NordCraft: Gurke geht auch ohne Gin
»Man will sich – freilich auch als bewusster Akt der Gegenbewegung – nicht in einem Pool wissen mit vielen »Agentur-Gins«, die im Lohnverfahren gebrannt werden und keinen handwerklichen Bezug zu ihren Entwicklern haben.«
In gewisser Weise kann man diesen Hinterhof in der Holstenstraße 194c wohl sinnbildlich für Hamburg-Altona verstehen, also für das »neue« Altona. Nicht das Altona, das Sven Regener zuletzt so herrlich lakonisch in Magical Mystery beschrieben hat – sondern das junge, frische, kreative, ja, sicher auch das plötzlich teurere und gentrifizierte Altona.
In dem Hinterhof, in dem seit wenigen Monaten auch NordCraft seinen Sitz hat, ist es nämlich sauber, frisch, man meint geradezu noch die Renovierungsarbeiten zu riechen, die sich jetzt mit dem Duft des satten, frühlingshaften Grün der Bepflanzung verbinden. Und das wiederum passt ganz gut, denn die beiden NordCraft-Gründer, Destillateur Mario Gallone und sein Partner Rainer Hosie vom Spirituosenvertrieb Charles Hosie, haben sich durchaus der Arbeit mit sowohl Grünem als auch Duft verschrieben.
»Eine der wichtigsten Überlegungen«, setzt Gallone, vor den vier unterschiedlichen Brennblasen stehend, an, »war es definitiv, dass wir ein Produkt entwickeln wollen, das nicht nur unseren Qualitätsvorstellungen entspricht, sondern das auch wirklich von uns gemacht wird und bei uns entsteht.« Auch ein Grund, dass von der Idee bis zur Realisierung von NordCraft und der ersten Flasche des »NordCraft Dry Botanical Spirit« einige Jahre vergingen. Man wollte sich – freilich auch als bewusster Akt der Gegenbewegung – nicht in einem Pool wissen mit vielen »Agentur-Gins«, die im Lohnverfahren gebrannt werden und keinen handwerklichen Bezug zu ihren Entwicklern haben. Entwickler im besten Fall, schließlich erwecken viele junge Marken eher den Eindruck, dass nur das Label dem Besitzer entsprungen ist, während der Rest von anderswo kommt.
Bloß nicht noch ein Gin …
Daher verwundert es auch nicht, dass als erstes Produkt, also als Flaggschiff, eben kein Gin entwickelt wurde, sondern der NordCraft Dry Botanical Spirit – ein Destillat, dessen Kopfnoten zuvörderst durch Dill, Petersilie und frische Gurke geprägt sind, die durch knapp 20 weitere Zutaten untermalt und bereichert werden. Klar: Man darf das dann auch nicht als Gin verkaufen, obwohl man mit diesem Wort anno 2019 in Deutschland wohl mehr Menschen erreicht als je zuvor. Aber man kann sich absetzen – und zwar mit Qualität.
»Ein zentrales Merkmal an unserem Dry Botanical Spirit ist: Er ist zwar kein Gin, aber er entsteht zu 100% im London-Dry-Verfahren. Ich verstehe das als Güte-Merkmal«, erklärt Gallone. Er spricht ruhig und unaufgeregt von seinem Produkt und seinem Handwerk, die sonst gern gedroppten Superlative und Catchphrases lässt er außen vor. Er erläutert lieber: »Das bedeutet, dass wir die Zutaten ganz klassisch mit reinem Weizendestillat mazerieren und abdestillieren, teilweise auch noch über einen Geistkorb. Danach passiert gar nichts mehr mit dem fertigen Brand – er wird nicht weiter aromatisiert, versetzt oder gesüßt«, spielt er erneut auf die aktuelle, innere Spannung des Gin-Begriffs an.
