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Tiki to heaven

Tiki to heaven: Der Mr. Bali Hai Cocktail

Ein Tiki-Cocktail, der sich eine Wiederentdeckung verdient hat, ist der in San Diego entworfene Mr. Bali Hai. Dunkle Röstaromen machen den Drink aus dem gleichnamigen Restaurant deutlich komplexer als andere Vertreter seiner Gattung.

Die Tage in Deutschland werden zusehends kürzer und die Schlangen im Supermarkt länger. Die Weihnachtszeit steht vor der Tür. Naja, zugegeben noch nicht ganz. Kalt und strubbelig ist es draußen dennoch und man wünscht sich nicht selten den Sommer zurück. Oder sich selbst einfach nur an einen anderen Ort. In die Karibik, nach Australien oder gar die Südsee.
Es ist erstaunlich, wie sehr die Tiki-Thematik von Gegensätzen geprägt ist. So ist der Eskapismus ja im Grunde das hauptsächliche Merkmal eines die Kälte gegen warme Sonnenstrahlen eintauschenden Lifestyles. Mit Sicherheit ist diese Realitätsflucht in gewisser Weise kindisch, doch ist sie eben psychologisch gesehen auch völlig menschlich und verdient daher per se keine Herabwürdigung. Nicht umsonst geistern ja in unserem Sprachgebrauch auch Redewendungen wie „den Kopf ausschalten“ und „die Seele baumeln lassen“.

Mr. Bali Hai: Aufgehübschtes Relikt

Auch wenn man es nicht besser wüsste, der Mr. Bali Hai spricht optisch aus einer anderen Zeit. Zurecht politisch inkorrekt wäre es heute, einen wahrscheinlich indigenen Einwohner des polynesischen Archipels mit Elfenbeinstab durch die Nase karikaturistisch zu diffamieren. Und doch ist es umso erstaunlicher, dass der verstaubte Tiki-Klassiker zumindest geschmacklich eine ziemlich moderne Geschichte erzählt.
In den 1960er-Jahren im Restaurant Bali Hai in San Diego serviert und Jahre später von Tiki-Methusalem Jeff „Beachbum“ Berry wiederentdeckt, erweist sich der Cocktail im tropischen Gewand als deutlich komplexer als andere Zeitgenossen.

Mr. Bali Hai: Mal was anderes?!

Ist man ehrlich, so muss der Mr. Bali Hai – vereinfacht gesagt – als Rum Sour bezeichnet werden. Mit einer fassgelagerten Qualität und einem ungereiften Rum ist er mit der gleichen Menge an Limette und Zuckersirup – damals noch als Sweet & Sour Mix benannt – fast schon in die Kategorie eines etwas zu süß geratenen Daiquiri einzuordnen. Wäre da nicht der ungesüßte Ananassaft, der dem Drink eine tropisch fruchtige, leicht säuerliche Dominanz verschafft.
Der eigentliche Clou liegt jedoch in etwas anderem. Als nur einer von äußerst wenigen Tiki-Drinks bedient sich der Mr. Bali Hai eines Kaffeelikörs, was ihm ein zeitgenössisches Gewand verpasst. Die dunklen Röstaromen fügen sich in breiter Harmonie mit den reifen Tönen des Rums. Sie geben dem Cocktail darüber hinaus auch die nötige Tiefe und sorgen für eine trotz süßlicher Dominanz des Likörs leicht bittere Note, mit dem sie dem Mr. Bali Hai mehr Profil verleihen.

Kein Meisterwerk, aber auf der Höhe der Zeit

Sicherlich ist der Mr. Bali Hai kein mixologisches Meisterwerk. Für einen Tiki-Drink bringt er jedoch ordentlich Tiefgang mit und zeigt sich unangepasst, aus der Kategorie fallend. Vielleicht einer der Gründe, weshalb man ihn heute kaum noch auf den Karten dieser Welt antrifft. Das ist schade. Denn auch wenn er äußerlich nicht mehr in die Zeit und Welt von heute passt, so ist er geschmacklich doch voll auf der Höhe und ist der Coffee to go des Büro-Eskapisten mit Ticket nach Papeete.

Credits

Foto: Tim Klöcker

Comments (2)

  • Stephan

    Tiki ist wunderbar, bitte mehr davon! Die Cocktails machen so viel Freu(n)de
    Jegliche Ironie seitens Matini und GinTonic Trinkern ist hochnäsig und einfach daneben.

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  • Pjotr

    Mug Credit: Kai Sarnes /Hai Kai!

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