The Heidelberg Years: Weitere Erkenntnisse über Harry Johnson
Die gängige Biographie
Wie lautet bisher die geläufige Biografie von Harry Johnson? Es wird dies erzählt: 1873 heiratete er seine Frau Bertha Paul. Im Jahr 1896 verließ Bertha mit ihrem gemeinsamen Sohn Herbert die USA und ging nach Heidelberg. Dort kam 1898 ihre Tochter Sigrid zur Welt. 1913 reiste Bertha mit Sigrid in die USA, um sich scheiden zu lassen. Harry Johnson heiratete dann Martha, die in Berlin wohnte, und er besuchte sie regelmäßig. In ihrer gemeinsamen Wohnung in Berlin verstarb Harry Johnson am 5. Januar 1930. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof ›Zum Heiligen Kreuz‹.
Rückblick: Martha in Berlin
In »The Berlin Years: Neue Erkenntnisse über Harry Johnson« berichtete ich über Harry Johnson und seine Frau Martha. Die aufgefundenen Dokumente belegen, dass die beiden bereits im Jahr 1907 heirateten – was bedeutet, dass Harry mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet gewesen sein muss, zumindest bis 1913, dem Zeitpunkt der oben genannten Scheidung.
Franziska in Heidelberg
Ich habe in Archiven geforscht und kann Neues berichten: es gab im Leben Harry Johnsons noch eine weitere Ehefrau, und zwar Franziska Püttner. Sie – und nicht Bertha – war die in Heidelberg lebende Mutter ihrer gemeinsamen Kinder Herbert und Sigrid.
Franziska wurde am 23. April 1872 in München geboren. Ihre Eltern sind Andreas Püttner und Maria Elise geborene Siegert aus Ehenfeld; beide verstarben in München. So belegt es Franziskas Sterbeurkunde.
In einer Passagierliste der ›S.S. Aller‹ vom September 1895 ist eine Franziska Püttner aus Bayern verzeichnet, die von Bremen aus nach New York fuhr. Das könnte ›unsere‹ Franziska gewesen sein.
Es gelang mir zudem, die Heiratsurkunde von Franziska und Harry zu finden. Am 8. Januar 1896 heirateten sie in der ›St. Peter & Paul Church‹ in Hoboken, New Jersey. Auch hier sehen wir wieder das Gleiche wie bei der Heirat mit Martha: Harrys Angaben sind bis auf den Namen nicht richtig. Er gibt nämlich an, er sei um 1853 in San Francisco geboren (richtig wäre wohl 1845 in Königsberg in Preußen), und seine Eltern seien Henry Johnson, geboren in New York, und Emilie Wilson, geboren in Boston. Auch wird Harrys Vorname als Henry angegeben – das ist jedoch noch im Rahmen des Zulässigen, denn die alten Adressbücher führen ihn oftmals als Henry, nicht als Harry. Harry ist lediglich die Koseform von Henry – und da Harry wohl deutsche Eltern hatte, wird sein offizieller Geburtsname vermutlich Heinrich gewesen sein.
Die Angaben zu Franziska sind diese: Frances Püttner, 23 Jahre alt, in Deutschland geboren, Tochter von Andrew Püttner und Elisabeth Siegert. Damit ist eindeutig belegt, dass wir die richtige Heiratsurkunde vorliegen haben, denn diese Angaben stimmen mit den in ihrer Sterbeurkunde gemachten überein, obgleich ihre Namen amerikanisiert angegeben wurden.
War Harry Johnson zeitgleich mit drei Frauen verheiratet
Das bedeutet: die offiziellen Unterlagen sprechen dafür, dass Harry Johnson zwischen 1907 und 1913 sogar mit drei Frauen gleichzeitig verheiratet war. Das macht ihn nicht unbedingt zu einem schlechten Menschen. Wir können nämlich den Passunterlagen entnehmen, dass seine und Franziskas Kinder Berthas Adresse in New York und somit sicherlich auch Bertha kannten. Zumindest die Doppelehe mit Bertha und Franziska kann also innerhalb der Familie kein Geheimnis gewesen sein. Wir sollten darüber nicht urteilen. Die Gründe können vielfältig sein: vielleicht konnte Bertha keine Kinder bekommen, Harry wollte aber welche, und so stimmte sie zu, dass Harry Kinder mit einer anderen Frau hatte? Unverheiratet oder geschieden zu sein war damals sicherlich gesellschaftlich geächtet, und mit einer ›zweiten‹ gleichzeitigen Ehe hatten beide Frauen einen abgesicherten sozialen Status – solange dieses Arrangement nicht bekannt wurde. Aber das sind natürlich nur Vermutungen.
