert man ihn aber mit Branca Menta, so schließt sich die Kompression des Drinks aromatisch auf und vielleicht hätte man damit Altkanzler Helmut Schmidt das Rauchen abgewöhnen können. Jedenfalls wird aus dem Techtelmechtel damit eine handfeste Affäre mit der Kraft der Neugierde jenseits des Gefälligen. Hierin liegt das Potenzial, kann aus dem belächelten Party-Pfeffi ein erwachsener Pfefferinzlikör als vielfältiger, flüssiger Player für die Bar werden.

Sei pfeffig!

Bleibt noch die Frage nach der Farbe. In nahezu allen Fällen wird Pfefferminzlikör aus dem Öl der Pflanze hergestellt und ist somit farblos. Die Historie der Lebensmittelfarbstoffe verrät, dass die synthetischen Vertreter erst Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurden. Dem gegenüber stehen färbende Lebensmittel. Sie benötigen keine „E“-Kennzeichnung, können aber den Geschmack verändern (Safran, Spinat). Unter den etwa 40 heute zugelassenen Lebensmittelfarbstoffen, die alle Farben abdecken, gibt es auch den natürlichen Blattgrünfarbstoff Chlorophyll, der erstmals nachweisbar 1807 durch Ethanol extrahiert wurde. Als kennzeichnungspflichtiger Lebensmittelzusatzstoff wird er als E 140 ausgewiesen. Da Chlorophyll allerdings bei der Freisetzung nach einer Mazeration unter Lichteinfluss schnell zerfällt und auch den Geschmack modrig und muffig werden lässt, sind blattgrünen Pfefferminzliköre nie frei von Farbstoff, und die ersten ihrer Art waren nahezu farblos.

Nach einer Sage gibt es so viele unterschiedliche Minzen wie Fische im Roten Meer. Als Garnitur, olfaktorischer Begleiter in Drinks oder frisch gemuddelt im Glas ist sie aus der modernen Bar nicht wegzudenken. Allein als Likör – oder für Fortgeschrittene als „Minzgeist“ der Gutsbrennerei Schloss Zinzow mit satten 45% Vol. und aus 17 unterschiedlichen Minzen gewonnen – fristen Pfeffi, Berliner Luft und Co. eher das Dasein als Mauerblümchengeist. Dabei hat er gewaltige Kraft.

Forscht man im Netz, stößt man schnell auf die verbindende Wirkung. Partys im Berliner und Ostdeutschen Raum werden damit gelabelt. Aber auch Erstsemestertreffen linker, feministischer Jurist_innen beflügeln gerne ihre Gendervisionen bei einer Runde Pfeffi, wie die Einladungen dazu verraten. Und die Barkoryphäen? Stehen in der Mehrzahl ratlos vor einem Phantom. Dabei sind sie doch sonst im Umgang mit auch polarisierenden Aromen so… pfeffig.

Wo kann man Pfeffi kaufen?

Als Likör:

Berliner Luft
schilkin.de

Nordbrand Pfefferminzlikör

nordbrand-nordhausen.de

Meeraner Grün Weiss 

august-ernst.de

Bols Peppermint 

— bols.com

Wondermint

— deathsdoorspirits.com

Minttu

facebook.com/clubminttu

Preußische Spirituosen Manufaktur Minzlikör 

psmberlin.de

Bruns

spirituosenfabrik.de

Pfeffi Berlin 

— pfeffi.berlin

Als Geist:

Minzgeist Schloss Zinzow 

—  edel-destillate.de

Dieser Artikel erschien erstmals in der Sonderausgabe von 2017. Die vorliegende Version wurde zuletzt im Juli 2019 aktualisiert und enthält Affiliate Links.

Credits

Foto: Shutterstock

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