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Auf ein Glas mit Andrea Kuhn

Andrea Kuhn hat 2015 nach dem Tod ihres Mannes Fritz Müller-Scherz die Leitung der »Green Door Bar« übernommen. Dieses Urgestein der Berliner Barszene wurde 1995 eröffnet und hat in 25 Jahren viele Höhen und Tiefen mitgemacht. Bei einem Negroni blickt Andrea Kuhn mit uns zurück – aber auch nach vorne.

MIXOLOGY: Liebe Andrea, eigentlich stelle ich die Frage über den gewählten Drink erst später im Gespräch. Aber heute beginnen wir damit: Warum trinken wir einen Negroni?

Andrea Kuhn: Das hat symbolischen Charakter. Die Bar ist geschlossen, wir haben keine frischen Zutaten wie Minze. In Gedanken an meinen 2015 verstorbenen Mann Fritz Müller-Scherz, der die Green Door Bar 1995 eröffnet hat, dachte ich eher an ein heiteres Getränk, gerade bei all dieser grauen Tristesse. Er war Rum-Liebhaber und Sammler, der »Old Cuban« war einer seiner Lieblingsdrinks. Aber meine Barchefin Maria (Gorbatschova; Anm. d. Red.) hat mich überredet, lieber etwas Gerührtes zu wählen als eine Flasche Champagner aufzumachen.

MIXOLOGY: Also gewissermaßen die vernünftigere Variante angesichts der aktuellen Lage?

Andrea Kuhn: Maria denkt verantwortungsvoll, das schätze ich sehr an ihr. Fritz hätte gesagt: »Mach den Champagner auf, den Rest trinken wir schon.« Und mit dieser Großzügigkeit hat er viele angesteckt. Das ist der große Unterschied dazwischen, wie mein Mann seine Bar geführt hat und wie ich es tue. Abgesehen davon trinke ich auch gerne Negroni, vor allem im Sommer und in allen Abwandlungen.

Wir haben Andrea Kuhn in ihren vier Wänden besucht
Ein eindeutiger Lieblingsdrink der Green Door-Betreiberin ist der Negroni: „In allen Abwandlungen.“

MIXOLOGY: Dein Mann hat die Bar 1995 eröffnet. Er war eigentlich Drehbuchautor und hat etwa 1973 mit Rainer Werner Fassbinder den Film Welt am Draht geschrieben. Wie kam er zur Bar?

Andrea Kuhn: Fassbinder war es, der Fritz zum Drehbuchschreiben animiert hat, z.B. für Welt am Draht, ein spannender, unglaublich moderner Sci-Fi-Film und ein Vorläufer von Matrix. An seiner Entstehung sieht man, wie intensiv bei Fassbinder gearbeitet wurde. Fritz ist Mitte der 90er mit seiner damaligen Frau Tina Hegewisch von München nach Berlin gezogen. Hier war es für ihn wichtig einen Ort zu haben, so wie er ihn in München mit dem Schumann‘s gehabt hatte. Am Anfang wollte er nur einen ständigen Hocker an der Bar, später ist er dann Geschäftsführer geworden. Von ihm habe ich gelernt, die Bar ernstzunehmen. Sie war für ihn nicht nur ein Raum, sondern eine eigene Person. Die Bar ist größer als wir alle, sagte er immer. Sie sollte eine Art Wohnzimmer sein, eine Oase, ein Rückzugsort. Das gilt sowohl für denjenigen, der allein in die Bar kommt, als auch für Paare und Gruppen. Deswegen legte er auch Wert auf die Gestaltung und Ausstattung. Auf die Musik und natürlich die Qualität der Cocktails.