Wohnhaft waren beide der Heiratsurkunde aus Hoboken zufolge in 223 Garden Street in Hoboken. 1896, so gibt es ihr Sohn Herbert an, verließ Franziska mit Herbert, der eigenen Angaben zufolge am 7. Februar 1896 in Hoboken geboren wurde und dies mit einer Geburtsurkunde der ›St. Peter & Paul Church‹ belegt, die USA um nach Heidelberg zu ziehen.
Am 25. März 1898 wird ihre Tochter Maria Sigrid Johnson geboren, in der Heidelberger Frauenklinik um acht ein halb Uhr. So belegt es die Geburtsurkunde Nr. 342/1896 des Heidelberger Standesamtes. Ihr Vater ist »Kapitän Harry Johnson, wohnhaft zu New York.«
In den Heidelberger Adressbüchern finden wir Franziska erstmals im Jahr 1899: »Johnson Franziska Frau, Priv., Kaiserstraße 7«; im Jahr 1900 ist sie im Steigerweg 51 wohnhaft, ab 1901 in der Leopoldstraße 30, heute: Friedrich-Ebert-Anlage 30. Am 7. Juli 1899 berichtet die Heidelberger Zeitung »Frau Kapitain Johnson dahier kaufte das Dr. Middelkamp gehörige Haus Leopoldstraße 30 um den Preis von 115 000 M«. Am 9. September hingegen berichtet dieselbe Zeitung, der Verkauf habe im August stattgefunden und »Harry Johnson, Kapitän aus New-York« habe das Haus gekauft. Nach und nach verließen die Mieter das Haus, und von 1903 bis 1910 führte Franziska darin die »Familienpension Continentale«. Das Haus blieb bis 1929 in Franziskas Familienbesitz.
Franziska jedoch blieb nicht in Heidelberg wohnen. Sie verließ bereits 1911 Heidelberg und zog nach Karlsruhe. Vermutlich wohnte sie dort bereits mit ihrem späteren Ehemann Dr. Alwin Kronacher zusammen.
1913 schließlich reiste sie gemeinsam mit ihrer Tochter nach New York, um sich von Harry scheiden zu lassen. So berichtet es ihre Tochter Sigrid in Passanträgen. Diese Reise wird durch eine Passagierliste bestätigt. Am 14. Oktober 1913 verließen sie Bremen auf der ›S.S. Kronprinz Wilhelm‹ und erreichten New York am 21. Oktober.
Der spätere Ehemann: Dr. Alwin Kronacher
Da Franziska nun geschieden war, konnte sie im dritten Quartal des Jahres 1914 in Kensington, London, Dr. Alwin Kronacher heiraten. Er promovierte 1905 in Heidelberg zum Doktor der Rechtswissenschaften und ließ sich anschließend im Schauspiel ausbilden. Im Jahr 1910 wurde er dramaturgischer Beirat, Schauspieler und später Schauspielleiter am Karlsruher Hoftheater. 1916 bis 1918 war er Dramaturg und Oberspielleiter in Bremen. 1919 bis 1929 war er am Alten Theater in Leipzig, ab 1921 als Schauspieldirektor. Von 1930 bis 1933 war er Schauspieldirektor im Frankfurter Schauspielhaus. Alwin Kronacher war sicherlich der bedeutendste Theaterregisseur der Weimarer Republik. In Frankfurt erfolgte die nationalsozialistische Machtübernahme am 28. März 1933 und Alwin wurde wegen seiner »nichtarischen Abstammung« und seines »undeutschen« Spielplans am 28. März 1933 beurlaubt. Er emigrierte nach Basel und war dort für eine Spielzeit Oberspielleiter am Stadttheater. 1934 ging er nach Paris und emigrierte 1939 in die USA, wo er 1941 Professor an der University of Delaware und 1949 Professor für Dramaturgie am Department of Arts der University of California in Berkeley war. Am 2. Januar 1951 verstarb er in Berkeley.
Nach der Heirat folgte Franziska ihrem Mann nach Bremen, Leipzig und Frankfurt.
Am 11. Juni 1928 heiratete Franziskas Tochter Sigrid in Leipzig den Doktor der Philosophie Albert Wilhelm Jesinghaus; ihre Mutter Franziska und ihr Stiefvater Alwin waren Trauzeugen und wohnten mit Sigrid in der Springerstraße 26.