»Dill und Gurke sind prägnant als Hauptdarsteller inszeniert, jedoch ohne dass der Geist zu sehr ins Gemüsige abdriftet.«
NordCraft Dry Botanical Spirit
700 ml, 43% Vol., € 34,98
via nordcraft-hamburg.com
Brennerei & Kontor:
Holstenstraße 194c
D-22765 Hamburg
Die Hauptsache: Ein blitzsauberes Destillat mit nordischer Identität
»Natürlich macht man sich seine Gedanken, was letztlich auf der Flasche stehen wird, was dort stehen darf«, schaltet sich Rainer Hosie ein. Der Geschäftsführer des Traditionshauses Charles Hosie, das überdies aktuell sein hundertjähriges Bestehen feiert, kennt als Importeur die rechtliche Seite des Business naturgemäß besonders detailliert. »Wir haben uns beim NordCraft Dry Botanical Spirit letztlich für die Verkehrsbezeichnung ›Spirituose aus Kräutern‹ entschieden«, setzt er darauf, dem mündigen Konsumenten und letztlich auch dem Bartender sprichwörtlich reinen Wein einzuschenken. Und Gallone pflichtet bei: »Genau das ist es ja auch. Streng genommen ist übrigens auch jeder Gin eine ›Spirituose aus Kräutern‹.«
Ein wenig müßig scheint es natürlich schon, angesichts einer neuen Spirituose, die kein Gin sein will, so viele Vergleiche zu Gin zu ziehen. Allein – Beschreibungen sind schwierig (und oft kaum machbar) ohne Bezüge, Assoziationen und eben Vergleiche. Kostet man den NordCraft Dry Botanical Spirit, muss man denn auch erstaunt (und nicht ohne leicht süffisantes Lächeln) feststellen: Das, was da pur und später zusammen mit Tonic im Glas duftet, ist einerseits ganz klar kein Gin, aber in seiner erwachsenen, geradlinigen und crispen Aromatik gleichsam deutlich mehr einem echten Gin entsprechend als viele der jungen New-Western-Marken. Aufgrund der Hauptgewürze durchaus mit nordischer Identität, aber ohne sich dabei einzuengen.
Denn der Dry Botanical Spirits spielt seine Stärken gekonnt aus, die blitzsaubere Herstellung verleiht ihm echte Strahlkraft: Dill und Gurke sind prägnant als Hauptdarsteller inszeniert, jedoch ohne dass der Geist zu sehr ins Gemüsige abdriftet. Dazu spielen sich zart hintergründig florale und erdige sowie ganz leicht zitrale Noten ab – Lavendel, Veilchenwurz, rosa Pfeffer, Piment, Koriander und Kardamom. Ein komplexes Geschmacksprofil, das durch die ausgewiesene Frische seine Zugänglichkeit und Leichtigkeit bewahrt. Leichte Assoziationen an bestimmte Aquavit-Spielarten mögen sich zunächst aufdrängen, doch der NordCraft Dry Botanical Spirit bleibt vollkommen eigenständig – und Mario Gallone straft mal eben im Vorbeigehen jene Destillateure lügen, die behaupten, man könne Gurke nicht im eigentlichen Sinne heiß destillieren. Crisp und erfrischend mit Tonic Water, trocken-duftig im Martini und – wen wundert’s? – ziemlich optimal für einen opulenten und reichhaltigen, aber eleganten Gibson.
»Für das Jahr versuchen wir, rund 10.000 Flaschen abzusetzen, das ist durchaus ambitioniert.«
Der »Dry Botanical Spirit« markiert den Anfang
Erhältlich ist der Dry Botanical Spirit ab sofort (natürlich über Charles Hosie) zu € 34,98 für 700 ml. Und wie geht es damit nun weiter in den kommenden Monaten? »Wir sind hier in Hamburg schon bei recht vielen guten Gastronomen gelistet und freuen uns über die Sichtbarkeit«, so Hosie. »Für das Jahr versuchen wir, rund 10.000 Flaschen abzusetzen, das ist durchaus ambitioniert.« Dafür muss Gallone Gas geben, denn die Demeter-zertifizierten Gurke, Petersilie und Dill vom Zulieferer der Wahl gibt es nur bis ca. August. Bis dahin laufen die beiden vom Destillateur selbst modifizierten Stills also auf Hochtouren. Und parallel steht da dann ja noch die kleinste Brennblase, auf der weitere Rezepturen ausprobiert werden. Es wird nämlich auf Dauer nicht bei einer Sorte bleiben. Wie gesagt: Altona soll ja recht vital sein.
Credits
Foto: NordCraft