MIXOLOGY: Um diesen Wert kämpfen wir seit Beginn der Pandemie alle …

Andrea Kuhn: Bars werden aktuell leider häufig reduziert auf einen Ort für Unzurechnungsfähige, die sich nicht an Bestimmungen halten. Es ist aber nicht so, dass die Leute, die das bestimmen, nicht in Bars gehen. Letztlich hat der ökonomische Aspekt Vorrang. Es gibt nicht mehr so viele Bars, die die klassische Form der Barkultur zelebrieren; es ist ja wie ein kleiner Theaterbesuch. Und es ist die Kunst der Bartender, diese Stimmung herzustellen, eine gewisse Magie und Aura zu schaffen. Aber hoffen wir doch, dass es weitergeht. Ich glaube daran. Die Stammgäste werden zurückkommen. Wir haben in den Monaten, in denen wir die Auflagen umgesetzt haben, gesehen, dass die Leute sie akzeptieren. Momentan wird gerne gesagt, dass alle richtig auf den Putz hauen, wenn es wieder losgeht. Ich denke nicht, dass das so überfallartig passieren wird, jedenfalls nicht in unserer Bar. Aber die Sehnsucht der Menschen ist groß.

»60 Prozent aller Bestellungen im vergangenen Monat waren On-Menu-Cocktails, 25 Prozent Off-Menu-Cocktails.«

— Andreas Schöler

MIXOLOGY: Noch einmal kurz zurück in die Vergangenheit. Im Ensemble der »Bar am Lützowplatz« war die Green Door damals im Grunde ein Novum in Berlin. Außerdem verband man Berlin eher mit Techno-Baracken als mit Bars, die sich das Münchner Schumann’s zum Vorbild nehmen.

Andrea Kuhn: Richtig! Ein großer Teil der ersten Gäste kam damals aus dem Bereich Medien und Film. Diese ersten Jahre der Bar habe ich zwar nicht aktiv miterlebt, aber ich habe viele Gästebücher aus den Anfängen. Von der Eröffnung gibt es Bilder vom jungen Oliver Berben und dem Schauspieler Dietmar Bär, der damals die Tür gemacht hat und die Bar bis heute begleitet, und ich höre immer noch gern Geschichten von ihm aus diesem Anfang. Viele Stammgäste hatten einen eigenen Schlüssel. Wenn die Bar aufgeschlossen war, konnten sie mit dem Schlüssel in die Bar ohne klingeln zu müssen.

MIXOLOGY: Sind diese Schlüssel noch vorhanden?

Andrea Kuhn: Ich selbst habe keinen mehr davon, aber gerade vor Kurzem traf ich einen Gast dieser ersten Stunden, der noch ein Exemplar am Schlüsselbund trägt. Vielleicht mache ich irgendwann mal eine Ausstellung mit diesen Kleinodien unserer Bar.

MIXOLOGY: Einer der Freunde deines Mannes war Ulli Lommel, der viele Jahre in den USA gelebt hat und auch mit Andy Warhol bekannt war. Er soll ein Nacktbild von David Bowies Gemächt mitgebracht haben, das angeblich mal in der Green Door hing. Eine Bar-Legende?

Andrea Kuhn: Fritz und Ulli kannten sich seit Fassbinder-Zeiten. Als Ulli aus Amerika zurückkam, wohnte er bei uns. Ulli hatte viele neue Projekte, in der Bar gab es auch einmal eine Ausstellung seiner Fotokunst. Darunter war ein Bild, das ein männliches Geschlechtsteil mit Obst- und Gemüsegarnitur zeigte. Wie das Gerücht aufkam, dass es ein Intimfoto von David Bowie war, weiß ich tatsächlich nicht. Das Bild ist mittlerweile verschwunden, wie übrigens so einiges, was in der Bar nicht fest montiert war. Es gibt aber ein wirkliches Foto in der Bar von Ulli Lommel in Hollywood, mit einer Widmung an Fritz. In der berühmten Lederjacke von Steve Mc Queen.

»Der Vorteil, den wir hier haben: Die Kleinstadt hilft einem, sich zu fokussieren und seine Sache gut zu machen«

— Andreas Schöler

MIXOLOGY: Du selbst bist eigentlich Dramaturgin und hast an u.a. an der Filmakademie in Ludwigsburg unterrichtet. Gab es Augenblicke, in denen du eher dazu tendiert hast, die Bar zu verkaufen?