Die Scheidung von Franziska und Alwin muss 1933 oder 1934 stattgefunden haben, denn im 3. Quartal 1934 heiratete Alwin in Holborn, London, Esther Elkuss geb. Eigthington, deren erster Ehemann, Kurt Elkuss, 1927 in Leipzig verstorben war. Für eine Scheidung um 1933 sprechen die Frankfurter Adressbücher. Von 1930 bis 1933 ist Alwin Kronacher darin verzeichnet, wohnhaft in der Bürgerstraße 87, heute Wilhelm-Leuschner-Straße 83. In den Jahren 1934 und 1935 gibt es nur noch »Kronacher, Franziska, Privat., Bürger-Straße 87. T. 32673.«
Dann verliert sich die Spur Franziskas bis zu ihrem Tod in Hamburg. Aus der Sterbeurkunde erfahren wir, dass sie am 2. Dezember 1945 um 18:15 in ihrer Wohnung in der Hochallee 49 aufgrund von Herzschwäche verstarb. Dem Standesamt wurde dies durch ihren Enkel Ralph Jesinghaus, wohnhaft in der Alsterchaussee 9, bekannt gegeben.
Die Tochter: Maria Sigrid Johnson
Nicht nur, dass es in Harrys Leben eine weitere Ehefrau gab. Auch Sigrids Lebenslauf muss umgeschrieben werden. Er ist anscheinend anders als von Anistatia Miller und Jarred Brown dargestellt. Sie schrieben: »Sigrid fand sich auf Long Island als Gouvernante für die drei Töchter von Loomis und Henrietta Taylor wieder, die in der Halsey Road im mondänen Southampton wohnten. (Nach 1925 verliert sich die Spur von Sigrid, bis auf die Möglichkeit, dass sie 1928 einen Mann namens Herbert Purves heiratete).«
Aus Sigrids Passanträgen wissen wir, dass sie im Jahr 1914 und 1915 in Karlsruhe wohnte (sicherlich bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater). 1916 gibt sie an, sie wohne nun in Bremen (auch hier sicherlich bei Franziska und Alwin). Ab 1919 war Alwin in Leipzig tätig, und die Familie folgte ihm dorthin.
Es gibt eine Passagierliste aus dem Jahr 1923, die belegt, dass Sigrid von Hamburg nach New York reist; sie ist deutsche Staatsangehörige. Als Herkunftsort ist Leipzig angegeben und ihr Stiefvater ist Alwin in der Springerstraße 26. Sie kann aber nicht lange in den USA geblieben sein, und ich glaube nicht, dass sie als Gouvernante auf Long Island arbeitete. Es wird sich hier vielleicht um Verwechslungen mit einer anderen Sigrid Johnson handeln, denn die im Zensus 1925 genannte – und auf diese Quelle müssen sich Anistatia Miller und Jared Brown beziehen – soll bereits seit 10 Jahren in den USA und außerdem amerikanische Bürgerin gewesen sein. Auch heiratete ›unsere‹ Sigrid keinen Herbert Purves. Denn wie bereits geschrieben, heiratete sie am 11. Juni 1928 in Leipzig den Verlagsschriftleiter und Doktor der Philosophie Albert Wilhelm Walter Jesinghaus.
Walter Jesinghaus wurde am 10. Oktober 1887 als Sohn des Druckereibesitzers Carl Jesinghaus geboren. Er studierte in London, München und Leipzig. 1913 legte er seine Dissertation an der Universität Leipzig mit dem Titel »August Wilhelm von Schlegels Meinungen über die Ursprache« vor. Ein Jahr zuvor, 1912, hatte er an der Olympiade in Stockholm teilgenommen und wurde im Turnen Fünfter im Mannschaftsmehrkampf und Vierter im Mannschaftsmehrkampf am freien Gerät.
Zunächst wohnten Sigrid und Walter in Leipzig. Die Adressbücher verzeichnen für 1928 »Weststr. 12« und für 1930 »Jesinghaus, Walter, Dr. Phil., Verlagsschriftleiter, … Menckestraße 21«. 1932 finden wir sie in Berlin, Meiereifeld 34. Sie zogen um, denn ihre Anschrift lautet 1934 Meiereifeld 26, 1935-1937 Finkensteinallee 7, 1938 Gersauer Weg 6. Ab 1939 waren sie in Hamburg in der Alsterchaussee 9 wohnhaft.
Die Standesurkunde 265/1968 des Standesamtes Hamburg-Eimsbüttel berichten: »Maria Sigrid Jesinghaus geborene Johnson, wohnhaft in Hamburg, Alsterchaussee 9, ist zwischen dem 2. März 1968, 0 Uhr 5 Minuten, und dem 3. März 1968 um 17 Uhr 20 Minuten in Hamburg, in genannter Wohnung, verstorben. Die Verstorbene war geboren am 25. März 1898 in Heidelberg. Die Verstorbene war verheiratet mit dem Doktor der Philosophie Albert Wilhelm Walter Jesinghaus, der zur gleichen Zeit verstorben ist. Eingetragen auf schriftliche Anzeige der Behörde für Inneres – Der Polizeipräsident – Hamburg.« Das deutet darauf hin, dass die Ursache entweder Mord, Unfall oder ein Suizid gewesen sein könnte. Es haben sich leider keine Akten erhalten. Da diese bei einem Mord immer archiviert werden, könnte es ein gemeinsamer Suizid gewesen sein.