Andrea Kuhn: Nein. Der Tod meines Mannes kam nicht überraschend, aber wir hatten die Weiterführung der Bar, die ich geerbt habe, nicht geregelt. Niemand in meinem Umfeld hatte damit gerechnet, dass ich die Bar tatsächlich als Geschäftsführerin leiten würde. Im Gegenteil, es gab viele Begehrlichkeiten und bereits Übernahmepläne. Ich war überrascht. Es gab aber kaum einen Moment in meinem Leben, in dem ich mir so sicher war, dass ich das machen muss – und auch kann.
Ich hatte keine Zweifel, mir Dinge wie Buchhaltung etc. anzueignen. Und ich habe 30 Jahre Studenten unterrichtet, also konnte ich mit Menschen umgehen. Und ich kannte viele Interna der Bar seit 18 Jahren. Ich hatte mich ja auch um die Bar gekümmert, als mein Mann schon krank war. Manchmal bin ich morgens um fünf oder sechs runter, wenn es zu laut war. Trenchcoat über den Pyjama, die Lippen rot gemacht, los. Ich wusste natürlich, wie heikel so ein Nachtbetrieb ist, aber es stand nie zur Debatte, die Bar zu verkaufen. Es war ein Teil unseres gemeinsamen Lebens, und ich wusste, dass nur ich diese Bar in diesem Sinne so erhalten kann. Ich dachte mir: Ehe ich diese Bar in andere Hände gebe, zünde ich sie an. Es war sicher auch eine Art Trauerarbeit. Fritz hat kurz vor seinem Ableben noch mal formuliert, wie glücklich er in dieser Bar sei, wie glücklich er sei, wenn er sieht, dass die Gäste glücklich sind.

MIXOLOGY: War die Bar finanziell zu dem Zeitpunkt stabil?

Andrea Kuhn: Fritz war ein großzügiger Mensch, das wurde teilweise ausgenutzt. Die Bar war nicht in einem kritischen Zustand, brauchte aber finanziellen Support. Mittlerweile ist mein Bruder als Teilhaber an Bord. In den ersten Wochen habe ich die Bar auch selbst geputzt, nebenbei habe ich unterrichtet. Vieles in der Bar war alt und musste erneuert werden. Es war eine schwierige Zeit, aber auch eine, an der man wächst. Ich habe personelle Änderungen vornehmen müssen, z.B. habe ich sehr schnell Arash (Ghassemi; Anm. d. Red.) als Barchef eingesetzt. Er war erst 23, sehr ehrgeizig, aber es war für ihn wichtig, seinem Umfeld zu beweisen, dass Bartending ein seriöser Beruf sein kann. Wir waren somit in einer ähnlichen Situation. Aufgrund des Altersunterschiedes war ich eine mütterliche Freundin, Arash wiederum hat sich mir anvertraut und ich habe seinerseits viel Unterstützung und Loyalität erfahren.

MIXOLOGY: Die Green Door Bar steht heute wieder am Puls der Zeit. Das ist nicht zuletzt auch der Verdienst von Maria Gorbatschova, die mittlerweile die Geschicke leitet.

Andrea Kuhn: Die Zusammenarbeit mit Maria ist wunderbar. Maria denkt ökonomisch, verantwortlich, sie ist seriös, aber auch gleichzeitig kreativ und spielerisch. Ich habe einige Bartender kennengelernt, die fast autistische Einzelkämpfer waren. Bei Maria sehe ich eine seltene Bescheidenheit. Sie hat von Anfang an das Team mit gemeinsamen Tastings und Workshops auf die gleiche Ebene geholt, statt Narzissmus und Karrieredenken geht es um das Teilen von Wissen und Verbesserung. Das kenne ich von männlichen Bartendern so nicht. Für mich ist die Kommunikation mit einer Frau auch etwas leichter.

Green Door

Winterfeldtstraße 50
10781 Berlin

So - Do 18 - 03 Uhr, Fr & Sa 18 - 04 Uhr

MIXOLOGY: Bringst du dich heute auch noch aktiv ein?

Andrea Kuhn: Anders geht es gar nicht. Ich nehme Lieferungen entgegen oder kümmere mich um die Handwerker und die Reparaturen in der Bar. Ich könnte die Bar nicht machen, wenn ich nicht direkt darüber wohnen würde. Das ist ökonomisch ein wichtiger Aspekt. Aber ich habe auch Spaß am Entwickeln von Ideen. Als Berlin den Frauentag eingeführt hat, haben Maria und ich spontan eine Karte dazu entwickelt. Wir haben das unter das Motto SUFFragetten gestellt.

MIXOLOGY: Man sieht, auch nach 25 Jahren ist Erneuerung einer Bar möglich, ja notwendig.

Andrea Kuhn: Wir haben erstaunlich viele junge Gäste. Diese Mischung mit den älteren Gästen finde ich sehr schön. Natürlich hoffe ich, dass es wieder so weitergeht. Letztes Jahr war sehr schwierig. Aber wir haben immer gesagt: Wir überleben das. Wir sind als Bar so alt geworden, wir müssen das meistern. Für die November- und Dezemberhilfe gab es bislang einen Abschlag (Ende Januar; Anm. d. Red.). Man schrammt so am Ärgsten vorbei, aber ich kann zumindest schlafen.

MIXOLOGY: Müssen wir aber jetzt erst mal auf einen frühen Frühling hoffen, auf das verlängerte Draußensitzen wie schon im letzten Sommer?

Andrea Kuhn: Ich habe zumindest eine neue Garnitur für die Terrasse bestellt, aus recyceltem Plastik von einem bezahlbaren Designer. Man muss auch Kraft haben, um nach vorne zu gucken. Das Virus mutiert, wir werden in den nächsten Jahren damit leben müssen. Wir werden uns dagegen impfen lassen wie gegen die Grippe. Es ist im Zusammenhang mit dem Klimawandel eben auch eine gemachte Pandemie. Die Ursachen liegen in der Globalisierung, in nicht wegzuleugnenden Dingen wie Überbevölkerung und der Gier nach Billigkonsum. Hoffentlich bewirkt es ein Umdenken. Und vielleicht ist es auch eine Chance, dass bestimmte Dinge wieder zurückkommen.

MIXOLOGY: Hoffentlich kommt auch ein bisschen Exzess zurück …

Andrea Kuhn: Absolut! Wir brauchen Partys, nicht bloß Protestantismus und noch mehr Eingrenzungen. Wir müssen wieder auf den Tischen tanzen. Wir brauchen diese Nächte und eine volle Bar. Es muss wieder diese Uneingeschränktheit geben und die Fülle des Lebens. Ich bin nämlich nicht immer nur in die Bar runter, um die Leute um fünf Uhr morgens rauszuschmeißen. Manchmal gab es Momente, wo ich schon im Bett lag und dachte: »Oh, jetzt noch ein Schluck Champagner, das wäre schön.« Das aktuelle Team freut sich, wenn ich komme. Das war auch nicht immer so. Das ist ein schönes Gefühl, und das wird es auch wieder geben.

MIXOLOGY: Liebe Andrea, wir danken dir ganz herzlich für das Interview.

Zur Person

Andrea Kuhn, 70, betrat 2002 erstmals die Green Door Bar in Berlin. Diese wurde am Osterwochenende 1995 vom Drehbuchautor und Schauspieler Fritz Müller-Scherz und dessen damaliger Frau Tina Hegewisch sowie Stefan Weber (heute Mitbetreiber der Victoria Bar) eröffnet. Müller-Scherz verstarb am 1. Juli 2015, seither leitet Andrea Kuhn, eigentlich Dramaturgin, die an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg unterrichtet hat, die Geschicke einer der ältesten Cocktailbars Berlins.

Dieses Interview erschien erstmals in der Rubrik „Auf ein Glas mit …“ in der Printausgabe 1-2021 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Für diese Wiederveröffentlichung wurde es formal angepasst, aber inhaltlich nicht verändert. Informationen zu einem Abonnement für MIXOLOGY findet sich hier

Credits

Foto: Constantin Falk

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