Der Sohn: Herbert Johnson
Auch über Harrys Sohn Herbert gibt es Neues zu berichten. Passagierlisten belegen, dass er 1919 aus Kopenhagen kommend, 1921 und 1929 aus Bremen kommend, und 1930 aus Cherbourg kommend in die USA einreiste. Auch in den Folgejahren reiste er 1932, 1933, 1934, 1935, 1936, 1937 und 1938 aus Cherbourg kommend ein.
Laut Heiratsurkunde Nr. 12663 heiratete Herbert A. Johnson, Sohn von Harry Johnson und Frances Puettner, geboren um 1896 und ledig, wohnhaft in 848 Lexington Ave in Manhattan am 2. Oktober 1923 im Rathaus von Brooklyn die in Deutschland geborene Hilde Koerner, geboren um 1892, ledig und wohnhaft in 537 Rockaway Ave.
Hilde wurde am 3. Mai 1892 in Weimar geboren als Tochter des Rechtsanwaltes Dr. jur. Karl Walter Körner und Emilie Henriette Marie Körner geborene Voppel. Hilde verstarb (vermutlich) im Februar 1981. Ihr letzter Wohnort war Westchester, New York.
Am 20. Februar 1939 verstarb Herbert, wohnhaft in der 145 East 49 St, in Manhattan an spontaner Hirnblutung. Beerdigt wurde er am 23. Februar 1939 auf dem ›Woodlawn Cemetery‹. So steht es auf seiner Sterbeurkunde. Den Aufzeichnungen des Friedhofs zufolge fand die Beerdigung am 24. Februar 1939 statt. Am 28. März 1939 wurde sein Leichnam jedoch nach Deutschland überführt. Leider ist nicht verzeichnet, auf wessen Veranlassung hin und auf welchen Friedhof in Deutschland.
Herbert und Hilde hatten keine Kinder.
Anhand der vorliegenden Unterlagen lassen sich als Herberts Anschriften in New York ermitteln: 1921 – 152 Lenox Road, Brooklyn; 1923 – 848 Lexington Av., Manhattan; 1929 – 11 West 74th St.; 1931, 1932, 1933, 1934, 1936, 1937, 1938 – 10 East 40th St.; 1934 – 107 W74 St.; 1935 – 16 East 82 St; 1939 – 145 East 49 St.
Die Biografie Harry Johnsons bleibt spannend, denn es wird sicherlich noch weiteres an Harrys Lebenslauf geändert werden müssen. Doch darüber werde ich zu gegebener Zeit berichten.
Bildquellen
»Harry Johnson, Passantrag 1916«, Quellenangabe: “United States Passport Applications, 1795-1925,” database with images, FamilySearch (https://familysearch.org/ark:/61903/3:1:3QSQ-G9X7-H5L8?cc=2185145&wc=3XZ8-HZ3%3A1056306501%2C1056630101 : 4 September 2015), (M1490) Passport Applications, January 2, 1906 – March 31, 1925 > Roll 301, 1916 Apr, certificate no 21101-21500 > image 448 of 794; citing NARA microfilm publications M1490 and M1372 (Washington, D.C.: National Archives and Records Administration, n.d.)
»Herbert Johnson, Passantrag 1916«, Quellenangabe: “United States Passport Applications, 1795-1925,” database with images, FamilySearch (https://familysearch.org/ark:/61903/3:1:3QS7-89X7-CC95?cc=2185145&wc=3XZD-C68%3A1056306501%2C1056630701 : 4 September 2015), (M1490) Passport Applications, January 2, 1906 – March 31, 1925 > Roll 295, 1916 Feb-Mar, certificate no 18701-19100 > image 328 of 714; citing NARA microfilm publications M1490 and M1372 (Washington, D.C.: National Archives and Records Administration, n.d.)
»Sigrid Johnson, Passantrag 1915«, Quellenangabe: “United States Passport Applications, 1795-1925,” database with images, FamilySearch (https://familysearch.org/ark:/61903/3:1:3QS7-99X7-CG9C?cc=2185145&wc=3XZ8-GP6%3A1056306501%2C1056642701 : 30 January 2015), (M1490) Passport Applications, January 2, 1906 – March 31, 1925 > Roll 243, 1915 Apr-May, certificate no 55555-56211 > image 408 of 1176; citing NARA microfilm publications M1490 and M1372 (Washington, D.C.: National Archives and Records Administration, n.d.)
»Dr. Alwin Kronacher, 1917«, Quellenangabe: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Alwin_Kronacher.jpg »Alwin Kronacher, 1917. Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig.«
Credits
Foto: Constantin Karl